Zum Inhaltsverzeichnis

Virtuelles Magazin 2000


Annette Bültmann
 
Höhlen im Computerzeitalter
 
Virtuell begehbare Höhlen gibt es im Internet bisher großenteils in Form von Foto-Rundgängen, bei denen z.B. auf einem Grundriss der Höhle interessante Punkte markiert sind, beim Anklicken kann man dann Fotos aus diesen Bereichen sehen. Auch Kamerafahrten und Fotopanoramen sind manchmal zu finden, aber es gibt auch Versuche, dreidimensionale Modelle zu erstellen. Software zur Vermessung von Höhlen ermöglicht teilweise die anschließende Ausgabe als dreidimensionales Modell. Das scheint bisher noch weitgehend den Höhlenforschern und Experten vorbehalten zu sein. Vermessungsdaten werden bei Begehungen von Höhlen gesammelt, und am Computer eingegeben. Dafür gibt es diverse Programme, Cave Mapping Software für Höhlenforscher, zur Eingabe von Koordinaten, und Ausgabe von dreidimensionalen Modellen.
Ein 3D-Modell kann sowohl als Bilderserie, als Kamerafahrt oder auch als 3D-Panorama am Computer zur Navigation des Benutzers mit der Maus dargestellt werden. Das Auge versucht, Höhlenumgebungen zu ertasten. Als in der Experimentierphase befindliche Möglichkeiten, zur Zeit noch auf eine begrenzte Anzahl von Nutzern beschränkt, wären z.B. CAVE "Cave Automatic Virtual Environment", oder VR-Helm und Datenhandschuh, oder Augmented Reality zu nennen.
Verbreitung von Bildern am Computer durch soziale Netzwerke, wachsende Kommunikation und Vernetzung erinnern an Marshal McLuhans globales Dorf, Rückkehr zu einer Form von Stammeskultur, daher eine weitere Verbindung zwischen Urzeit und Computerzeitalter.
fisheye5
fisheye7
fisheye10
Höhlenbewohner und Besucher unterscheiden sich in ihrer Anpassung an den Lebensraum Höhle, und daher auch in ihrer Aufenthaltsdauer in den Höhlen.
Höhlen werden genutzt sowohl von an diese Umgebung völlig angepassten Höhlentieren, z.B. farblosen Insekten, Höhlenasseln, Hundertfüßern und Grottenolmen, den Höhlenbewohnern, und von Höhlenbesuchern, die sich zeitweise in der Höhle aufhalten z.B. zum Schlaf und zur Überwinterung, wie den Fledertieren.
Manche Höhlensysteme werden von ihren Bewohner selbst hergestellt, z.B. von Wühlmäusen, Maulwürfen und Kaninchen. Vom Menschen in Form von Bergwerken.
maulwurf2b
k
d
Steinzeithöhlen wurden von Menschen besucht, die dort wahrscheinlich nur teilweise gewohnt haben, oft in Lagern in Höhlennähe, auch manchmal in den Eingangsbereichen der Höhlen oder unter Felsvorsprüngen. Die tieferen Bereiche der Höhlen, die feucht und dunkel waren, haben sie wahrscheinlich nur kurzzeitig zum Malen aufgesucht. Sie malten mit Ocker und anderen Materialien die bekannten Tierdarstellungen, eventuell in Zusammenhang mit schamanischen Zeremonien, der genaue Ablauf der Erstellung der Kunstwerke ist noch nicht bekannt, obwohl versucht wird, von z.B. Höhe, Größe oder besonderen Merkmalen von Handabdrücken auf den Höhlenwänden auf die Eigenschaften der Künstler zu schließen, die sie erstellt haben.
Noch unklar ist, ob die Höhlen-Hände mit schamanischen Ritualen in Verbindung standen. Eine prähistorische Form des Schamanismus wird inzwischen für wahrscheinlich gehalten, auch wenn noch nicht bekannt ist, inwieweit Übereinstimmungen mit dem heute noch existierenden Schamanismus bestehen.
Auch die Handabdrücke könnten damit in Zusammenhang stehen, so werden sie z.B. von David Lewis-Williams, zusammen mit Jean Clottes Autor des Buchs "Schamanen. Trance und Magie in der Höhlenkunst der Steinzeit", als Versuch der Kontaktaufnahme mit der Geisterwelt hinter den Höhlenwänden betrachtet.
In der Grotte Chauvet wurden riesige Feuerstellen gefunden, so dass vermutet wird, dass die Höhlenmaler dort in Gruppen arbeiteten. Auch von Menschen angelegte Steinformationen mit über 150 Kilo schweren Steinbrocken deuten in dieser Höhle darauf hin, dass dort mehrere Menschen zusammenarbeiteten. Jean Clottes, der mehrere Expeditionen durch die für die Öffentlichkeit verschlossene Höhle leitete, vermutet, dass die Höhlenmaler ihre Bilder schnell malten und gravierten, womöglich innerhalb weniger Minuten, unter anderem aus Angst vor Höhlenbären. Das deckt sich nicht so ganz mit der von Hans Blumenberg vermuteten Atmosphäre von Schutz und Behaglichkeit in den Höhlen. Andererseits spricht das Mitbringen von Kindern in die Höhlen vielleicht nicht unbedingt für große Angst vor Höhlenbären. Anhand von gut erhaltenen Fußspuren in der Grotte Chauvet wurde festgestellt, dass dort vor 26000 Jahren ein 8- 10 jähriger Junge als Beleuchter im hinteren Bereich der Höhle tätig war, der mit knapp einem Meter Höhe zu niedrig für die Begehung durch Erwachsene ist. Es wird anhand der Spuren vermutet, dass der Junge langsam durch den Höhlenbereich ging und die Fackel immer wieder an der Wand abstreifte, um sie vom Ruß zu befreien. (Der Spiegel 45/1999, "Das Genie der Schamanen" von Marco Evers)
Vermutlich wurden nicht alle Höhlenmalereien in kurzer Zeit hergestellt, in manchen Höhlen dauerte das Malen der Kunstwerke sicher länger, z.B. bei den farbig ausgemalten Wisenten an der Decke der Höhle von Altamira, oder bei der bekannten Darstellung des Zauberers von Trois-Frères. Auch die Modellierung von zwei Wisenten aus Ton in der Höhle von Tuc d'Audoubert dürfte einige Zeit in Anspruch genommen haben. In dieser Höhle wurden auch weitere Reste von Tonfiguren gefunden. Wenn die Skulpturen, wie Jean Clottes vermutet, während eines Rituals entstanden sind, würde sich die Frage stellen, wie lange diese Rituale gedauert haben könnten, aber bei den Einzelheiten des prähistorischen Schamanismus bleiben wohl viele Fragen vorläufig noch offen.
Vielleicht gingen die Steinzeitkünstler in die tieferen Galerien der Höhlen um dort Visionen zu erwarten. Die Dunkelheit und der Mangel an äußeren Sinneswahrnehmungen könnten das bewirken, und es wurde auch schon einige Male von Höhlenforschern darüber berichtet. Ein bekanntes Beispiel ist ein italienischer Höhlenforscher namens Maurizio Montalbini, der mehrere Hundert Tage alleine in einer Höhle verbrachte, und am 16. Tag zuerst einen nicht vorhandenen Vogel durch die Höhle fliegen sah, im weiteren Verlauf seines Aufenthalts dann immer mehr und deutlichere Gestalten.
Die häufigsten Motive in der steinzeitlichen Wandmalerei und -gravur sind die Tierarten der eiszeitlichen Fauna, deren Häufigkeit aber nicht unbedingt dem tatsächlichem Vorkommen in der Umgebung der Höhlen entsprechen muss. In manchen Höhlen sind bestimmte Tiere besonders zahlreich dargestellt, wie die Wisente in Altamira, Mammuts in Rouffignac, Raubtiere und Nashörner, die insgesamt nicht allzu häufig vorkommen als Motiv in der Höhlenkunst, sind zu finden in der Grotte Chauvet, so dass schon vermutet wurde, dass diese Höhlen eine Art Heiligtum für diese Tierarten waren.
g
item2
e
Tabellen zum Vergleich der Häufigkeit der Tiermotive in der europäischen steinzeitlichen Wandkunst wurden z.B. von den Forschern André Leroi-Gourhan 1965 und Georges Sauvet 1988 angelegt, die Ergebnisse der beiden Forscher stimmen weitgehend miteinander überein. Danach sind am häufigsten Pferde dargestellt, gefolgt von Wisenten, Steinböcken, Auerochsen, Hirschen, Hirschkühen, Mammuts. Menschendarstellungen, die oft Tier-Mensch-Mischwesen sind, sind weniger häufig, ebenfalls Rentiere, Bären, Löwen, Nashörner und Fische. (Michel Lorblanchet, Höhlenmalerei, Ein Handbuch, Sigmaringen 1997)
Dazu kommen gelegentliche Darstellungen von nicht einzuordnenden oder phantastischen Tieren, z.B. ein Vogel mit Hasenkopf, ein Bär mit Flossen, ein Pferd mit Vogelkopf, ein Einhorn, ein Pferd mit Stierhörnern, eine Hirschkuh mit einem Giraffenhals.
Menschen sind in der Steinzeitkunst eher selten dargestellt, aber wenn doch, dann meist als Mensch-Tier-Mischwesen. So gibt es einen Wisent-Menschen in der Grotte Chauvet, einen Stier-Menschen in Gabillou, und den berühmten Hirschmenschen, oft auch Sorcerer genannt, in der Höhle Les Trois Freres, der Merkmale von mehreren Tierarten mit menschlichen vereint.
Jean Clottes vermutet, dass die Höhlenmaler deshalb fast nur Tiere malten, und auf die Darstellung von Menschen, Bäumen und Landschaft weitgehend verzichteten, weil sie nicht die natürliche, sondern die übernatürliche Welt malten. Er geht davon aus, dass die Höhlenmaler Schamanen waren. So wie auch David Lewis-Williams, der 2002 "The Mind In The Cave: Consciousness and the Origins of Art" veröffentlicht hat, in dem er versucht den Gegenstand zu erhellen, den er selbst für eins der größten Rätsel hält: "There is no greater archaeological enigma than the subterranean art of Upper Palaeolithic western Europe. Anyone who has crouched and crawled underground along a narrow, absolutely dark passage for more than a kilometre, slid along mud banks and waded through dark lakes and hidden rivers to be confronted, at the end of such a hazardous journey, by a painting of an extinct woolly mammoth or a powerful, hunched bison will never be quite the same again. Muddied and exhausted, the explorer will be gazing at the limitless terra incognita of the human mind".
zauberer3