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Virtuelles Magazin 2000

 

Jörg Boström

Kunst und Kirche.

Zur Ausstellung Kunsträume in der St. Martini Kirche in Minden

Eine lange Geschichte.

Es waren immer wieder die christlichen Themen im kirchlichen Auftrag, welche die europäische Kunst weiter entwickelten. Von der Gotik über die Romanik zur Renaissance.

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St. Martini Kirche in Minden

Die Bibel in der Übersetzung von Martin Luther wurde im aktuellen Stil der damaligen Moderne gestaltet. Die Texte in sorgfältiger und eindrucksvoller Typographie. Gedruckt in der aktuellen Werkstatt von Hans Lufft. Nach modernsten technischen Möglichkeiten. Die Illustrationen stammen von einem bedeutenden Künstler. Lucas Cranach. Erst die genauere Betrachtung lässt auch aus heutiger Sicht erstaunen. Die Menschen der Bibel, des alten und neuen Testament, sind moderne Menschen dieser Zeit. Sie sind gekleidet in der Mode dieser Zeit. Umgeben mit Dingen und Räumen des Jahrhunderts von Luther. Es ist so, als würden wir heute eine Bibel gestalten in aktueller Typographie und realistischer Grafik, die Jünger in Jeans und Hemden, die Fürsten im dunklen Politikerdress und die Priester im schwarzen Talar mit weißem Kragen. In der Zeit waren Kunst und Kirche noch eng verbunden. Gerade auch im protestantischen Bereich. Dann gab es eine Zurück in eine zurückgenommene Ästhetik. Bildersturm im extremen Fall. Sparsame , spartanische Bibelausgaben bis heute.

Ein Kulturstreit nach der Reformation beförderte wesentlich die barocke Kunst besonders im katholischen Süden Deutschlands. Hier wurde Kirchenkunst bewusst und selbstbewusst als Präsentation katholischer Identität eingesetzt. Mit eindrucksvollen Verwandlungen der kirchlichen Architektur in weit offene wolkige Himmelsräume. Die menschlichen Figuren verbanden sich mit Heiligen und kindlichen Engeln zu ewigen und ins Unendliche schwebenden Wesen. Im Übrigen noch immer in sehr sinnlicher Anmutung und in für heutige schmale Schönheitsideale sehr üppigen, lebensbejahenden Körperlichkeit.

Mit dem Realismus des 19. Jahrhunderts begann so etwas wie eine kirchlich – künstlerische Sendepause. Die christlichen Szenen wurden romantisch verklärt. Jesus und seine Jünger wanderten in wallenden Gewändern. In eine romantisch verklärte Bildsprache. Die Welt von Industrie und Verkehr wurde zurückverwandelt. Die Kunst wanderte ab in den menschlichen Alltag. Kaffeeszenen, Spaziergänge und Erntearbeit, Wäsche, Bügeleien und Ballett rückten in den Blick der Künstler des Im- und Expressionismus. Liebes Szenen und genussvolle Aktdarstellungen. Trennung fast von Kunst der Gegenwart und Kirche. Auch da, wo Künstler etwa wie der Expressionist Emil Nolde kirchliche Szenen gestalteten, gerieten sie nicht oder selten in kirchliche Räume. Die christliche Ästhetik dagegen wirkte ehrfürchtig gestrig und wie zeitlos eingefroren.

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In der neuen, in unserer Zeit, ist zu erleben, dass die Kirchen sich wieder der realen Kunstszene zuwenden. Dass die Kirchenräume sich öffnen für die nun autonom und ohne Auftrag schaffenden Künstler.

Dies ist auch zu beobachten in Orten wie Minden, welche ein von städtischer Seite für die Kunst gering entwickeltes Angebot haben. Keine Kunsthalle, einen wenig geförderten Kunstverein ohne Räume, keine freie Galerie und diese wenigen nur in Verbindung mit dem Handel von Kunstmaterialien. Da hat die Kirche, etwa vertreten durch die beiden Heiligen St. Marien und St. Martini Initiativen ergriffen und sich geöffnet für die Künstler ihrer Gegenwart, welche meist nicht befasst sind mit kirchlicher Kunst. Es entsteht nun ein Dialog Kunst und Kirche. Kirche und Kunst.

Bei dem vom Künstlerverein angeregten Projekt ist der Raum, in diesem Unternehmen der Kirchenraum, Anstoß zum Thema „Kunsträume“. Viele Künstler reagieren nun auf das kirchliche Raumangebot. Es waren bei diesem Projekt so viele und interessante Vorschläge, dass wir zwei Termine mit der Kirchenleitung vereinbaren konnten.

Es sind angeregt durch dieses Projekt neue Arbeiten entstanden, welche sich in freier, aktueller Gestaltung zu einer Ausstellung zusammenfügen und im kirchlichen Raum eine neue Form des Dialogs und der Präsentation finden.

Vielschichtig in Material und Ästhetik sind die Bilder und Objekte. Vielschichtig und mehrdeutig sind die Inhalte.

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Da stellt sich eine Leiter in den Raum, verbunden mit einem herabhängenden Tuch. Ein Kleid. Geformt von den Brüsten von Frauen. Ein Weg in den Himmel? Stufe für Stufe? Die Bergung eines Gekreuzigten mit weiblicher Verehrung? Eine Himmelsleiter? Jakob? Die Stufen in den Himmel für eine Braut?

 

Friedgud Lapp

"Himmelsleiter"

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Die Figur Jesu als Trümmerrest wird wieder aufgerichtet vor malerischer Fläche. Wieder aufgebaut.. auferstanden. Er wird umgeben von dem Hauch der Winde, welchen die Betrachter durch ihre Bewegung auslösen.

 

 

 

 

 

 

 

Hartwig Reinboth

"Zuwendung"

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Eine endlos scheinende Sammlung von sterbenden Körpern Jesu ist verteilt auf einer glitzernden Bodenfläche, belegt mit Lichtern. Viel Licht und viel Leid. Eine Suche und ene Frage.

 

 

 

 

"Wo ist Gott?"

Dietmar Lehmann

spruteschlussel

70 Schlüssel sind bemalt als Zugriff zu 70 geheimen Fächern..

" ... sie stehen für die 70 Völker der Erde..

70, als die laut Testament dem menschlichen Leben zugemessene Zeitspanne..

.. als Schlüssel zum Glauben."

Bernhard Sprute

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"Feld mit Sperrholzzeichen", Martin Obst

"Ein Kirchenraum ist ein mit Symbolen gefüllter Raum. Dieses Feld mag mit diesen in Wechselwirkung treten."

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Wanderschuhe zu einem labyrinthischen Knoten verschlungen bilden einen düsteren Kontrast zum Kronleuchter.

 

 

"Dunkelmaterie."

Kehrschaufeln, Kehrbesen, schwarze Herrenschuhe, schwarzes Kunststoffband.

Ulrich Kügler

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"Engel, wer seid ihr?"

Sabine Pantke

wehlingbraut

Da hängt ein Brautkleid bis zur Scheidung durch den Tod. Und zur Erinnerung.

 

".. bis dass der Tod Euch scheidet".

Mary Wehling van Blaricum

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"Die Gemeinde"

als Terrakottagruppe.

 

Gudrun Wentz

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"Leuchthaus"

Christophe Carbenay

Viele Gedanken und Symbole in eindeutiger Mehrdeutigkeit. Aus dem Dialog zwischen Kirche und Kunst entwickeln sich neue Bilder, Vorstellungen, Darstellungen.

Der Raum der Kirche, nach oben gerichtet und nach vorn geöffnet, bringt bei den Schaffenden neue Werke hervor und lässt sie sich ein- und zusammenfügen in neuer Höhe und Weite. Aus Kirchenräumen werden auch Kunsträume.

Aus dem Projekt "Kunsträume" sind Projektionen entstanden. Zwischen Himmel und Erde.