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Virtuelles Magazin 2000

 


Annette Bültmann
Das Objekt von Antikythera
Das Objekt oder die Maschine von Antikythera, manchmal auch der Computer von Antikythera genannt, wurde im Jahr 1900 gefunden, als griechische Schwammtaucher vor der Insel Antikythera ein Wrack eines gesunkenen Frachtschiffs entdeckten, auf dem griechische Kunstgegenstände und Münzen transportiert worden waren, von Rhodos möglicherweise auf dem Weg nach Rom. Die Fundstücke wurden ins Archäologische Nationalmuseum in Athen geschickt. Erst 1902 war dort der Metallklumpen an der Reihe, untersucht zu werden, an dem nach der Entdeckung einiger Zahnräder weitere Untersuchen vorgenommen wurden.
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This file is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license. The author of the image is Therese Clutario.
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Creative Commons-Lizenz Attribution 2.0 Generic. Der Urheber des Bildes ist Therese Clutario.

Man stellte fest, dass das Objekt in einem ca. 33 x 17 x9 cm großen Kasten untergebracht war und an der Vorder- und Rückseite Skalenscheiben hatte. 
Als mögliche Schöpfer des Objekts sind mehrere griechische Gelehrte in Betracht gezogen worden, u.A. Poseidonius von Rhodos und sein Schüler Geminos, Hipparchos von Nicäa, und Archimedes, der zwar nicht zur selben Zeit lebte, sondern früher, er könnte aber, laut Cicero, ein früheres, ähnliches oder gleiches Modell des Antikythera Mechanismus entworfen haben. Ähnlich wie Ktesibios aus Alexandria, ein ägyptischer Mechaniker, der bereits im 3. Jh v. Chr. eine Wasseruhr, eine Wasserorgel, eine Saug- und Druckpumpe und Ähnliches erfand.  
Nachdem der englischen Physiker Derek de Solla Price 1974 eine Analyse der Funktionen des Mechanismus veröffentlich hatte ("Gears from the Greeks: the Antikythera mechanism — a calendar computer from ca. 80 B.C." Amer Philologicl Assn Book, 1974), gelang dem australischen Informatiker Allan George Bromley und dem Uhrmacher Frank Percival zunächst eine Teilrekonstruktion, dem Engländer John Gleave dann eine vollständige Replikation. Michael Wright, Kurator am London Science Museum, erstellte in Zusammenarbeit mit Bromley neue Röntgenaufnahmen, und 2002 eine Reproduktion, bei der er ausschließlich Materialien und Werkzeuge verwandte, die schon den alten Griechen bekannt waren.
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Dieses Bild basiert auf dem Bild NAMA Machine d'Anticythère 9.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Marsyas.

Dieses Bild basiert auf dem Bild NAMA Machine d'Anticythère 8.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Marsyas.

Im Jahr 2005 wurde das Objekt erneut untersucht, durch das Antikythera Mechanism Research Project, ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Mike Edmunds und Tony Freeth von der Cardiff University in Wales. Mit Hilfe von Computertomographie und Scanner konnten weitere Zahnräder und eine größere Anzahl Schriftzeichen entdeckt werden. 
Die Maschine besteht aus Metallteilen und Holz, und kann durch einen einzelnen seitlichen Drehknopf bedient werden.
An der kastenförmigen Maschine sind außen mehrere kreisförmige Skalen zu erkennen.
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Die Skalenscheibe an der Vorderseite stellt auf dem Innenring den Tierkreis dar, und auf dem Außenring eine Kalenderscala mit 365 Tagen, aufgeteilt in 12 Monate von je 30 Tagen, und 5 zusätzliche Tage. Die Monate sind beschriftet mit den ägyptischen Namen in griechischer Schrift. Der ägyptisch-griechische Kalender mit 360 plus 5 Tagen war zu der Zeit in Griechenland üblich.
Bei Betätigung des Drehknopfs bewegen sich Zeiger an den Skalen entlang, vermutlich jeweils einer für die Sonne, den Mond und die fünf den Griechen bekannten Planeten, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, so dass sich deren Bewegungen an den Skalen ablesen lassen. 
Auf der Rückseite sind zwei spiralige Skalen zu sehen, mit Einteilungen für Mondmonate. Das obere Display zeigt den Meton-Zyklus, 235 Monate verteilt auf 19 Sonnenjahre, verteilt auf fünf Drehungen der Spirale, auf denen abgelesen werden konnte, welche Monate 29 statt 30 Tage hatten, und welche Jahre 13 Monate statt 12.
Zwei zusätzliche kleine Skalen seitlich davon zeigen den vierjährigen Zyklus der olympischen Spiele und den 76-jährigen kalliptischen Zyklus.

Dieses Bild basiert auf dem Bild Antikythera model front panel Mogi Vicentini 2007.JPG aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Mogi Vicentini.

Der Meton-Zyklus, benannt nach dem griechischen Astronomen Meton, der im 5. Jahrhundert v.Chr. in Athen lebte, besteht aus 235 Mondmonaten oder 19 Sonnenjahren. Alle 19 Jahre kommt es zu einer Synchronisation von Mondmonaten und Sonnenjahren, denn 19 Sonnenjahre sind ungefähr gleichlang wie 235 Mond-Monate.
Der Meton-Kalender wurde modifiziert von Kalippos (geb. um 370 v. Chr. in Kyzikos), der den kalliptischen Zyklus von 76 Jahren mit 912 regulären und 28 Schaltmonaten einrichtete. Er erhielt bei 940 Monaten mit 27.759 Tagen eine durchschnittliche Jahreslänge von 365,25 Tagen.
Auch der julianische Kalender, ab 45 v.Chr. von den Römern eingeführt, hat 365,25 Tage, nun aber auf ein 12monatiges Sonnenjahr verteilt, 11 Monate mit 30 bzw. 31, und einen Monat mit 28 Tagen.  
Die untere Spirale auf der Rückseite des Objekts zeigt die Sarosperiode von 223 Mondmonaten, nach der sich das Schema der Sonnen- und Mondfinsternisse wiederholt.
Der Saros Zyklus war bereits bei den Babyloniern bekannt, wo er auf Keilschrifttafeln erwähnt wird, und bei griechischen Gelehrten wie Thales und Hipparchos.
Sonnenfinsternisse kommen vor, wenn der Neumond auf seiner Bahn die Erdbahnebene passiert und sich dadurch zwischen Erde und Sonne schiebt. Die Ebene, in der die Erde und die meisten anderen Planeten um die Sonne kreisen, wird auch Ekliptik genannt. Von der Erde aus gesehen handelt es sich um eine gedachte Linie am Himmel, auf der die Sonne und die anderen Planeten um die Erde zu wandern scheinen, wobei sie sich durch die Tierkreiszeichen bewegen.
Wenn der Vollmond die Erdbahn kreuzt, steht die Erde zeitweilig zwischen Sonne und Mond, und es kommt zu einer Mondfinsternis.
Die Schnittpunkte von Erd- und Mondbahn, Knoten oder auch Drachenpunkte genannt, verschieben sich rückläufig, der Zeitraum zwischen zwei Durchgängen des Mondes durch den aufsteigenden Knoten oder Drachenpunkt beträgt 27,21 Tage. Diese Zeitspanne wird auch drakonitischer Monat genannt.
Ein Knotenzyklus dauert 18 Jahre und 7,5 Monate, danach befinden sich die Knoten wieder an ungefähr demselben Punkt der Ekliptik. Die Mondphasen wiederholen sich aber in einem etwas anderen Rhythmus, nämlich 19 Jahre oder 235 Mondmonate, wie bereits bekannt vom metonischen Kalender. Eine kompletter Umlauf des Mondes vom Neumond bis zum nächsten Neumond dauert 29,53 Tage und wird auch synodischer Monat genannt.
Um Finsternisse berechnen zu können, muss nun festgestellt werden, wann es zu einer Synchronisation dieser unterschiedlichen Rhythmen kommt, einem Zusammentreffen von drakonitischen und synodischen Monaten. Und zwar nach ca. 18 Jahren und 11 Tagen, der sogenannten Sarosperiode, wie sie den alten Griechen bekannt war. Sie besteht aus 223 synodischen bzw. 242 drakonitischen Monaten. Nach dieser Zeit befindet sich der Mond wieder in derselben Mondphase am selben Knotenpunkt, so dass sich Finsternisse dann wiederholen.
Ein Saroszyklus besteht aus vielen Sarosperioden und dauert über 1000 Jahre, während derer die sich zu den vorausberechenbaren Zeiten wiederholenden Finsternisse räumlich von einem Pol zum anderen wandern. 
Mögliche Sonnen- und Mondfinsternisse sind auf der Skala des Antikythera Objekts kenntlich gemacht, mitsamt der erwarteten Tageszeit. 
Die eingravierten über 2000 Schriftzeichen wurden inzwischen großenteils entziffert und lassen auf eine astronomische Nutzung schließen. Sie sind meist Erklärungen für den Gebrauch des Objekts, so finden sich z.B. in der Saroszyklus Skala regelmäßig die Schriftzeichen Sigma für eine Mondfinsternis, von griechisch Selene für Mond, und für eine Sonnenfinsternis das Schriftzeichen Eta für Elios, Sonne. 
Es wird vermutet, dass die Griechen großenteils ein geozentrisches Weltbild hatten, also davon ausgingen, dass die Sonne, der Mond und die ihnen bekannten Planeten um die im Zentrum befindliche Erde kreisten. Andererseits hatte bereits Aristarchos von Samos im 3. Jahrhundert v. Chr. ein heliozentrisches Weltbild entwickelt. Man versuchte zu dieser Zeit, die Größen von Erde, Mond und Sonne zu berechnen, und hatte bereits festgestellt dass die Sonne erheblich größer ist als die Erde.
Die Skalen des Antikythera Objekts funktionieren unabhängig davon, ob die Sonne oder die Erde im Mittelpunkt des Planetensystems steht.
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Dieses Bild basiert auf dem Bild NAMA Machine d'Anticythère 3.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Marsyas.

Es enthält mehrere Getriebe, mit über 30 Zahnrädern, De Solla Price hatte zunächst 27 Zahnräder gezählt, das Antikythera Mechanism Research Project kam bei einer erneuten Untersuchung des Objekts auf 37 Zahnräder, und insgesamt besteht das Objekt aus über 80 Fragmenten, von denen ein Teil verlorengegangen ist, darunter sogar ein epizyklisches Differentialgetriebe, auch Ausgleichsgetriebe genannt, ein Mechanismus, der eigentlich erst Leonardo da Vinci zugeschrieben wurde, aber offensichtlich auch früher schon bekannt war.  
Ein Differentialgetriebe wird z.B. an Achsen von Automobilen eingesetzt. Ohne Differentialgetriebe bewegen sich beide Räder an einer Achse mit der gleichen Geschwindigkeit, was zu Problemen in Kurven führt, wenn das äußere Rad einen größeren Weg zurücklegt als das innere. Durch ein Differentialgetriebe sind bei einer Achse mit zwei Rädern unterschiedliche Drehzahlen von äußerem und innerem Rad möglich, was das Verhalten in Kurven verbessert und die Räder schont.
Ein epizyklisches Getriebe, auch Planetengetriebe genannt, besteht üblicherweise aus einem inneren Zahnrad, Sonnenrad genannt, und mehreren darum kreisenden äußeren Zahnrädern, den Planetenrädern, und kann von einem Hohlrad mit Innenverzahnung umgeben sein, das entweder fest oder beweglich sein kann. 
Einer der Hinweise auf eine astronomische Nutzung des Mechanismus ergab sich bei der Untersuchung des Differentialgetriebes, Es wurde bei diesem Getriebe das Zahlenverhältnis 254 zu 19 festgestellt, das 254 siderischen Monaten im Verhältnis zu 19 Sonnenjahren entspricht. Ein siderischer Monat (von lat. sidus, sideris, das Gestirn) ist ein Umlauf des Mondes um die Erde bis zu dem Punkt, an dem er wieder dieselbe Position in Bezug auf die Fixsterne eingenommen hat. 254 dieser Monate entsprechen ziemlich genau 19 Sonnenjahren. 
Der Apple-Ingenieur Andrew Carol erstellte vor kurzem eine Rekonstruktion der Antikythera Maschine aus Legosteinen und -zahnrädern. Er benutze ca 110 Zahnräder und insgesamt 1500 Lego-Teile, um in 30 Tagen ein funktionierendes Modell herzustellen, das zwar etwas anders proportioniert ist als das Original, aber dafür einen guten Einblick in das Innenleben der Zahnradmechanik ermöglicht.
Es wird vorgestellt in einem youtube-Video:
http://www.youtube.com/watch?v=RLPVCJjTNgk
Weitere Links zum Thema: 
http://www.antikythera-mechanism.gr
http://www.currentepigraphy.org/2008/09/24/inscriptions-on-the-antikythera-mechanism-1
http://www.ams.org/samplings/feature-column/fcarc-diff1
http://www.mtwright.co.uk
http://www.mogi-vice.com/index-english.html
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24093/1.html
http://www.intern.de/findlinks/8630-antikythera-mechanismus-aus-lego.html