Jörg Boström zur Eröffnung der Ausstellung im
Kunstverein Gütersloh e.V.
Veerhoffhaus, Am Alten Kirchplatz 2
Photographie - Malerei
Malerei - Photographie
Kimberly Austin, Jose Ramon Bas, Axel Dürr, Reiner Mattern, Peter
Meilchen, Gabriele Undine Meyer, Kate Waters im Kunstverein Gütersloh
Fotografie und Malerei, sie haben sich jeweils verschiedenen Aufgaben der
ästhetischen Aneignung der Wirklichkeit zugewandt. War im 19. Jahrhundert
die Fotografie ein Anstoss, sich auch in der Malerei des Realismus und des
Impressionismus von der idealisierenden und historisierenden Bildwelt ab - und
der sichtbaren Gegenwart zuzuwenden, so konnte im Beginn des 20. Jahrhunderts
die Malerei sich auf ihre eigenen, nun als autonom begriffenen Mittel
zurückziehen über den Kubismus bis zum abstrakten Formenkanon etwa im schwarzen
Quadrat auf weissem Feld des Russen Kasimir Malewitsch, dessen spätere, dann
wieder gegenständliche Arbeiten z.Zt. in Bielefeld zu sehen sind. Bei diesem
Abtauchen der Malerei in den eigenen Materialbereich erklärt dann der
Theoretiker Siegfried Kracauer der Fotografie ihre neue Aufgabe wie einer Dame des
roten Kreuzes, eingesetzt zur "Rettung der physischen Realität".
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wird besonders in Westdeutschland die
Malerei zur Verwischung des Schreckens, zur Verdrängung der sichtbaren
Schäden, zur seelischen Befreiung und zur Dekoration der neugebauten Umwelt
eingesetzt, zum 50er Jahre Schmuck. Der Soziologe Arnold Gehlen propagiert
die "Entlastungsfunktion der Kunst". Wieder hat de Fotografie die undankbare Aufgabe,
Sichtbares gestaltend und aggressiv wiederzugeben, an die Schadstellen und
Fragwürdigkeiten der realen Existenz zu erinnern. Es ist dann
eigentümlicherweise die Bildgestalt der Konsum- und Werbewelt, welche in der Pop Art
dingliches und anatomisches Menschen- und Sachleben auf diesem Umweg in den 60er
Jahren wieder in die Kunst zurücktransportiert. Von nun an wird die
Medienwelt, insbesondere die Fotografie, zum selbstlosen Lieferanten von visuellen
Daten für eine erneute künstlerische Aneignung der Wirklichkeit. Diese vor und
um uns hängende Ausstellung und ihre Veranstalter machen dieses
Wechselspiel zum Thema. Es scheint uns heute beinahe nicht mehr möglich, die visuelle Welt
um uns zu erfassen und darzustellen, ohne das optische und technische
Instrumentarium der Fotografie, des Films oder der Television. Wir benutzen heute
die Medien bis hin zum Internet wie eine Brille, oder besser wie ein
Fernrohr, um Realitäten zu erspähen.
In unseren von Bildern dicht wie durch eine Fototapete zugeklebten
Horizonten gerät das Bewußtsein von Leben und Wirklichkeit in eine wahnhafte
Verfassung. Das Totalerlebnis einer uns umstellenden Medienlandschaft läßt direkte
visuelle Erfahrungen kaum noch zu. Der Zugriff auf Wirklichkeit wird
umgelenkt in einen Zugriff auf Bilder. Eine Existenz ohne Medien- und Bilderwelten
ist uns nicht möglich. Die fast unaufhebbare Verknüpfung von Lebensprozeß
und Bildsteuerung -im Sinne von Gesteuertsein durch Bilder- läßt einen
Zustand der direkten Lebenspraxis, einen bilderfreien und deshalb völlig realen
Raum nicht mehr zu. Der Philosoph Vilém Flusser beschreibt das Problem sehr
prägnant. "Der Mensch vergißt, daß er es war, der die Bilder erzeugte, um sich
an ihnen in der Welt zu orientieren. Er kann sie nicht mehr entziffern und
lebt von nun ab in Funktion seiner eigenen Bilder. Imagination ist in
Halluzination umgeschlagen. Dieser scheinbar unsymbolische, objektive Charakter
der technischen Bilder führt den Betrachter dazu, sie nicht als Bilder,
sondern als Fenster anzusehen...Diese Kritiklosigkeit den technischen Bildern
gegenüber muß sich als gefährlich herausstellen in einer Lage, wo die
technischen Bilder daran sind, die Texte zu verdrängen. Gefährlich deshalb, weil die
'Objektivität' der technischen Bilder eine Täuschung ist."
Die Bilder aus Fotografie und Malerei, die beide angeblich feindlichen
Medien gehen immer wieder eine Liaison ein - eine illegitime, wenn mann dem
Soziologen Pierre Bourdieu folgen will, welcher die Fotografie eine illegitime
Kunst genannt hat. Aber ein solch sittenwidriges Verhältnis hat sich als
ausserordebtlich fruchtbar erwiesen. Einige seiner Kinder sind hier zu sehen.
Der Schriftsteller Artur Koestler hat behauptet, aller Fortschritt in
Kunst und Wissenschaft sei durch "Bisoziation" zu erklären, also doch aus dem
Zusammenwirken an sich verschiedener Bereiche. Nun haben sich Künstler seit
der Renaissance optisch-technischer Hilfsmittel wie der camera obscura und
anderer Geräte bedient, um der Welt des Sichtbaren möglichst nahe zu kommen, um
Perspektive, Anatomie, architektonische Struktur möglichst genau zu
erfassen. Gegen diese neue, als Konkurenz empfundene Technik haben sich sogar
Maler, Künstler aus Paris zur Wehr gesetzt durch eine Eingabe an die französische
Regierung, sie möge die Photographie als unlauteren Wettbewerb verbieten.
Dominique Ingres gehörte zu diesen Rebellen wider den Zeitgeist, während auf
der anderen Seite Eugène Delacroix einer der Gründungsmitglieder der ersten
fotografischen Gesellschaft gehörte, der "Société Heliographique". Dieses
Wechselspiel von Bewunderung, Verwunderung und Ablehnung des Einbruchs von
Technik, Optik und Chemie in die bisher handwerklich rein gehaltene Sphäre der
Kunst treibt uns fort bis in die Gegenwart, bis hinein in den anscheinend
geläuterten, legitimierten und daher spannungslosen Bereich der "Medienkunst".
Es gibt sie bis heute, die fotografischen Gesellschaften auf der einen und die
Künstlerbünde auf der anderen Seite.
Es gab Fotografen wie Albert Renger-Patzsch, die sich gewehrt haben gegen
die Versuche anderer Fotografen, Malerei und Grafik mit dem Material der
Fotografie nachzuahmen, wie es die Kunstfotografie um die Jahrhundertwende
versuchte, "impressionistische" Unschärfe, symbolistische Verschränkungen
melancholischer Frauen im damals längst nicht mehr jungen Jugendstil, um aus dem
Dilemma herauszukommen, dass die Fotografie nicht als Kunst anerkannt wird,
die ja in erster Linie eine Technik ist, eine Technik allerdings,
hervoragend geeignet zur Wiedergabe des Sichtbaren.
"Indem der Photograph die Natur im Lichtbild durch verwischte Konturen,
verschwommene Linien wiedergibt, glaubt er, Maler geworden zu sein, der Pinsel
und Leinwand mit Linse und Bromsilberplatte vertauscht und nun die
'impressionistische Photographie' schafft. ... Es ringt sich .. die Erkenntnis
durch, dass die Photographie in ganz hervorragendem Masse selbstschöpferisch
sein kann, wenn sie sich ausschliesslich der Mittel bedient, die Ihr durch die
eigene Technik gegeben sind", schreibt 1928 im Berliner Tageblatt der
Kritiker Werner Goldschmidt.
"Kunst", sagte sein Zeitgenosse, der Künstler Paul Klee, "gibt nicht das
Sichtbare wieder, Kunst macht sichtbar". Also was? Was tun? Damals - Mitte
der 20er Jahre, hatte in der Malerei der Kubismus seine Phasen durchlaufen,
der Expressionismus sich verbraucht, die Dadabewegung ihre grimmigen Scherze
von Zerstörung und absurder Konstruktion bis zum Überdruss getrieben. Der
Surrealismus versuchte sich in den Ängsten und Lüsten der Traumtiefen. Die
Kunst verlangte nach einer Atempause auf der einen, nach einem Abschwirren in
surreale Traumwelten oder in das Pathos des politischen Engagements auf der
anderen Seite.
Nachdem viele Fotografen im Dunst der Kunstfotografie versucht hatten, die
fotografische Technik nach Möglichkeit zu verschleiern, um eine Aufnahme in
die Weihesäle der Kunst zu erschleichen, setzte Renger-Patzsch, dessen
Bilder zur Zeit in Herford zu sehen sind, gerade auf diese Technik und
verzichtete auf eine wie immer geartete grafisch-künstlerische Anmutung. Auf der
Strecke bleibt, wie er meint, das Individuelle, der persönliche Ausdruck. Die
Fotografie sei aufgrund ihrer mechanischen Struktur besser geignet, "einem
Gegenstand gerecht zu werden, als eine künstlerische Individualität
auszudrücken."
Jedoch - auch die Maler der Nachpopzeit setzen nicht unbedingt auf den
persönlichen Ausdruck. fasziniert sind sie wie z. B. Gerhard Richter - auf die
kühle, anscheinend neutrale - eher technische Anmutung des Mediums
Fotografie und transportieren gerade das in die Malerei. Die Arbeiten von Kate Waters
verraten gerade in ihrem den Pinselstrich bewusst als ästhetisches Signal
einsetzenden Duktus ihren Ursprung in der Fotografie, in ihren eigenen
fotografischen Skizzen von flüchtigen Strassenszenen und vorüberhuschenden Begegnungen.
 
 
 
 
 
Nehmen wir etwa Edward Hopper, den amerikanischen Maler, den auch Kate
Winters sehr schätzt. Als er in den USA arbeitete schien die optische Realität
für die Kunst verloren - und dies besonders in Deutschland, dessen
Ästhetiker, Künstler und Kritiker einen deutlichen Hang zu Ideologisierung und zum
Ausschliesslichkeitsdenken haben. Der Realismus bis hin in die gegenständliche
Malerei überhaupt schien entgültig kompromittiert durch den Missbrauch durch
die Nazimalerei auf der einen und dem staathörigen Teil des sozialistischen
Realismus auf der anderen Seite. Noch die Weimarer Müllhaufenpräsentation
vom Untergang der Moderne im vorigen Jahr schien dies zu bestätigen. Der
Gegenstand, die künstlerische Sicht auf die uns umgebende Welt mit Menschen,
Dingen und Räumen war offenbar abhanden gekommen.
Als Kunstpäpste wie Will Grohmann , Werner Haftmann in den deutschen
Nachkriegswirren bis in die 6oer Jahre hinein den Gegenstand in der Malerei nicht
mehr für tragfähig erklärten, als die amerikanische Malerei mit dem
abstrakten Expressionismus von Jackson Pollock, Sam Francis oder Mark Tobey die
Dokumenta beherrschten, war zum Beispiel ein gegenständliches Malwerk wie das
des amerikanischen Künstlers Edward Hopper längst ein moderner Klassiker in
den USA, bei uns fast völlig unbekannt. In Deutschland musste noch die Pop
Art mit ihrer dreisten Design Ausbeute aus London und New York über die heile
Bilderwelt von Peinture, über die Form und Farbe hereinbrechen, bis ein so
beharrlich auf die sichtbare Welt gerichteter Maler bei uns wahrgenommen
werden konnte.
Es war in der Hochphase der abstrakten Malerei die Fotografie, der man die
Bewahrung der Dingwelt im Bild noch zutraute. Porträts ? Nicht mehr möglich
in der Malerei - man nehme die Fotografie, Landschaften - passée, nur noch
in Fotobildbänden, Stadtansichten - etwas für die kommunale
Selbstdarstellung, Stilleben - nur als stills in der Werbung tragbar, Szenenbilder -
megaout. Den ganzen sichtbaren Schurrmurr überlassen wir den Niederungen der
Vulgärkultur und dem sozialistischen Realismus. Hohe Kunst stellt nicht das
Sichtbare dar, nach einem mißverstandenen Satz von Paul Klee, sie macht sichtbar.
- aber was?
Zur Errettung der physischen Realität sah bereits in den 30ern Siegfried
Kracauer nur noch die Fotografie, insbesondere aber den Film aufgerufen. Hier
bietet sich an der neue Zugang und das neue Mißverständnis: die Errettung
der physischen Realität nicht mehr nur durch die Fotografie allein sondern
durch die wechselseitige Legitimation der Fotografie und der Malerei.
Das fotografische Sehen prägte auch die Malerei vom ersten Moment ihres
Auftritts, im Impressionismus die Bedeutsamkeit des Zufälligen, die
Ausschnitthaftigkeit des Lebens und des Bildes und die Faszination der Bewegungen des
Lichts auf Wänden Körpern, Flächen, die Entdeckung der nächtlichen
Beleuchtung der Städte und der Bühne, im Realismus die Monumentalität des
Alltäglichen. Die Kunst hat es mit dem Sichtbaren zu tun, diese Ansicht Gustave
Courbets spiegelt sich sowohl in der Malerei wie in der Fotografie "Ich bringe die
Steine zum Denken," behauptet Courbet. Mit Fotografie verbundene Bilder
werden die Eigenschaften der Medien selbst zur Bildsprache bringen. Etwas
"Gebrauchsgrafisches" haftet solchen Bildern immer an und gibt ihnen die Kälte
und kommerzielle Direktheit, welche ästhetische Entdeckungen der Vulgärkultur
durch die Pop Art ebenso aufnimmt wie sie sich von ihr distanziert. Die Welt
des Sichtbaren erscheint uns heute - ohne dass die meisten von uns es sich
bewusst machen, gefiltert durch ein visuelles Medium, meist der Fotografie.
Wir sehen die Dinge erst, nachdem sie fotografiert sind. Wir erkennen
die Wirklichkeit gewissermassen wieder. Das Foto selbst gewinnt eine grössere
Bedeutung als die unmittelbare Erfahrung des Sehens. Es bleibt zu fragen, ob uns
eine direkte, nicht medienvermittelte Sicht auf die Dinge überhaupt noch
möglich ist. Der Medienphilosoph Marshal McLuhan bringt zur Verdeutlichung den
Dialog mit einer Mutter. "Was haben Sie für ein hübsches Kind." - "Das ist
noch garnichts - sie müssten erst mal sein Foto sehen." Auch die Malerei,
die sich heute mit der gegenständlichen Welt beschäftigt, kommt offenbar an
dieser Medienvermittlung nicht mehr vorbei. Es gibt ihn nicht mehr, den
naiven, ungesteuerten Blick auf den Menschen, die Dinge, die Landschaft.
Im besten Falle setzt sich solche Malerei mit dem Medienproblem selbst
genau so wie mit dem durch sie vermittelten Gegenstand auseinander. Gerhard
Richter beschreibt das Dilemma an einem einfachen Beispiel: "Ich habe auch
versucht, Blumen zu malen, scheiterte auch. Eigentlich müsste ich es wissen,
dass es mir fast nie galang, ein Foto für ein Bild zu machen. Ein Foto macht
man für ein Foto und wenn man Glück hat, entdeckt man es später für ein Bild."
Dieser Vorgang des Entdeckens von Bildern nicht in der äusseren
Erscheinungswelt sondern in den Fotografien kennzeichnet den künstlerischen Umgang mit
der Wirklichkeit.
Die Bilder entwickeln sich aus Bildern. Dies war schon so vor der
Entdeckung der Fotografie. Aber damals war es immer eine Reaktion auf Malerei,
weiterentwickelnd oder widerlegend, opponnierend. Bei der gegenständlichen
Malerei unserer Zeit verarbeitet, bearbeitet, übersetzt, maskiert und demaskiert
der Maler die Vorlagen der Medienwelt. Seht hin und macht euch ein Bild, euer
Bild. Es ist dies auch zu einem nicht geringen Teil die ästhetische
Aneignung der medienvermittelten Welt, aus deren Bilderknast wir nicht ausbrechen
können, wohl aber bemalen können wir diese Gefängniswände. Die Wechselwirkung
von Fotografie und Malerei ist in einigen neueren Publikationen dargestellt
- zuletzt auch im Werk eines Künstlers, wo man es am wenigsten vermuten
sollte, bei Picasso. Die Wechselwirkung eben. Vielfach weisen diese
Darstellungen in eine Richtung: wie hat die Malerei die Anregungen durch die Fotografie
verarbeitet. Die umgekehrte Blickrichtung würde sich nun anbieten.
Hier besteht vielleicht noch eine Forschungslücke. Erst in der letzten
Zeit sind fotografische Arbeiten auch von impressionistischen Malern wie Degas
bekannt geworden. Noch immer haftet der Verwendung fotografischer Studien in
der Malerei der Ruch des Kopierens an, so daß vieles an Material anders als
bei zeichnerischen Skizzen nicht in das Werk einbezogen wird. Der direkte
Einfluß fotografischer Optik auf die Bildgestaltung der Malerei des Realismus
in der Moderne ist in vielen Fällen mit großer Verspätung nachgewiesen.
Ein solcher Austausch und Abtausch von Wirkungsmöglichkeiten und Chancen
von Malerei und Fotografie in ihrer Wechselwirkung wird trotz des Anspruchs,
den die Ausstellung auch durch ihren Titel stellt, erst zur Diskussion
gestellt. Die impressionistische Malerei z. B. hatte die "fotografische" Optik
der Ausschnitte, der Schärfe-Unschärfe Beziehungen, des pigmentierten,
pointilierten - heute würden wir sagen pixelhaften Farbaufbaus lange vorgelebt,
bevor Fotografie und Fernsehn sie ästhetisch umsetzten. Die jeweils zeitgleiche
Fotografie hinkte über weite Strecken ihrerseits der vergangenen Malerei
in Pose, Bildaufbau und Ausdruck hinterher.
Gelegentlich gerät die unterschiedliche Wirkungsweise der beiden Künste im
Vergleich zum Nachteil der Fotografie. Strahlen die rauhen,
materialintensiven, körperhaften , durch die Handschrift subjektiv suggestiven Farbflächen
der Malerei auf den Betrachter ein wie farbiges Licht und drängen ihn in
eine respektvolle Distanz, so saugen ihn die glatten, technisch anonymen
Flächen der Fotografien in sich auf, wenn der Blick nicht bereits vorher an ihnen
abgleitet. Die Künstler dieser Ausstellung reagieren, indem sie die
aufgefundenen fotografischen Spuren mit eigenen Materialien handwerklich aufladen.
Nur aus der Nähe gewinnen die Fotografien an Intensität, während sie sich im
Kontext mit der raumwirksamen Malerei an den für sie zu großen Wänden
verlieren, eine andere Gegenwehr ist die Arbeit mit übergrossen Fotoformaten.
Immer exakter erscheinen Gegenstand und Oberflächenmaterial in einer
detailverliebten Lesbarkeit, wie sie sich in dieser Differenzierung dem "unbewaffneten"
Auge im Alltag des Straßenflaneurs nicht darbieten. Die gemalten Bilder
wiederum, die von Kate Waters etwa, werden, in der Nähe betrachtet, immer
abstrakter, der Gegenstand löst sich auf in Flächenkompositionen, in der
Farbsubstanz und im malerischen Duktus.
 
 
 
So montiert Jose Ramon Bas die Bildelemente der Fotografie zurück in die
Rahmen der Malerei. Betont artikuliert er die Zeit, indem er seinen
Bildmontagen den Hauch des Verfallenen, der archäologischen Ausgrabung verleiht.
Hier sollen fotografische Bilder gewissermassen altern für eine vergangene
Ewigkeit. Wie Fundstücke aus verschütteten Museen tauchen braungetönte, wie
angekokelte Fotopapiere und ihre expressiven Bildsprachen und Gebärden auf
aus einem gerade noch aufgehaltenen Zerstörungsprozess. In Übermalungen und
chemischen Eingriffen wird die an sich saubere Fotobilderwelt verwüstet, als
seien diese Dokumente Überreste einer von Menschen verursachten Katastrophe.
Suggestionen von Krieg und Verwüstung entstehen, welche den Betrachter über
die ästhetische Empfindung hinaus ergreifen. Die Bildmotive verstärken
diese Lesbarkeit, sie zeigen Menschen und Landschaften im Zustand von Panik und
Verwüstung. Mit seinen Bildern scheint Jose Ramon Bas auf die
allgegenwärtige Bedrohung nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in unserer
unmittelbaren Umgebung und besonders durch uns selbst hinzuweisen.
Jose Ramon Bas Eingriffe in die Fotografie sind zugleich historisch und
kritisch - eine Reflexion seiner Kindheit in Cuba, die wie in dokumentenhaften
Fundstücken präsentiert wird. Die bräunliche, wie verschossen und gealtert
wirkende fotografische Fläche wird zusätzlich in unregelmässigem
Polyesterüberzug eingepackt und in wuchtige, grob gezimmerte Rahmen gepresst. Die
darüberliegende, wie gekratzte Beschriftung gibt den Bildern zusätzlich eine
Anmutung des familiären Gebrauchs. Völkerkundliches würden wir Mitteleuropäer
darin vermuten, wären es nicht gerade authentische Materialien des heute in
Barcelona lebenden Cubaners.
Kate Waters gestaltet in sicherer Pinselführung in einer Malweise, welche
mit unseren fotografischen Sehgewohnheiten rechnet, indem sie die von
Fotoamateuren verhasste, anscheinend zufälige Unschärfe zum malerischen Prinzip
erhebt,indem sie gerade die Motive aus dem Alltag, von Strassenszenen, von
verhuschten Momenten, von verzogenen Familienbildern, wie sie an der Kasse von
Kaufhäusern und Fotoläden in bunten Umschlägen zur Auswahl und zum
Aussortieren vorgelegt werden - wir brauchen ja diese "misslungenen" Bilder unseres
Films nicht zu bezahlen - indem sie diese vorwiegend sonst verworfenen
kleinen buntglänzenden Dokumente zu form- und farbstarken, fas monumentalen
malerischen Formaten gestaltet. Immer ist es die Spannung zwischen fotografischen
Sehgewohnheiten und ihrer künstlerischen Irritation, welche den Bildern die
Kraft gibt und den Betrachter in einer unsicheren Einschätzung zurücklässt,
ob es sich hier um eine Auseinandersetzung mit der sichtbaren Umwelt oder
nicht vielmehr um eine Verarbeitung nur noch fotografisch reflektierter
Erfahrung handelt. Solche Bilder verweisen auf den malerischen Umgang eines Gerhard
Richter mit Fotografie auf der einen und eines Edward Hopper auf der
anderen Seite, ohne dass sie ihnen besonders verpflichtet wären. Sie erzeugen eine
in sich merkwürdig abgeschlossene Bilderwelt, aus der es wie aus einem
Mediengefängnis kein Entrinnen zu geben scheint. Wir sind, das scheinen diese
Bilder zu vermitteln, von einer in fotografischer Sichtung sich präsentierenden
Welt umstellt, die von der Malerei zusätzlich abgedichtet wird.
So wie Kate Waters die einzige "reine" Malerei in dieser Ausstellung
präsentiert, so ist Reiner Matern der einzige pure, fast schon puristisch zu
nennende Fotograf. Beide bilden soetwas wie die Eckpunkte dieser Begegnung von
Malerei und Fotografie. Wenn Kate Waters ihre menschlichen Gestalten in die
fotografische und dann malerische Unschärfe zieht, setzt Reiner Mattern Dinge ins Bild, die man normalerweise nicht fotografiert, Alltägliches,
Banales. Sie werden so belichtet, dass sie abstrakt, entrückt, geheimnisvoll
wirken. Das kann ein Stück Fußboden sein, ein Teppich, Wandflächen, ein
Garagentor, ein Stück Zaun, in den Nuancen zwischen Schwarz und Weiß. Bilder die
zum großen Teil bei Spaziergängen und auf Reisen entstanden sind, in Herford
am wenigsten, wo er wohnt, eher in Italien, Florenz, in der Toscana. Der
historische Reiz bedeutet Mattern viel. Er sucht abgeschliffene, zerfallene
Elemente. Sie suggerieren für ihn Geschichte, Zeit, Verbrauch. Die Aura der
Dinge ist für den Ausdruck des Bildes wichtig, sie beeindruckt den Fotografen
bei der Aufnahme und sie wird in den Bildern wiedergegeben. Das Spirituelle
östlicher Philosophie, Buddismus, Laotse, spielt eine bestimmende Rolle. Nicht
irgendeine Botschaft will er überbringen im gesellschaftlichen Sinne, es
geht ihm eher um Momente die viel zu erzählen haben, die etwas preisgeben von
dem Geheimnis, das hinter den Dingen liegt. Mit den Dingen hinter die Dinge
schauen, die Gesetzmäßigkeiten, die das Leben bestimmen, sollen spürbar
werden. Licht und Schatten. Was ist, ist Gegensatz. Was ist, ist Veränderung.
Alles was lebt, ist vergänglich, wo ist Beständigkeit zu suchen?
Auch die Fotografien von Reiner Mattern arbeiten mit der Methode des
Verhüllens. Gegenstände erscheinen ihrer Zusammenhänge beraubt. Sie bieten sich
als Rätselbilder an. Aus einer Bodenfläche wird ein transparenter Vorhang, ein
Vorhang erscheint als Lichtfläche, der etwas dem Auge Entzogenes zu
verdecken scheint. Dinge werden durch extreme Nahsicht und Anschnitt zu magischen
Flächen, die einer subtilen Komposition folgen. Die Welt wird
undurchschaubar, sie verwandelt sich in grafische Flächen von subjektiver Leuchtkraft. Wer
immer versucht, hinter die Ursprünge der fotografischen Realitätsausschnitte
zu gelangen, findet sich im Trancezustand der eigenen Halluzinationen
wieder.
Was nun einmal da ist, reicht nicht aus. Die Fotografie bestätigt unsere
Gefangenschaft in den visuellen Grenzen, unsere Existenz im Bilderknast. Sie
kratzt zugleich an den Wänden, untersucht ihre Struktur, beobachtet die
Schattenspiele an der Höhlenwand und verweist auf eine Existenz hinter den
Mauern. In diesem Sinne gibt die Schönheit der Bilder Ahnung von Transzendenz. Es
gibt eine Wirklichkeit jenseits der Wahrnehmung, jenseits der physischen
Erkenntnis, jenseits der Form auf der dünnen fotografischen Fläche.
Wir erleben bei dieser Ausstellung so etwas wie einen Schleiertanz der
Bilder. Gerade weil die Fotografie anscheinend die Wirklichkeit wenigstens in
ihrer Oberfläche wiederzugeben scheint, versuchen die Künstler durch
transparente Schichtung wie bei Kimberly Austin und Gabriele Undine Meyer, durch
Übermalen, Verletzen und Polyesterbeschichtung wie bei Jose Ramon Bas und Axel
Dürr oder mit methodisch eingesetzter Unschärfe in Bewegung, Einstellung
und extreme Ausschnitthaftigkeit wie bei Kate Waters und Peter Meilchen dem
Eindruck fotografischer Treue entgegenzuwirken. Hier wird das Medium selbst
zum befragten Gegenstand, wenn es so etwas wie eine fotografische Treue gibt,
muss hier eher von methodischer Untreue die Rede sein. Wie durch einen
Schleier verunsichert und in imaginäre Bewegung versetzt erscheinen solche
Bilder, sie geben wieder Raum für die Imagination des Betrachters. Auch die von
der Technik und von Medium her authentischen Fotografien von Reiner Mattern
gehen dem Schleier, dem wechselnden Licht, den Eindrücken und Vorstellungen
hinter der Erscheinung nach. Im Transparenten der flüchtigen Erscheinungswelt
sucht er das Transzendente, hinter dem Materiellen das Immaterielle. Wenn
Peter Meilchen seine Arbeit als Selbstbefragung bezeichnet, wobei er das
röntgenhafte und rätselhafte der Existenz in einem fast durchsichtigen Körper zu
einem Tryptichon formt, geht die Kamera Matterns auf die scheinhafte
Wirklichkeit um uns los und durchleuchtet sie nach Spuren von irgendetwas
Dahinterliegendem, Jenseitigem. Auch hier, wie bei Austin und Meyer Verschleierung,
Entmaterialisierung. Kimberly Austin nimmt selbst das Material des
Schleiers als Bildträger. Ihre lebensgrossen Figuren bewegen sich im Hauch des
Luftzugs, den der flüchtige Galeriebesucher hervorruft, der Akt einer jungen Frau
etwa, fast wie der Körper einer Tänzerin. Sie erscheint in dreifacher,
übereinanderschwebender Verschleierung und ist doch nackt, aber von einer
unwirklichen Zartheit. Ein anderes Werk zeigt eine Braut, verschleiert und
entschleiert in dieser dreifach transparenten Darstellung. Auf dem Mittelfeld eines
Triptychons kauert ein junger Mann am Boden, den Kopf von den Armen
verhüllt, auch er nackt, eine vorübergehende Stellung in diesem stummen
Schleiertanz, zwischen dem morbide blühenden Bild einer Rose und einem hell und
silbrig wie ein heiliges Gefäss schimmernden Kondom. Es sind die Bildfügungen, die
zugleich zart sind und erbarmungslos. Mit der Wirkung von Schleier und
Transparenz arbeitet auch Gabriele Undine Meyer. Sie geht in Ihren auf
Spinnwebpapiere durch aufgetragene Fotoemulsion belichtete Fotografien darüberhinaus
auf das Auftauchen von vergangenen Menschen und Menschenbildern ein. Die
Fotografien, welche den Bildern zugrunde liegen, sind Fundstücke aus
Flohmärkten und Brockensammlungen, Familienbilder meist längst gestorbener und
Vergessener, die sie wieder buchstäblich wie Verblichene zart, übergross und
transparent auftauchen lässt. Dass Fotografie es immer mit Zeit und
Vergänglichkeit zu tun hat, wird hier besonders deutlich.
"La Mort est dans le Mirroire", der Tod ist im Spiegel, sagt der Dichter
Jean Cocteau in seinem Film Orphée. Er ist auch in der Fotografie. Jeder
belichtete Moment ist ein vergangener und jede Fotografie hat etwas von dem
Versuch, Leben festzuhalten wie in einem Akt der Mumifizierung, der gerade
dadurch Verfall und Vergänglichkeit umso deutlicher zum Ausdruck bringt.
Bei Axel Dürrs Fotozerstörungen werden in Zeitschriften, Büchern gefundene
Fotofragmente reproduziert und seiner buchstäblich ätzenden, kratzenden,
zudeckenden künstlerischen Handschrift unterworfen. Ein Untertauchen, ein
Versinken von fotografischen Erscheinungen und Lebensresten in einem Meer
malerischer und grafischer Gesten. Nur Titel erinnern oft an das was einmal
darunter lag und nun zur gestischen, fast ganz wieder befreiten Kunst den
versunkenen Grund bildet.
Im Durchgang zeigt diese Ausstellung einen Ausschnitt des kämpferischen
Dialogs zwischen den Medien, des Dialogs zwischen verschwimmender, immer
unsicherer werdender Realitätserfahrung, die nur noch durch Medien vermittelbar
erscheint und der noch immer autonomen Welt der Bilder, die sich an der
Widerspiegelung von Erinerungs- und Gegenwartsfragmenten ihrer eigenen
Wirklichkeit vergewissert.
Herford, 10.3.2000
Jörg Boström
 
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