- Jürgen Meier
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- Eva Hermann, die Sprachexperten und die Familie.
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- Sie sei profilneurotisch, sagte ihr Exehemann. Mag ja sein. Sie sei untragbar, sagte die NDR Führung, und kündigte ihr. Johannes B. Kerner setzte sie in seiner Fernsehsendung vor die Tür. Sprechen durfte sie bei den Katholiken. Warum? Vertritt sie, wie die "TAZ" einst schrieb, tatsächlich das "Eva Braun Prinzip"? Weisen ihre Ansichten, wie Werner Pirker feststellte, wirklich "Berührungspunkte zum Mutterkult der Nazis auf". Warum erregt ihre Sehnsucht nach "Werten" eigentlich so viel Aufmerksamkeit?
- Der Historiker Wolfgang Wippermann, der in der Fernsehsendung bei "Kerner" der Autorin Eva Hermann vorgeworfen hatte, sie sei eine "Verschwörungspathologin", war als Experte in die Sendung geladen worden, um festzustellen, dass Frau Hermann den Begriff "Gleichschaltung" nicht hätte sagen dürfen. Er sei "nationalsozialistisch". Dieser Saubermann der deutschen Sprache hatte wenige Tage zuvor dem Erzbischof Meisner empfohlen, nicht wieder von "entarteter Kunst" zu sprechen, weil dieses ein "nationalsozialistischer Propagandabegriff" sei. Bereits vor der "Kerner" Sendung hatte Wippermann sein Urteil über die strittige Moderatorin gefällt. In einem Interview mit dem "Deutschlandradio Kultur" antwortete er auf die Frage, warum der Gebrauch des "Nazivokabulars" so populär sei. "Um zu schockieren, um zu brüskieren, um in die Öffentlichkeit zu kommen. Das ist das große Tabu, wenn man sich zum Nationalsozialismus äußert, bei Eva Herman positiv, oder wenn man eben nationalsozialistisch besetzte Begriffe wie entartete Kunst und Kultur benutzt."
- Als sich die Bestsellerautorin weigerte den Begriff der "Gleichschaltung" zurück zu nehmen, mit dem sie die geschlossene Front der Medien beschrieb, die sich gegen sie gerichtet hat, und als Verteidigung empört feststellte, dass doch auch die Autobahnen damals gebaut worden seien, auf denen wir heute fahren, löste sie mit diesem Hinweis große Empörung aus. Sie musste die Sendung verlassen.
- Sprache ist ein objektivierendes Medium. Wer Kapitalismus sagt, hat das Bekannte noch längst nicht erkannt. Der ist deshalb aber noch lange kein Anhänger Hitlers, obgleich dieser mehrfach in seinem Buch "Mein Kampf" von Kapitalismus spricht. Es kommt schließlich auf die inhaltliche Bedeutung an, auf die Beziehung zum Wesen, zum Leben, zum menschlichen Sein, die sich hinter einem Wort verbirgt. Die Autobahn ist die Autobahn. Historisch betrachtet war sie keine Erfindung des deutschen Faschismus. 1928 wurde die erste Autobahnstrecke zwischen Köln und Bonn eingeweiht. Die "Gesellschaft Reichsautobahn war stolz, dass sie 12 000 Menschen unter erbärmlichen Bedingungen zur Arbeit zwingen konnte. Dies sei ein Schritt zur "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" wurde behauptet. Was wird heute, mit gleicher Begrifflichkeit, den arbeitslosen und notleidenden Menschen nicht alles zugemutet. Ist das deshalb "nationalsozialistische Propaganda"? 1939 wurde von der SS ein Sonderlager für "Arbeitsscheue in Hinzert im Hunsrück eingerichtet. Hunderttausend Männer arbeiteten auf Befehl von Hitler für die Reichsautobahn. Die waren so billig, dass auf den Einsatz von Baumaschinen, die zur Verfügung gestanden hätten, sogar fast völlig verzichtet werden konnte!
- Eva, blond, blauäugig und dazu noch Hermann heißend, wie jener, der im Teutoburger Wald die Römer verjagte, weshalb er von deutschen Faschisten noch immer als Held vergöttert wird, bietet eine gute Zielscheibe für positivistische Sprachhygieniker. Wenn Eva Hermann immer wieder menschliche "Werte" einfordert, bleibt sie natürlich auch an der Oberfläche der Begriffe kleben und kann nicht wirklich erkennen, dass das, was sie "Werte" nennt, also harmonische, menschliche und zärtliche Beziehung von Eltern und Kind, im alltäglichen Konkurrenzkampf der kapitalistischen Gesellschaft objektiv liquidiert wird. Dagegen hilft nicht die romantische Sehnsucht nach Werten, sondern Klassenbewusstsein. Die Familie wird, obgleich sie, - was Scheidungs-, Geburtenrate und Altersheime verdeutlichen -, längst durch "Mobilität", "Flexibilität" und psychische Verzweiflung zerstört ist, von allen bürgerlichen Regierungen als Keim der Gesellschaft bewertet. Da ist Eva Hermann keine Ausnahme. Schließlich findet hier, wo es denn Eigentum gibt, die unmittelbare Vererbung von Haus, Hof, Aktie, Fabrik und Sozialstatus statt. Wo dies nicht existiert, steht Familie auf schwachen Füssen. Familie wird aber auch für die konformistische Erziehung der Kinder, die Betreuung von kranken und alten Menschen verantwortlich gemacht, um den Staat zu entlasten. Während Senta Berger und Margarethe Schreinemakers bei "Kerner" lauthals die neue Bundes-Familienministerien belobhudelten, protestierte Eva Hermann. Man könne junge Familien nicht einfach mit mehr Krippenplätzen abspeisen, um den Frauen die "Wahlfreiheit" zwischen Beruf und Familie zu ermöglichen, sondern man solle den Betrag "von etwas über 1000 Euro im Monat", der ein Krippenplatz kosten würde, direkt an die Mütter zahlen. Erst dann könne von wirklicher Wahlfreiheit der Mütter gesprochen werden. Krippenplätze seien doch nur "nötig, weil die Frauen Geld verdienen müssen" und nicht, weil sie es wollen. Auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer trage dazu bei, dass die Familien weiter verarmen würden. Argumentiert so eine Sympathisantin des Faschismus?
- "Die Familie ist der erste Schritt vom 'Ich' und 'Du' zum 'Wir' der Gemeinschaft," lautete 1942 der Text einer Glückwunschkarte der "Landesleitung des Reichsbundes Deutsche Familie" an ein Hochzeitspaar, den heute nicht nur katholische Fundamentalisten unterschreiben würden, sondern sicher auch Herr Kerner. Oder? Erst im folgenden Satz der Glückwunschkarte dürfte jedem deutlich werden, was faschistische Familienpolitik wollte. Dieser Satz lautete: "Alle erbtüchtigen Deutschen fühlen mit dem Eingehen der Ehe dem Volke gegenüber die Verpflichtung, ihre wertvolle Erbanlage in gesunden Kindern weiterleben zu lassen."
- Es ging in der faschistischen Familienpolitik eben nicht um die Familien. Es ging auch nicht um die Mütter, trotz Mütterorden! Es ging um die Ausrichtung der Bevölkerung auf ein imperialistisches Kriegsziel hin, das als "arisches" Modell in die Köpfe der Menschen manipuliert wurde. Das nicht Naturgesetze, sondern Kapitalinteressen diktierten, ist heute bei Sprachhygienikern, Moderatoren, aber auch in Schulen, noch immer ein Tabu. Doch Fakt ist: Am 25. April 1933 legte Gustav Krupp von Bohlen und Halbach im Namen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie der Hitlerregierung einen Plan zur "Neugestaltung der Industrie" vor. Es wurde ein Generalrat der deutschen Wirtschaft am 15.Juli 1933 berufen, zu dem 17 Mitglieder aus Banken, Großgrundbesitzern, Industriekonzernen und der höheren Nazibürokratie gehörten. Das Gesetz über die Errichtung von Zwangskartellen wurde erlassen. Es bot die Möglichkeit, bisher außerhalb der marktregelnden Verbände stehende Unternehmen zwangsweise zu Syndikaten und Kartellen zusammenzuschließen. Kleine und mittlere Betriebe, unter ihnen viele im jüdischen Besitz, wurden vom Markt gefegt. 1938 war Deutschland Exportweltmeister. Ein Jahr später marschierten nicht Familien, nicht Mütter, sondern männliche Soldatenkompanien, um die Welt für das deutsche Kapital zu erobern.
- Eva Hermann registriert diese Fakten natürlich auch (noch) nicht. Sie will die Familie als Hort der Liebe schützen. Sie mag deshalb auch die 68er Bewegung nicht. Sie erkennt nicht, dass die 68er aus den warmen, mit faschistischer Ideologie besudelten Familien, ausbrechen wollten, um "Make Love! No war!" zu leben. Deshalb versuchten sie ihren Wunsch nach Liebe, Offenheit und Ehrlichkeit in neuen Wohnmodellen und Lebensgemeinschaften zu finden, in denen nicht die Konkurrenz und Unterdrückung den Alltag bestimmte, sondern die Gemeinschaft und die Solidarität. Diese Träume zerschlugen sich allerdings schnell. Eva Hermann ist eine Romantikerin, aber keine Sympathisantin des Faschismus. Ein Blick in ihr Buch "Das Eva-Prinzip" reicht aus, um dies zu beweisen. Sie schreibt: "Die Theoretiker des Nationalsozialismus erkannten früh, dass die Frage der Kindererziehung höchste politische Relevanz hatte. Das beschränkte sich nicht auf die erwünschte Steigerung der Geburtenrate, die sich in der Auszeichnung mit dem 'Mutterkreuz-Orden' für Frauen mit vielen Kindern ausdrückte. Es betraf vielmehr die konsequente Einflussnahme auf den vormals privaten, familiären Bereich von Geburt, Mutterschaft und Säuglingspflege. Es ging nicht nur darum, 'dem Führer Kinder zu schenken', sondern die Kinder so früh wie möglich nach den Maßgaben des nationalsozialistischen Menschenbilds zu formen." Diese Aussage ist völlig richtig. Es ging tatsächlich nicht um die Familie oder Mütter, denn, so Eva Hermann weiter: "Kinder wurden letztlich als 'Sand im Getriebe' gesehen, als Störfaktor im wirtschaftlichen Geschehen, und die frühe Fremdbetreuung hatte überdies den Vorteil, sie von vornherein der privaten Obhut zu entziehen und sie auf die staatliche Ideologie einzustimmen. Auch wenn heute vordergründig keine Gedanken dieser Art mit der Forderung nach frühester Fremdbetreuung von Kindern verbunden sind, so muss man die Vorrangstellung der Berufstätigkeit vor den emotionalen Bedürfnissen dennoch als ideologische Einflussnahme bezeichnen: Die ökonomischen Anforderungen stehen heute im Verdacht, den Rang einer Weltanschauung und Lebenseinstellung eingenommen zu haben. Wir sollen 'opferbereit' sein wie die Mütter im Nationalsozialismus, wir sollen unsere Gefühle unterdrücken, uns von ihnen befreien, um ohne Sehnsüchte und ohne schlechtes Gewissen unserer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der NS-Pädagoge K.F. Sturm schwärmte denn auch von jungen Menschen, die die Erfahrung des 'deutschgemeinschaftlichen Lebens' machten, und Reichsminister Wilhelm Frick forderte die 'gliedhafte Einordnung' ins 'Volksganze': 'Der Privatmensch existiert nicht mehr, er ist begraben.'"
- Das soll reichen, um zu zeigen, Eva Hermann will das private, das partikulare, das kleine Glück von Mutter und Kind, ein Glück das die herrschenden "ökonomischen Anforderungen" behindern. Aber sie will keinen Faschismus. Nun ist es natürlich gerade das Partikulare, also das uns von der Gesellschaft isolierende, auf dem Einsamkeit und Verzweiflung leicht gedeihen, was dann als Folge häufig in den Reihen der Faschisten endet. Das Partikulare oder das Private ist eben immer nur Teil des Ganzen. Weshalb der Blick auf das Ganze, auf die kapitalistische Gesellschaft, auf die Konkurrenz von Mensch gegen Mensch, von Kapital gegen Kapital, von Nation gegen Nation, Erkenntnis und fürsorgliche und solidarische Beziehungen auch für den Einzelnen schaffen können, der sich, wirklichkeitsbezogen, von jeder Form der Ausbeutung und menschlichen Entfremdung befreien will.
- Die Romantikerin Eva Hermann passt nicht in einen Fernsehreigen, der sich locker, flocker vor allem verbeugt, was den Standort Deutschland huldigt. Sie stört den Mainstream der harten Fakten des Neoliberalismus, der Schüler in 12 Jahren in funktionierendes Humankapital verwandelt haben möchte. Die Sprachhygieniker des Neoliberalismus definieren den Faschismus, den sie "Drittes Reich" oder "Nationalsozialismus" nennen, als eine böse Infektionskrankheit, die sich in bösen Wörtern verbirgt und die in Familien gezüchtigt wird, in denen nicht mehr musiziert und gelesen wird. Der Faschismus ist aber "keine über den Klassen stehende Macht und keine Macht des Kleinbürgertums oder des Lumpenproletariats über das Finanzkapital. Der Faschismus ist die Macht des Finanzkapitals selbst."
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