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Virtuelles Magazin 2000

 


Annette Bültmann
 
Rückenschwimmer und Wirbeltiere
 
Während des Paläozoikums, vom Kabrium bis zum Permzeitalter, waren die Ozeane der Erde von Trilobiten unterschiedlicher Formen besiedelt.
Später dann begann der Aufstieg der Wirbeltiere, allerdings ist bisher wohl nicht völlig geklärt wer deren Vorfahre war.
Fing es mit Tieren wie diesem an, das einen Nervenstrang, wenn auch keine Wirbelsäule, auf der Rückenseite hat?
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Quelle: Wikimedia Commons

Der heutige Eichelwurm gehört zu den Hemichordaten oder Kiemenlochtieren, genauso wie seine fossilen Vorfahren, wie Spartobranchus tenuis aus dem Kambrium, gefunden im Burgess-Schiefer, der am Meeresgrund lebte und Röhren in den Meeresboden bohren konnte. Vielleicht entstand aus dem Nervenstrang solcher Lebewesen die Chorda dorsalis der Wirbeltiere.
 
Oder, nach einer anderen Hypothese, der dorso-ventralen Umkehr, hat im Verlauf der Evolution eine Achsenumkehr stattgefunden. Gliederfüßer haben den zentralen Nervenstrang auf der Bauchseite, dann kam es im Verlauf der Evolution zu der Umkehr auf die Rückenseite, und es begann das Wirbeltierleben mit Tieren ähnlich Amphioxus, dem Lanzettfischchen.
 
Aber wie kam, falls diese Vermutung zutreffen sollte, der Nervenstrang von der Bauchseite auf den Rücken?
Stelle mir nun vor, wie ein trilobitenähnliches Tier zum Rückenschwimmer wurde. Auf dem Rücken schwimmende Gliederfüßer existieren auch heute, z.B. der Rückenschwimmer-Käfer oder die Salzkrebse der Gattung Artemisia. Ebenfalls zu den Anostraca gehören die Feenkrebse der Gattung Streptocephalus, auch sie sind Rückenschwimmer, und drehen die Bauchseite bei der Nahrungssuche in Richtung Licht.
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Quelle: Wikimedia Commons

Die Beine, beim Salzkrebschen oben am Körper beim Rückenschwimmen, dienen teils der Atmung, weshalb diese Ordnung der Gliederfüßer den Namen Kiemenfüßer trägt, und teils der Filtrierung und Beförderung von Nahrungspartikeln zur Mundöffnung. Geschah dies so auch bei den Vorfahren der Wirbeltiere, und wurden diese vielen kleinen Füße, sowohl für Atmung als auch für Nahrung zuständig, dann umgebildet zu einem innenliegenden Kiemendarm, wie er bei frühen Chordatieren, den Manteltieren und Schädellosen, zu finden ist?
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Rückenschwimmer, Computergrafik: Annette Bültmann

Oder war der Rückenschwimmer eher ein Tier ähnlich dem zu den lebenden Fossilien gezählten Borstenwurm Platynereis dumerilii, der zu den ursprünglichen Anneliden gehört und auch heute noch in den Meeren der gemäßigten und tropischen Zonen lebt? Auch bei diesem gibt es bei größeren Arten Kiemen als Anhänge an den Parapodien, den fußähnlichen kleinen Fortsätzen.
Fossile frühe Wirbeltiere waren z.B. die Arandaspida, die Kiemenöffnungen an der Vorderseite des Körpers hatten.
Bei den heutigen Fischen mit ihren für die Atmung gut geeigneten beweglichen Kiemendeckeln fällt es etwas schwer, sich diese als aus einer Reihe kleiner Füße entstanden vorzustellen. Besser vorstellbar ist das schon bei den Außenkiemen von Kaulquappen, Molchlarven und Axolotls.
 
Wenn also die bisherigen Füße bei den frühen Chordatieren zunächst mal zum Kiemendarm umgebildet waren, woher kamen dann die 4 Extremitäten der späteren Wirbeltiere? Tatsächlich hatten wohl die ersten Fische zunächst mal keine paarigen Seitenflossen, sondern entlang der Mittellinie angeordnete Rücken- und Bauchflossen. Es wird vermutet, dass durch dasselbe genetische Programm wie diese, quasi per copy-and-paste einer genetischen Sequenz, später im Verlauf der Evolution die Seitenflossen gebildet wurden.
 
Die Abstammung der Wirbeltiere beschäftigte natürlich schon seit längerem die Naturforscher, so dass das Thema mit der Geschichte der Evolutionstheorie in Zusammenhang steht. Ernst Haeckel z.B. legte 1905 einen Stammbaum der Wirbeltiere an, in dem er ihre frühen Vorfahren als Prospondylia und Archicrania bezeichnet, Bezeichnungen die heute nicht mehr gebräuchlich sind. Er beschreibt auch seine Hypothese der Wirbeltierabstammung in einem Referat
"Des Weiteren wird nun die Verzweigung des Wirbelthierstammbaumes
auseinandergesetzt. Die ältesten Urwirbelthiere, die Prospondylia, haben dieselbe
Wurzel (Prochordonia) wie die Tunicaten; der heute lebende Amphioxus wird
als einziger, theilweise degenerirter Nachkomme der Prospondylia betrachtet.
Von den Prospondylien leiten sich die Archicranier ab, von denen die Cyclostomen
stark degenerirte Reste sind. Von diesen Urschädelthieren sind nun die
Gnathostomen abzuleiten, und zwar zunächst die Fische, als die ältesten die
Selachier, darauf folgend die Ganoiden, schliesslich die Teleostier (Knochenfische),
welche sich aus einem Zweige der jüngeren, jurassischen Ganoiden entwickelt
haben; ..." Haeckel Ernst. Systematische Phylogenie der Wirbeltbiere (Vertebrata). Berlin, 1895
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Ernst Haeckel, Stammbaum der Wirbeltiere, 1905, Quelle: Wikipedia

Das Neunauge, ein urtümlicher Fisch, ist für Evolutionsbiologen interessant insofern, als er keine paarigen Seitenflossen hat, aus denen sich vermutlich die vier Extremitäten der Amphibien und Landbewohner entwickelten. Neunaugen haben jedoch eine in einen vorderen und einen hinteren Abschnitt eingeteilte Rückenflosse. Bei der Untersuchung von Gensequenzen wurden dennoch ähnliche Sequenzen wie bei Fischarten mit Seitenflossen gefunden. Daher wird vermutet, dass dasselbe genetische Programm, das für die Bildung der Mittelflossen zuständig ist, an anderer Stelle wiederverwendet wurde, und so die paarigen Seitenflossen, später die 4 Extremitäten der heutigen Wirbeltiere, entstanden.
 
Vermutlich vor den echten Seitenflossen gab es bereits seitliche Hautfalten ohne inneres Skelett, z.B. Brustfalten bei den Osteostraci, auch Cephalaspidiformes genannt. Diese kieferlosen Wirbeltiere, deren früheste Vertreter im Silur lebten, hatten eine Chorda Dorsalis und einen Kopfpanzer. Bei den frühen Formen war auch noch der Rumpf teilweise gepanzert, nach der Rückbildung des Rumpfpanzers konnten sich dann wohl seitlich vom Kopfpanzer durch Muskeln gestütze Seitenflossen ohne Skelett entwickeln.
Bei den Acanthodii, die bereits zu den Kiefermäulern (Gnathostomata) gehören, traten dann skelettgestützte Brust- und Becken- oder Bauchflossen auf.
"Placanthodi und Acanthodii experimentierten mit neu entwickelten paarigen Extremitäten, die von steifen Flossen (Arthrodira) zu gelenkigen Waffen (Antiarchi) und multiplen Dornen (Acanthodii) reichten (Abbildungen in Kap. 3). Ein komplexes Hautskelett wurde manchmal durch ein knorpeliges Innenskelett ergänzt." (Milton Hildebrand, George E. Goslow, Vergleichende und funktionelle Anatomie der Wirbeltiere, Berlin 2003)
 
Ein großer Teil der heutigen Knochenfische gehört zu den Strahlenflossern (Actinopterygii), deren Name von den tragenden Elementen ihrer Flossen abgeleitet ist, aber die Vorfahren der Landwirbeltiere entstammten der zweiten Klasse der Knochenfische, den Muskelflossern (Sarcopterygii), zu denen die heutigen Lungenfische und Quastenflosser gehören. Ihre fleischigen Seitenflossen haben jeweils einen durch Muskeln gestützten Stiel mit einem Knochen, der mit dem Schulter- und dem Beckengürtel verbunden ist, und aus dem die Oberarm- und Unterarmknochen der späteren Wirbeltiere entstanden.
 
Die Vorbereitung des Landgangs der Wirbeltiere begann im Devon, vor ca. 400 Millionen Jahren.
Die heutigen Lungenfische können durch die zur Lunge umgebildete Schwimmblase in einer Schlammkapsel Trockenzeiten überleben, indem sie durch Luftkanäle im Schlamm atmen. Etwas anders könnte die Überlebenstechnik des australischen Lungenfischs (Neoceratodus forsteri) sein, von dem berichtet wird, dass er mit besonders kräftigen Brustflossen in Trockenzeiten über Land springen kann, um das nächste noch verbliebene Gewässer oder die nächste Pfütze zu erreichen. Ähnlich versuchten es wahrscheinlich die zu den Muskelflossern gehörenden Rhipidistia in den Gewässern des Devonzeitalters.
Bevor die Wirbeltiere an Land gingen, wurde der vierbeinige Gang vermutlich schon am Boden der Gewässer von den damaligen Lungenfischen eingeübt. Auch heutige Lungenfische können sich auf diese Weise fortbewegen, indem sie sich mit den Flossen rhythmisch vom Boden abstoßen. Dabei entstehen ähnliche Spuren im Untergrund wie beim Gang eines Landtieres mit vier Beinen, die abwechselnd bewegt werden. Manche fossilen Abdrücke, die ursprünglich für Spuren von Vierbeinern gehalten wurden, stammen daher vermutlich von Fischen. (Fische beherrschten Vierbeinergang, National Geographic, Artikel vom 14.12.2011)
 
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Lungenfisch, G.H.Ford 1856, Proceedings of the Zoological Society of London, Quelle: Wikimedia Commons

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Wirbeltiere des späten Devon, Quelle: Wikimedia Commons
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Gegen Ende des Devonzeitalters tauchten die ersten amphibienähnlichen Tiere auf, wie Tiktaalik, Acanthostega und Ichthyostega. Bald darauf begann der Landgang auf vier Beinen, und es entwickelte sich die Artenvielfalt der Landwirbeltiere.
 

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