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Virtuelles Magazin 2000


Ralf Witthaus
 
DIE INTERNATIONALE RASENSCHAU 2013
 
Das Friedensdenkmal, oder: Gott mit uns
Rasenmäherzeichnung am Völkerschlachtdenkmal
 
Buchstaben im Rasen, offensichtlich Worte, die Touristen und Spaziergänger fragen mich: „Was steht da? ...in welcher Sprache?“ Ich frage die Besucher zurück: „Was ist das für Sie?“ und deute auf den steinernen Klotz am Kopfende.
Die Buchstaben sind 5 Meter hoch, wie eine Banderole ziehen sie sich rund auf den Hängen vor dem Völkerschlachtdenkmal. Die Ästhetik des Textes hat einen Bruch in der Typografie: Einige Buchstaben rutschen herunter, oder sind gedreht. 
Die Leute stehen so unmittelbar vor den großen Buchstaben, dass sie nur langsam alles erfassen können. Der Text wird Stück für Stück erlaufen. Also wandert der Blick auf die andere Seite des Sees, hier sehen sie die andere Hälfte der künstlerischen Arbeit auf einen Blick. Die Zeichnung verbindet sich visuell dort mit den vielen Besuchern des Monumentes, die vor den zwei großen Textzeilen herlaufen. 
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Die Kunst ist aufwändig, zweieinhalb Wochen arbeitet das Team an der Realisation der über 140 Buchstaben. Erst Hitze, bis 35,5 Grad, Tage später dann Gewitter, Regen und Abkühlung. Die Hänge sind steil, die Füße gewöhnen sich nur schwerlich daran. Jeden Tag kommt mehr Text an die Hänge. Nach und nach auch Sprachen, die die meisten Besucher lesen können. Sie erkennen den Satz: Gott mit uns. Trotzdem fragen sie nach dem Warum. Und ich frage zurück nach dem Was: Was für sie das Völkerschlachtdenkmal bedeutet.
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„Ein Mahnmal für die Opfer der Völkerschlacht“, das ist die übliche, erste Antwort der Besucher auf meine Frage. Aber dann folgen noch viele unterschiedliche Aspekte, bei jedem andere. Für die einen ist das Monument ein Kriegsdenkmal, für die anderen ein Friedensdenkmal. Manchmal fallen die Begriffe unreflektiert, manchmal wohl überlegt. Dann folgen andere Geschichten: Innerhalb der letzten 100 Jahre ist das Völkerschlachtdenkmal von allen Herrschaftsformen für ihre Zwecke vereinnahmt worden. Viele Menschen, die mich ansprechen, haben eine eigene Geschichte zu dem Monument, wie sie es jetzt erleben und früher erlebt haben. Vor allem zu den Zeiten der DDR. Dazu kommt weiteres: Der Ort ist verwoben mit Geschichten über die Freimaurer, die mit großem Engagement das Bauwerk vor über 100 Jahren voran getrieben haben. 
Über das Denkmal zu reden, das bedeutet immer wieder Zeitsprünge im Gespräch zu haben: Einige Menschen sind sich bewusst, dass vor über 200 Jahren viele Hoffnungen mit Napoleon verknüpft waren, auch wenn er in erster Linie das Interesse hatte, seine Macht auszubauen. Es kamen mit seinen Leuten fortschrittliche Ideen der französischen Revolution mit nach Deutschland: Vor allem die Gleichheit vor dem Gesetz, also verbriefte Menschenrechte, der Code Civil. Dass die anderen europäischen Monarchen ein starkes Interesse daran hatten, dass die neuen Tendenzen aus Frankreich schnell wieder verschwinden sollten, steht für geschichtlich Bewanderte ebenfalls im Kontext zu dem Denkmalsbau.
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Dann beginne ich den Leuten zu erzählen, was wir hier machen: „Im Rasen entsteht ein Friedensdenkmal - Ich habe mich gefragt, wie sieht das 2013 aus? An diesem Ort.“ Und dann beginnen sie neu hinzuschauen.
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In dem Vorjahr des ersten Weltkrieges ist das Völkerschlachtdenkmal nach 15-jähriger Bauzeit eröffnet worden. Der Kaiser war ästhetisch nicht ganz so überzeugt, er hatte sich wohl etwas Wilhelminisches gewünscht, aber es passte ihm in die politische Situation und er funktionalisierte es für seine militärischen Interessen.
In diesem Licht lese ich die großen Worte, die mitten auf dem Völkerschlachtdenkmal stehen: Gott mit uns. Deutschland hat 1913 noch nicht lange den Flickenteppich überwunden. Jemand erzählte mir vor Ort, man habe mit der Argumentation das Geld gesammelt, dass es ein Denkmal für alle Deutschen werden sollte. Der Zeitgeist tut bei der Ästhetik sein übriges dazu, nicht nur in Deutschland hat man solche Monumente gebaut, und Ritter waren diesbezüglich wohl einfach gerade „in“.
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Gott mit uns – das ist seit 1701 der Wahlspruch der preußischen Krone. Man stattete u.a. jeden preußische Soldaten auf seinem Gürtelschloss mit diesem Spruch aus, das hat Traditionen noch bis zu den Kreuzrittern. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wird man damit aufhören. Wahrscheinlich ist diese Formel so alt wie unsere Geschichtsschreibung, sie erinnert mich an: „Mögen die Götter mit uns sein!“ – Letztere Version trägt aber Freiraum für den Zweifel, ob dem denn so wirklich ist.
 
Gott kann man nicht vereinnahmen, Gott ist für alle da. Im Zusammenhang mit Krieg wird dies eigentlich ganz schnell deutlich. Gemeinsam mit dem Team schreibe ich „Gott mit uns“ in allen Sprachen, die an der Völkerschlacht beteiligt waren auf die inneren Hänge des Völkerschlachtdenkmals. 
 
Ralf Witthaus, 17. Juli 2013
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Weiterführende Links:
 
Artour/MDR - Film zum Projekt (3min38):
http://www.mdr.de/mediathek/suche/video132104_zc-485c01ae_zs-d23ba9ff.html
 
Das Kunstprojekt findet im Rahmen des Leipziger Gartenprogramms 2013 statt:
http://www.garten-leipzig.net/stiftung/2013_Witthaus.asp
 
Mehr Fotos:
www.ralfwitthaus.de
 
Facebook:
www.facebook.com/Rasenmaeherzeichnungen