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Virtuelles Magazin 2000

 


Annette Bültmann
War noch nie in Arkadien
Der Mythos Arkadien in Kunst und Dichtung geht zurück auf die Antike, auf die Hirtengedichte Vergils (70 - 19 v. Chr.), die wiederum ihr Vorbild finden in den Idyllen des griechischen Dichters Theokrit (3.Jahrhundert v. Chr.), Hirtengedichte aus dem ländlichen Leben, die auch der Ursprung des heutigen Wortes Idyll sind.
Zu den Hirtengedichten Vergils entstanden Abbildungen, auf denen Hirten und Tiere zu sehen sind, z.B. vom Meister des Vergilius Romanus, einem Künstler der Spätantike, dessen Name nicht bekannt ist. Die Illustrationen dieses Malers werden kunstgeschichtlich zwischen der Spätantike und der mittelalterlichen Buchmalerei eingeordnet.
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Illustration eines Hirtengedichts vom Meister des Vergilius Romanus, Quelle Wikipedia

In der Renaissance wurde der Mythos Arkadien wiederbelebt und bis in die Neuzeit hinein entstanden Bilder mit Schafen in lieblicher Landschaft und literarische Werke der Pastoraldichtung. Wie es euch gefällt (engl. As You Like It) ist ein Theaterstück von William Shakespeare, in dem die wegen Intrigen von einem herzöglichen Hof in eine Waldlandschaft, den Forest of Arden, geflüchteten Figuren dort auf eine Ziegenhirtin und einen Schäfer treffen. In der deutschen Übersetzung wurde das Stück dann geografisch in den Ardenner Wald verlegt. Während der Forest of Arden in England ist, liegen die Ardennen im Westen des Rheinischen Schiefergebirges, in Belgien, Frankreich und Luxemburg. Angesichts dessen, dass nicht völlig sicher zu sein scheint, wo sich das mythologische Arkadien befindet, ist das nicht weiter erstaunlich.

Zwar gibt es eine relativ karge griechische Landschaft, die wahrscheinlich der ursprüngliche Namensgeber war, einen Landstrich des Peloponnes, der auch heute noch Arkadia heisst, bzw. Regionalbezirk Arkadien (gr. Periferiaki Enotita Arkadias). Dort ist aber nicht allzuviel los, und deshalb sucht man das mythologische Arkadien dort eher selten.

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Map of Arcadia, cropped from old public domain map of Greece, from the Perry-Castaneda Library Map Collection, Historical Atlas by William R. Shepherd, Quelle Wikimedia Commons

Et in Arcadia ego, "Auch ich war in Arcadien", ist eine Inschrift, die wahrscheinlich zum ersten Mal auf einem Gemälde des Barockmalers Francesco Barbieri, genannt "Il Guernico" auftaucht, auf dem Hirten ein Vanitas-Stilleben betrachten. Sie taucht wieder auf in zwei Gemälden von Nicolas Poussin (1594–1665) "Die Hirten von Arkadien" 1 und 2, die in den Jahren 1629-1630 und 1638-1640 entstanden.

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Nicolas Poussin, Die Hirten von Arkadien, um 1629-1630, Quelle Wikimedia Commons

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Nicolas Poussin, Les Bergers d'Arcadie ou Et in Arcadia ego, Vers 1638 - 1640, Quelle Wikimedia Commons

Friedrich Schiller lässt ein Gedicht mit der Zeile "Auch ich war in Arkadien geboren" beginnen, und Johann Wolfgang von Goethe stellt seiner "Italienischen Reise" als Motto "Auch ich in Arkadien!" voran. Die zu Goethes Zeit übliche Italienreise hatte schon sein Vater unternommen, und auch andere Dichter, wie Herder oder Lessing, besuchten Rom.

Das mythologische Arkadien war zu dieser Zeit von Griechenland nach Italien verlegt worden, wo man es eher vorfand als in dem kargen Kalksteingebirge nördlich von Sparta.

In Italien gab es zur Zeit Goethes deutsche Künstlerkolonien. Besonders zog es den Dichter nach Rom, wo er im November 1786 ankam und fast vier Monate blieb, dann weiterzog nach Neapel, um im Juni 1787 erneut in Rom anzukommen, und dort bis zum April 1788 zu bleiben. Er studierte die bildende Kunst der Antike, und traf dort unter anderem die Künstler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Johann Heinrich Meyer und Angelika Kauffmann. In dem Haus, das Goethe und Tischbein bewohnten, befindet sich heute das Museum Casa di Goethe.
1787 malte Tischbein das bekannte Bild von Goethe in der römischen Campagna.

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Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Portrait Goethes in der Campagna, gemalt 1787 in Rom, Quelle Wikimedia Commons

Durch die Italienreisen von Goethe und anderen Künstlern und Dichtern kamen Bildungsreisen nach Rom so sehr in Mode, dass noch in meiner Schulzeit die Oberstufe des Gymnasiums dorthin reiste und in er Mittagshitze über das Forum Romanum gezerrt wurde, wo aber nicht das rechte Arkadien-Gefühl aufkam, zumal es dort keine Schafe gibt, aber zur Zeit meiner Klassenfahrt dorthin gab es auf dem Forum einige sehr magere Katzen.

In der heutigen Zeit ist Arkadien anscheinend nach Sizilien verlegt worden, man könnte sich fragen, ob es sich im Laufe der Zeit immer weiter nach Süden bewegt. In dem Fantasy-Roman
"Arkadien erwacht" von Kai Meyer scheint es zwar nicht in erster Linie um Schäfer zu gehen, aber trotzdem lassen Titel und Cover des Buchs Einiges an Landschaft und Fauna erwarten. Eine neuzeitliche Version der Schäfer-Dichtkunst?

Mensch - Tier -Verwandlungen, wie in diesem Buch, lassen sich im weiteren Sinne als schamanisches Motiv betrachten. Der Schamane trifft bei Reisen in die geistige Welt immer wieder auf Tiere, die ihn begleiten und beschützen können, und von denen er Mitteilungen empfangen kann.
In der christlichen Religion werden Schafe und der Schäfer häufig als Sinnbild verwendet, die durch den guten Hirten geleitete Herde, wobei Schafe als unschuldig und sanftmütig betrachtet werden. Im alten Griechenland ist jedoch Pan der Schutzgott der Schafe, ein Gott, der nicht unbedingt die Sanftmütigkeit verkörpert, ein Mischwesen aus Mensch und Ziegenbock, vor dem sich die Hirten manchmal auch fürchteten, und der auch dem Gefolge des Dionysos zugeordnet wird.

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Young Pan and a dancing maenad. Apulian red-figured olpe, ca. 320Ð310 BC. From Ruvo. Quelle Wikimedia Commons

Wird Arkadien heute noch gesucht und gefunden?

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Schafe in Telgte, 2010

Wird Arkadien in der virtuellen Welt gesucht und gefunden?

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Im Second Life, The Enchanted Forest of Dyfed, Cheonma, auf der Suche nach virtuellen Schafen und Hirten. Bisher nicht fündig geworden, stattdessen eine Einkaufstasche gefunden.

 

Fortsetzung folgt in der Ausgabe 60 des vm2000.net.