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Virtuelles Magazin - Ausgabe 3 - 2000

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Aus der Erkundung der Wirklichkeit ist jedoch ein Verfallensein an die eigenen Bilder geworden, ein Prozeß, den man mit einem Wort als Selbstbetrug bezeichnen kann. Es ist ein Betrug, bei dem wir als Produzenten und Rezipienten in selbstgenügsamer Kumpanei uns allmählich in einem spannungslosen Zustand, der Entropie vergleichbar, mit immer faderem Geschmack auf den Lippen selbst verdauen.
Da die technische Energie diese Medien im naturalistischen Sinne auf eine Simulation von Erscheinungsbildern, auf ein Augentäuschen mit dem Ziel der möglich "naturgetreuen" Nachahmung vorantreibt, ist die Erkenntnis ihres fiktiven Charakters, ihres Zeichensystems, immer wieder durch die faule Bereitschaft des Betrachters gestört, in diesen trügerischen Spiegelungen Wirklichkeit zu erleben, die ihm sonst verschlossen ist, bis hin zur selbstzerstörerischen Verdrängung des eigenen Lebens durch die technisch perfektere Fiktion.
Dies ist kein Plädoyer gegen den Medienkonsum sondern eins für einen anderen Gebrauch, den ich mit dem Begriff des aktiven Sehens bezeichne. 
Der Philosoph Vilém Flusser beschreibt das Problem so: " Der Mensch vergißt, daß er es war, der die Bilder erzeugte, um sich an ihnen in der Welt zu orientieren. Er kann sie nicht mehr entziffern und lebt von nun ab in Funktion seiner eigenen Bilder. Imagination ist in Halluzination umgeschlagen. Dieser scheinbar unsymbolische, objektive Charakter der technischen Bilder führt den Betrachter dazu, sie nicht als Bilder, sondern als Fenster anzusehen. Diese Kritiklosigkeit den technischen Bildern gegenüber muß sich als gefährlich herausstellen in einer Lage, wo die technischen Bilder daran sind, die Texte zu verdrängen. Gefährlich deshalb, weil die "Objektivität" der technischen Bilder eine Täuschung ist. Denn sie sind- wie alle Bilder- nicht nur symbolisch, sondern sie stellen noch weit abstraktere Symbolkomplexe dar als die traditionellen Bilder. Sie sind Metacodes von Texten, die...nicht die Welt dort draußen bedeuten sondern Texte." 
Das aktive Sehen läßt sich immer wieder auf das Lesen der Bildtexte, auf das Entziffern der jeweiligen Codes ein. 
Das Lesen des fotografischen Codes bedeutet auch Enttarnung, Abstreifen des Schleiers der vorgetäuschten Wirklichkeit, der so irreal ist wie eine Fototapete. Es geht um das Buchstabieren des Textes hinter den Bildern, das Aufschlüsseln der Absicht, der Mittel und der Wirkung. Hinter dem verfehlten Anspruch einer objektiven Wiedergabe durch das Objektiv, ein irreführendes Wortspiel, erscheint auch im Pressebild die Möglichkeit einer Freiheit des Gestalters, der sich ein Bild macht, der sich eine Meinung - hier sogar im Wortsinne - b i l d e t, seine und die des Betrachters. 
 
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