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Virtuelles Magazin 2000

 


Arn Strohmeyer

Ein altes Dorf soll zu neuem Leben erblühen
 
Eine internationale Initiative will Miamou im südkretischen Asterousa-Gebirge wieder aufbauen
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Miamou ist ein Dorf im Asterousa-Gebirge in Süd-Kreta. Wie unzählige andere solche griechischen Orte ist es von langer Zerstörung heimgesucht: Die Jungen sind über Generationen abgewandert, um draußen in der Welt Arbeit und Glück zu suchen, nur die Alten sind geblieben - die Häuser verfielen, die hier häufigen Erdbeben taten ein Übriges. Die Landwirtschaft - die einzige Einnahmequelle der Bewohner - funktionierte nicht mehr richtig, das Gemeinschaftsleben des Dorfes nahm Schaden. Die alten Handwerkskünste gerieten in Vergessenheit. Die gegenwärtige große Krise verstärkt das Gefühl der Hoffnungslosigkeit noch zusätzlich. Aber nun soll Miamou dank der Initiative einiger tatkräftiger Helfer zu neuem Leben erwachen. Es soll ein Beispiel dafür werden, wie man gerade in einer solchen Lage Neues aus Ruinen erstehen lassen kann.
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Den Altertumsforschern, die sich mit Kreta beschäftigen, ist dieser Ort wohlbekannt. In Siegfried Laufers Standardwerk „Lexikon der historischen Stätten Griechenlands“ steht über das Dorf zu lesen: „In Miamou legten italienische Archäologen eine neolithische Wohn- und Grabstätte frei; sie weist die für die Höhlen Kretas typische Abfolge von ursprünglicher Wohnung und späterem Begräbnisplatz auf“. Es wurden in dieser Zeit auch schon Häuser mit festgelegtem architektonischem Plan gebaut, wobei eine Verbindung von Stein- und Ziegelbauweise mit innerem Putz verwendet wurde. Ein Ansatz erster Städtebauplanung begann sich in dieser Epoche hier schon zu zeigen, schreibt der kretische Historiker Theocharis E. Detorakis. Das Dorf ist also seit der Steinzeit bewohnt. Und die Abfolge von Leben und Tod in den Höhlen ging offenbar weiter, denn in ihnen lebten mit vorgebauten Häusern bis in das letzte Jahrhundert Menschen.
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Ein Gang durch das Dorf heute ist wie eine Zeitreise hundert Jahre oder mehr zurück - in eine Vergangenheit, die verloren und doch angesichts der Trümmer ganz nah und gegenwärtig ist. Miamou muss einst mit seinen verschachtelten und verwinkelten Gassen und Häusern ein malerischer Ort gewesen sein - nicht zuletzt wegen seiner Lage an einem Berghang. Ein gewaltiger Felsen überragt den ganzen Ort. Von ihm aus reicht der Blick über ein weites Tal mit uraltem Baumbestand bis zum Psiloritis, Kretas höchstem Berg.
Aber das gegenwärtige Bild des Dorfes ist traurig - ein Bild der Zerstörung und des Zerfalls. Überall Häuser, von denen nur noch Wände und Rümpfe wie Zahnstümpfe in die Luft ragen. Hier und dort steht noch ein steinerner Rahmen, der eine verwitterte Tür umschließt. Im Innern dieser dachlosen Hausfragmente türmen sich abgestürzte Balken und Steine, dazwischen wuchern Pflanzen, aus den Ritzen des Mauerwerks sprießen Blumen. Zwischen all den Ruinen steht da und dort aber auch ein restauriertes oder neues Haus. Es gibt doch noch Bewohner hier.
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In das Chaos des Zerfalls soll nun wieder eine bauliche Ordnung einziehen. Der Mann, der dieses Wunder in Miamou vollbringen will, heißt Costas Manidakis und stammt selbst aus diesem Dorf. Aber er hat auch die Fremde gesehen. Er hat in Genua Geologie studiert und dort entscheidende Erfahrungen gesammelt. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit einer Großgärtnerei, in der er vor allem Tomaten und Gurken heranzieht. Aber seine ganze Leidenschaft gehört dem Wiederaufbau von Miamou - ein Projekt, dem er sich seit Jahren widmet.
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Eine alte Frau hat ihn auf die Idee gebracht. Als er auf dem Friedhof Arbeiten an seinem Familiengrab vornahm, kam sie zu ihm und sagte: „Costas, Du hast so viel von der Welt gesehen. Kannst Du nicht etwas für unser Dorf tun und es vor dem Untergang retten?“ Die Frage der alten Frau hat Costas tief berührt und sie gab seinem Leben eine Wende. Die Sanierung des Dorfes hat er sich von da an zur Lebensaufgabe gemacht. Es entstand das, was Costas heute das „Miamou-Projekt“ nennt.
Er wusste natürlich von Anfang an, dass er diese Idee nicht ohne Helfer, Verbündete und Sponsoren realisieren kann. Und er fand sie in Heraklion in der „Asklepios-Gesellschaft“, die sich in symbolhafter Anspielung auf den antiken Gott der Heilkunst den Namen gab. Ihr gehören Archäologen und Architekten an, aber auch so ein einflussreicher Mann wie der frühere Präsident von Kreta Stavros Kambellis. Aus Rom steuert der frühere Direktor des Kolosseums (er ist auch Architekt), Piero Meogrossi, sein Fachwissen bei.
Selbst im fernen Schweden hat sich aus Touristen, die hier in der Gegend im Sommer ihre Ferien verbringen, eine Initiative zum Wiederaufbau Miamous gebildet. Zu ihnen gehört der Bauunternehmer Johannes Kästel, der seine Expertenkenntnisse und die seiner Firma einbringt. Selbst mit Baumaterial aus dem hohen Norden will er helfen. Kästel gehört einer Organisation an, die junge Leute im Restaurieren und Konservieren von kulturellen Monumenten ausbildet und sie dann zu Projekten in alle Welt schickt. Im nächsten Jahr schon sollen junge Schweden zusammen mit jungen Griechen in Miamou arbeiten.
Costas Manidakis will aber nicht nur Häuser im alten Stil wieder aufbauen. Seine Ziele gehen weit darüber hinaus. Mit den restaurierten Gebäuden soll das Leben in das Dorf zurückkehren. An die Vergangenheit anknüpfend, als Miamou sich weitgehend selbst versorgen konnte, will er Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Gastronomie wieder aktivieren. „Wir haben hier eine so großartige Tradition“, sagt er, „auf die müssen wir uns wieder besinnen. Das müssen wir pflegen. Dann werden auch viele von den Ausgewanderten zurückkommen. Und die Touristen werden sich auch für uns interessieren. Das Wichtigste aber ist: Wir müssen die Lethargie und die Hoffnungslosigkeit überwinden, die uns hier alle erfasst haben und niederdrücken. Das ist unser schlimmster Feind.“
Das kleine Miamou ein Beispiel und Vorbild in schwerer Zeit für das ganze Land?
(Wer an dem Projekt interessiert ist, kann sich an Costas Manidakis wenden: ledianos@gmail.com)
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