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Virtuelles Magazin 2000

 


Zur Ausstellung "Brettspieler" mit Werken von Günter Frecksmeier

 

Kulturen wachsen auf den Trümmern vorheriger Kulturen und suchen in deren Hinterlassenschaften nach Archetypen, Mythen, Ideen und  Denkweisen, im greifbaren Bereich aber auch nach Skulpturen und Gefäßen, die wiederum mythologische Motive überliefern können. Der Medientheoretiker Marshall McLuhan prägte dafür den Begriff der „Schrotthandlung“, welche der heutige Mensch durchstöbert. Manchen treibt es dabei auch in die Ferne, wie den Künstler Günter Frecksmeier, der mythische Orten wie Stonehenge und Glastonbury besuchte und antike Städte wie Mykene und Delphi, Ephesus und Troja, und so sind im Universum seiner Gemälde und Objekte Köpfe aus dem 17. Jahrhundert und Figuren aus der Antike zu sehen, daneben Raketen. Dieses Objekt erinnert an eine antike Lyra, oder doch eher an Fahrradspeichen? Steht darauf möglicherweise ein Zentaur mit Reptilienkopf, der mit einem Vorderhuf den Cancan zu tanzen scheint?

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Außerdem immer wieder Brettspieler, es ist der griechische Held Achilles zu sehen, der mit einem Astronauten im Raumanzug am Schachbrett sitzt. Die Brettspieler scheinen den Künstler über Jahrzehnte fasziniert zu haben. Es geht auf den Bildern von Günter Frecksmeier in diesem Bilderzyklus immer um diese beiden Figuren, er setzt sie aber immer wieder als verschiedene archetypische Figuren oder Bilder, die gleichsam auch nur Spieler auf einem Brett sind, welche möglicherweise noch von einer Metaebene aus „bespielt“ werden – man denke an den Fernsehfilm „Welt am Draht“ von Rainer Werner Fassbinder nach dem Roman „Simulacron 3“ von Daniel F. Galouye. Der Maler und Grafiker Günter Frecksmeier (*1937 in Bielefeld) lebt und arbeitet in Herford und war Mitglied des Bundes Bildender Künstler, BBK. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts studierte er an der Kunsthochschule in Düsseldorf bei einem der Hauptvertreter des Informel, Karl Otto Götz. Frecksmeier kann durchaus nicht als surrealistischer Maler bezeichnet werden, auch nicht als politischer Maler, jedoch finden sich in seinen Werken immer wieder Zitate zu aktuellen gesellschaftlichen Themen jener Zeiten, in denen er seine Werke schuf. Das Absurde in seinen Bildern gewinnt durch den surrealen Charakter der dargestellten Situationen an Kontur und Schärfe und trägt zum Verständnis der vom Künstler kommunizierten Aussage bei. Zu seinem Werkzyklus „Brettspieler“ ließ er sich durch die Malerei des griechischen Künstlers Exekias auf einer Amphore inspirieren: Achilles und Ajax sitzen beim Brettspiel, ihre Waffen griffbereit, eine Szene aus dem Trojanischen Krieg, gemalt ca. 550 v. Chr. Die Amphore befindet sich heute in der Sammlung des Vatikan.

 

Ein Bericht von Annette Bültmann und Gábor Wallrabenstein
mit Fotos von Jörg Boström, Philipp Hausdörffer, Gabor Wallrabenstein und Annette Bültmann

 

Viel Vergnügen wünschen die beiden ihren Lesern mit dem folgenden Text der Laudatio, welche Prof. em. Jörg Boström anlässlich der Vernissage in den Räumen des Kunstvereins Schloß-Holte hielt. Die Ausstellung ist noch bis zum 13. April im Altenkamp 1 in Schloß Holte zu sehen. Öffnungszeiten: Donnerstag und Samstag 16.00 bis 18.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 13.00 und 16.00 bis 18.00 Uhr.
Weitere Informationen: www.kulturkreis-shs.de

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Jörg Boström
 
Von der Notwendigkeit der Malerei... auch der von Günter Frecksmeier
 
Schwer zu ertragen diese Sache, mit der wir es zu tun haben. Ich meine unser Lebens im einzelnen und allgemeinen, schwer zu ertragen ohne Malerei. Von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins spricht Milan Kundera in seinem so betitelten Roman. Er schreibt dagegen an.
 
Wir haben es hier mit der Bilderwelt, mit den Sensationen des Sehens zu tun. Um nicht unterzugehen in dem Gestrüpp des Kausalen, des Banalen, der Frühstücksprobleme, dem Picken um die Hackordnung, dem Feilschen um die Soße aus einer immer gleichen Küche, wehren wir uns mit dem Stift. So auch Frecksmeier. Auf großen Flächen, auf kleinen Papieren, bilden wir die Flächen und Figuren, die Farbsplitter und Lineamente unseres tonlosen Widerspruchs. Außer denen, die selbst dieser Sucht verfallen sind, sich in Bildern darzustellen, zu spiegeln und zu verformen, halten viele die Produkte dieses Tuns für Verschönerung, für Schmuck.
 
Malerei sagt Picasso, ist nicht erfunden worden, um die Wände zu schmücken, sondern als Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind. Welchen Feind. Niemand bedroht uns ernsthaft, nur die Banalität und der Tod. So gesehen, ist Malerei eine ekstatische, aus sich heraus brechende Form des Lebens, ohne Zweck, wie dieses selbst. Man darf so weit gehen zu behaupten, je zweckloser eine Bilderwelt, desto näher ist sie am Leben, an der Artikulation unserer Existenz. Dieses Tun auf Leinwänden und Papieren, das in Ausstellungen und Katalogen eine bürgerliche, sich ordentlich eingefügte Form gibt, die sich hier als Festveranstaltung in die Zweckbestimmung einmogelt, existiert in Wahrheit nur aus sich selbst und für sich selbst. Malerei gehört zu unseren elementarsten Äußerungen.
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Man erkennt in der Geschichte die Geburtsstunde des menschlichen Bewusstseins in den Höhlen von Lascaux, in den Jägern und Tieren, in den Schwimmerbildern unter dem Boden der Wüste Sahara. In der von Zweck- und Zieldenken strukturierten, verschulten Welt bricht dieser ungezogene Trieb zur visuellen Musik immer wieder auf.
 
Der Körper ist das Instrument dieser Produktionen, die Hand, das Auge, aber auch Arme, Beine, Bauch und Kopf. Jeder Strich, jeder Farbauftrag auf der Fläche, geh durch Nerven und Muskulatur. So ist es nicht verwunderlich, dass der Körper, die Figur, die physische Empfindung des Selbst immer wieder zum Inhalt der Bilder wird, selbst da wo diese sich in freien Formen auf der Leinwand entwickeln.
 
Die Kunstpsychologie spricht von einer anthropomorphen Struktur unseres Sehens und Gestaltens. Wenn die Welterfahrung von ersten Griff des kleinen Kindes an seinen Zeh bis zur Umarmung des anderen Menschen über den Körper läuft, durch ihn hindurch geht, so ist es begreiflich, dass dies sich in den Bildern niederschlägt.
 
Diese Ausstellung macht nun diesen Zusammenhang bewusst zu ihrem Thema, sie stellt die menschliche Figur und ihre immer neue organische Verbindung zu Räumen und Dingen in immer neuen Varianten vor.
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Man spürt in den Werken dieses Künstlers nicht nur die geistige, sondern auch die körperliche Präsenz.
Das Auge umfasst die umgebende Welt wie eine Kamera. Die Kamera gestaltet im Zugriff auf das Gesehene schon die eigene Welt. Im Kopf verbinden sich die Bilder und ihre Elemente zu immer neuen Konstellationen. Es ist eine vom Bewusstsein kaum noch zu steuernde Zusammenfügung immer neuer Bildwelten. Die Malerei macht diese sichtbar.Insofern ist Kunst auch ein Stück weit Indiskretion, ein Überschreiten der Grenzen von Intimsphären zwischen Gestalter und Betrachter.
Die Faszination des Gestalters beim Setzen der Linien, des Strichgespinsts, das sich in Aufbau und Zerstörung fortentwickelt zu einer scheinhaften Endgültigkeit, die sich schon bei bildnerischen Vorstellungen fast zwanghaft entwickelt, ist in diesen verschlungenen Bildern zu erleben. Eine neu zusammengefügte Welt strahlen die Werke immer wieder aus.
Schon unbestimmte Formen im Material setzen unsere Vorstellung in Bewegung. Sie können vielerlei bedeuten, Flecken, Wolken, abgeschrubbte Dielenböden,Schaum, Rauch, Büsche in der Nacht, Zypressen und zerfließende Milch im Teeglas. Sie sind in den Umrissen offen, bewegt, erzeugen ständig neue Bildverbindungen.
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Leonardo da Vinci empfiehlt den Blick auf bunt gefleckte Mauern. Als Künstler der Renaissance sieht er Schlachten darin, Gestalten mit lebhaften Gebärden, seltsame Gesichtszüge und Gewänder.
Erlkönigs Töchter sieht der Reiter in Goethes Gedicht in den Nebelschwaden und Finsternis aus dem Gesträuche blickt ihn selbst mit schwarzen Augen an. Dem Surrealisten Max Ernst erscheint die Sphinx in ihrem Stall.
Für den Psychologen Leo Navratil ist das menschliche Gesicht als Urerfahrung des ersten Blickes auf die Welt die stärkste Vision in der Deutung des Unbestimmten, weiterhin sieht er darin Anthropomorphes, Körperformen in unheimlicher, fantastischer und sexueller Formation.
Fast zeitgleich mit den Surrealisten entdeckt im Behn-Rorschach Test die Psychologie die Bedeutung der Ausdeutung nicht festgelegter Bilder. Die Tafeln mit sorgfältig getesteten Klecks Bildern dienen der Analyse gutwilliger Patienten und werden zeitweilig als Grundlage für Einstellungsgespräche missbraucht.
Es geht darum, die tiefen Schichten der Psyche und der Bilder zu reizen, hervor zu kitzeln, die festgefahrenen Klischees der Massenkultur aufzuweichen, um die darunter fließenden Lavaströme freizulegen und ihre Form Welt im Zustand ihrer Entstehung zu erleben.
Die Arbeit mit wuchernden Strichen, den Verletzungen und dem emphatischen Streicheln der Oberflächen, dem Fließenden, noch unbestimmten Figurieren, dem allmählich sich Formenden vermittelt ein immer wieder faszinierendes Erlebnis, wenn man sich mit und neben dem Künstler darauf einlässt, es führt zu einer Offenheit und unbefangenen Intimität der Bildsprache, welche an die Grenzen der Person führen kann, an die Haut und gelegentlich unter sie.
Zwischen Selbsterfahrung, Bildentwicklung, Zugriff auf die Innenseiten, an die sich auflösende Grenze zwischen Innen und Außen, zwischen sich selbst bestimmendem Material und Kunst bewegt sich auch die verschlungene Bilderwelt von Günter Frecksmeier..
Nicht nur die Willkür der Hand hat das Sagen sondern es sind auch die Bewegungen der Substanzen selbst, welche dem Bild Prozess über die psychische und formale Lenkung hinaus die Objektivität von Naturprozessen gibt.
Entsprechungen von Wolkenbildungen, Gezeiten, Schaum und Rauch erschließen sich der Beobachtung. Das rauschhafte Einatmen der ätherischen Dämpfe verbindet sich mit dem freigelegten Bildgedächtnis des Hirns.
Pythia, die Seherin des delphischen Orakels, pflegte ihre dunklen Zukunftsverse unter dem Einfluss von Dämpfen den ängstlichen Pilgern mitzuteilen.
Angeregt ist diese Bilderwelt auch von Reisen nach Israel zu historischen Stätten, nach Spanien und Portugal, nach Leningrad und Nowgorod, nach England mit den mythischen Plätzen Stonehenge und Glastonbury und zu den Stätten der Kornkreise, nach Griechenland zu Stätten des Altertums wie Mykene und Delphi und in die Türkei nach Ephesos und Troja erweiterten den Horizont seines Wissens und seiner Wahrnehmung, was sich direkt und unmittelbar in seinem Werk wiederfinden lässt. Zwei zentrale Motive, die immer wieder auftauchen sind Don Quijote und Franz von Assisi. Es weht auch ein Hauch des Mystischen durch diese Formenwelten.
Günter Frecksmeier sagt dazu: „Sakrale Themen interessieren mich, ich bin immer gläubig gewesen. Archäologie finde ich spannend, Ausgrabungen …, … würde gerne mal dahin fahren, wo der Turm zu Babel stand …, … geht ja im Moment leider nicht. Nach Südamerika würde ich gerne mal fahren, nach Mexiko, wo die Pyramiden auf  der Halbinsel Yucatán in Chichen Itza, Palenque und Uxmal stehen. Und die berühmte Madonna in der Kathedrale in Mexiko City würde ich gerne sehen …, … und zu den alten, glatt ineinandergefügten Mauern in Machu Picchu in Peru würde ich gerne fahren. Ich war schon mehrmals in Lourdes, das war sehr interessant, das sind eben so Sachen, die nicht irdisch sind …“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.