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Virtuelles Magazin - Ausgabe 3 - 2000

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In einem Fernsehbericht gab es eine für diesen Zusammenhang aufschlußreiche Szene: ein junger Fotograf, Andreas Varnhorn, präsentiert eine Bildauswahl zur Vorstellung und in der Hoffnung auf Aufträge dem Redakteur von "FOCUS" Rüdiger Schrader. Dabei kommt die Herausgeberphilosophie zur Sprache: "Ich glaube, "sagt Schrader," dass sich unsere Wahrnehmungsgewohnheiten geändert haben. Ich glaube, dass wir nicht mehr, so wie früher, die Zeit haben, uns lange mit einem Bild, lange mit einem Text und lange mit einer Nachricht zu beschäftigen. Wir brauchen möglichst viel, möglichst schnell - auf einen Blick. Diesem Bedürfnis hat FOCUS irgendwie Rechnung getragen". Ein Foto müsse daher klar, eindeutig und schnell lesbar sein. Von diesen deutlichen und klaren Fotos könne man dafür eine größere Menge auf eine Seite, jedes Heft mit etwa dreihundert Seiten und ca. 500 Fotos. Kracauers "Schneegestöber" hat sich zur Methode verdichtet und wird als solche offen vorgetragen. Diese Art der Bildauswahl und Präsentation hinterläßt in der Tat keine Spuren. Die Fotos flutschen durch, ohne sich irgendwo im Bewußtsein festzusetzen. Zugunsten der raschen Information wird das visuelle Denken und das damit verbundene Gedächtnis ausgeschaltet.
Unter den jungen Fotografen und Fotografinnen entwickelt sich in einer Art persönlichem Widerstand eine gegenläufige Tendenz. Es geht den besten von ihnen gerade um sperrige, nicht sofort entschlüsselbare Bilder. Sie neigen zum Verrätseln, zur Gestaltung von Denkbildern oder auch zur Verweigerung glatter, eingängiger Information. Absichtlich fotografieren viele von ihnen an dem Bekannten, Erwarteten vorbei, sie akzentuieren das "Beiläufige", wie dies ein Sprachgebrauch formuliert, sie suchen das in sich Widersprüchliche, das sich einer glatten Lesbarkeit eher entzieht. Sie machen "ihre" Bilder, sie stellen den Anspruch einer subjektiven Sicht und Bildsprache. Auch dies natürlich führt zu einem Zeitstil, den sie mitgestalten und dem sie auch unbewußt vielleicht, aber doch auch unterworfen sind. Erzielt werden soll, wenn dies denn überhaupt auf einen Betrachter gerichtete Absicht ist, Erstaunen, Aufmerksamkeit, geduldiges Hinsehen und ein Rest von unaufschlüsselbarem Geheimnis. 
Die Merkwürdigkeit des Sehens, des Fotografierens selbst wird zum Thema. "ojana lok - Zur Erfahrung des Fremden" nennt zum Beispiel Axel Grünewald eine Bildserie aus Indien. Hier ist nicht mehr Reise- oder Reportagefotografie im Sinne einer leicht ablesbaren Bildergeschichte im Spiel, die uns vormacht, wir lernten im raschen Durchblättern selbst Indien kennen, weil es in den vertrauten Bildmustern daherkommt. Grünewalds Kamera geht sehr nah heran an die Dinge, schneidet Stücke heraus, akzentuiert das Geheimnis - sowohl die Fremdheit der Oberflächen, der Lichter und Schatten, wie auch das Geheimnis immer noch des Fotografierens selbst. Fotografie erhält so eine neue, existentielle Dimension. Seine Arbeit aus Jordanien ist nicht weniger kryptisch. Gemessen daran sind die meisten Magazinbilder von comic-hafter Eindimensionalität, als ginge Donald Duck als Reporter durch die für ihn leicht durchschaubare, von Magazinredakteuren bereits fertig entworfene Welt.
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