Zum Inhaltsverzeichnis

Virtuelles Magazin 2000

 


Jörg Boström

 

Zwischen Mechanismus und Freiheit

Werde ich gesteuert von Bildern oder steuere ich sie und das Übrige?

„Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht gehen die Sonnenpferde der Zeit mit

unsers Schicksals leichtem Wagen durch. Uns bleibt nichts als mutig gefasst bald

rechts und links die Räder weg zu lenken. Wohin es geht, wer weiß es. Erinnert er

sich doch kaum, woher er kam.“ Goethe, aus Egmont, Schluss von

„Dichtung und Wahrheit“.

Oder

„Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein. Es darf sich

einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick als bedingt. Wagt er es,

sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei.“ Auch von Goethe.. gefunden durch

zufällige und geplante Suche im Internet.

Nun etwas von der Notwendigkeit und der Getriebenheit der Kunst, der bildenden

Kunst im Leben.

Schwer zu ertragen diese Sache, mit der wir es zu tun haben. Ich meine unser Lebens

im einzelnen und allgemeinen, schwer zu ertragen ohne Kunst. Ohne Bilder Kunst.

Von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins spricht Milan Kundera in seinem so

betitelten Roman. Er schreibt dagegen an.

PlakatKonferencja201405kor6

Wir haben es hier mit der Bilderwelt, mit den Sensationen des Sehens zu tun. Um

nicht unterzugehen in dem Gestrüpp des Kausalen, des Banalen, der

Frühstücksprobleme, dem Picken um die Hackordnung, dem Feilschen um die Soße

aus einer immer gleichen Küche, wehren wir uns mit dem Stift. So mit dem Pinsel.

Auf großen Flächen, auf kleinen Papieren, bilden wir die Flächen und Figuren, die

Farbsplitter und Lineamente unseres tonlosen Widerspruchs. Außer denen, die selbst

dieser Sucht verfallen sind, sich in Bildern darzustellen, zu spiegeln und zu

verformen, halten viele die Produkte dieses Tuns für Verschönerung, für Schmuck.

Malerei sagt Picasso, ist nicht erfunden worden, um die Wände zu schmücken,

sondern als Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind. Welchen Feind. Niemand

bedroht uns ernsthaft, nur die Banalität und der Tod. So gesehen, ist Malerei eine

ekstatische, aus sich heraus brechende Form des Lebens, ohne Zweck, wie dieses

selbst. Man darf so weit gehen zu behaupten, je zweckloser eine Bilderwelt, desto

näher ist sie am Leben, an der Artikulation unserer Existenz. Dieses Tun auf

Leinwänden und Papieren, das in Ausstellungen und Katalogen eine bürgerliche, sich

ordentlich eingefügte Form gibt, die sich hier als Festveranstaltung in die

Zweckbestimmung einmogelt, existiert in Wahrheit nur aus sich selbst und für sich

selbst. Malerei gehört zu unseren elementarsten Äußerungen.

Man erkennt in der Geschichte die Geburtsstunde des menschlichen Bewusstseins in

den Höhlen von Lascaux, in den Jägern und Tieren, in den Schwimmerbildern unter

dem Boden der Wüste Sahara. In der von Zweck- und Zieldenken strukturierten,

verschulten Welt bricht dieser ungezogene Trieb zur visuellen Musik immer wieder

auf.

Der Körper ist das Instrument dieser Produktionen, die Hand, das Auge, aber auch

Arme, Beine, Bauch und Kopf. Jeder Strich, jeder Farbauftrag auf der Fläche, geh

durch Nerven und Muskulatur. So ist es nicht verwunderlich, dass der Körper, die

Figur, die physische Empfindung des Selbst immer wieder zum Inhalt der Bilder

wird, selbst da wo diese sich in freien Formen auf der Leinwand entwickeln.

Die Kunstpsychologie spricht von eine anthropomorphen Struktur unseres Sehens

und Gestaltens. Wenn die Welterfahrung von ersten Griff des kleinen Kindes an

seinen Zeh bis zur Umarmung des anderen Menschen über den Körper läuft, durch

ihn hindurch geht, so ist es begreiflich, dass dies sich in den Bildern niederschlägt.

Man spürt in den Werken des Künstlers nicht nur die geistige, sondern auch die

körperliche Präsenz.

Das Auge umfasst die umgebende Welt wie eine Kamera. Die Kamera gestaltet im

Zugriff auf das Gesehene schon die eigene Welt. Im Kopf verbinden sich die Bilder

und ihre Elemente zu immer neuen Konstellationen. Es ist eine vom Bewusstsein

kaum noch zu steuernde Zusammenfügung immer neuer Bildwelten. Die Malerei

macht diese sichtbar. Insofern ist Kunst auch ein Stück weit Indiskretion, ein

Überschreiten der Grenzen von Intimsphären zwischen Gestalter und Betrachter.

Nicht erst hier beginnt die Abhängigkeit. Die Einschränkung der Freiheit des

Gestaltens. Das Aug nimmt auf was vor ihm liegt. Und das ist abhängig von unserer

Lebenssituation. Von der räumlichen Präsenz. Die gesteuert ist von unserem Leben,

das eben nicht nur einer Planung unterliegt, sondern selbst gesteuert ist von den

Zufällen unserer existentiellen Lage. Von der Dynamik des Lebens selbst.

Die Faszination des Gestalters beim Setzen der Linien, des Strichgespinsts, das sich

in Aufbau und Zerstörung fortentwickelt zu einer scheinhaften Endgültigkeit, die sich

schon bei bildnerischen Vorstellungen fast zwanghaft entwickelt, ist in diesen

verschlungenen Bildern zu erleben. Eine neu zusammengefügte Welt strahlen die

Werke immer wieder aus.

Schon unbestimmte Formen im Material setzen unsere Vorstellung in Bewegung. Sie

können vielerlei bedeuten, Flecken, Wolken, abgeschrubbte Dielenböden,Schaum,

Rauch, Büsche in der Nacht, Zypressen und zerfließende Milch im Teeglas. Sie sind

in den Umrissen offen, bewegt, erzeugen ständig neue Bildverbindungen.

Hinzu kommt die freischwebende Imagination.

n

Leonardo da Vinci empfiehlt den Blick auf bunt gefleckte Mauern. Als Künstler der

Renaissance sieht er Schlachten darin, Gestalten mit lebhaften Gebärden, seltsame

Gesichtszüge und Gewänder.

Erlkönigs Töchter sieht der Reiter in Goethes Gedicht in den Nebelschwaden und

Finsternis aus dem Gesträuche blickt ihn selbst mit schwarzen Augen an. Dem

Surrealisten Max Ernst erscheint die Sphinx in ihrem Stall.

Für den Psychologen Leo Navratil ist das menschliche Gesicht als Urerfahrung des

ersten Blickes auf die Welt die stärkste Vision in der Deutung des Unbestimmten,

weiterhin sieht er darin Anthropomorphes, Körperformen in unheimlicher,

fantastischer und sexueller Formation.

Fast zeitgleich mit den Surrealisten entdeckt im Behn-Rorschach Test die

Psychologie die Bedeutung der Ausdeutung nicht festgelegter Bilder. Die Tafeln mit

sorgfältig getesteten Klecks Bildern dienen der Analyse gutwilliger Patienten und

werden zeitweilig als Grundlage für Einstellungsgespräche missbraucht.

Es geht darum, die tiefen Schichten der Psyche und der Bilder zu reizen, hervor zu

kitzeln, die festgefahrenen Klischees der Massenkultur aufzuweichen, um die

darunter fließenden Lavaströme freizulegen und ihre Form Welt im Zustand ihrer

Entstehung zu erleben.

Die Arbeit mit wuchernden Strichen, den Verletzungen und dem emphatischen

Streicheln der Oberflächen, dem Fließenden, noch unbestimmten Figurieren, dem

allmählich sich Formenden vermittelt ein immer wieder faszinierendes Erlebnis,

wenn man sich mit und neben dem Künstler darauf einlässt, es führt zu einer

Offenheit und unbefangenen Intimität der Bildsprache, welche an die Grenzen der

Person führen kann, an die Haut und gelegentlich unter sie.

Zwischen Selbsterfahrung, Bildentwicklung, Zugriff auf die Innenseiten, an die sich

auflösende Grenze zwischen Innen und Außen, zwischen sich selbst bestimmendem

Material und Kunst bewegt sich auch unsere verschlungene Bilderwelt.

Nicht nur die Willkür der Hand hat das Sagen sondern es sind auch die Bewegungen

der Substanzen selbst, welche dem Bild Prozess über die psychische und formale

Lenkung hinaus die Objektivität von Naturprozessen gibt.

Entsprechungen von Wolkenbildungen, Gezeiten, Schaum und Rauch erschließen

sich der Beobachtung. Das rauschhafte Einatmen der ätherischen Dämpfe verbindet

sich mit dem freigelegten Bildgedächtnis des Hirns.

Pythia, die Seherin des delphischen Orakels, pflegte ihre dunklen Zukunftsverse unter

dem Einfluss von Dämpfen den ängstlichen Pilgern mitzuteilen.

Angeregt ist die Bilderwelt auch von Reisen zu historischen Stätten, nach Spanien

und Portugal, nach Leningrad und Nowgorod, nach England mit den mythischen

Plätzen Stonehenge, nach Schottland , nach Russland, Lettland und Litauen, in die

Bretagne und die Normandy. Aber auch in die industrielle Dichte des Ruhrgebiets

und die landschaftliches Weite von Mecklenburg.

IMG1315

Zu der Zeit.. 1966-1972 etwa

war die Malerei diktiert vom

Kunstgeschäft. "Der

Gegenstand ist nicht mehr

tragfähig", wurde behauptet.

Ich bin eine Beobachter der

Welt um mich. Da ging ich

zunächst in die Fotografie..

als Realist der ich war und

bin. Und das in krasse auch

sozial abwesende Regionen.

Hier in Düsseldorf in das

Obdachlosen Quartier am

Tichauer Weg.

„Zeige deine Wunde“.. Der

Gedanke auch an Jesus.. und

Joseph..

zeige deine Wunde

(1974−1975) ist

eine Installation beziehungsw

eise ein Environment des

deutschen Künstlers Joseph

Beuys, das in einer

Aktion des Künstlers

präsentiert wurde.

Unbenannt12
Unbenannt1

Das Projekt unserer Gruppe PSR- Politisch Soziale Realität – konnte in der

Kunsthalle Düsseldorf gezeigt werden, weil eine Schwedische Ausstellung dort mit

dem Titel „Verändert die Welt-- Kunst muss von allen gemacht werden“.. einen

örtlichen Beitrag dazu verlangte.

Geplant? Gefordert? Gewollt? Wir gestalteten diese Ausstellung. Die

Obdachlosensiedlung ist nun abgerissen. Und ich wurde nach Bielefeld eingeladen

zum Vortrag und dann zu einer Professur. Zufall? Planung.

„..du glaubst zu schieben, doch du wirst geschoben..“ heißt es nun wieder bei Goethe

im Faust.

Das als Beispiel zum Dialog Kunst und Realität, den wir uns allerdings auch geplant

auf die Fahne geschrieben hatten.. PSR..Politisch Soziale Realität..

obdachlosedusseldorftichauerweg

Ich zeige nun in der Folge Serien von Fotografien.. schnell zu sehen wie ein Film..

Realität in meinem Blick.. gesteuert durch meine Lehrtätigkeit als Professor für

Fotografie und Intermedia an der Fachhochschule Bielefeld. Eine Projektarbeit mit

Studierenden, welche durch Ausstellungen und Publikationen erweitert werden

konnte.

item9
item10
foto54

Bruckhausen.. ein Stadtteil kämpft.. in Duisburg.. meiner Geburtsstadt außerdem..

Die Bürgerinitiative kämpft heute noch...

roma3

Sinti und Roma.. eine Fotografische Kommunikation mit einem selten beachteten und

wenig geachteten Bürger Teil unserer Gesellschaft...

Zufall..Planung? Es war mein Interesse am Sozialen und es war auch Interesse der

Studierenden, welches solche Projekte möglich machte. Es war auch das Interesse

der Menschen an unserer Arbeit.

Zum Abschluss zeige ich noch eine Bildfolge zum Dialog zwischen Fotografie und

Malerei, der mich bis heute.. unter Freiheit oder Zwang?.. nicht los lässt...

romafrauen
sc000b0b8f
neg058
abbau

Dabei sind auch Bilder aus meiner gegenwärtigen Umwelt, Weserlandschaft bei

Minden. Freiheit oder Zwang? Da wo ich bin, da entstehen meine Bilder.

Zuletzt eine Wanderung meiner Klassenbrüder über das Wasser....

L1120556
L1160504a
L1160669
L1190950