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Virtuelles Magazin 2000

 


Alexander Gierlings

 

Gemeinsam Gestalten – wie wir uns sehen

Beobachtungen, Betrachtungen, Gedanken zu einem Kunstprojekt mit Menschen geistiger Behinderung

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Parallel zu einem Kunstprojekt mit Jugendlichen Straftätern in der JVA-Herford in Form einer großen zweiteiligen Holzskulptur (über die ebenfalls eine Dokumentation in Arbeit ist), entstand Ende letzten Jahres unabhängig davon, in der Werre-Werkstatt der Detmolder Lebenshilfe im Zeitraum von drei Monaten eine Holzskulptur durch Menschen mit überwiegend geistiger Behinderung als Auftragsarbeit für die Burgwallanlage in Horn bei Detmold, die im Laufe dieses Frühjahres platziert und der Öffentlichkeit übergeben wird.

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Wie der Projekttitel schon erahnen lässt, waren die Autoren dazu aufgerufen, sich in Gestalt bzw. in mehreren Gestalten einer Skulptur gegenseitig bildlich festzuhalten bzw. darzustellen.

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Im Rahmen eigener Beobachtungen mit künstlerisch-pädagogischer Ausrichtung, interessierte mich insbesondere, in wie weit ein räumliches Vorstellungsvermögen vorhanden bzw. vielleicht auch erlernbar ist und wie Formen und Objekte von Menschen mit Behinderung wahrgenommen werden, wie und ob sich die vereinfachte Umweltwahrnehmung auf die Art der Gestaltung, ihres schöpferischen Schaffens und ihrer Ideen auswirkt und ob sie eine besondere Art der abstrakten Wahrnehmung besitzen. Des Weiteren wollte ich nur begrenzt (die Gelegenheit der täglichen Nähe nutzen) in Anlehnung daran, der Frage nach(zu)gehen, in wie weit Menschen mit Behinderung ihr soziales Umfeld, die gesellschaftlichen Strömungen, Verhaltensweisen wahrnehmen, nachahmen, kritisch betrachten oder nach welchen Kriterien sie diese beurteilen bzw. einschätzen.

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Im Allgemeinen haben Menschen mit geistiger Behinderung ein kindliches Gemüt und oft auch eine kindliche Ausdrucksweise. Dennoch unterscheidet sie sich gleichzeitig auch durch ihr erlerntes Wissen z.B. im individuellen Vergleich des äußerlichen Erscheinungsbildes mit Gleichaltrigen (ohne Behinderung). So stellen sie sich mit zunehmendem Alter eher mit äußerlich Gleichaltrigen (z.B. Erwachsenen) gleich als mit Gleichaltrigen im Geiste, jedoch unter Beibehaltung der kindlichen Ausdrucksweise und der oft von der Umwelt wahrgenommenen unkalkulierten, unvoreingenommenen, vor allem unkontrollierten Direktheit, welche umgangssprachlich ausgedrückt "Dinge beim Namen" nennt, wie sie (in ihrer Wahrnehmung) sind.

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Beeindruckt von ihrer Phantasie durch ihre besondere Wahrnehmung der Umwelt zusammen mit dem Erlernten und einem antrainiertem abstrakten Denken, was beispielsweise durch die Vielfalt der Formen und Gestalten, die sie in einem natürlich gewachsenen oder –entstandenen Gebilde, sehen, deutlich wird, widmete ich meine Aufmerksamkeit dieser für mich besonderen Art der Betrachtung und lauschte während der gemeinsamen Projektarbeit ihren kindlichen Äußerungen über ihre Beobachtungen bestimmter Verhaltensweisen und -muster, die jedwedem Zusammenhang, jedweder Logik entzogen zu sein schienen. Mein Nachfragen machte jedoch deutlich, dass ihre Äußerungen lediglich auf ein Mindestmaß an Information reduziert waren, wenn sie auch in kindlicher Sprache wiedergegeben wurden aber so enthielten sie dennoch einfache, erlernte Schlussfolgerungen.

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Umgeben von ständigen Klopfgeräuschen herrschte immer eine fröhliche wie kommunikative, kreative wie konzentrierte, freundlich vertraute wie entspannte Atmosphäre, die mir mittels Gesprächsthemen, die ich anregte, einen erweiterten Blick für das Innwendige gab und mir zeigte, wie sehr diese unkompliziert gestrickten Menschen ein vereinfachtes, auf seine wesentlichen Urtriebe zurückführbares, Spiegelbild gegenüber der Menschen dieser kompliziert- und bigott bis scheinwahrend konstituierten Gesellschaft, imstande sind dazustellen, zumal der Übergang von vermeintlich behinderten Menschen, auf die menschenursprüngliche Triebebene zurückgeführt, bis zu vermeintlich normalen Menschen, allzu oft fließend ist. So entspricht ihre vereinfachte Wahrnehmung und Anschauung auch der Gestaltung und dem archaischen Ausdruck der geschnitzten, freigelegten Figuren, die unweigerlich an Skulpturen der Azteken und Naturvölker erinnern, gleichzeitig aber eine unverwechselbare Sicht- und Darstellungs-weise des Menschen unserer Zeit zum Ausdruck bringen und daher als zeitgenössisch künstlerisch ebenbürtige Arbeiten eingeordnet und werterachtet werden müssen.

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