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Virtuelles Magazin 2000


Erik Schönenberg
 
Ralf Witthaus – 1416 Tonnen auf der Hardt
 
Im Mai 2011 wurden die Besucher der Hardtanlagen Zeugen einer irritierenden Performance. Mehrere Männer und Frauen stiefelten in Anzügen und Arbeitsschuhen über das Gelände der ‚Alten Hardt‘, einer stark frequentierten Parkanlage in Zentrumsnähe in Wuppertal, und schnitten mittels Motorsensen Zeichen in das Gras. In rund zehn Tagen entstand ein Werk des Künstlers Ralf Witthaus mit dem Titel „1416 Tonnen“, das der Anlage ein völlig neues Aussehen gab. Zumindest so lange, bis im Wortsinne wieder Gras über die Sache gewachsen war.
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Diese spezielle Form der künstlerischen Praxis entwickelte sich durch einen Zufall. Eigentlich als Zeichner ausgebildet, bekam Ralf Witthaus 1998 die Möglichkeit für die Gestaltung einer Konversionsfläche in Werl und verwirklichte dort eine Schallschutzaufschüttung in Form einer liegenden Figur. In der Vorbereitung und Ausarbeitung wurde dabei die klassische Idee, dass Zeichnungen immer Skizzen seien, zunächst zu einer großformatigen Zeichnung. Diese kann darüber hinaus in ihrer reliefhaften Dreidimensionalität als Skulptur, in ihrer Einbettung in den Landschaftsraum als Land-Art-Projekt, durch die Art und Weise der Produktion als Performance und schließlich aufgrund des nachwachsenden Grases als eine temporäre Installation begriffen werden. Seitdem hat Ralf Witthaus in Deutschland und europaweit etwa vierzig Projekte durchgeführt.
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Auch wenn Ralf Witthaus seine Arbeiten Zeichnungen nennt, steht aufgrund des temporären Charakters und seines spezifischen Interesses an der Dynamik und dem Kontext innerhalb eines öffentlichen Raums der performative Charakter im Vordergrund. So entsteht die Idee der Arbeit immer in Auseinandersetzung mit dem konkreten Ort. Zunächst verfolgte Ralf Witthaus die Idee, die historische Anlage des Parks und ihre ursprünglichen architektonischen Zusammenhänge zu thematisieren. Dabei machte er eine im Garten- und Forstamt zu der Zeit aktuell diskutierte Problematik zu seinem Ausgangspunkt: Der Titel „1416 Tonnen“ bezieht sich auf die Menge an Müll, umgerechnet auf 120-Liter-Behälter, die bei lebhafter Benutzung der öffentlichen Anlage jährlich zu beseitigen ist. Allerdings dient die Arbeit nicht einer Visualisierung der Menge von Müll oder gar als moralischer Sozialinterventionismus. Vielmehr stiftet sie einen politischen öffentlichen Raum.
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Ralf Witthaus entwarf eine zylindrische Grundform, die an eine Dose oder Tonne erinnert und die über siebzig Mal in den Rasen geschnitten wurde. Dabei verteilen sich die Formen über das gesamte Gelände der Alten Hardt. Sie sind mal vereinzelt, mal in Gruppen angeordnet, werden gedreht, überlagern sich und bilden so eine vielfältige und dynamische Gesamtkomposition. Deutlich ist, dass die Arbeit aufgrund ihrer zeitlichen und räumlichen Struktur nicht einheitlich, d. h. von einem Standpunkt und immer wieder, rezipiert werden kann. Zum einen verändert sich die bearbeitete Fläche durch den nachwachsenden Rasen mit jedem Tag. Zum anderen verlangt sie nach Betrachtern, die sich bewegen, die sich die Fläche der Komposition von verschiedenen Standpunkten aus erschließen. So wird die Zeichnung als raumübergreifende, ortsspezifische Qualität erlebbar und die Topografie des Parkgeländes neu erfahren. Darüber hinaus beginnt der Prozess schon mit der Anfertigung der Arbeiten. Besucher fragen nach der Erlaubnis, kommentieren die ‚Zerstörung‘ des schönen Rasens oder diskutieren gemeinsam über den Sinn und Zweck der Aktion wie über die Parkanlage selbst. Schon allein, weil die Aufgabe der üblichen Parkpflege, einen Konsens, eine einheitliche Form immer wieder herzustellen, durch Ralf Witthaus und sein Team konterkariert wird.
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Über formale und ästhetische Fragen hinaus ist es besonders dieser Prozess der Herstellung einer Öffentlichkeit, den Ralf Witthaus als wesentlichen Teil seiner Arbeit begreift. Fragen nach der historischen Entwicklung, dem aktuellen Umgang und der Veränderung mit und durch öffentliche Verhältnisse sind der Ausgangspunkt und der Kern seiner künstlerischen Interventionen. Durch Produktion und Rezeption werden der Raum, bzw. hier die Hardt, nicht mehr als ewiger – allenfalls durch den Lauf der Jahreszeiten sich verändernder – Stillstand begriffen. Vielmehr ist die künstlerische Arbeit von Ralf Witthaus eine artikulatorische Praxis, in der verschiedene Positionen zu einer wandelbaren Topografie verknüpft werden. Die Rasenmäherzeichnungen sind Störungen und Unterbrechungen und damit Grundvoraussetzung für eine politische Haltung und einen öffentlichen Raum. Da Ralf Witthaus den Konsens aufbricht, differente Elemente miteinander verbindet und so vorübergehende Allianzen schafft, die artikuliert werden, entsteht überhaupt erst ein öffentlicher Raum. Insofern sind die Rasenmäherzeichnungen keine ‚Kunst im öffentlichen Raum‘, sondern Kunst, die den öffentlichen Raum erschafft.
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Text: Erik Schönenberg
http://www.neuer-kunstverein-wuppertal.de
 
Fotos: Harald Neumann
http://www.hneumann.de
 
Werk: Ralf Witthaus / VG Bild-Kunst, 2011
http://www.bundesrasenschau.de
http://www.facebook.com/Rasenmaeherzeichnungen
 
Veranstalter: Sommerloch Wuppertal
http://www.sommerloch-wuppertal.de