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Virtuelles Magazin 2000


Arn Strohmeyer

 

 

Wie man Antisemiten produziert

Moshe Zuckermanns hinterfragt in seinem neuen Buch die propagandistischen Methoden einer Herrschaftsideologie

(Moshe Zuckermann: "Antisemit!" Ein Vorwurf als Herrschaftsideologie, proMedia-Verlag Wien 2010, 15,90 Euro)

Moshe Zuckermann ist ein Wanderer zwischen den Welten. In Tel Aviv geboren, in Deutschland aufgewachsen, kehrte der Sohn von Holocaust-Überlebenden mit zwanzig Jahren nach Israel zurück und ist heute Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität von Tel Aviv. Der starke Einfluss des Menschheitsverbrechens Holocaust (in Israel Shoa genannt) auf die Politik und Mentalitäten Deutschlands und Israels und darin eingeschlossen das Schicksal der Palästinenser ist sein Thema. Und gerade deshalb ist das, was dieser brillante Intellektuelle zu diesen brisanten Zusammenhängen zu sagen hat, für die Deutschen als Land der Täter so wichtig, wie jetzt sein neuestes Buch belegt. Der provozierende Titel verrät schon, dass Zuckermanns Denken sich nicht in herkömmlichen Schablonen bewegt, sondern die Dinge von einer radikal-aufklärerischen Position aus sieht, die ganz offensichtlich stark ideologisch belastete Mehrheitssicht der Problematik Holocaust, Antisemitismus und Naher Osten in vielem korrigiert und zugleich Wege aus dem so verwirrendenden und unlösbar scheinenden Dilemma aufzeigt. Nicht nur das - Zuckermann fordert zu einem totalen Paradigmenwechsel auf diesem Politikfeld auf.

Gibt es einen "neuen Antisemitismus" in der Welt und in Deutschland? Bevor Moshe Zuckermann zu dieser Frage Stellung nimmt zitiert er den deutschen Historiker Theodor Mommsen, der im 19. Jahrhundert den "alten Antisemitismus" sehr treffend so definiert hatte: "Antisemiten hören nur ihren eigenen Hass und Neid, ihre eigenen niedrigsten Instinkte. Alles andere zählt für sie nicht. Sie sind taub für Vernunft, Recht und Moral. Man kann sie nicht beeinflussen. Es ist eine fürchterliche Epidemie, wie die Cholera - man kann sie weder erklären noch heilen."

Trifft diese Charakterisierung auch auf Leute zu, die nichts gegen Juden haben, aber dem Staat Israel vorwerfen, dass die Politik seiner Regierungen seit 1967 "ein über vierzig Jahre währendes Regime der Okkupation fremder Gebiete unterhält" und dies eine "Politik der Expansion , Usurpation und der gewaltsamen Beherrschung eines anderen Volkes" ist (Zuckermann), die in jeder Beziehung gegen das Völkerrecht und viele UNO-Resolutionen verstößt? Für die israelische Politik sowie für jüdische und nicht-jüdische Freunde und Anhänger dieses Staates ist auch eine solche Kritik "antisemitisch". Als erster hat den Begriff des "neuen Antisemitismus" Israels Außenminister Avigdor Lieberman benutzt, als er auf einer "Tagung gegen Antisemitismus" in Jerusalem davon sprach, dass auf der Welt vielerorts Hass gegen Juden geschürt und so die Delegitimierung Israels betrieben werde. Menschen, die Israel so attackierten, bestritten ihm sein Existenzrecht und wollten den jüdischen Staat und sein Selbstbestimmungsrecht zerstören. Lieberman stellte unmissverständlich klar, dass jedwede Kritik an Israel und seiner Politik "neuer Antisemitismus" sei.

Einmal davon abgesehen, so Zuckermann, dass es Zweifel an der Legitimität der Existenz Israels und entsprechende Kritik seit der Gründung dieses Staates 1948 gebe und Israel damit habe gut leben können, müsse man aber fragen: Gibt es berechtigte Gründe für Kritik an Israel, die dann als "neuer Antisemitismus" apostrophiert werden könne? Wobei fälschlicherweise Israel, Judentum und Zionismus - mithin Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik - gleichgesetzt werden. Zuckermann erinnert daran, dass gerade Israel, was sehr viele Deutsche nicht gern hören wollen, kein unbescholtenes Gemeinwesen ist. Seine schiere Gründung habe schon die Katastrophe eines anderen Volkes (der Palästinenser) bedeutet und seine Funktion als "Zufluchtsstätte der Überlebenden" des Holocaust sei nicht leicht mit seiner eigenen politisch-militärischen Praxis und dem Umgang mit der von ihm selbst verursachten Opferrealität vereinbar. Der gegen Israel gerichtete "Antisemitismus"hat also - so Zuckermann - sehr wohl etwas mit der Politik dieses Staates zu tun, denn dieses "etwas" verdankt sich "einem historischen Unrecht, das von Juden an den palästinensischen Bewohnern des Landes angerichtet worden ist, auf dem sie ihren Staat errichtet haben." Und dieses Unrecht dauert bis heute an und macht einen wirklichen Frieden im Nahen Osten unmöglich.

Aber über dieses Unrecht gibt sich das offizielle Israel keine Rechenschaft ab, geschweige denn, dass es bereit ist, Verantwortung dafür zu übernehmen. Dieses Thema ist in Israel ein absolutes Tabu, wird in "kollektiv-narzisstischer Selbstgerechtigkeit" verdrängt (Zuckermann). Der historische und heutige politische Weg des Zionismus gilt als nicht hinterfragbar. Zuckermann zitiert einen aufschlussreichen Artikel über das heutige Verhältnis der Israelis zu den Palästinensern, den der israelische Publizist Yitzhak Laor in der Tageszeitung "Haaretz" (12.5.2010) veröffentlich hat. Er schreibt: "Die besetzten Gebiete sind fern. Die Palästinenser leben in der Ferne. Für dieses Trugbild ist die Mauer verantwortlich, die separaten Straßen, das Militär und die Fernsehnachrichten. Judäa und Samaria sind nah. Die Siedler leben unter uns. Sie werden wahrgenommen, ihre Häuser werden wahrgenommen. Sie sind im Militär. Sie sind das Militär. Aber die Trennung zwischen den ganz Nahen, den Wahlberechtigten, den Inhabern von Waffen, Rechten und Budgets, und denen, die in gleicher physischer Entfernung leben, aber entfernt bleiben müssen, jenseits der Mauern, der Zäune, der Sperren - diese Trennung wird mithilfe der Weigerung zu wissen vollzogen, der Leugnung."

Diese Verdrängung des historischen und des gegenwärtigen Unrechts ist in der Tat schlimm. Zuckermann nennt sie "horrend", weil dieses Wissensverbot bedeute, dass das Bewusstsein der Israelis sich nicht frei an Tatsachen, Bildern, Stimmen und Optionen schärfen könne, weil die Realität ausgeblendet werde. Die Auswirkung auf das politische Bewusstsein der Israelis nennt Zuckermann "katastrophal" und fügt sarkastisch hinzu: "Mag der sich selbst setzende Judenstaat dabei zu grunde gehen, wenn dabei nur noch kräftig 'Terror!' und 'Antisemitismus' gebrüllt wird."

Die Verdrängung und die Tabuisierung des Unrechts an den Palästinensern ist schlimm. Aber noch viel schlimmer ist für Zuckermann die Instrumentalisierung des Holocaust durch das offizielle Israel und seine Anhänger. Und beides hängt natürlich eng miteinander zusammen. Denn - so der Autor - Israel schämt sich nicht, einen mit realer Zionismus-Kritik gleich gesetzten "Antisemitismus" theatralisch anzuprangern, ohne sich die geringste Rechenschaft darüber abzulegen, was seine eigene politische und militärische Praxis an Verbrechen gezeitigt hat und ob der vorgebliche "Antisemitismus" nicht etwas mit eben diesen Verbrechen und mit der Leugnung dieser Untaten zu tun hat. Als Beleg dafür, dass dem so ist, führt Zuckermann eine in der israelischen Zeitung "Haaretz" (12.4.2010) veröffentlichte Untersuchung an, der zufolge die Anzahl antisemitischer Gewaltausbrüche in der Welt im Jahr 2009 infolge des Gaza-Krieges um 100 Prozent angestiegen sei.

Zuckermann ist also keineswegs der Meinung, wie man ihm unterstellen könnte, dass es auf der Welt keinen Antisemitismus gibt und dass man ihn nicht mit allen Mitteln bekämpfen müsse. Wogegen er sich aber wendet, und das ist das Thema seines Buches: dass die Erinnerung des Holocaust auf eine zynische Weise dazu benutzt wird, um die eigenen Untaten zu verschleiern oder sogar ganz aus der Erinnerung zu löschen. Holocaust und Antisemitismus werden also dazu benutzt - so Zuckermann - , als "Blitzableiter eigener Defizite, Vergehen und Verbrechen" zu dienen und als exklusives Privileg, unter dem Vorwand einen neuen Holocaust zu verhindern, seine brutale Gewalt- und Besatzungspolitik fortzusetzen. Oder anders gesagt: Israel schafft einerseits Wirklichkeiten - reale und brutale in Gesellschaft und Politik - , meint aber andererseits diese durch aus dem Holocaust abgeleitete Selbstviktimierung (Sich-selbst-zum Opfer-erklären) rechtfertigen oder verdecken zu können. Zuckermann wörtlich: "Das Unerhörte besteht demnach nicht nur in der perfekten Ideologisierung der Shoah als Begriff, sondern in der Unvereinbarkeit von moralischem Anspruch und der in seinem Namen verursachten Realität."

Zuckermann sieht das Verhältnis Israels zum Antisemitismus und zum Holocaust zur puren Ideologie entartet, eben zur Herrschaftsideologie, mit der jede Kritik an Israel und seiner Politik als "Antisemitismus" abgewehrt werden soll. Das verwundert einerseits nicht nur deshalb, weil Israel immer so stolz betont, die "einzige Demokratie" im Nahen Osten zu sein und Meinungsfreiheit und Kritik nun mal das Wesenselement jeder Demokratie sind, sondern auch, wie skrupellos in Israels Politik Judentum und Zionismus gleichgesetzt werden. Der Autor definiert die Absicht dieses Vorgehens so: "Das ist ja Zweck und Logik des Antisemitismus-Vorwurfs als Herrschafts- und Ideologieinstrument: alles Unliebsame mit Antisemitismus und dem von ihm wie selbstverständlich abgeleiteten Israelhass derart zu besudeln, dass das eigentliche (politische) Interesse des Besudelnden sich - gleichsam 'moralisch' - hinter dem Besudelungsattribut verstecken kann." Und an anderer Stelle heißt es: "Nichts lässt sich in den polemischen Schlachten der zionistischen Ideologie effektvoller instrumentalisieren, nichts geriet ihr besser zur strategischen Waffe als der Antisemitismus. Darin weiß sich der Zionismus gewiss - kann er doch stets mit einem unschlagbaren Beleg aufwarten: der Shoah."

Auf der Strecke bleiben bei einer solchen Ideologisierung von Shoah und Antisemitismus nicht nur die historische und die politische Wahrheit, sondern vor allem auch das wirkliche Erinnern. Denn durch diese Instrumentalisierung und Ideologisierung sieht Zuckermann die "Wahrung der Würde der historischen Opfer der Shoa im Stande ihres Opferseins" nicht mehr gewährleistet. Das Gedenken an die Opfer sieht er zur "schändlichen Koketterie verkommenen Umgang mit der Vergangenheit" an, "weil das Wesen des zu Erinnernden (die Opfer im Stande ihres Opferseins) durch fremd bestimmte Zecke entstellt worden ist." Zuckermann, selbst Sohn von Holocaust-Überlebenden, stellt erschreckt fest: "Noch nie ist der konstruierte Zusammenhang von Zionismus, Israel, Shoa, Antisemitismus und Nahostkonflikt so weidlich instrumentalisiert, perfide ausgekostet und schändlich missbraucht worden wie im gerade abgelaufenen ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts."

Indem Shoah und Antisemitismus durch ständige Instrumentalisierung zu leeren, aber sehr gefährlichen Worthülsen gemacht werden, werden sie inflationär banalisiert. Diese Banalisierung muss auch das Erkennen und das Bekämpfen des real existierenden Antisemitismus schwächen. Zuckermann warnt immer wieder vor dieser fatalen Konsequenz. Dabei hat (und das verwundert den deutschen Leser, er muss es aber dem israelischen Autor abnehmen, der sein Land kennt) das offizielle Israel stets wenig Interesse am Antisemitismus außerhalb seiner Grenzen gezeigt, was mit der Spannung zwischen den in Israel lebenden Juden und denen in der Diaspora zusammenhängt. Man sagte sich eben: Wenn diese Juden das Leben in Israel verschmähen und ein Leben in der Diaspora vorziehen, sollen sie sich nicht wundern und beklagen, dass sie antisemitischen Ausfällen ausgesetzt sind. Das offizielle Israel sei nur dann an antisemitischen Vorkommnissen in der Welt interessiert, wenn sie Israel direkt tangierten. Interessant werde der Antisemitismus erst dann, wenn er sich an Antizionismus und Israelkritik anbinden lasse.

Wer trägt nun den ideologisierten Antisemitismus-Vorwurf verbunden mit der Instrumentalisierung der Shoah - aktiv oder passiv hinnehmend - mit? Zuckermann zählt eine lange Reihe von Beteiligten auf: neben israelischen Offiziellen und einem Teil der Juden in der Diaspora nennt er auch die deutsche Regierung deutsche Israel-Freunde und -Anhänger sowie Politsekten wie die sogenannten "Antideutschen". Letztere haben sich schon in den etablierten Parteien ausgebreitet und dort Positionen erobert. Sie alle unterzieht Zimmermann einer beißenden Kritik.

Als Beispiel für israelische Politiker nennt er die Rede des israelischen Staatspräsidenten Simon Peres am 27.1.2010 anlässlich des Holocaustgedenktages im Deutschen Bundestag, in der dieser viel von "Frieden, Versöhnung und Liebe" gesprochen hatte. Er erhielt viel Beifall für seine Ausführungen - mit Ausnahme dreier Abgeordneten der Linken. Angesichts der brutalen israelischen Besatzungspolitik, die Peres in verschiedenen politischen Funktionen maßgeblich mit zu verantworten hat, konstatiert Zuckermann: "Wenn die 'Lehre' aus der Shoah solcherart hohl proklamiert wird, erweist sich nicht nur dieses Postulat der 'bewegenden Rede' als leeres Getöne, sondern die Shoa-Erinnerung selbst wird zum Mittel fremd bestimmter Ideologie degradiert." Die Rede habe die enge Anbindung der Shoa an Israel und den Zionismus demonstriert. Als Beleg dafür führt Zuckermann auch einen Kommentar des israelischen Publizisten Gideon Levy an: "Der Holocaust darf niemals vergessen werden, aber es gibt keinen Anlass, ihn mit irgendetwas zu vergleichen. Israel muss seinen Teil dazu beitragen, um die Erinnerung lebendig zu erhalten, aber bitte mit reinen Händen. Israel darf nicht den Verdacht erwecken, dass es die Erinnerung an den Holocaust auf eine zynische Art und Weise dazu verwendet, um eigene Untaten zu verschleiern oder gar aus der Erinnerung zu löschen. Leider tut es genau das." ("Haaretz", 3.2.2010)

Wie schnell auch in der Diaspora lebende Juden mit dem "Antisemitismus"-Vorwurf gegenüber Israel-Kritikern bei der Hand sind, belegt Zuckermann an Hand von Äußerungen von Mitgliedern des Zentralrats der Juden in Deutschland, die davon lebten, "dass sie den Antisemitismus-Vorwurf zur Mehrung ihres nur in Deutschland ihnen ermöglichten politischen Kapitals immer wieder instrumentalisieren." Ihr Vorgehen nennt er "zensorisch-paranoid". Der von diesen "Antisemitismusjägern" gegenüber israelkritischen Juden, die in Israel selbst oder in der Diaspora leben, immer wieder erhobene Vorwurf, diese seien von "jüdischem Selbsthass angefressen" oder sie seien sogar "jüdische Antisemiten", hält Zuckermann zwei Argumente entgegen: Eine solche Annahme des "Selbsthasses" bei jüdischen Israelkritikern beruhe erstens auf der unhaltbaren Annahme, dass das Jüdische der von ihnen Geschmähten sich an "Israel" festmache. Außerdem sei die Voraussetzung völlig irrig, dass es eine essenzielle jüdische Grundsolidarität gebe, die über allen Meinungsverschiedenheiten und Weltanschauungsdifferenzen stehe und ein stille Übereinkunft "unter Juden" garantiere. Die habe es vielleicht bei Bedrohungssituationen unter Juden in der Diaspora gegeben. In Israel werde sie heute noch von der politisch Rechten und paranoiden Nationalchauvinisten gehegt.

Als zweiten Punkt führt Zuckermann gegen den Vorwurf des "jüdischen Selbsthasses" und des "jüdischen Antisemitismus" in der Diaspora gegen israelkritische Juden an: "Diesen Juden will es offenbar gar nicht in den Sinn kommen, dass sich israelische Bürger um ihr Land sorgen könnten; dass sie den von ihm beschrittenen historischen Weg fürchten, weil sie den Abgrund absehen, in den dieser Weg historisch führen muss; dass sie von den verfestigten Strukturen angewidert sind, die die Zivilgesellschaft dieses Landes zerstören, seine ökonomischen, ethnischen und kulturellen Klüfte fortwährend erweitern und dabei Fremdherrschaft, Alltagsrassismus, Chauvinismus und Militarismus speisen und fördern. Dies kann ihnen gar nicht in den Sinn kommen, weil sie Israel nur als ein Abstraktum wahrnehmen, als Projektionsfläche ihrer diasporischen Idiosynkrasien (Überempfindlichkeiten), als das große fremde Projekt des Zionismus, dem sie letztlich nicht angehören - sie als in Deutschland lebende Juden am allerwenigsten. Sie müssen diejenigen besudeln, die ihnen ihre Nichtzugehörigkeit zur israelischen Realität widerspiegeln; ihre Solidarität mit Israel ist nichts als die Kompensation des Grundmangels dessen, was noch der israelkritischste aller Israelis ihnen voraus hat."

Der Vorwurf des "jüdischen Selbsthasses" und des "jüdischen Antisemitismus" gegen israelkritische Juden wird auch von deutschen Freunden und Anhängern Israels und speziell von der Politsekte der sogenannten "Antideutschen" gebraucht. Was Zuckermann verständlicherweise als besonders unappetitlich und pervers empfindet, wenn ausgerechnet Deutsche Juden in schlechte und gute "selektieren". Der Autor widmet diesen "Keulenschwingern", die es sich zu speziellen Aufgabe gemacht haben, Israel-Kritiker und "Antisemiten", vor allem "linke", gnadenlos zu jagen, ihre Veranstaltungen zu verhindern und sie an den "antisemitischen" Pranger zu stellen, viele Seiten seines Buches. Diese ursprünglich von der linken Seite des politischen Spektrums stammende Bewegung hat aus dem Mega-Verbrechen Auschwitz ein "Antideutschtum" abgeleitet und borgt sich nun ihr politisches Selbstverständnis aus einer totalen Identifizierung mit Israel aus. Dass sie eine politische Wandlung von der äußersten Linken zu radikalen Kapitalismus-Anhängern der neoliberalen Globalisierung vollzogen haben, ist ein nur schwer zu verstehendes Kuriosum in der deutschen Politszene, aber so weit sind sie vom Mainstream der deutschen Politik ja auch gar nicht entfernt.

Die völlige Solidarisierung der "Antideutschen" und ähnlich Gesinnter mit Israel muss natürlich die gleichzeitige ideologische Anfeindung gegenüber Arabern, Palästinensern und Muslimen bedeuten. Da es - so Zuckermann - "objektive Gründe für eine vollkommen berechtigte, ja notwendige Israel-Kritik gibt", müssten sie sich fragen lassen, wie sie die offenkundige Blindheit/ Ignoranz/ Verdrängung erklärten, mit denen sie der Realität in Israel gegenüberständen. Dies müsse mit eigenen deutschen Befindlichkeiten zusammenhängen. Zuckermann konstatiert bei den "Antideutschen" einen aus der eigenen Schuldabwehr gebildeten starken antijüdischen Affekt, der sich auf einen islamophoben Araberhass verlagert habe. Nun werde beides zugleich möglich: unterschwellig verhasste, weil Schuld erzeugende Juden zu "lieben", zugleich aber judenfeindliche Araber, mit denen man sich uneingestandenermaßen solidarisiert, zu hassen.

Dass der Philosemitismus nur die andere Seite der Medaille des Antisemitismus ist, weil das philosemitische Ressentiment gegenüber Juden dem antisemitischen in nichts nachsteht, ist bekannt. Zuckermann überführt nun auch die engsten Freunde Israels dieses Tatbestandes - gemäß dem Satz eines israelischen Psychologen, dass die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen werden. Zuckermann schreibt: "Der 'antideutsche' Juden- und Israel-Freund erblickt in allen den drohenden 'Antisemitismus', auf den er das projiziert, was er sich selbst nicht eingestehen darf, gerade weil er sich mit ihm identifiziert: die eigene in die Latenz verwiesene antisemitische Regung." Und: "Die Antideutschen können den Eros ihrer 'antideutschen' Selbstverneinung einzig aus dem verdrängtem Ressentiment denen gegenüber beziehen, an denen sie schuldig geworden sind."

Diese "Antisemitenjäger" sind in Wirklichkeit also selbst Gejagte! Ihr politisches Tun, das vor wiegend aus "Verleumdung, Besudelung, Hetze" und Diffamierung besteht, widert Zuckermann so an, dass er es nur mit Begriffen wie "perfide" und pervers" bezeichnen kann. Er weist darauf hin, dass es wohl kaum jüdische Israelis gibt, die mit solchen deutschen Freunden zu tun haben wollen, die sich ihre politische "jüdische" Identität angeeignet haben. Zuckermann unterstellt ihnen auch, dass reale Juden die 'Antideutschen' gar nicht interessieren. Sie brauchten die Juden nur als Abstraktum und Projektionsfläche, um ihre deutschen Befindlichkeiten "in narzistisch-politischer Selbstsetzung" zu befriedigen. Denn die "Antideutschen" seien entgegen ihrer eigenen Auffassung sehr deutsch, unterlägen einer "deutschen Pathologie", es gehe ihnen um nichts anderes als um ihr Deutschsein. Zuckermanns abschließendes Urteil über diese Politsekte, die auch in der Linkspartei mit der Jugendgruppe Shalom einen Ableger hat, lautet: "Es ist schon merkwürdig, mit welcher Unbeschwertheit nichtjüdische Deutsche heutzutage Juden als 'Antisemiten' zu schmähen sich anmaßen, wenn diese die wackligen Prothesen ihrer über 'Juden' und 'Israel' gewonnenen Identität ins Wanken bringen."

Aber das Schmähen von jüdischen oder nichtjüdischen Israel-Kritikern ist kein Privileg von "Antideutschen". Zuckermanns durchgehende These ist, dass der Antisemitismus-Vorwurf - vor allem in Deutschland - selbst zum Fetisch geronnen ist. Seine Sachwalter gerierten sich wie "Gesinnungspolizisten" und "Keulenschwinger". Wenn aber überall Antisemitismus vermutet und dem Antisemitismus-Vorwurf unterworfen wird, muss der Begriff notwendig verwässert und entleert werden. Die Jagd nach Antisemiten ist zur ausufernden Hysterie geworden. Zuckermann schreibt: "Vor lauter Antisemitismus-Jagd ist inzwischen jeder und jede im deutschen öffentlichen und halb öffentlichen Raum tendenziell dem drohenden Vorwurf ausgesetzt, manifest oder latent antisemitisch zu sein, wobei die keulenartige Drohgebärde mittlerweile so wirkmächtig geworden ist, dass viele in eingeschüchtert-vorauseilender Unterwerfung die perfiden Regeln des Katz-und Maus-Spiels verinnerlicht haben und ihnen nichts dringlicher erscheint, als den Vorwurf dessen, was ihnen gar nicht in den Sinn gekommen war, entkommen zu sollen. "

Dass gerade auch die deutsche Nahostpolitik und die "besonderen Beziehungen" zu Israel, die "bedingungslose Staatsräson" sind, dem Diktum und der Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf unterliegen, belegt Zuckermann an vielen Beispielen. Auch dass das Shoa-Andenken dabei ökonomisch instrumentalisiert wird. Die deutsche Politik hat, weil es an den Juden etwas wieder gutzumachen gab und gibt, nie zur Kenntnis genommen, dass der israelischen Staatsgründung ein anderes Volk zum Opfer gefallen ist und die Gewaltpolitik diesem Volk gegenüber bis heute anhält. Dieser Umstand wurde und wird schlicht verdrängt, was einer Vertuschung der akut herrschenden Repressionsverhältnisse zwischen Juden und Palästinensern gleichkommt. Wenn aber die deutsche Israel- und Nahost-Politik die Leiderfahrung der Palästinenser wohlbedacht ausspart, "dann gehorcht auch sie den Maßgaben eines latenten 'Antisemitismus'-Diskurses. Ein schwerer, aber berechtigter Vorwurf, den Zuckermann hier erhebt. Aber was kann man ihm entgegenhalten, wenn er fragt, welch immenser Schaden dem emanzipierten Kampf gegen Unrecht, herrschaftliche Gewalt und Repression durch die ideologisch entstellte Vereinnahmung der Kategorien "Antisemitismus", "Shoa", "Zionismus" und "Israel" zugefügt wird?

Zuckermann hat mit seinem Buch eine scharfe und glänzende Analyse des deutsch-jüdischen und deutsch-israelischen Verhältnisses geliefert, die natürlich auf erbitterten Widerstand stoßen wird. Es ist aber schwierig, ihn zu widerlegen, weil jeder Angriff auf sein Buch seine Thesen nur belegt. Aber sein Ansatz ist richtig und wahr. Es ist gut, dass dieser mutige Israeli gerade der Deutschen die Augen für die Realitäten in Israel öffnet, die die meisten Deutschen sich weigern zur Kenntnis zu nehmen. Es wird höchste Zeit, dass dieser so wichtige Politik-Bereich aus seiner ideologischen Erstarrung befreit wird. Das kann einem wirklichen Nahost-Frieden, der diesen Namen verdient, und damit gerade auch Israel nur gut tun.