Kai Artinger

Leuchtender Kosmos aus Farbstaub

Die großartigen Pastelle des Franzosen Sam Szafran im Max Ernst Museum Brühl

Pastelle sind in Dauerausstellungen unserer Kunstmuseen selten. Noch seltener sind Sonderausstellungen, die sich dieser Technik widmen. Gänzlich als Rarität müssen sie betrachtet werden, wenn die ausgestellten Werke von einem 76-jährigen Maler aus Paris kommen, der nie zuvor in Deutschland ausgestellt hat. Sam Szafran, 1934 in Paris geboren, ist ein solch seltener Fall. Doch sein Schicksal ist aufs engste mit Deutschland verwoben. Fast die gesamte Familie des Sohns polnisch-jüdischer Einwanderer wurde von den Deutschen im Holocaust ermordet.

Die Ingredienzen für eine kleine Ausstellungssensation sind somit gegeben: die Trockenmalerei als ungewöhnliches Medium, der geheimnisvolle Unbekannte, ein großer Schritt zur persönlichen Versöhnung. Es wundert nicht, dass das Max Ernst Museum in Brühl bei Köln die Ausstellung für eine „großartige Entdeckung“ hält. Und es ist wahr, Szafran ist ein faszinierender Pastellist. Doch bei allem Verdienst der Kuratoren, diese Schau ermöglicht zu haben, bleibt festzuhalten, ganz so unbekannt ist der Maler nicht. Selbst bei uns nicht. Denjenigen, die sich für die Pastellmalerei und ihre Geschichte interessieren, ist er durchaus geläufig. Denn schon vor über 25 Jahren konnte man über ihn lesen, in einem ins Deutsche übersetzten Buch von Geneviève Monnier, der Konservatorin für Graphik im Pariser Louvre. In ihrer Geschichte des Pastells finden sich zwei Arbeiten aus den frühen 70er Jahren, die nun in Brühl im Original zu bewundern sind und Szafrans internationalen Erfolg begründeten. Bis in die Sammlungen des New Yorker Metropolitan Museum of Art hat es der Maler geschafft. Eher zufällig stand ich bei einem Museumsbesuch im Herbst 2008 plötzlich zwei Varianten des Zyklus „Modell im Atelier, Rue Crussot“ gegenüber, die aus einer Privatsammlung ins Met gekommen sind.

Szafran ist also trotz seines zurückgezogenen Lebens in Paris in der internationalen Kunstszene kein Unbekannter. Aber das künstlerische Material, das von Natur aus sehr fragil ist, bedingt mit seine Außenseiterstellung im sich immer schneller kreisenden Ausstellungskarussell. Historisch gesehen war das nicht immer so. Obwohl das Pastell eine Art Zwitterwesen zwischen Grafik und Malerei ist, hatte es Glanzzeiten. Etwa im Rokoko, wo es zum internationalen Stilphänomen aufstieg. Dieses Phänomen kann in einigen wenigen deutschen Museen studiert werden, so in der Alten Pinakothek in München oder, noch besser, im Dresdner Zwinger. Letzterer kann sich rühmen, gleich ein ganzes Kabinett vorweisen zu können, in dem zahlreiche Werke der Königin des Pastells, der venezianischen Malerin Rosalba Carriera, hängen. Wohl zu keiner Zeit war eine Künstlerin international berühmter und begehrter als diese Italienerin, die wie keine andere die Pastellmalerei im 18. Jahrhundert beeinflusste und am französischen Hof Ludwigs XV. glanzvolle Erfolge feierte.

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Ohne Titel (Blattwerk mit Lilette und Pastellkasten), 1985

Die Bellini-Treppe, 1972

Sam Szafrans Kunst kann man in der großen französischen Tradition der Pastellmalerei sehen, denn die Franzosen haben immer wieder Meister dieser Technik hervorgebracht. Als der Größte unter ihnen gilt Edgar Degas, dessen radikale malerische Experimente ohne das Pastell kaum denkbar sind und der die Entwicklung der modernen Malerei mit Mischtechniken vorantrieb. Für Degas war nichts unmöglich, alles war erlaubt, wenn es denn seinen Zielen des künstlerischen Ausdrucks diente. Wie der große Franzose ist auch Szafran ein begnadeter Pastellist, auch er entwickelte eine spezielle Mischtechnik, in der Pastell, Aquarell, manchmal auch Kohle, amalgamiert werden zu einem unverwechselbaren Stil. Dabei beschränkt Szafran sich auf wenige Themen, zu denen das Interieur, Treppen, Blattwerk und Porträts gehören. Er liebt die Variation von Motiven, schafft zu einzelnen ganze malerische Zyklen wie den genannten über das Atelier des Künstlers, in denen er selbst klein, beinahe marginalisiert, in Erscheinung tritt.

Szafran liebt das Spiel mit der Perspektive. In seinen Treppenhausbildern bricht er mit der Zentralperspektive, er montiert einen multiperspektiven Bildraum, der aus verschiedenen Betrachterblickwinkeln gesehen ist, oder den er nach dem Prinzip der Anamorphose verzerrt. Ihm gelingt es dadurch, eine paranoide Atmosphäre zu erzeugen, die ähnlich spannungsgeladen ist wie in Piranesis berühmter Carceri-Serie. Weitere Assoziationen an die Bildwelt eines M. C. Escher oder an die Polaroids von David Hockney drängen sich auf, in denen ebenfalls unser räumliches Sehen genarrt wird.

Man könnte Szafran wegen der Gegenstandsfixierung für einen Vertreter des Realismus halten, doch das lenkt ab von einem Hauptmerkmal seiner Kunst. Dieser Maler ist interessiert an Strukturen und vor allem an Farbe. Es mag paradox klingen, aber Szafran setzt teilweise das Pastell völlig untypisch ein. Manche der großformatigen Bilder wirken wegen ihrer Farbdichte und -intensität, durch ihre geschlossene Oberfläche überraschenderweise wie Gemälde. Der graphische Strich ist zugunsten strahlender Farbflächen ganz zurückgenommen, unsichtbar. Wenn Szafran etwa das erleuchtete Glasdach einer Druckerei im Abendlicht einfängt, zeigt er den unendlichen Nuancenreichtum, den heute die mehr als 1650 verschiedenen Pastelltöne bieten. Seinen Bildern ist eine Leuchtkraft eigen, die mit Ölfarben nicht zu erreichen ist. Denn der in Stiftform gepresste Farbstaub ist frei von jeglichen Bindemitteln, es entfällt jede lichtbrechende Wirkung und das Licht wird von der Oberfläche der Farbstäube ungehindert zurückgeworfen. Das Ergebnis ist ein Kosmos reiner Farbe. Szafran macht diesen selbst zum Gegenstand, indem er die zahlreichen Pastellkästen mit den leuchtenden Tönen in seinen Atelierinterieurs abbildet. Sie werden zu einer Reflexion des Malers und seines Materials. Und des Menschen. Denn dieser zerfällt nach dem Tode zu nichts anderem als Staub.

Die 65 ausgestellten Werke entstanden in der Zeit von 1967 und 2010. Sie sind zumeist Leihgaben aus Privatsammlungen. So schnell dürften sie nicht wieder an einem Ort versammelt zu sehen sein.

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Sam Szafran im Max Ernst Museum: Zeichnungen, Pastelle, Aquarelle, Max Ernst Museum Brühl des LVR, 7.11.2010 -30.01.2011, Ausst.-Katalog, deutsch, englisch, französisch, 208 S., 202 Abb., 29,90 €.

Das Atelier, Rue de Crussol, mit Seiltänzer und Pastellkästen, Februar 1972

Copyright aller Abbildungen beim Künstler.