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Virtuelles Magazin 2000

 


Arn Strohmeyer

Spuren des Krieges auf Kreta
Inselbewohner wollen die letzten baulichen Reste, die an die deutsche Besatzung erinnern, retten -
zur Mahnung
Afratias1

Unterstand (bei Afratias)

Festos3

Depot oder Bunker? (bei Festos)

Kamakaki5

Eingang oder Schützengraben (bei Kamakaki)

Bundespräsident Joachim Gauck, der Anfang März zu einem Staatsbesuch in Griechenland weilte, hat die Griechen um „Verzeihung“ für die Verbrechen der Wehrmacht während der deutschen Besatzung 1941 – 1944 gebeten. Das war immerhin eine Geste, die es von einem offiziellen Vertreter Deutschlands so noch nicht gegeben hatte – aber auch sie war noch nicht genug. Denn die Verbrechen der Deutschen in Hellas sind Legion und eine Entschädigung für die Untaten haben die Griechen nie bekommen – auch nicht für einen erpressten Zwangskredit, den die griechische Nationalbank den Nazis gewähren musste. Dazu kommt jetzt der Druck für sogenannte Reformen, den die EU – mit Deutschland an der Spitze – auf die Regierung in Athen ausübt. Er hat das Land in eine tiefe Rezession und teilweise ins soziale Elend gestürzt. Angela Merkel mit Hitlerbärtchen und in Nazi-Uniform mit Hakenkreuz ist ein populäres Poster in Hellas. Um die deutsch-griechischen Beziehungen steht es zur Zeit nicht gut.

Kamilari6

Rätselhafte Arkaden (bei Kamikari)

Kefali7

Wer war hier untergebracht? (bei Kefali)

Kefali8

Gut erhaltene Treppen (bei Kefali)

Gauck besuchte auch das Dorf Lyngiádes in der Nähe der nordgriechischen Stadt Joannina. Hier hatte die Wehrmacht am 3. Oktober 1943 ein Massaker als Vergeltung für einen Anschlag auf deutsche Soldaten angerichtet. Der Bremer Professor für Rechtsgeschichte, Christoph Schminck-Gustavus, hat den Fall in einem Buch aufgearbeitet und damit einer größeren Öffentlichkeit nähergebracht. Er beschreibt den Vorgang so: „Bei meinen Nachforschungen in den 90er Jahren habe ich nach langem Suchen alle fünf Überlebenden des Massakers von Lyngiádes ausfindig gemacht und befragt. Sie berichteten, wie alle Dörfler, die nicht im letzten Moment hatten fliehen können, von Soldaten des Feldersatzbataillons 79 unter Hauptmann Alfred Schröppel unter Schreien und Hieben mit Gewehrkolben auf dem Dorfplatz zusammengetrieben wurden. Dort sahen sie, wie Soldaten ihre Häuser plünderten und die Beute auf dem Dorfplatz zusammentrugen: Lebensmittel, Aussteuern, Viehzeug – Wertvolleres gab es nicht. Anschließend wurden die Dorfbewohner in Zehnergruppen in die Keller der Häuser getrieben und zusammengeschossen. Wer nicht gleich tot war, bekam einen Gnadenschuss.“

Und weiter: „Die fünf Davongekommenen haben unter den Leichen liegend überlebt und sich nicht gerührt, bis die Deutschen abgezogen waren und die angezündeten Häuser über ihnen zusammenzustürzen drohten. Sie konnten im letzten Moment aus den rauchenden Kellern ins Freie entkommen. Von den fünfen lebt heute nur noch ein einziger: Panaiotis Babousikas. Er hatte das Massaker als Säugling überlebt und war in der folgenden Nacht an der Brust seiner getöteten Mutter gefunden worden. Daher hat Babousikas selbst keine Erinnerungen an die Ereignisse. Er konnte mir nur das berichten, was er von anderen gehört hatte, aber er zeigte mir eine 30 Zentimeter lange Narbe auf seinem Rücken: einer der Gebirgsjäger hatte versucht, auch dieses Baby mit einem Bajonettstich zu töten.“

Es gab sehr viele Lyngiades während der deutschen Besatzung in Griechenland: Hunderte griechische Ortschaften haben durch deutsche „Sühnemaßnahmen“ ein ähnliche Schicksal erlitten: Kommeno, Distomo, Kalavrita und Viannos auf Kreta, um nur die schlimmsten Märtyrerorte zu nennen, die die meisten Opfer aufwiesen. In Lyngiádes waren es „nur“ 82 Frauen, Kinder und Greise, die erschossen wurden, die meisten Männer überlebten, weil sie zur Zeit des Massakers auf den Feldern arbeiteten oder sich den Partisanen angeschlossen hatten.

Wie war es zur deutschen Invasion in Griechenland gekommen? Hitler wollte eigentlich den Balkan ruhig halten, weil er britische Angriffe auf die für die deutsche Kriegführung im Osten wichtigen Ölressourcen in Rumänien befürchtete. Am 28. Oktober 1940 überfiel das faschistische Italien Mussolinis Griechenland. Bei den Kämpfen auf dem epirotisch-albanischen Kriegsschauplatz, die für die Griechen ein Volkskrieg waren, konnten die Hellenen wie durch ein Wunder der italienischen Übermacht standhalten, sie zurückschlagen und ihr schwere Verluste zufügen. Dem griechischen Diktator Metaxas war klar, dass Hitler einen Sieg der Griechen über Mussolini nicht zulassen konnte, weil er ein Eindringen der Briten in Griechenland befürchtete, was eine ungedeckte Flanke für seinen geplanten Russlandfeldzug bedeutet hätte.

Kefali9

Wasserbecken? (bei Kefali)

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Höhlendepot (bei Kokkinos Pirgos)

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Unterstand oder Bunker? (bei Kokkinos Pirgos)

Anfang April überrannten die deutschen Truppen, die zuvor schon Jugoslawien erobert hatten, in einem Blitzkrieg Griechenland. Da Hitler für seinen Krieg im Osten alle Truppen brauchte, überließ er die Besetzung Griechenlands den Italienern und Bulgaren. Deutschland behielt lediglich Thessaloniki, einen kleinen Teil von Attika, das Grenzgebiet zur Türkei und Kreta. Am 20. Mai 1941 hatte die Schlacht um diese Insel begonnen. Sie wurde mit Hilfe von Fallschirmjägern in wenigen Tagen eingenommen – allerdings unter großen Verlusten. Was nun in Griechenland folgte, hatten andere besetzte Länder im Europa auch schon erlebt: grausame Besatzung, Kollaboration und Widerstand – mit den oben geschilderten furchtbaren Sühnemaßnahmen. Diese waren so schrecklich, dass sie sich z. B. auf Kreta in damals entstandenen Dichtungen und im Liedgut niederschlugen. In diesen Versen sind die deutschen Besatzer die „Mörder“, „Barbaren“, „Hunde“ und „Hunnen“. Ein Kreter schrieb: „In seiner langen Geschichte ist Kreta von vielen Eroberern unterworfen worden. Aber die Eroberung durch die Nazis hinterließ die blutigsten Erinnerungen.“

In einem Klagelied heißt es: „Kinder, was ist das für ein Dunst, was ist das für ein Nebel,/die Vögel, warum fliehen sie, was beben denn die Wälder?/ Die Deutschen fielen ein, vom Himmel abgestiegen,/ haben Kreta sie mit Feuer und Maschinen überschwemmt./ Schwarze Kleider wirst Du tragen, Kreta, und in Eisen liegen.“ Und in einem anderen Lied heißt es über das KZ Agiia, das die Deutschen eingerichtet hatten: „Als die Hunde fortgezogen, sammelten sich in Agiia,/ dem verdammten Orte, all die schwarzen Mütter,/ ihre Söhne aufzufinden, ihre Söhne zu holen .../ Und alle Söhne waren nur noch ein Haufen jämmerlicher Knochen.“ Und in einer anderen Klage gegen die Besatzer heißt es : „Nach Opfern suchte Deine Mörderhand,/ zu sättigen das blutrünstige Herz./ Witwen und Waisen hast Du hier hinterlassen,/ verbranntest unsere Dörfer/ und schicktest unsre Söhne in die Kerker von Agiia./ Du straftest uns mit Folter,/ Deine Seele soll nie Erlösung finden.“

Besatzer hinterlassen immer traumatische Spuren – in der Erinnerung und in den Seelen der Geschundenen, die noch Generationen später zu spüren sind. Sie hinterlassen aber auch steinerne Spuren in den Landschaften, hässliche Narben, die noch lange zu sehen sind. Die Deutschen hatten geplant, die Halbinsel Peloponnes, Kreta und die Inseln des Dodekanes zu uneinnehmbaren Festungen auszubauen, aber nur auf Kreta wurde das Vorhaben auch umgesetzt. Der Oberkommandierende der Insel nannte sich bombastisch „Festungskommandant“.

Bei dieser deutschen Vergangenheit auf Kreta muss es verwundern, wenn jetzt ein Hilferuf von der Insel nach Deutschland kommt, in dem Kreter an die Nachkommen der einstigen Besatzer appellieren: „Helft uns, die letzten Bauten aus der Besatzungszeit als ‚Denkmäler der Erinnerung‘ an Kretas Leidenszeit in Zweiten Weltkrieg zu erhalten – zur Mahnung, im Interesse des Friedens und als Abschreckung vor dem Krieg!“ Der Hintergrund des Hilferufs: Die Besitzer der zumeist in Südkreta gelegenen Grundstücke, auf denen die baulichen Kriegsreste liegen, wollen das große Geld machen und den Boden an reiche Ausländer (darunter auch viele Deutsche!) verkaufen, die darauf ihre Villen mit dem schönsten Meerblick bauen wollen. Nun sollen auch Deutsche Druck auf die griechische Regierung und das Parlament ausüben, dass diese Mahnmale erhalten bleiben.

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Ehemalige Luftabwehr- oder Artilleriestellung (bei Pitsidia)

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Großes Haus für Soldaten oder Kasino? (bei Pitsidia)

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Wofür war dieser Raum gedacht? (bei Pitsidia)

Die Fotografien von diesen Relikten der „Festung Kreta“ sind von seltsamem, fast idyllischem Reiz, aber auch von morbider Ästhetik. Nichts weist mehr auf die Arroganz und den Hochmut der bewaffneten Macht hin, die sich hier eingenistet hatte. So wie die Insel viele andere Eroberer überlebt hat – Minoer, Dorer, Römer, Byzantiner, Venezianer und Türken – ist auch von der Anwesenheit der blonden Herrenmenschen aus dem Norden nur Verfall und Vergänglichkeit geblieben – steinerne Reste von zerbröselndem Mauerwerk, von der Natur längst überwuchert und wieder in Besitz genommen. Die einstige Funktion der Bauten ist kaum noch zu erkennen. In den Fels geschlagene Höhlen, Bunker und Tunnel mit Steinwällen davor wirken in ihrer verlassenen Leere unheimlich und bedrückend. Sie dienten wohl als Unterschlupf und Depot. Ein von Macchia überwucherter steinerner Kreis mitten in einem Olivenhain, aus dessen Mittelpunkt ein rostiges Eisenrohr ragt – der Rest einer Luftabwehrstellung gegen britische Flieger. Unweit davon in den Himmel ragende, schon zahnlückenartig geborstene Wände eines in den Berg gebauten Gebäudekomplexes. An den Mauern haftet noch der ocker gestrichene Mörtel. Vor Jahren waren hier noch von den Hitler-Soldaten auf die Wände aufgetragene Gemälde zu sehen, inzwischen hat sie der Regen abgewaschen: eine Aussicht auf Venedigs an Kanälen liegende Paläste. Auf der Wand gegenüber hatte ein Landser in exakter altdeutscher Schrift den markigen Spruch aufgetragen, der ihm mit deutschen Drill eingebläut worden war: „Wir sind auf der Welt, um unsere Pflicht zu tun!“ Deutsche Soldaten haben in der konsequenten Logik dieses absurden Mottos Europa in Schutt und Asche gelegt.

Wenn diese ehemaligen Stellungen und Unterkünfte der Wehrmacht heute wie eine romantische Idylle wirken – für die Kreter sind sie Plätze, vom dem viel Gewalt und Schrecken ausgingen. Ihr historisches Gedächtnis möchte sie unbedingt als Mahnung bewahren. Wir sollten den Pflichtbegriff anders verstehen als jener Soldat und den Kretern unbedingt dabei helfen. (Wer diese Aktion unterstützen will, kann sich an den Kreter Michalis Spiridakis wenden, email: msfestos@gmail.com)

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Eingang wohin? (bei Pitsidia)

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