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- Von dem Zeitpunkt an, als alle Vereine, Gruppen und Berufsstände in NS-Organisationen gleichgeschaltet waren - „Stahlhelm“, Schützen, Reiter, Frauenverbände, Sänger Feuerwehr, Polizei, Bauern, Lehrer, Handwerker, Händler, Gastwirte sowie selbst die Schweine- und Kleintierzüchter - da wurden permanent Hakenkreuzfahnen geschwenkt, dem „Führer“ gehuldigt und ihm immer wieder bedingungslos Treue geschworen. Da gab es bei jeder sich bietenden Gelegenheit Aufmärsche, Spalierstehen, Gedenkfeiern, Fackelzüge, feierliche Reden zum Lob der neuen Ordnung und auf dem Weyerberg jährlich das große Freuden- und Sonnenwendfeuer, an dem immer so gut wie alle Worpsweder teilnahmen. Auch die Pastoren hielten sich nicht abseits, sie legten ständig Glaubensbekenntnisse für den „Führer“ ab. NSDAP-Kreisleiter Paul Lange wies genau wie der Hauptlehrer Adolf Steinhörster permanent darauf hin, dass die Juden an allem vergangenem und gegenwärtigen Unglück Deutschlands schuld seien. Und die „Wümme-Zeitung“ stimmte in die Hetze ein, indem sie etwa schrieb: Der Jude sei das „Geschwür“, das nun ein Volk nach dem anderen bei sich auszubrennen beginnt ... „Der Jude wird als Schmarotzer ausgeschieden und nie wieder Wirtsvölker in Europa finden.“
- In einem solchen vergifteten Klima schien sich auch die Künstlerschaft einrichten zu können. Dem Aufruf von Gauleiter Otto Telschow, eine „gesunde, an die niederdeutsche Heimat gebundene, volkstümliche Kunst zu schaffen“, kamen die meisten Künstler gern nach. Denn damit folgten sie ja ohnehin nur den geistigen Wurzeln des Ortes, erfüllten aber auch das Ziel der Nationalsozialisten, Worpswede zu einem „Zentrum deutsch-völkischer Kultur, zum Inbegriff nordisch-niederdeutscher Kunst“ zu machen. Dass das Ziel erreicht wurde, davon legte der „Erste niederdeutsche Malertag“ 1938 im Ort beredtes Zeugnis ab. In der „Wümme-Zeitung“ hieß es: „Worpswede, das von früher her weltbekannte Dorf der Künstler ist wieder zu Leben und Geltung erweckt worden, und sein Stern soll wieder strahlen wie einst in den guten Tagen nach Begründung der Künstlerkolonie. Der Nationalsozialismus wirkt auch hier als Wegbereiter des Guten, Wahren und Schönen. Nachdem das Erleben der neuen Zeit auch im künstlerischen Schaffen Worpswedes seinen Niederschlag gefunden hat und von den ‚ersten‘ zu den ‚späteren“ eine Brücke gezogen war, die auch über die Kluft der Entartungserscheinungen der Niedergangszeit hinwegging, konnte es keinen schöneren Tag für Worpswede geben als den, da die offiziellen Vertreter der NSDAP des Gaus Ost-Hannover mit dem Gauleiter an der Spitze, dazu erste Männer des Staates, der Wehrmacht und des Reichsarbeitsdienstes im Rahmen des ‚Niederdeutschen Malertages“ in der Gaukulturwoche das Künstlerdorf besuchten.“
- Wenn im Dorf in der NS-Zeit das politische Motto lautete: „Möge es immer in Worpswede heißen: Hier ist eine Stätte des Nationalsozialismus geschaffen, die nur ein Ziel kennt: Deutschland und Adolf Hitler!“, so NSDAP-Kreisleiter Lange, als Worpswede in den Rang einer NSDAP-Ortsgruppe aufgestiegen war, gab es von den Künstlern ähnliche Treuebekenntnisse zum Führer in großer Zahl. Zwei sollen hier angeführt werden. Fritz Mackensen formulierte als erster Direktor der „Nordischen Kunsthochschule“ in Bremen die ideologischen Ziele der Akademie und seine persönliche Kunstauffassung so: „Die Nordische Kunsthochschule ist eine staatliche Einrichtung der Freien Hansestadt Bremen. Sie soll schöpfend aus dem Urgrund deutsch-nordischen Volkstums mitarbeiten am Aufbau arteigener Kultur im Sinne Adolf Hitlers. Sie soll aus Blut und Boden heraus zu dem Erlebnis führen, dass die tiefste Wahrheit der sichtbaren Natur zugleich das tiefste Geheimnis birgt.“
- Seine Vorstellung von „Heimatkunst“, die die meisten seiner Kollegen sicher teilten, definierte er in seiner Antrittsrede an der neuen Akademie so: „Alles schien verschüttet [in der Weimarer Republik, d.Verf.], da kam der Durchbruch der Deutschgläubigkeit Adolf Hitlers und nun werden alle Kräfte frei, die in zäher Arbeit es unternehmen müssen, aus diesem Sumpf der geistigen Erkrankung herauszukommen. Es liegt nichts näher, als das herbe niedersächsische Volkstum in niedersächsischer Landschaft mit vor Hitlers Wagen zu spannen, in allen Dingen, so auch in der bildenden Kunst.“
- Ein andere Worpsweder Künstler, Carl Emil Uphoff, Maler und Schriftsteller, NSDAP-Mitglied, aktiv im nationalsozialistischen „Kampfbund für deutsche Kultur“, Ortswart der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, Vertreter der Reichsschrifttumskammer im Ort, Mitglied der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) sowie Ratmann in der „Nordischen Gesellschaft“ (der fast alle führenden Nazis des Reiches angehörten) dichtete für seinen „Führer“:
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- Der Führer spricht! Die Rede wird zum Werke,
- dem Wort, das gestern noch Ohnmachtsgeschwätz -
- Da wird das Wort Gesetz.
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- Krogmann weist in unendlicher und fast schon quälender Fülle nach. wie sehr die Künstlerschaft des Ortes dem Nationalsozialismus erlag und wie sie und ihre Verteidiger Mythen und Legenden schaffen mussten, um sich zu rechtfertigen, als der braune Spuk vorbei war. Natürlich unterstützten Systemschreiber wie Uphoff auch Hitlers Eroberungs- und Raubkrieg. Er schrieb:
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- Ihr Lichtgeborenen aus des Nordens Weiten,
- die durch ihr Tun das Erdenrund erhellen:
- Wohlan, erobert neue Ewigkeiten
- für Eure Söhne, für die ganze Welt!
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- Und Uphoff wirbt auch um Opfer für den „Führer“:
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- Und dein Leben, deinen Glauben,
- um dein Herz und deine Hand,
- dass auch du dich opfernd weihest,
- deinem Volk und deinem Land!
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- Als das „tausendjährige Reich“ schon nach zwölf Jahren vorbei war, Europa zerstört darniederlag, 52 Millionen Kriegstote und sechs Millionen ermordete Juden zu beklagen waren, da wollte es auch in Worpswede niemand gewesen sein. Niemand wollte irgendetwas bemerkt haben. Die Erbärmlichkeit der Rechtfertigungen war ungeheuerlich. Fritz Mackensen behauptete nun, in der NS-Zeit einen Kampf für die Freiheit und Völkerverbindung der Kunst geführt zu haben! NSDAP-Mitglied sei er geworden, um nachhaltig für die von der Partei zurückgesetzten Künstler eintreten zu können - womöglich noch für die „Entarteten“! Carl Emil Uphoff bekannte sich nun plötzlich zur Demokratie und wollte von all den Verbrechen des NS-Regimes nichts bemerkt haben! Er fühlte sich getäuscht und hintergangen! „Persilscheine“ unbelasteter Personen, die bestätigen sollten, dass man ja eigentlich immer „dagegen“ gewesen war, hatten auch in Worpswede Hochkonjunktur. Eine andere Möglichkeit war, zu behaupten, man sei in der „inneren Emigration“ gewesen wie Manfred Hausmann. Aber wie passt diese Rechtfertigung zu den Lesereisen, die er für NS-Organisationen gemacht hat, dass er als Propagandajournalist bei den Olympischen Spielen 1936 tätig war (zum Dank für diese Arbeit gab es einen Empfang bei Goebbels), dass er kriegerische Reden auf dem NS-Dichtertreffen in Weimar hielt und im Krieg zu Herzen gehende Geschichten aus der Heimat für alle Frontzeitungen schrieb, die die Moral der Soldaten heben sollten?
- Einer blieb sich aber treu. So behauptete der Schriftsteller Waldemar Augustiny, dass durch den Zustrom der deutschen Flüchtlinge aus dem Osten die „niedersächsische Rasse“ untergehen werde. Er schrieb ganz ernsthaft: „Die niedersächsische Rasse ist durch den Zustrom der Flüchtlinge dem Untergang preisgegeben. Hier jedenfalls sind die Heiraten zwischen Fremden und Einheimischen schon blühend im Schwang.“ Augustiny behauptete auch, dass Worpswede in der NS-Zeit eine Insel gewesen sei - gegen was, fragt man da: der Opposition und des Widerstandes? Das Gegenteil ist richtig, wie Krogmann schreibt: Der Ort sei nach den Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik in der NS-Zeit zu seinem Ursprung als Insel gegen die Moderne zurückgekehrt.
- Die unfreundlichen und kritischen Reaktionen auf Krogmanns Buch machen deutlich, wie groß im Ort und auch in Bremen die Widerstände gegen eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit immer noch sind. Man will mit seinen Lebenslügen weiter leben. Der Bremer „Weser-Kurier“ (die Monopolzeitung der Stadt) wirft Krogmann „unwissenschaftliche Polemiken und Mutmaßungen“ vor. Das Gegenteil ist der Fall, der Autor erschlägt seine Leser geradezu mit Fakten. Polemik hat er gar nicht nötig, so viel Tatsachen und Fakten kann er bieten.
- Es ist die alte Geschichte: Wenn man Aufklärung betreibt, d.h. also Licht in eine bisher dunkle Sache bringt, dann wird meistens auch viel Dreck sichtbar, der bisher verborgen war. Genau das hat Krogmann getan. Er stellt mit seinem Buch den Ort bloß, reißt ihm die Maske vom Gesicht, mit der er sich in den Jahrzehnten nach dem Krieg zu schützen suchte. Der Zorn und die Wut der Demaskierten ist verständlich, man fühlt sich ertappt und überführt. Die Idylle droht zu kollabieren. Gegen Fakten und Tatsachen, seien sie auch noch so gut belegt, wird man im Moordorf weiter resistent sein, daran wird auch Krogmanns Buch nichts ändern. Aber wenn man Realitäten partout nicht anerkennen will, muss man nach den psychischen Ursachen einer solchen Resistenz fragen. Man kann sie gut erforscht nachlesen in Harlad Welzers Buch „Opa war kein Nazi“. Das Ergebnis seiner empirischen Untersuchungen zu diesem Thema war: In Deutschland hat es der jüngeren Generation von heute zufolge wundersamer Weise gar keine Nazis gegeben. Ihre Väter und Großväter waren nach diesem Glauben so gut wie alle in der Opposition und im Widerstand!
- Die unbelehrbare Uneinsichtigkeit im Künstlerdorf selbst, aber auch bei den Verteidigern des Ortes, die oftmals sogar aus der Wissenschaft kommen, ändert nichts daran, dass Krogmann ein wichtiges Buch geschrieben hat, das einen Markstein setzt, an dem auch künftige Forschungen zum Thema nicht vorbei gehen können. Der Blick hinter die Maske der gespielten Unschuld war unbedingt nötig.
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- Ferdinand Krogmann: Worpswede im Dritten Reich 1933 - 1945, Donat-Verlag Bremen 2011, ISBN 978-3-938275-89-4, 19,80 Euro
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