Zum Inhaltsverzeichnis

Virtuelles Magazin 2000


Annette Bültmann
 
Lemuren
 
Lemuren kommen auf der Insel Madagaskar und den umliegenden kleineren Inseln vor, und haben dort eine erstaunliche Vielfalt entwickelt. Durch die Trennung vom afrikanischen Kontinent vor 150 Millionen Jahren, und dem indischen Subkontinent vor 90 Millionen Jahren, konnten sich dort die einzigartigen Lemuren entwickeln, die in ca. 100 Arten die verschiedenen Lebensräume der Inselwelt bewohnen. Die meisten Arten leben auf Bäumen und sind Pflanzen- oder Allesfresser. Es wird vermutet, dass die Vorfahren der Lemuren vor 54 bis 47 Millionen Jahren, also im Eozän, auf Madagaskar ankamen.
DSC06264
DSC06265

Schwazweiße Varis, Fotos aus dem Berliner Tierpark: Annette Bültmann

Das Eozän, das Zeitalter vor etwa 55 Millionen bis 34 Millionen Jahren, wurde nach Eos, der griechischen Göttin der Morgenröte, benannt. Im Eozän begann der Aufbruch ins Zeitalter der heutigen Säugetiere, die sich in einer großen Artenvielfalt entwickelten. Die meisten der heutigen Ordnungen der Säugetiere entstanden im Eozän, und aus dieser Epoche stammen auch z.B. die Fossilien der Grube Messel.
 
Das Klima im Eozän war wärmer und feuchter als zur heutigen Zeit, paratropisch genannt, vergleichbar mit den Tropen und Subtropen, mit immergrüner Vegetation, Regenwäldern die auch in den mittleren Breiten wuchsen, bis zu 78 Grad nördl. Breite. Auf diesem Breitengrad liegt heute die zu Norwegen gehörende Inselgruppe Spitzbergen.
kattas2b

Kattas, Foto aus dem Berliner Tierpark und digitale Bildbearbeitung: Annette Bültmann

Inmitten von tropisch feuchten Wäldern lag der bis zu 300 Meter tiefe Messel-See, der wahrscheinlich vulkanischen Ursprungs ist, der trichterförmige See entstand vermutlich durch eine Explosion von Wasserdampf, als aufsteigendes Magma mit dem Grundwasser in Berührung kam. Ein solcher mit Wasser gefüllter vulkanischer Trichter wird als Maar bezeichnet.
Der schwarze Ölschiefer entstand durch Mikroorganismen und Algen im Wasser, die zur damaligen Zeit das Wasser des Sees dick und undurchsichtig gemacht haben müssen. Aufgrund der Dicke der Ölschiefer-Schicht wird vermutet, dass der See ca. 1 bis 1,5 Millionen Jahre lang existiert hat.
Durch die Tiefe des Sees gab es wohl in den unteren Wasserschichten nur einen geringen Wasseraustausch, dadurch enthielt das Tiefenwasser keinen Sauerstoff, was zur weitgehenden Konservierung und anschließenden Versteinerung der Organismen im Schlamm des Sees führte.
Auch wenn die in Messel gefundenen Fossilien zum großen Teil Pflanzen, Insekten und Fische sind, werden immer wieder Fossilien von Wirbeltieren gefunden, die für die Forschung besonders interessant sind, weil im Eozän die Vielfalt der heutigen Säugetiere entstand, die die unterschiedlichsten Lebensräume besiedelten.
Der See von Messel, vor 47 Millionen Jahren, umgeben von Wald, bot sowohl im Wasser als auch in seiner Umgebung vielfältige Lebensräume.
In den verschiedenen Stockwerken der umgebenden Bäume konnten tag- und nachtaktive Bewohner leben.
item4

Fingertier
Dieses Bild basiert auf dem Bild Aye-aye (Daubentonia madagascariensis) 5.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Tom Junek.

Das Messeler Fingertier, Heterohyus nanus, ernährte sich vermutlich wie das heutige Fingertier teilweise von Insekten, die es mit langen Fingern unter der Baumrinde suchte.
Das heutige Fingertier, Daubentonia madagascariensis, wegen des Klangs seines Fluchtrufs, der bei Gefahr ausgestoßen wird, und bei wild lebenden Fingertieren vermutlich häufig beim Anblick von Menschen ertönt, auch Aye-Aye genannt, hat einen stark verlängerten Mittelfinger, mit dem es die Rinde von Bäumen abklopft, um darin Larven zu finden. Es kann auch mit dem dünnen Mittelfinger Kokosnüsse auskratzen, nachdem es ein Loch hineingebohrt hat, und frisst außerdem Früchte und Bambussprösslinge. Auch das Fingertier gehört zu den Lemuren, lebt auf Madagaskar und ist nachtaktiv.
Zu den Adapiformes, frühen Primaten, gehört Darwinius masillae, auch "Ida" genannt, das Fossil eines Jungtieres, das insgesamt 58 cm lang ist, wovon die Kopf-Rumpf-Länge 24 cm ausmacht, beim erwachsenen Tier wahrscheinlich ca. 28 cm.
Dieser in der Grube Messel gefundene frühe Primat hat einige Ähnlichkeiten mit den heutigen Lemuren, so war er ein Baumbewohner, der sich von Früchten, Samen und Blättern ernährte und große Augen hatte, also vermutlich nachtaktiv war. Er gehört zu den Adapiformes, die bis zu diesem Fund für Vorfahren der Lemuren gehalten wurden. Bei Darwinius masillae wurde aber Merkmale der heutigen Trockennasenaffen festgestellt, so dass die heutige Einordnung der Adapiformes bisher noch umstritten ist.
makis1g

Mohrenmakis, Foto aus dem Berliner Tierpark und digitale Bildbearbeitung: Annette Bültmann

Innerhalb der Adapiformes hat die Familie der Adapidae, die in Europa gefunden wurde, die meisten Ähnlichkeiten mit den heutigen Feuchtnasenaffen, zu denen die Lemuren gehören, wobei die größte Übereinstimmung der Zähne zwischen Adapi und Halbmaki (Hapalemur) festgestellt wurde. Daher könnte man vermuten, dass ein Adapi mit halbmakiähnlichem Gebiss ein Vorfahr der heutigen Lemuren war, wobei auch mit dem Wieselmaki (Lepilemur) eine Ähnlichkeit der Backenzähne festgestellt wurde. Andere Forscher sehen die Adapiformes aber als Schwestergruppe der heutigen Feuchtnasenaffen, und nach dem Fund des Fossils der Art Darwinius masillae wurden sie vom Erstbeschreiber dieses Fossils als Schwestergruppe der Koboldmakis, damit zu den Trockennasenaffen gehörend, eingeordnet. Nach dem Fund eine als Afradapis 2009 beschriebenen Fossils, das in Ägypten gefunden wurde, und ein naher Verwandter von Darwinius sein dürfte, wurden die Adapiformes von dessen Erstbeschreiber wieder als Schwestergruppe der Lemuren und Loriartigen zu den Feuchtnasenaffen gezählt. Seitdem ist ihre Einordnung umstritten.
 
In der Zeit des Eozäns waren sich die Verwandten der heutigen Lemuren und die der heutigen Altweltaffen, zu denen auch die Hominidae gehören, noch so ähnlich, dass ihre Einordnung anhand von Fossilien nur für Experten möglich, bzw. noch nicht eindeutig zu klären ist.
kattas3e

Kattas, Foto aus dem Berliner Tierpark und digitale Bildbearbeitung: Annette Bültmann

Auf Madagaskar haben sich die Lemuren in unterschiedlichen Größen entwickeln können.
Der Berthe-Mausmaki ist der kleinste Primat überhaupt, mit einer Kopfrumpflänge von unter 10 cm, und einem Gewicht von ca. 30 Gramm. Er ist benannt nach der madagassischen Lemurenforscherin Berthe Rakotosamimanana. Der größte der heutigen Lemuren ist der bis zu 10 kg schwere und bis zu 90 cm große Indri. Früher auf Magagaskar lebende Riesenlemuren sind, wahrscheinlich im Verlauf der Besiedlung der Insel durch den Menschen, inzwischen ausgestorben. Zu ihnen gehörten die bis zu 80 kg schweren Koalalemuren und die bis zu 200 kg schweren Faultierlemuren.
 
Alle Lemuren haben Finger und Zehen mit Fingernägeln, am zweiten Zeh haben sie eine Putzkralle, die der Körperpflege dient.
item10

Putzkralle
Dieses Bild basiert auf dem Bild
Lemur catta toilet claw.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Alex Dunkel.

Koboldmakis, die die die südostasiatischen Inseln bewohnen und einige Ähnlichkeiten mit den Lemuren Madagaskars haben, haben eine Putzkralle am zweiten und dritten Zeh.
 
Es wird vermutet dass Lemuren von nachtaktiven Vorfahren abstammen, da viele Arten nachtaktiv sind. Manche haben eine vorwiegend tagaktive Lebensweise entwickelt, wie Varis, Kattas und graue Halbmakis, und manche Arten haben eine kathemerale Lebensweise, d.h. sie können sowohl tagsüber als auch nachts aktiv sein.
 
Die fünf Familien in der Systematik der Lemuren sind die Eigentlichen Lemuren (Lemuridae), Indriartige (Indriidae), Maus- und Katzenmakis (Cheirogaleidae), Wieselmakis (Lepilemuridae) und Fingertiere (Daubentoniidae).
 
Verwandte auf dem Festland sind die Loriartigen (Lorisiformes). Loris, Pottos und Bärenmakis leben im tropischen Zentralafrika und in Südostasien. Ebenfalls verwandt mit den Lemuren sind Galagos, Galagonidae, auch Buschbabys genannt, die in Wäldern und Savannen südlich der Sahara leben.
item13

Galago
Dieses Bild basiert auf dem Bild Galago.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Joachim Huber.

Auch Koboldmakis, vom Namen her verwandt mit den madagassischen Makis, sehen äußerlich den Lemuren ähnlich, sie sind kleine nachtaktive Baumbewohner, die sich, meist nur bis in 2 Meter Höhe, kletternd und springend durch die Äste bewegen, sie haben große Augen, und auch Putzkrallen, allerdings am 2. und 3. Zeh, während die Lemuren sie nur am 2. Zeh haben. Sie leben in den Wäldern der südostasiatischen Inseln. Trotz der äußerlichen Ähnlichkeit mit den Lemuren werden die Koboldmakis heute zu den Trockennasenprimaten gezählt, zu denen auch die Menschenartigen gehören. Sie ernähren sich hauptsächlich von Insekten, aber auch von anderen kleinen Tieren. Ihr bevorzugter Aufenthaltsort sind dünne, senkrechte Baumstämme. Ihre beweglichen Ohren erinnern ein bisschen an die einer Fledermaus.
item19

Koboldmaki
Dieses Bild basiert auf dem Bild
Tarsier Hugs Mossy Branch.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Kok Leng Yeo.

Im Gegensatz zu den Koboldmakis, die reine Fleischfresser sind, die einzigen unter den Primaten, ernähren sich viele Arten der Lemuren rein pflanzlich. Die Wälder Madagaskars bieten ihnen Obst, Nektar, Pollen, Baumsäfte, Knospen, Blätter oder Rinde.
 
Auf Madagaskar gibt es Naturschutzgebiete, die teilweise auch von Touristen besucht werden dürfen. Der Isalo-Nationalpark ist der meistbesuchte.
Die 47 offiziellen Naturparks werden unterteilt in Nationalparks, die gegen ein Eintrittsgeld von Touristen besucht werden dürfen, Integrale Schutzgebiete, deren Biotope streng geschützt werden sollen und deren Besuch nicht erlaubt ist, außerdem Spezialreservate und neue Kategorien von Schutzgebieten wie z.B. Wiederaufforstungsgebiete. Neben den öffentlichen gibt es auch einige private Schutzgebiete, wie z.b. den 240 ha großen Lemurenpark Berenty im Süden der Insel, der in der Zone des "Madagascar spiny forests" liegt, einer Landschaft mit Dornenwäldern und typischen Sukkulenten.
 
Die Umweltbedingungen auf Madagaskar sind vielfältig je nach Region, es gibt die Küsten, Hochebenen, Regen- und Nebelwälder, Trockenwälder, Steppen und Halbwüsten.
Im zentralen Hochland der Insel, in dem auch die Hauptstadt Antananarivo liegt, ist das Klima subtropisch.
Im Westen der Insel liegen Savannen. In den Steppenlandschaften gibt es mehrere Arten von Baobabs oder Affenbrotbäumen. Auf Madagaskar gibt es insgesamt 8 Arten von Baobabs. Sie können einen Durchmesser von bis zu 10 Metern erreichen und werden mehrere Hundert Jahre alt, vermutlich gibt es einzelne Bäume die bis zu 2000 Jahre alt sind. Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es eine einzige Art von Baobabs, die außer durch Insekten auch durch Flughunde und Galagos bestäubt wird. Auf Madagaskar tragen vermutlich auch Lemuren zur Bestäubung bei. Die Früchte des Baobab sind große Beeren, die ölhaltige Samen enthalten. In den Stämmen speichert der Baobab Baum Wasser für die Trockenzeit.
Auch andere Bäume Madagaskars werden durch Lemuren bestäubt, und außerdem verbreiten Lemuren die Samen der Bäume, indem sie Früchte fressen und die Samen wieder ausscheiden. So wurde bei einem Forschungsprojekt herausgefunden, dass von 177 gefundenen Baumarten 20 größtenteils durch den Braunen Lemuren weiter verbreitet werden.
Im Süden der Insel ist es eher trocken mit dem typischen stachligen Trockenwald.
An den Küsten gibt es Mangrovenwälder und Palmenstrände.
 
Im Isalo-Nationalpark im südlichen Hochland von Madagaskar werden diverse Rundgänge für Besucher angeboten, deren Dauer von 1 Stunde bis zu mehreren Tagen variiert. Es sind meist Wandertouren, manchmal kombiniert mit Fahrten im Geländewagen. In dem Park leben 7 Lemurenarten und viele Reptilien- und Vogelarten, außerdem einige Froscharten und Säugetiere. Die Vegetation ist an die Trockenheit im Süden Madagaskars angepasst. Es gibt in dem Park aber auch Seen, Bäche und Wasserfälle.
Es leben dort außer Kattas auch Rotschwanz-Wieselmakis, Braune Makis, Große Riesenmausmakis, Graue Mausmakis, Mittlere Katzenmakis und Larvensifakas.
 
Kattas kann man auch in Europa häufiger sehen, weil sie in einigen Zoos gehalten werden. Sie sind hauptsächlich tagaktiv und deshalb gut tagsüber von Besuchern zu beobachten. Kattas leben normalerweise in Gruppen, bewegen sich teilweise in den Bäumen und teilweise auf dem Boden, und ernähren sich meist von Früchten, außerdem von Blättern, Blüten und Baumrinden. Sie sind gut zu erkennen durch den schwarzweiß quergeringelten Schwanz und die schwarz umrandeten Augen und Nase im weißen Gesicht.
In manchen Zoos können Besucher die Freigehege einiger Lemuren ohne Gitter betreten, so gibt es im Allwetterzoo Münster ein Freigehege für Kattas, und im Berliner Tierpark einen Variwald für Schwarzweiße und Rote Varis.
item16

Mohrenmaki auf der Lemureninsel Nosy Komba
Dieses Bild basiert auf dem Bild Maki Nosy Komba.JPG aus der freien Mediendatenbank
Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Lebelot.

In Madagaskar und Umgebung können Touristen ebenfalls in direkten Kontakt mit Lemuren kommen. Einige der umliegenden kleinen Inseln sind die Heimat von Lemuren, oder sogar nach ihnen benannt, z.B. Nosy Komba, einer Insel mit Lemurenpark, in dem zutrauliche Makis von Besuchern gefüttert werden. Die Insel ist der Lebensraum der Mohrenmakis, deren madagassischer Name Komba ist.

Das größte Regenwald Schutzgebiet auf Madagaskar ist der Masoala Nationalpark im Nordosten der Insel, er schützt den größten noch zusammenhängenden Regenwald Madagaskars auf der Halbinsel Masoala und vorgelagerte Korallenriffe, und die kleine Insel Nosy Mangabe, die ebenfalls mit Regenwald bedeckt ist. In dem Schutzgebiet leben zehn verschiedene Lemuren-Arten, darunter Masoala-Gabelstreifenmakis, Mausmakis, Große Bambuslemuren, Fingertiere und Rote Varis.

Roter Vari

Historische Zeichnung eines Fingertiers, Illustrierter Leitfaden der Naturgeschichte des Thierreiches, 1876, Quelle: Wikimedia Commons

Im Züricher Zoo wurde eine dem Masoala Schutzgebiet nachempfundene Biosphäre eingerichtet. Dadurch soll auch Zoobesuchern in Europa die Schönheit solcher Biotope zugänglich werden, und mit Spenden und Umsatzprozenten unterstützt der Zoo den Erhalt des Masoala Nationalparks.
Die Lebensräume für die Tiere und Pflanzen im Schutzgebiet des Nationalparks sind vielfältig: Küstenregenwald, Bergregenwald, Mangroven, Sandküste, Felsen, Riffe und Lagunen. Auf der Insel Nosy Mangabe wurde seit 1966 ein spezielles Reservat für die seltenen Fingertiere eingerichtet, die dort vorher nicht heimisch waren. Zur Erhaltung der Art wurden die großohrigen scheuen nachtaktiven Tiere in mehreren Naturschutzgebieten auf Madagaskar angesiedelt.

 

http://www.parcs-madagascar.com