Hartwig Reinboth

Zur Eröffnung der Ausstellung "20 Jahre Verein für aktuelle Kunst" / Simeonskirche 28. 10. 2012

Fotografien von Alfred Loschen

Hier in der Simeonskirche präsentiert sich die zweite Ausstellung in der Abfolge der Ausstellungen, mit denen wir das zwanzigjährige Bestehen unseres Vereins für aktuelle Kunst feiern. Zwei weitere Ausstellungen werden noch an anderen Orten folgen.

Unser ursprünglicher Gedanke war: wir machen eine große Ausstellung an einem Ort. Nun sind es vier kleinere geworden. Der Grund ist einfach: es gab für uns keinen Ort für eine große Ausstellung. Einen permanenten Ausstellungsort für Kunst gibt es ja hier in Minden bekanntermaßen nicht.
So haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und uns mit unseren Ausstellungen im ganzen Kreisgebiet verteilt.

Unter anderem hat uns die Simeonskirche Asyl gewährt. Kirchenasyl für Kunst also. Dafür sind wir sehr dankbar. Das Bemerkenswerte an diesem Ort ist es ja, dass eine Kirche in besonderer Weise zu einem Kulturort umgewidmet ist, der seine kirchliche Identität dadurch aber nicht preisgibt, sondern von dieser Identität her eine Öffnung zu einem breiten Spektrum kultureller Aktivitäten betreibt, die zu immer wieder neuen interessanten Dialogbeziehungen führt.

Diese Offenheit zeigt sich in der Bereitschaft der Verantwortlichen, die Kunst hier einzulassen und ihr auch dadurch Raum zu geben, dass mobile Teile der Ausstattung, also etliche Möbel, Stellwände und Bilder temporär beiseite gestellt werden können. Dies ist nicht einfach eine Kunstausstellung in einer Kirche, sondern eine Ausstellung in der Kirchenraum und Kunstwerke für die Dauer der Ausstellung zu einer neuen Ganzheit zusammenfinden sollen. Pastor Brügmann und dem Kuratorium ist für ihre Bereitschaft zu dieser Form der Präsentation zu danken.

Die Arbeiten, die hier ausgestellt sind, wurden nicht eigens für diese Ausstellung geschaffen, sie geben eher einen gewissen Einblick in die Arbeitsweise der vertretenen Künstlerinnen und Künstler. Das scheint dem, was ich eben gesagt habe, zu widersprechen. Wie soll diese zeitweilige neue Einheit entstehen, wenn einfach nur bestehende Kunstwerke in den Raum gebracht werden?

Die Antwort liegt zunächst in der Auswahl der Arbeiten: allen Beteiligten war bewusst, dass hier nicht ein neutraler Ausstellungsraum bespielt wird, sondern eine Wechselwirkung von Raum und Exponat zu beachten ist. Zudem haben einige der hier Ausstellenden ganz generell das Arbeitsprinzip, künstlerische Arbeiten in Wechselwirkung zum jeweiligen Umgebungsraum zu gestalten oder neu zu arrangieren.

DietmarLehmann

Die Arbeit von Dietmar Lehmann beispielsweise zeigt dieses künstlerische Verhalten auf gut nachvollziehbare Weise. Seine Arbeit "What has happened to god?" ist bestimmt einigen der Anwesenden noch gut in Erinnerung von der letzten Kunsträume-Ausstellung in der Martinikirche her. Dietmar Lehmann hat dieselben Materialien und Elemente wieder verwendet, und doch ist eine neue Arbeit, eine anders geartete Variante entstanden.

Dadurch, dass das Arrangement konkret und abgegrenzt auf die Altarstufe des Hauptaltars bezogen ist, ergibt sich eine andere Form und ein anderer Ortsbezug. Besonders eindrücklich ist hierbei die entstandene Beziehung der Kruzifix-Figuren am Boden zu der Gestalt des Gekreuzigten auf dem Altarbild.

Aber auch die Mitwirkung des Kirchenraums bewirkt eine markante Veränderung der Arbeit. Beim Aufbau der Arbeit zeigte sich, dass bei ausgeschalteten Leuchtelementen die Spiegelung des farbigen Lichts aus den Kirchenfenstern in den Glassplittern am Boden eine neue Wahrnehmungsqualität erzeugte, sodass jetzt zwei Präsentationszustände im Wechsel denkbar sind: mit eigeschalteten und mit ausgeschalteten Lichtquellen.

Dietmar Lehmann versteht seine Arbeit, verdeutlicht noch durch den Titel, als kritische Anfrage an christliche Glaubensüberzeugungen und christliche Praxis. Gleichzeitig hat er aber damit die Frage angesprochen, die durch das Ereignis der Kreuzigung, diesem scheinbaren Symbol des Scheiterns, die Anhänger Jesu von Anfang an umgetrieben hat: was ist mit Gott geschehen und was lässt ein Gott mit sich geschehen, der sich so rückhaltlos auf den Menschen und seine Lebensverhältnisse einlässt - bis hin zu diesem absoluten Tiefpunkt? (Und warum ist dieser Tiefpunkt nicht das letzte Wort, das über den Menschen und über Gott gesagt werden kann?)

Gudrun Wentz hat drei Boote aus Terrakotta aufgestellt, "Arche Noah", "Hausboot" und "Wikinger-boot" betitelt. Die "Arche Noah" fügt sich unmittelbar in die Erzähltradition jüdisch-christlicher Überlieferung ein: das Schiff als Arche, als Bewahrungskapsel des Lebens in einem Unheilsszenario. Hier allerdings in einer schon beinahe palastartigen Variante: Noah hat sich seine Arche offenbar als Dauerbehausung hergerichtet. Das "Hausboot" ist, obwohl es weitaus schlichter, fast ein wenig baufällig gestaltet ist, der Arche in gewissem Sinne verwandt: ein Beherbergungsort, in Abgrenzung zur Außenwelt - auch wenn diese nicht katastrophisch gedacht werden muss. Immerhin: das Haus-boot ist potentiell auch beweglich: man kann diesen Beherbergungsort auch verlagern und von dort aus eine neue Außenwelt erkunden.

GudrunWentz

Gudrun Wentz hat drei Boote aus Terrakotta aufgestellt, "Arche Noah", "Hausboot" und "Wikinger-boot" betitelt. Die "Arche Noah" fügt sich unmittelbar in die Erzähltradition jüdisch-christlicher Überlieferung ein: das Schiff als Arche, als Bewahrungskapsel des Lebens in einem Unheilsszenario. Hier allerdings in einer schon beinahe palastartigen Variante: Noah hat sich seine Arche offenbar als Dauerbehausung hergerichtet. Das "Hausboot" ist, obwohl es weitaus schlichter, fast ein wenig baufällig gestaltet ist, der Arche in gewissem Sinne verwandt: ein Beherbergungsort, in Abgrenzung zur Außenwelt - auch wenn diese nicht katastrophisch gedacht werden muss. Immerhin: das Haus-boot ist potentiell auch beweglich: man kann diesen Beherbergungsort auch verlagern und von dort aus eine neue Außenwelt erkunden.

Das "Wikingerboot" legt den Akzent auf diesen Erkundungsdrang. Aber wer z.B. vor den in Oslo ausgestellten restaurierten Wikingerschiffen steht kann sich wohl nur annäherungsweise vorstellen, was es heißt, in einem solchen fragilen Gefährt bis nach Grönland zu reisen.
Das Boot als Metapher für die Lebensreise ist in allen drei Plastiken angesprochen.

UrsulaGebert

Ursula Gebert hat eine zurückhaltende, stille Arbeit im Chorraum der Kirche platziert. Bild und Objekt zugleich, bringt die Arbeit den Betrachter in eine ungewöhnliche Position des Anschauens von oben. Betrachtet er die Bilder, muss er sich auf die Sprache des Materials - Asphalt, Wachs, Beton, Papier auf Leinwand - einlassen. Jede Buntheit ist vermieden und trotzdem ist eine reiche Bild-struktur entstanden, mit geheimnisvollen Bildzeichen in einem Zwischenbereich von Werden und Vergehen. Löst sich der Blick von den Bildtafeln, tritt das Kreuzzeichen hervor, das die Zwischen-räume der Tafeln bilden. Was ist die Hauptmitteilung? Die Tafeln oder dieser Zwischenraum, der mehr ist als Leere, so wie Pausen in einem intensiven Gespräch mehr sind als das Aussetzen des Gesprächs? Das Entscheidende liegt vielleicht im Ungesagten. "Zwiegespräch I - IV" nennt Ursula Gebert ihre Arbeit.

GunnarHeilmann

Gunnar Heilmann zeigt eine Serie von Arbeiten, die er gemacht und auch wieder nicht gemacht hat. "Brandzeichen - Glut auf Papier" heißen die Bilder ganz nüchtern. Der Vorgang der Bildentstehung ist damit benannt: Glut von Kohlestücken, auf Papier gelegt, hat sich in das Papier eingebrannt und so Brandzeichen hinterlassen. Teilweise haben mehrere Lagen von Papier die Glut angenommen und so sind verschiedene Intensitätsgrade von Einbrennungen entstanden. Der Künstler hat einen Prozess arrangiert und in Gang gebracht, der dann nach eigenen physikalischen Gesetzen zu Spuren und Zeichen im Material geführt hat, die im Auge des Künstlers und im Auge des Betrachters bildhaft gelesen werden können.

Die Schönheit dieser Bildfelder ist aber kein Ergebnis des physikalischen Vorgangs. Sie ist Ergebnis der Empfindungsfähigkeit des menschlichen Sehens, das ja auch kein bloßer physiologischer Vorgang ist, sondern die Außenwelt mit der inneren Tiefe des Menschen verknüpft. Die künstlerische Haltung, die zu solchen Bildern führt, ist zurückhaltend bis hin zur Demut: sie ist, nach Festlegung des Arrangements, mehr ein Geschehenlassen als ein Handeln. Das künstlerische Handeln setzt wieder ein beim Betrachten, Arrangieren und Präsentieren des Entstandenen - wie hier in behutsamer Abstimmung zu den Gegebenheiten des zur Verfügung stehenden Raumes.

UlrichKugler1

Ulrich Kügler hat ein Arrangement aus Kleidungsstücken in den zentralen Raum des Kirchenschiffs gelegt. In der Mitte liegt ein Ring aus weißen Unterhemden, alle getränkt mit bräunlichen Flecken: eingetrocknetes Blut. An den Hemden sind kleine Schilder befestigt; sie könnten Namen tragen, aber sie sind leer. Relikte ausgelöschten Lebens, Hinterlassenschaft von Gewaltopfern? Aber warum sind sie in dieser fast rituellen Weise ausgelegt? Welche Schlüsse könnte ein geschulter Ermittler daraus ziehen?

 

 

 

Über diesem Ring aus Kleidungsstücken schwebt ein zylindrisches Objekt, ummantelt mit farbigem Papier. Es erinnert an einen Lampion, aber es sendet kein Licht. Es schwebt wie unbeteiligt über dem Textilkreis, ohne darauf einzuwirken, aber doch in einer geheimen Beziehung dazu stehend. Wird gleich ein Lichtstrahl auf den Boden gesandt? Oder ist da ein Lautsprecher, aus dem eine Botschaft oder ein Signal nach unten gesandt wird? Befindet sich eine wahrnehmende, registrierende Apparatur in diesem Zylinder? Der Zylinder hält den Raum über dem Textilkreis besetzt. Ohne ihn wäre da nur Leere. Bleibt das schwebende Objekt inaktiv oder ist doch etwas von ihm zu erwarten?

UlrichKugler

Abseits von den befleckten Unterhemden liegen am Fuß einer Säule ordentlich aufeinander gestapelte Oberhemden. Gehörten Sie den Trägern der Unterhemden? Liegen sie dort für jemanden bereit? Die Hemden vermitteln die nüchterne Ordnung eines Kleiderschrankes - im Gegenüber zur mysteriösen Anordnung der befleckten Unterhemden. Auf den Hemdenstapel liegen - wie vorläufig abgelegt - Drahtseile. Man vermutet, sie sollen erst noch ausgespannt und dann vielleicht behängt werden. Wozu werden die Drahtseile dienen - einem harmlosen Zweck oder einer Zumutung?

Alle Gegenstände des Arrangements - mit Ausnahme des zylindrischen Objekts unter dem Gewölbe - sind alltäglicher Herkunft und leicht zu identifizieren. Und doch ist ihr Beieinander rätselhaft und vieldeutig. Eine Vielzahl von Fragen und hypothetischen Deutungen wird angestoßen, ohne Aussicht auf eine abschließende Decodierung. Ulrich Kügler hat seine Arbeit dem Kontext seiner umfassenden Werkgruppe "Pilot im Chaos" zugeordnet.

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Jörg Boström zeigt Malereien auf der Schwelle von Gegenständlichkeit und Abstraktion in einem Wechselspiel von Sichtbarem und Nichtgezeigtem. "Minden Schatten" oder "Mindener Schatten" heißt die Bildserie. Erkennbar sind die deformierten Schattenwürfe von Passanten auf dem Straßenpflaster. Die Personen, die den Schatten werfen, erscheinen - abgesehen von dem größeren Bild, das etwas abseits von den anderen hängt - nur ausschnitthaft im Bild. Man erkennt den Blick des Fotografen hinter dem Maler. Der Fotograf ist es gewöhnt, mit seinem Blick nicht am vorder-gründigen Motiv zu haften, sondern auf die grafische Strukturierung des Sehfeldes zu achten.

Jörg Boström, der Maler, benutzt die Fotografie als Skizzenbuch für die Malerei. Im malerischen Umsetzungsvorgang können die Akzente farblich neu bestimmt, die Formen modifiziert und die Bildwirkung vom Zufälligen, das der Fotografie anhaftet, zum Prägnanten, das die Malerei vermittelt, weiterentwickelt werden. Der Betrachter gerät in einen Wahrnehmungsvorgang, der sich ständig umpolt: betrachte ich die malerische Strukturierung und nehme also das Bild als organische Formeinheit auf, bei der nichts fehlt und nichts hinzugefügt oder weggenommen werden muss - oder betrachte ich das Motiv und fange automatisch an, über die "Eigentümer" der Schatten nachzudenken. Wer wirft hier den Schatten? Hätte ich überhaupt ein Interesse an den Schatten-Eigentümern? Ist ihr Schatten - für mich, jetzt im Moment des Aneinander-Vorbeigehens - nicht vielleicht interessanter als der Passant, der ihn wirft? Ist es wichtig, dass dies Schatten von Mindenern sind? Oder ist das nur eine schlichte Ortsangabe zwecks sachlicher Zuordnung?

Der Schatten: nichts scheint vergänglicher, unbedeutender. Die Geschichte von Peter Schlemihl von Adalbert von Chamisso macht uns das Gegenteil klar: ohne Schatten, keine Existenz. Wer keinen Schatten wirft, ist nicht. Aber zugleich kommt die Erinnerung an Platons Höhlengleichnis auf und damit die Frage, was wir überhaupt erkennen, wenn wir uns der Wirklichkeit mit den Sinnen nähern. Die Bilder von Jörg Boström verweisen den Betrachter zunächst an die Sinne: sie sind Augen-ereignisse. Aber darüber hinaus verweisen sie den Betrachter auf die Notwendigkeit des Nach-denkens über die Wahrnehmung. Was bestimmt meine Wahrnehmung? Wohin führt sie mich? Was ergänze ich permanent und unwillkürlich? Was blende ich dabei ebenso unwillkürlich aus? Was also ist wirklich und inwieweit bin ich der Wirklichkeit überhaupt gewachsen?

Mit der Wirklichkeit setzt sich auch die Arbeit von Annelene Schulte auseinander - mit der Wirklichkeit, wie sie uns die Medien vermitteln. "Unsere tägliche Nachricht" ist ein Projekt betitelt, das Annelene Schulte seit einigen Jahren kontinuierlich betreibt. Ausgangspunkt ist dabei der Nachrichtenfluss, der aus Zeitungen, Fernsehen und Internet auf uns zuströmt - über uns hinwegströmt. Annelene Schulte greift diejenigen Nachrichten auf, die für sie aus diesem Strom herausragen, sich bei ihr festsetzen oder die sie aktiv und bewusst daraus herausgreift.

AnneleneSchulte

Sie setzt den Nachrichtenbildern, die sie auf diese Weise herausfiltert, die langsamere, ältere und individuellere medialität der Zeichnung entgegen. Indem sie sich die hervorgetretenen, sich aufdrängenden oder bewusst gewählten Nachrichtenbilder zeichnerisch aneignet, bringt sie ein humanes Element ein, dass in den Medienbildern oft fehlt. Zeichnen bedeutet ja notwendigerweise Anteilnehmen. Was ich gezeichnet habe, ist auch in mir verzeichnet.

Andererseits vermeidet Annelene Schulte einen zeichnerischen Stil, der das Gezeichnete zur rein subjektiven Mitteilung schrumpfen lässt. Die Zeichnungen verbinden das Manuelle des Zeichnens mit der Ästhetik des vorgefundenen Bildes. Das Medienbild scheint durch die Zeichnung hindurch. Zugleich sind die Zeichnungen auf mattem Transparentpapier aufgebracht. Das Gezeichnete erschein in einem diffusen Ungefähr - wie eine Mattscheibe. Die Mattscheibe bleibt transparent, jedenfalls halbtransparent. Die Herkunft der Nachricht, ihr Kontext könnte dahinter erscheinen - oder bereits die nächste Nachricht, das nächste Gesicht, wie es hier der Fall ist.

Die Zeichnungen sind in den Raum über Kopfhöhe als gestaffelte Reihe gehängt. Das entspricht der Immaterialität des Transparentpapiers, auf das sie gezeichnet sind. Sie schweben jetzt im Raum. Sie werden diesem Kirchenraum in gewissem Sinne anvertraut. Heißt das, dass sie auch noch einem anderen Auge als nur den Augen der menschlichen Betrachter vorgehalten werden sollen?

Isolde Merker stellt Buchobjekte aus handgeschöpften Papier aus. Sie hat diese Buchobjekte wie wertvolle Preziosen in vitrinenartige, schreinartige Rahmen platziert und präsentiert sie als Dreiergruppe mit akzentuierter Mitteltafel, also wie ein Triptychon, die aus der kirchlichen Kunst her vertraute Altarform. Isolde Merker hat diese Zuschreibung im Gespräch zunächst einmal zurückgewiesen: es sind drei unabhängig entstandene Arbeiten; das Arrangement ist ästhetisch begründet. Das ist so zu verstehen, dass die Objekte zunächst einmal um ihrer selbst Willen und in ihrer Eigenart betrachtet werden sollen und nicht gleich überführt werden sollen in Interpretationskontexte, die durch diesen Ausstellungsort ins Spiel gebracht werden und die dann übermächtig wirken. Das ist zu respektieren!

IsoldeMerker

Aber an der Prägekraft des Raumes kommt die Arbeit von Isolde Merker nicht vorbei und hier an diesem Ort zumindest entstehen dann die assoziativen Verknüpfungen, die Isolde Merker natürlich auch bewusst sind und die bei der Auswahl der Arbeiten eine Rolle gespielt haben werden. Das Buch ist im Raum der Kirche nicht ohne Bezug zu den wertvollen Codizes, Folianten, Bibeln zu sehen. Die Präsentation in Schreinen - eben wie Reliquien mit bedeutsamer Aufladung. Das Triptychon als Weiheform der Präsentation zentraler Botschaften und Vergewisserungen.

Aber die Abstraktheit der Arbeiten, ihre intensiv spürbare Materialität, lösen sie dann doch auch wieder aus einer zu engen Verknüpfung mit diesen Bezugspunkten heraus. Es sind dann doch keine vordefinierten "Heiligen Schriften" und keine "heiligen" Objekte, sondern individuelle Schöpfungen, denen die Freude am Herstellungs- und Gestaltungsprozess anzusehen sind. Wie gesagt: sie sollen zunächst und - dann wieder - um ihrer selbst Willen betrachtet werden.

Hartwig Reinboths Arbeit ist 2009 zu sehen gewesen im Rahmen der damaligen Kunsträume-Ausstellung. Sie hing an der dem Dom zugewandten Rückfront des Mindener Rathauses, also im öffentlichen Raum. Nun ist sie in den geschützten Innenraum der Simeonskirche eingewandert. Sie hat hier eine andere Wirkung. Einerseits ist sie hier monumentaler, denn man ist ihr näher konfrontiert, andererseits muss sie sich mehr fügen, der Raum bestimmt ihre Wirkung deutlich mit. Ästhetisch ist die Verbindung über die blaugraue Gesamtfarbigkeit gewährleistet, die das Bild trotz seiner Größe in den Kontext einfügt. Das Bild behauptet sich - ohne zu dominieren.

Das Bildmotiv ist eine Nachstellung der berühmten Kriegsfotografie von Joe Rosenthal, das er 1945 nach der Eroberung der Pazifikinsel Iwo Jima aufgenommen hat. Jeder kennt dieses Bild, das eine Nachstellung der eigentlichen Flaggenaufstellung zeigt - von Rosenthal überlegt ins Bild gesetzt. Es hat die Sicht auf die Realität des Pazifikkrieges maßgeblich mitbestimmt und überlagert.

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HartwigReinboth

Hartwig Reinboth hat dieses Foto in der Form eines tableau vivant von Freunden nachstellen lassen - jetzt aber als zivile Flaggenaufrichtung mit einer Friedensbotschaft. Die Friedensbotschaft ist ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium und verweist auf die Verankerung menschlicher Friedens-bestrebungen in der Ermöglichung eines umfassenden Friedens durch Gott. Die Verbindung zu diesem kirchlichen Raum, insofern er ein Ort ist, der diese Hoffnung auf einen umfassenden Frieden wachhalten soll, ist damit bezeichnet, wenngleich das Zitat für den, der es kennt, diese enge Verknüpfung nicht braucht. Diese zivile Flaggenaufrichtung könnte überall vorgenommen werden. Syrien wäre kein schlechter Ort dafür. Oder Mali. Oder Palästina. Oder, oder ..

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