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Theodor Helmert-Corvey Mitten in einem Winter Zum plastischen Werk von Bärbel Dieckmann Sankt Martin "Mitten in einem Winter, dessen Strenge grimmiger war als gewöhnlich, sodass die Gewalt der Kälte gar viele tötete, begegnete er am Tore von Amiens einem nackten Armen. Sich doch seiner zu erbarmen, so bat er die Voräbergehenden, aber alle gingen achtlos an ihm vorbei. Da begreift der von Gott erfüllte Mann, dass er dem Armen helfen muss, da doch kein anderer Mitleid mit ihm hat. Was soll er aber tun? Er besitzt nichts als den Mantel, den er anhat, alles andere hat er bereits verschenkt. Da teilt er den Mantel mit seinem Schwert in zwei Teile, gibt eines dem Armen und hüllt sich selbst in das andere. Einige von den Umstehenden lachen, da er in dem zerschnittenen Mantel sehr hässlich aussieht. Viele aber seufzen tief auf, weil sie nicht wie er getan hatten, obwohl sie mehr besaßen und den Armen hätten bekleiden können, ohne sich selbst zu entblößen." | ||
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"St. Martin und der Bettler", Bronze, 2000, Höhe ca. 220 cm, Foto: Madeleine M. Coffaro | |||||
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Diese "Mantellegende" aus dem Lebensbericht des Martin von Tours, aufgezeichnet um 1500 von Sulpicius Severus gehört sicherlich zu den bekanntesten Erzählungen um einen Heiligen. In der folgenden Nacht, so erzählt es die Legende - erschien ihm Jesus Christus, der mit der Hälfte des Mantels bekleidet war und sprach: "Was du dem geringsten meiner Brüder tust, das hast du mir getan." Der Tag des Heiligen Martin, der 11. November, wird in der katholischen Welt traditionell festlich begangen: mit einer Martinsgans oder dem Martinsschmaus. Der Heilige Martin ist der Stadtpatron Blombergs. Jedes Jahr erinnert der Martinimarkt und der Martinsumzug an ihn. Von der im Jahre 1833 wegen angeblicher Baufälligkeit abgebrochenen Martinikirche blieb der mächtige Kirchturm mit dem charakteristischen spitzen Turmhelm. Mit der Martinikirche ist ein denkwürdiges Ereignis aus dem Jahr 1460 verbunden, an das heute der "Alheyd-Brunnen" auf dem Marktplatz erinnert: Eine junge Bürgersfrau namens Alheyd Pustekoke hatte "nach österlicher Speise" 45 geweihte Hostien aus der städtischen Pfarrkirche St.Martin gestohlen und sie aus Furcht vor Entdeckung der ruchlosen Tat in einen Brunnen geworfen. Alheyd wurde dabei jedoch beobachtet, ins Gefängnis geworfen und nach kurzer Gerichtsverhandlung als "Hexe" zum Feuertode verurteilt. Der Brunnen aber wurde zum "Wunderbrunnen" und löste einen ungeahnten Zustrom von Pilgern aus, die durch das wundertätige Brunnenwasser Heilung von ihren Gebrechen oder durch den Besuch der heiligen Stätte einen Ablass ihrer Sünden erhofften. So bedeutsam wurde die Blomberger Wallfahrt, dass der damalige Landesherr, Edelherr Bernhard VII. zur Lippe, schon bald einen Altar über dem Wunderbrunnen errichten ließ. Mit der Einführung der Reformation um 1530 fand die Wallfahrt ein Ende. Heute erinnert im kirchlichen Leben noch die katholische Pfarrkirche St. Martin an den Stadtpatron. Und: seit dem letzten Jahr würdigt die Stadt Blomberg ihren Stadtpatron durch die Skulptur "St: Martin" von Bärbel Dieckmann. | ||
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Die Berliner Künstlerin Bärbel Dieckmann, die aus der hiesigen Gegend stammt, hat am Fachbereich Design der Fachhochschule Bielefeld bei Richard Heß studiert und war einige Jahre hindurch seine Assistentin. Nach ihrer Bielefelder Zeit hatte sie von 1991 bis 1994 einen Lehrauftrag an der Meisterschule fär Steinbildhauer in Kaiserslautern inne. Sie ist Mitglied der Darmstädter Sezession und des Künstlersonderbundes, der mehr als 100 realistisch-gegenständlich arbeitende Künstlerinnen und Künstler vereint. Bärbel Dieckmann steht in der Tradition des Bildhauers Wilhelm Gerstel, der Lehrer von Fritz Cremer, Waldemar Grzimek und Gustav Seitz war. Waldemar Grzimek und sein Schüler Richard Heß waren ausschlaggebend für ihre Ausrichtung auf eine klassizistische Figurenauffassung.
Das plastische Objekt
Zwei Mythen prägen unser Verständnis von Plastik ganz wesentlich. Beide haben sie zu tun mit unserer Vorstellung von Schöpfer, Geschöpf und Schöpfung. Zum einen enthält der biblische Mythos der Schöpfung (erstes Buch Moses) das Bild von einem Schöpfer, der einem Bildhauer gleich Körper aus Lehm formt und ihm den Odem des Lebens durch Einhauchen einer Seele spendet. Zum anderen kennen wir für denselben Vorgang die Erklärung, dass das Wort Gottes allein genügte um gleichsam aus der Idee und dem materiellen Nichts heraus die Welt zu erschaffen (Johannes Offenbarung). Haftet dieser traditionellen Vorstellung von der Plastik die Idee einer Formgebung von formloser Materie an, so hat sich im 20. Jahrhundert ein Verständnis von Plastik herausgebildet, das auf den materiellen Prozess verzichten kann und den Kern der künstlerischen Schöpfung in einem geistigen Akt der 'Erweckung' sehen will. überblickt man vom Standpunkt der Gegenwart aus die Entwicklung der künstlerischen Plastik in den letzten einhundert Jahren, so fällt auf, wie weitgehend sich die Auffassungen und Erscheinungsweisen in diesem Metier seitdem verändert haben. Markierte den Anfang dieser Zeitspanne noch eine Welle von Innovationen, die von Rodin und Maillol ausgehend die Kulturzeugnisse der mediterranen Archaik, die Monumentalskulptur Mittelamerikas und vor allem die Stammeskunst Afrikas und Ozeaniens als willkommene Anreger des eigenen Erneuerungswillens entdeckte und fruchtbar machte, dabei jedoch das skulpturale Objekt als symbolische Gestalt in seiner über Jahrhunderte gewachsenen Materialität und Methodik der Bearbeitung nicht in Frage stellte, so hatten die Interventionen der Dadaisten und Surrealisten in den tradierten Kunstbetrieb, von Marcel Duchamps ready mades äber die theatralisch-plastischen Aktionen des Cabaret Voltaire bis zu Schwitters' Merzbauten, paradigmatische Perspektivenwechsel zur Folge, die letztlich das autonome plastische Werk aus dem Zentrum des skulpturalen Denkens rückten und heute die öffentliche Wahrnehmung dieser Kunstform weitgehend dominieren; mit anderen Worten: Marcel Duchamps "Ready Mades" und die aus diesem Geist entstandene Objektkunst verzichten ganz oder weitgehend auf materielle Eingriffe. So, als wäre die Zeit zu schnell über die Entdeckungen der heute schon klassischen Moderne hinweggegangen, gibt es jedoch auch in der Gegenwart Bildhauer, die weiterhin ihre Fragen an das plastische Objekt und die klassischen Materialien seiner Formung richten und so den Einsichten der Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer neue Facetten hinzufügen, welche im gelungenen Resultat die bleibende Aktualität jener Neuerungen immer wieder unter Beweis zu stellen vermögen. Ich denke an Werke von Alexander Archipenko, Constantin Brancusi, Jacques Lipchitz, Henri Laurens, Amadeo Modigliani, Alberto Giacometti oder Ossip Zadkine. Zu den bemerkenswerten Vertreterinnen einer jüngeren Bildhauergeneration gehört zweifelsohne Bärbel Dieckmann. Ausgangspunkt und zentrales Thema ihrer bildnerischen Arbeit ist die Figur des Menschen, besonders die weibliche Figur. Innerhalb dieser Grundthematik bewegt sich ihr inhaltlich breites Spektrum, ausgeführt als Akt, als Torso, als bewegte, als sitzende oder stehende Figur bis hin zur Darstellung von Gestalten und Szenen der griechisch-antiken bis hin zur christlichen Mythologie (siehe St. Martin).
Mythologie
"Geschichten umzusetzen in Wesen" - so hat sie einmal ihr künstlerisches Ziel definiert. Sie gestaltet mythologische Themen und interpretiert sie neu. Woher diese Vorliebe gerade für die archaische Zeit? Wir kennen sie eher aus der Bildhauerei der ersten Jahrhunderthälfte, als ein Brancusi und ein Modigliani, ein Picasso und ein Moore sich am Formenschatz der vorklassischen Epochen, wenn nicht gar der exotischen Reiche Inspiration holten. Es war die Neugier auf den authentischen Ausdruck von Bewusstseinszuständen, die Neugier auf das Licht der Morgendämmerung unserer Kultur, Neugier auf unser verschollenes Erbe. Die Mythen der menschlichen Geschichte und Poesie von der Antike bis heute gehören zum Fundus der Existenz-Symbole der bildnerischen Arbeit des Menschen. Unter Mythos ist die Gesamtheit sprachlichen und bildhaften Ausdrucks des wahren oder vermeintlichen Göttlichen in den Weltreligionen zu verstehen. Im abgeleiteten Sinn darf das Wort auch für jene Teile der Offenbarungsreligion gelten, die sich Bilder des heidnischen Mythos bedienen - der Schöpfungsberichte. Es geht Bärbel Dieckmann bei ihrer Arbeit nicht um das Weitererzählen des Mythos. Sie hält an der alten Idee der Antike fest, den Bildern eine transformierende Kraft auf das individuelle Selbst zusprechen. Insofern sind ihre Figuren so etwas wie Sinnspender, Verkörperungen zeitlos-aktueller psychischer Grundmuster. Bei ihr ist es die Figur des Minotaurus, jenes Mensch- und Stierzüge vereinenden Ungeheuer, welches im Labyrinth von Knossos gefangen gehalten und schließlich von Theseus getötet wurde. Pablo Picassos Stierkampf-Thematik hat ihre Beschäftigung mit dem Minotaurus im übrigen nicht unwesentlich mitangeregt. Der Minotaurus ist für sie gleichzeitig eine leidende und eine aggressive Figur. Das Vorstellungsleben der Griechen war naturgebunden, und das umso mehr, je weiter man zurückgeht. Es war eng verknüpft mit dem Lauf der Sonne, die hier wie anderswo als Bild der Gottheit galt. Bereits der vorzeitliche Mensch erlebte seinen Lebensrhythmus im Zusammenhang mit dem Lauf der Gestirne und wusste sich dem Göttlichen verpflichtet und verwandt. Aber erst in der griechischen Kunst wird die menschliche Gestalt zum Ausdruck des Göttlichen. Damit ist gesagt, dass sich der Mensch nicht selbst genügt, dass er Glied des Kosmos ist, das der Einordnung ins Göttliche bedarf. Auch Alfred Hrdlicka bezieht seinen Stoff aus der griechischen Mythos. Ich erinnere nur an seine Darstellung des Sartyrs Marsyas, der wegen einer verlorenen Wette von Apoll an einen Baum aufgehängt und bei lebendigem Leib gehäutet wurde. Hrdlicka hat die menschliche Figur, ihre realistische, aber stets expressiv gestaltete Form, ins Zentrum seines gesamten Schaffens gestellt. Bewusst definiert er sich als Antipode zur ungegenständlichen Kunst und reklamiert für seine künstlerische Tätigkeit gesellschaftliches und politisches Engagement. Die menschliche Figur Die menschliche Figur ist ein Gefäß , das Zeitgeist ausdrücken kann. Sie ist der interessanteste räumliche Kunstgegenstand. Die plastische Form scheint geeignet, das Leben zu repräsentieren, dem lebensspendenden Geist ein Gehäuse für eine dauerhafte Existenz zu geben und gleichzeitig jedem Geist eine ihm entsprechende körperhafte Form. Vasen, Masken, Puppen transportieren auch heute noch diese magische Vorstellung, die mit dem Ursprung der Plastik verbunden ist. Im Übergang vom Jäger und Sammler, der mehr oder weniger von der Hand in den Mund lebt, zum sesshaften Bebauer des Bodens, entsteht mit der Vorratshaltung der Wunsch nach Gefäßen vielfältiger Art. In ihnen werden die lebensspendenden und das Überleben sichernden Lebensmittel aufbewahrt. Plastik hat auf diese elementare Art sehr viel mit Leben und Überleben zu tun. Auch schon deshalb ist das dominierende Thema der abendländischen Plastik seit der Antike die menschliche Figur. Im Körper des Menschen finden sich bereits alle jene Ausdruckswerte in komplexen Zusammenhängen, die das skulpturale Denken des Abendlandes über Jahrhunderte prägten: die wechselseitigen Prinzipien von Stützen und Lasten in der Haltung, eine Dynamik der Oberflächen, die aus konvexen und konkaven Wölbungen der Volumina erwächst, eine spezifisch anthropomorphe Proportionalität im Verhältnis der Einzelformen zur organischen Symmetrie des Ganzen und des Ganzen wiederum zur Umgebung, Bewegungsmotive wie das Ausgreifen der Gliedmaßen in den Raum oder die Zurückwendung auf einen inneren Kern: überall hat unsere Körperlichkeit der plastischen Zeichensprache Pate gestanden. Im Spannungsfeld zwischen Volumen und Raum, Block und Gerüst, Statik und Dynamik, zwischen dem visuell-haptischen Ausdruck des Volumens und der grafischen Struktur der Silhouette sucht Bärbel Dieckmann in der menschlichen Figur dem Betrachter einen Spiegel des Daseins zu geben, wobei sie die konvexe Schwellform als Zeichen praller Kreatürlichkeit bevorzugt. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Plastik und Raum Ihre Plastiken werden durch den Raum bestimmt. Die Vorstellung von Raum aber wird wiederum immer nur durch Körperhaftes hervorgerufen. Körper und Raum bedingen einander wechselseitig und sind deshalb untrennbar verbunden. Während Raum in der Malerei auf der Bildfläche nur illusionistisch dargestellt werden kann, wird er in der Plastik wirklich "gestaltet", das heißt durch dreidimensionale Körper konstituiert und so "in die Gestalt gebracht". Plastik erscheint dem Betrachter heute in erster Linie als Körper im Raum. Sie ist nicht mehr selbstgenügsam und abweisend gegen den Raum - wie noch manche Figur von Maillol - , sondern sie sucht absichtsvoll Kontakt mit ihrer räumlichen Umwelt. Nicht statuarische Isolation, sondern dynamische Raumbezogenheit ist ihr Ziel. Ihr Volumen besteht nicht für sich, abgeschlossen und autonom, sondern stets auch im komplementären Bezug zum umgebenden Raum. Die Beziehung der plastischen Figur zum sie umgebenden Raum ist deshalb seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eines der Leitmotive der europäischen Plastik. Eng verbunden mit dem Raumkonzept einer Skulptur ist die Problematik der "Bewegung". Bestes Beispiel ist die Martins-Skulptur von Bärbel Dieckmann. Bewegung im eigentlichen Sinne kann vom Bildenden Künstler außer im Film nicht gezeigt werden kann. Es sind nur Zustände möglich, Momentaufnahmen oder allenfalls bestimmte Phasen, die Bewegungen vorstellen sollen aber nicht eigentlich sind. Bewegung hat immer mit Veränderung im Raum zu tun. Was kann also ein Künstler von der Bewegung zeigen? Rodin hat sich Gedanken über das Problem gemacht. Zunächst kommt er zu dem Schluss, dass die Fotografie nur Ausschnitte von Bewegungen zeigen kann. Der Künstler leistet seiner Meinung nach mehr. An der von ihm geschaffenen Skulptur "Johannes der Täufer" weist er auf einen wichtigen Punkt hin. Die Fotografie, sagt er, sei immer an die Zeit, an den Moment gebunden, der Künstler aber nicht. So stehe sein "Johannes", obwohl gehend gedacht, mit beiden Füßen fest auf der Erde. Diesen Stand gäbe es in Wirklichkeit nicht, denn ein Fuß rolle beim Gehen immer vom Boden ab. Er versuche also, mehrere Bewegungsphasen zu vereinen, so dass etwa noch der vorherige und der folgende Schritt deutlich würden. Diese Konzentration wird im ganzen Körper des "Johannes" erlebbar. Der Bildhauer, aber auch der Maler oder Zeichner kann also eine Bewegung wie das Gehen nicht im wortwörtlichen Sinne zeigen, aber er kann sie anschaulich darstellen. Auch die Martinsskulptur von Bärbel Dieckmann ist nicht statisch, sondern vereint Bewegung und Gegenbewegung. Und das ist es wohl, was letzten Endes über eine statische Auffassung von Momentaufnahmen hinausgeht: das Lebendige. | ||
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Die Oberfläche und der Bronzeguss Lebendigkeit und Emotionalität erhalten die Skulpturen von Bärbel Dieckmann auch durch die spezifische Form der Oberflächenbehandlung. Diese Spannung zwischen der Oberfläche und der gegenständlichen Lesbarkeit einer Figur ist wesentlich. Die Oberfläche ist das, was wir berühren und worauf wir lesen können: sie steht in einem auffälligen Kontrast zur Kompaktheit und zur ruhigen und teilweise üppigen Fülle der Gestalten. Diese Oberfläche ist von großer Raueit, Brüchigkeit und Aufgewühltheit, manchmal gefährlich rissig und schrundig, sie gibt Einblicke frei, wirft Schatten, sie erzählt Geschichten und ist 'gekennzeichnet' wie die Haut sehr alter Menschen. Die scheinbare Ganzheit und Intaktheit der Körpervolumen wird auf der Oberfläche der Illusion äberführt. Sie weicht, auf ungemein plastische Weise, dem Bild vom zerklüfteten Subjekt. Denn an dieser Oberfläche spielt sich ein heftiger Kampf ab zwischen Innen und Außen, zwischen Ausdehnung und Substanz. Die Rauheit und Brüchigkeit der Oberflächenstrukturen ihrer Plastiken versteht Bärbel Dieckmann als Ausdruck und Metaphern von Flächtigkeit, Vergänglichkeit und Verletzlichkeit. Die von der Künstlerin bereits im Tonmodell lebendig bewegt angelegten Oberflächentexturen werden von ihr nach dem Guss stets noch individuell weiter bearbeitet. So bleiben Entstehungsprozesse einer Skulptur in der endgültigen "Bronze" immer ablesbar: die Figur atmet. Die Struktur der Oberfläche mit ihrer Vielfalt von Unregelmässigkeiten, Höhlungen und Erhebungen, erzeugen auf der Bronze Licht und Schatten. Die durch Gegensätze bewirkte Emotionalität schafft Nähe. Im Bronzeguss findet Bärbel Dieckmann den Werkstoff, in dem sich ihre plastischen Bildideen am reinsten und nuancenreichsten realisieren lassen. Bronze ist eine Legierung aus Kupfer, Zinn, weniger Zink und Blei. Es sind die besonderen Eigenschaften beim Gießen, Härten und kalt Bearbeiten, die dieses Metall zum bevorzugten Material für die Gusstechnik werden ließen. Das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, Positiv- und Negativformen, Volumen und Raum gelangt in diesem flexiblen Material am sinnfälligsten zum Ausdruck. Erst durch die lebendige Wirklichkeit in der Bronzeskulptur erhalten die Plastiken ein Höchstmaß an Ausstrahlung. Sich selbst als lebende Skulptur zu erfahren gelingt nur wenigen. Von sich selbst ein plastisches Abbild zu schaffen ist noch weniger vorstellbar. Seine eigenen Vorstellungen in eine andere figurale Form einfließen zu lassen, ist das dynamische Element in der Kunst. Es mag für den Künstler viel Mut und Egomanie dazu gehören, hinter der vordergründigen Portraittreue und Körpergenauigkeit seine eigene Körperbefindlichkeit zu entdecken. Allerdings ist das formale Abbilden einer erkannten Beschaffenheit jeweils nur eine Fassette von Wahrheit. So geht es im künstlerischen Diskurs weniger um Wahrheit, als um Wahrhaftigkeit, die beim einzelnen liegt, die vom Künstler, aber auch vom Betrachter einforderbar ist. Wer eine Besserung des Menschen nur durch Ästhetik erhofft, den muss ich enttäuschen: Das Schöne und das Gute sind allzu hinfällige Metaphern. | ||