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Virtuelles Magazin 2000

 


Jörg Boström

Bilderwelt von Ulrich Mertens . Sprache der Strahlen. Raumtiefe. Raumhöhe. Raumzeit. Unsichtbar. Sichtbar.

Die Widersprüche von Dauer und Verfall, von gebautem Lebensraum und Totenfeier, von Denkmals- und Verdrängungskult, von natürlicher, symbolischer, aggressiver und nachlässiger Zerstörung im menschlichen Kulturgebaren prägt sich in gleichsam unfreiwilliger Kunst aus in den gebauten, gemeißelten, montierten Steinen, welche Häuser, Gräber, Kultstätten, Kirchen, Stadien, Verwaltungsblöcke, Gefängnisse darstellen. Das gilt ebenso für die geheime Welt der Zechen und Schächte. Ihrer Funktion beraubt, sind sie der Verwitterung, dem Umbau, der Umfunktionierung, der wütenden Zerstörung und der methodischen Demontage ausgesetzt. Jedoch. Je tiefer unter der Erde, desto länger ihr Fortleben.

Tunnel warten immer wieder auf eine neue Verwendung. Zuletzt als Ablagerung gefährlicher und beinahe ewig existierender und strahlender Substanzen der Atom Kraftwerke.

Ebenso liegt in der Tiefe strahlendes Urgestein. Uran. Uranerz.

Geschichte verkörpert sich in solchen zu bearbeitenden Steingebilden ebenso wie die fortwährende Retusche, das Verdrängen Wegräumen des Vergangenen. So erhalten solche Steinprodukte immer zugleich eine vitale Funktion des Überlebens und eine symbolische des kollektiven Ausdrucks.

Architektur als negative Realität. An vielen Orten werden diese historischen Prozesse besonders sichtbar, wenn etwa eine Hautklinik untergebracht ist in einem Bau , der noch ungeglättet zerfetzt ist von den Einschüssen der Kämpfe des letzten Krieges, wenn ein Denkmal der Roten Armee in seinem militärischen Pathos abgeräumt wird, mit ihm zugleich aber die vielleicht einzige Reliefdarstellung des Massakers von Baby Jar, wo die deutsche SS viele Tausend jüdische Familien in ein Massengrab schoss, wenn Grenzanlagen und Kontrollstationen im Zorn der Kontrollierten zerstört, wie makabre Tempelanlagen der politischen Macht im unstrukturierten Gelände auf Abbruch warten, wenn LPG-Plattenbauten halberrichtet, schon wieder funktionslos den Blick auf alte Dorfanlagen und verfallende Gutshäuser verstellen, wenn Kasernen in zerfahrenen Landschaften langsam von Pflanzen aufgefressen werden, wenn Wandbeschriftungen aus vielen Jahrzehnten sich überlagern und wie schwach fixierte Fotografien verschämt verblassen, wenn Industrieanlagen in Jahresfrist zu ungeplanten Industriemuseen werden, die dann wie im Ruhrgebiet, als Industrie- und damit auch als Kulturdenkmäler wiederauferstehen, wenn Modernität umkippt in Altlast und dann in Kulturlast.

Die Kamera fragt nicht zuerst nach dem Warum, sie bildet die steinernen Fakten ab als Fragezeichen der Geschichte, wie die Leuchtschrift an der Wand im Palast des Nebukadnezar, die er nicht entziffern konnte, und deshalb krepierte. Auf der Wand stand das zum Spruch geronnene Menetekel, "Gewogen, und zu leicht befunden". Auch der Fotograf weiß nicht mehr als andere, er weiß nicht besser, wie er diese Vergangenheit "bewältigen" soll, ob sie überhaupt mit Sinn zu bewältigen ist, er kann sie vor Augen führen, festhalten, darstellen. Die Leuchtschrift an der Wand des mesopotamischen Palastes hätte ein Fotograf dieser Zeit sicher auch nicht entziffern können, aber er hätte sie fotografiert. Vielleicht war diese Performance des Altertums das Attentat eines frühen Medienkünstlers, eine Projektion mit tödlichem Ausgang. Zeichen lesen wäre demnach eine Frage nicht nur der Kultur, sondern des Überlebens. In dieser Beleuchtung bekommt das Medienspiel der Fotografie eine existentielle Dimension, die zu erkennen eine der Voraussetzungen ist für eine Strategie der Dauer in der permanenten Verwandlung, eine Methode in der Planung des Menschen.

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Das fotografische Werk von Ulrich Mertens geht immer wieder auf den forschenden Weg, das Ferne nahe zu bringe, das schwer begehbare zu betreten, das Unsichtbare sichtbar zu machen. In der Substanz seiner Bilder werden nicht vorwiegend Gegenstände nahegebracht, sondern Räume. Dabei werden auch unbekannte, nicht dem Auge erschlossene Räume zu Bildern.

Tief in der Erde in ausgebaggerten Gängen der Bergbau Unterwelt. Dunkle, endlos scheinende Gänge und Irrwege, mit der Großbild Lochkamera lange 240 Stunden belichtete Schachträume in genauer Zeichnung der Schärfe und Grauwerte bis ins tiefe Schwarz. Dann hoch über den menschlichen Blicken drehend auf Windrädern kreisende offenen Horizonte im Rundblick von 360 Grad.

In einer Arbeit in der Reihe der Land Art gestaltet Mertens einen weiten Kreis aus Mohn Pflanzen, die wachsen und blühen rot in nur kurzer Zeit. Zu sehen sind sie in der Nähe als Blüten, nur aus der Luft aber als geometrisch exakte gezogener Kreis, der wie eine konstruktive Bildkunst in der organisch gewachsenen Landschaft liegt. Schwebt beinahe.

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In einer weiteren Arbeit mit dem Titel Strahlen werden in tiefen Schichten eines Uranbergwerks die Gänge in ruhig gestellten, scharf gezeichneten Raumschluchten sichtbar gemacht und zuletzt in geheimnisvoller Strahlung und fotografischer Modellierung die Stahlen selbst als Raumbildende Kraft.

Die Porträts der Arbeiter zeigen sie mit geschlossenen Augen. Man spürt so die Raumbildungen der Uranstrahlung. Es entstehen so Räume auch jenseits der Sichtbarkeit, die nun durch die Einwirkung der Strahlung auf das Foto Material neue grafische Räume schaffen.

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Mit einem Geiger Zähler aus dem örtlichen Museum, der während der Tschernobyl Krise angeschafft wurde, wurde die Strahlung der Steine erkannt und in Bildstrukturen umgesetzt, die nun eine neue Raumdarstellung schaffen. Das Sichtbar Machen unsichtbarer Räume.

„Kunst,“ sagte Paul Klee, „macht das Unsichtbare sichtbar.“ Hier wird die technische Verbindung von physikalischen mit chemischen Prozessen zur Fotokunst.

Raum ist nun wieder das für die Fotografie von Ulrich Mertens das bestimmende Thema.

Der Gang Untertage in den Schacht, die Kletterleistung in die Höhe auf Windrädern, die Suche nach Horizonten in drehenden, kreisenden, visuellen Endlos Schleifen, die Raumdarstellung der Stahlen.

Bisher wurde der Begriff Raum gebunden an die Vorstellung der drei Dimensionen und der Perspektive. Dann kam hinzu die schon nicht mehr leicht vorstellbare vierte Dimension. Die Koppelung der unbewegten Raumvorstellung an die Zeit. Die räumliche ständige Veränderung durch die Bewegung im Raum.

Nun wird in der Erkenntnis und Analyse der radioaktiven Strahlung eine weitere Raumvorstellung bewusst. Der durch Strahlung sich aufbauende und erweiternde, in seiner Begrenzung offene Raum der Strahlung.

Schall, der sich ausdehnt, bildet Räume. Schallräume.

Die Stoffe, welche Gerüche senden, bilden Räume. Noch nicht visuell darstellbar, etwa durch ein Geruchs empfindliches Material, das man nun nicht mehr so nennen kann wie bisher, Photomaterial. Welchen Raum wohl um sich verbreitet eine gut und schön wahrnehmbare, parfümierte Dame.

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Castor Behälter. Wärmefotografie Castorbehälter Transport

Wärme schafft Gegenstände in Räumen. Sie bildet in Wärmekameras abgelichtete Gegenstände, die nun zur Planung der Wärmedämmung eingesetzt werden können.

Dies sind Bereiche, an denen der Fotograf Ulrich Mertens weiter tätig ist. Zur Anregung hat er Wärmebilder hinzugefügt. Castor Behälter auf dem Weg ins Endlager Gorleben.

Sie strahlen. In eine Ewigkeit hinein. Haben aber nur für wenige Jahre Energie erzeugt.

Wann werden dazu kommen die Schallräume, die Raumformen der Geräusche, der Wärmestrahlung und Gerüche und die fließenden Raumformen der physikalisch und mathematisch erforschten unendlichen Regionen des All.

Die Fotografie, die Technik, die Kunst der Bilder. Sie liegen auf der Lauer. Immer wieder sichtbar zu machen. Darzustellen, was in Forschung und Vorstellung sich öffnen und darstellen lässt.

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Der Fotograf Ulrich Mertens berichtet über diese Arbeit, welche so nur der Beteiligte es vermitteln kan, die Erfahrungen mit der Magie der Tiefe:

"Kurz vor der Wirtschaftsunion, am 2.Oktober 1991 hatte ich eine Genehmigung zum Besuch des Uranbergwerks der Wismut AG in Aue erhalten. Nach einem angsterfüllten Traum nimmt die Arbeit STRAHLEN mit der Einfahrt im Schacht Hartenstein ihren Lauf. Die Grubenwarte bestand aus einem kleinen Raum mit 2 oder drei Telefonen eine Kaffeemaschine und ein bisschen Papierkram. Offensichtlich sah mir der „Dispatcher“ meine schlechte Nacht noch an. Er kochte mir einem Kaffee und gab mir eine Banane zum Frühstück.

Bei der Grubenfahrt wurde ich von drei Männern begleitet, die genau darauf achteten, was ich tat. Im Gegensatz zu den Bergwerken der BRD waren hier die Strecken viel spärlicher beleuchtet. Schon bei den ersten Aufnahmen merkte ich, dass das Wesentliche dieses Bergwerks der Wismut AG sich nicht in den Großformataufnahmen niederschlagen würde. Mein Körper nahm aber sehr wohl die radioaktive Strahlung des Edelgases Radon auf, das beim Zerfall von Uran und Thorium entsteht. Weil ich weder Gas noch Strahlung sehen konnte, musste ich mich ganz auf meine Begleiter verlassen, dass die Strahlung in diesem Bereich der Grube sich in den gesetzlichen Grenzwerten bewegt. Über die Gesetzlichkeit und die Höhe der Grenzwerte in der DDR wollte ich in dem Moment nicht nachdenken. Ich konnte nur hoffen, dass die Bewetterung so dimensioniert war, dass meine Lunge keinen Schaden nehmen würde war froh, dass der nächtliche Albtraum vorbei war und mir das gewohnte Suchen und Erarbeiten von Bildern wieder die gewohnte Sicherheit zurückgab.

Die beeindruckenden Bilder aus einer Teufe von -1620 m lassen mich gerade wegen ihrer Mangelhaftigkeit nicht los. Aber wie sollte ich mit klassischer Fotografie eine Strahlung festhalten, die im sensiblen Empfindlichkeitsspektrum der T-max-Filme nicht vorkam. Man müsste eine Lochkamera aus Blei bauen durch deren Öffnung nur die radioaktive Strahlung auf den Film dringen würde. Ein Filmmaterial, speziell für Gamma-Strahlung sensibilisiert, fand sich im Industriesortiment der Agfa: Der Film hieß STRUKTURIX D6 und wird heute noch in der „zerstörungsfreien“ Materialprüfung verwendet. Zwei je ca. 10 kg schwere mit 1.5 mm Dachdeckerblei ummantelte Holzkästen tragen eine 4 x 5 inch Großbildkassette. Ihre unterschiedlich großen Löcher sind für die Aufnahmen im Uranbergwerk mit schwarzem Isolierband gegen klassischen Lichteinfall geschützt. Wegen des Presserummels um die Umweltsauereien rund um die Wismut Bergwerke erhalte ich keine Genehmigung mehr, diese Kameras zum Einsatz zu bringen.

Während eines Stipendiums in Offenburg fällt mir ein Zeitungsbericht über die Schließung eines westdeutschen Uranbergwerks im Schwarzwald in die Hände. Wer hätte das gedacht, dass in der BRD auch nach Uran gegraben wurde. (Im Rahmen des Euratomvertrags von 1967 verpflichteten sich die teilnehmenden Staaten auch im eigenen Land nach verwertbaren Uranvorkommen zu suchen.) 1961 – 1991 wurden im Uranaufsuchungsbetrieb Grube Krunkelbach in Menzenschwand 100.000t uranhaltige Erze gefördert, die bei der französischen Cogema verarbeitet wurden. Im letzten Jahr kaufte die inzwischen in AREVA umbenannte Gruppe Multibrit einen der großen deutschen Windkraftanlagenhersteller auf.

In Menzenschwand durfte ich die schweren Lochkameras aufstellen und 254 Std. „belichten“ lassen. In der Zwischenzeit entstehen die inszenierten Portraits der Bergleute vor dem Eingang ihrer Grube. Während der Fotosession mit dem Betriebsleiter, fließen Tränen der Trauer über die Schließung seiner Grube. Der Versuch mit den Bleikameras zeitigt keine Ergebnisse. Die Arbeiter meinen, dass die Strahlung am Aufstellungsort nicht stark genug gewesen sei.

Um mich für die verschenkten Bilder zu entlohnen, erhalte ich bei meinem Abschied ein Stück Uranerz, das ich anstandshalber auch annehme. Das „Wenn du es nicht unters Kopfkissen legst, ist es halb so schlimm.“ Des Betriebsleiters klingt mir immer noch in den Ohren. Den Stein bewahre ich in größtmöglicher Entfernung zu meiner Wohnung im Garten unter einem Magnolienbaum auf. Mit einem Geigerzähler aus dem örtlichen Museum, der während der Tschernobyl Krise angeschafft wurde, stelle ich fest, dass der Stein wirklich strahlt. Wie beim sichtbaren Licht nimmt die Strahlungsintensität mit dem Quadrat der Entfernung zur Strahlenquelle ab. Unter Schwarzlicht zeigt sich ein irisierendes Leuchten, was ebenfalls ein Indiz für radioaktive Strahlung ist.

Mit großer Vorsicht beginne ich darauf mit Experimenten mit dem Stein und dem speziellen Filmmaterial. Ich vergesse nie den Moment beim Öffnen der Entwicklerdose nach dem Fixieren. Ein Schauer ob der schwarzen Formen auf den noch tropfnassen Filmen läuft mir über den ganzen Körper. Endlich habe ich das gefunden, nach dem ich drei Jahre lang gesucht habe: eine fotografische Umsetzung der unsichtbaren radioaktiven Strahlung.

Weil der Stein physisch so beschaffen war, dass er auf 6 verschiedenen Seiten stehen konnte, entstehen die Autoradiografien I-VI."

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