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Virtuelles Magazin - Ausgabe 3 - 2000

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Nun setzt der Konsumfotojournalismus, wie ich ihn nennen möchte, auf die visuelle Denkfaulheit des Betrachters, stellt sich, wie Schrader ausführt, ein auf die Wahrnehmungsgewohnheiten und tut dies immer noch mit wirtschaftlichem Erfolg. Jedoch schon nicht mehr bei mir, denn mich langweilen solche Bilder. Es ist der Bildredakteur, der zu wissen vorgibt, was die Leute sehen wollen und er erzählt dies dem Fotografen, der wiederum als Job sein Geld mit den verlangten Bildern verdient. Nicht der Bildredakteur sieht hin, was die Fotografen von sich aus treiben, welche Bildformen und visuelle Sprachen sie entwickeln, um daraus Konsequenzen für die Gestaltung der Medien zu ziehen, wie das in einer kurzen Zeitspanne der frühen Reportage anscheinend möglich war, sondern nach vorgefertigten Konzepten der Massenblätter erhalten die Fotografen ihre ästhetischen Vorgaben und Storyboards. Junge Fotografen, deren interessante Arbeit ich aus jahrelanger Diskussion kenne, wissen, wenn sie zum Beispiel für den "Spiegel" arbeiten, welche Art Bilder sie zu liefern haben, und sie tun es. Die Kreativität, die permanente Erneuerung der Bilder und Sichten, bleibt auf diese Weise im Beruf stecken. 
 
Die vertraute Spiegelfotografie blickt mich über Monate und Jahre immer gleich aus jeder Nummer an, die ich der Texte und Fakten, kaum aber der Fotografie wegen kaufe. Zeit, Gegenwart als Bild und existentielle Erfahrung wird nicht mehr visuell artikuliert in solchen Blättern, sie bleibt eingefroren im redaktionellen Rezept. Hans Magnus Enzensberger hat in seinem spannenden Essay über "Die Sprache des Spiegel" dieses für den Textteil untersucht. Eine entsprechende Untersuchung über die Bildsprache des Spiegel steht noch aus. Eine offenbar zu Ende gehende Möglichkeit fotografischer Entfaltung ist fast nur in den Begleitmagazinen, die nach und nach ihr Erscheinen einstellen, wie die von FAZ, ZEIT und Süddeutscher Zeitung zu beobachten. Der gleichwertige Dialog zwischen Fotografen und Redakteuren kann vielleicht eine notwendige Weiterentwicklung der Illustrierten Zeitungen zu einer zeitgemäßen Bildsprache in Gang setzen. Hinzu kommt unser Dilemma einer fortschreitenden Konzentration der Medien, die zu fast konkurrenzlosen Monopolstellungen und damit zu einer Übermacht der Bildredaktionen geführt hat. Auch in der Gegenwart müssen wir uns wiederum gegen eine neue Art der "Gleichschaltung der Bilder" zur Wehr setzen, diesmal bedingt durch die Entwicklung von Monopolstellungen der Medien und ihre vorgegebenen redaktionellen Konzepte, welche sich die Fotografen unterwerfen. Für die dreißiger Jahre unserer Mediengeschichte ermitteln Kerbs, Uka und Walz-Richter immerhin 36 illustrierte Magazine, für welche eine weitaus geringere Anzahl von Fotografen gearbeitet haben als heute, wo sich die Arbeitsmöglichkeit auf wenige Blätter konzentriert. Der Spiegel als textbetontes Nachrichtenmagazin leistet sich gelegentlich Nachdenkliches in seinen Essays von Dichtern, Literaten, Philosophen etc. Er erreicht damit hin und wieder einen Diskussionsstand, der über den Einzugsbereich seiner unmittelbaren Leserschaft hinaus geht. Ich denke da zum Beispiel an den umstrittenen "Bocksgesang" von Botho Strauß oder die Texte zur deutschen Frage von Martin Walser, Wolf Biermann u. a.. Diskussionswürdiges im Text zum "entscheidenden Augenblick" unserer Zeit kann im Einzelfall auch das Interesse an einem Massenblatt steigern. Etwas Vergleichbares im Bildbereich, meine ich, könnte ein Magazin dieser Größenordnung sich gelegentlich leisten, schon um eine Balance von Text und Bild immer wieder zu versuchen. Es geht um Denkanstöße, Diskussionsvorlagen auch im visuellen Bereich. Material steht zur Verfügung, wie zum Beispiel der ZEIT-Magazinbeitrag über die Arbeit EIN-HEIT" von Michael Schmidt zeigt. Die Eroberung der Kunstszene durch die Fotografie, die wir heute beobachten können, ist auch zugleich eine Rückzug aus der Bildpresse und damit verbunden eine entsprechende Verarmung ihrer fotografischen Kultur. Sperrige, genau zu betrachtende Bildfolgen von Eva Leitolf über Schrecken und Banalität des Rechtsradikalismus in Deutschland, Marcus Werres Arbeiten aus dem Jugendstrafvollzug, Wolfgang Bellwinkels nüchterne, genaue Sichten aus Bosnien bieten Beispiele. Mühsam genug schafft sich die Fotografie ihren eigenen Benutzerkreis. Versuchen wir, die schwerfälligen Massenblätter ein wenig zu provozieren zum Unbequemen, das auch ihren Informationswert steigern könnte für Menschen, die nicht nur mit kurzlebigem Augenschleim zum raschen Vergessen abgespeist sein wollen. 
Da bleibt nur die Glaubwuerdigkeit des Fotografen selbst, der seine Arbeit nicht immer gegen den Missbrauch schützen kann.
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