Jörg Boström

 

Von Oben auf das Wittekindland. Zu Fotografien von Sven Nieder im Luftbildband über Herford.

Fotografie. Das ist eine Bilderkunst. Bilder aus der Nähe und hier und heute aus der Ferne und aus der Höhe. Wann gerinnt eine Sicht aus einem Flugzeug zu einem Bild? Dann wenn der Fotograf ein künstlerische Auge darauf richtet und in Zeit und Raum und Flächen Ausschnitt seine Entscheidung trifft. Seht, das ist ein, das ist mein Bild.

Eine Siedlung wächst wie ein Organismus. Das Bewohnen einer Landschaft durch Menschen baut sie aus in wachsenden Strukturen. Bestimmt von den Anlagen und Vorgaben der Natur und von den Bedürfnissen der Menschen. Die Verschränkung von Organischem und Technischem findet sich wieder im Material der Bilder. Wie aus großer Höhe gesehen, teilweise senkrecht nach unten wie aus der Sicht von einem Vogel oder einem Flugzeug. Man sieht von oben auf die Siedlungen in eine sich stetig wandelnde Verbindung aus Landschaft und Planung. Städte sind real und sie sind Ideen. Die fotografischen Bilder zeigen immer wieder die organische Verbindung von Land und Stadt, die menschliche Überformung der Landschaft durch Landwirtschaft und Städtebau. Es ist so etwas wie gewachsene Geschichte. Nun erscheint dieses Buch und regt an zum immer wieder neuen Überfliegen und Überblättern der Landteile im Wittekindland. Es sind Sichten, die zu Bildern werden in immer neuen Strukturen.

Wittekindland ganz Unten...

Herford. Da sehe ich es wieder. Land und Stadt. Unter mir. In diesem Buch.

SNieder0901094881024xsRGB

Angekommen 1972. Aus Düsseldorf. Erste Reise im Auto über den Teuteburger Wald. Bis hier hin kamen die Römer. Dachte ich. Die lange in Köln und im Rheinland gelebt und Kultur aufgebaut haben. Im “Teuto” wurden sie geschlagen von der Germanentruppe, Cherusker, die der “Deutschrömer” Hermann zusammengestellt hat.. “...Raben flogen durch die Luft, und es war ein Moderduft, wie von Blut und Leichen.”

Das Lied kennt man als Kind auch im Rheinland.

Wittekind. Noch ein Held. Er verteidigte die Region wiederum gegen eine Eroberung. Gegen den Großen Karl und seine Franken. Hat aber verloren. Diese Menschen wollen wohl lieber unter sich bleiben. Das Land immerhin ist nun benannt nach ihm. In Herford erinnert ein Reiter Denkmal an seine wundersame Entdeckung einer Quelle, die sein Pferd als Wundertat mit den Hufen aufgekratzt hatte und so seine Bekehrung zum Christen einleitete. Die nun hat den Mythos der Heilquellen in Bad Oeynhausen bereichert. Sein Denkmal steht in Herford. Wie in Mecklenburg, wo ich zur Zeit lebe, kommt auch nach Ostwestfalen vieles ein wenig später.

In Bielefeld gab es Arbeit für mich. Aber zum Wohnen wollte ich aufs Land. Wenn schon in die Ostwestfälische “Steppe” dann ganz. Herford Eickum. Hinein in einen Kotten und den erst einmal ausbauen. So kam ich in diese Stadt und blieb länger als 35 Jahre. Damals Herford von Unten. Nun sehe ich sie von Oben. Aus der Luft.

SNieder09101502621024xsRGB

Schaut man sich einen Teil der Stadt an, ist man unterwegs wie ein Vogel. Wie mit einer Lupe oder einem Adler Auge kann man optisch in die Straßenzüge und Plätze der Stadtteile eintauchen und in einer tapsenden Vision darin entlang laufen. In Herford. Zum Gänsemarkt. Vorbei an der Jakobi Kirche. Durch die Radewiger und Bäcker Straße zum Alten Markt, wo einst das Alte Rathaus stand und man nun Kaffee trinken und belegte Käsestangen essen kann. Dann zum Münster wandern und zum Rathaus, wo Besprechungen zu Kultur- und anderen Projekten statt finden. Am Bahnhof vorbei zum MARTa, das als neues Kunstzentrum und Ort der künstlerischen Visionen der Stadt eine Glanz verliehen hat, der weit über den Wittekind Kreis hinaus geht in die Welt und mit seiner wellenförmigen Architektur auch der Dächer so nicht “zu Fuß” zu erleben ist. Dem Architekten Frank Gehry und vielen Initiatoren ist der Bau zu verdanken und nicht zuletzt bestimmenden Menschen in Bielefeld, die seinen Entwurf für die Erweiterung der Bielefelder Kunsthalle abgelehnt hatten. Für Herford ein Glück. Bei der Eröffnung wurde Bielefeld nicht mit einem Wort erwähnt. Herford hatte nun kulturell eingeholt und überholt. Man sieht Geschichte und Gegenwart in luftiger Verknüpfung.

Anhalt für die suchenden Augen im Überflug bieten die Türme der Kirchen. Münster Kirche. Jakobi Kirche. Johannis Kirche. Hier setzen die steinernen Symbole dieser religiösen Kultur Spitzen und Akzente. Für jeden Engel und jeden luftigen Besucher ein Ruhepol. Ein Denk Mal. Halt Mal. Warte Mal. Dazu bieten die organischen Linienführungen der Flüsse – Werre und Aa – zeichnerische Bewegungen an. Sie fließen ineinander. Sind älter als die Siedlungsteile und ihre Gebäude und eng verwachsen mit der Landschaft.

SNieder0910143771024xsRGB

Geht der Flug über die Bilder hinaus in die zusammengeschlossenen Orte im Wittekind Kreis wie Enger, Vlotho, Valdorf, Exter, Kirchlengern, Hiddenhausen, Quernheim, Bünde, Rödinghausen schließen Felder in organischer und geometrischer Gliederung in Grünflächen und gelben Farbtönen die rötlichen Häuser Reihen ein wie ein bestimmendes Bild. Landschaft mit eingestreuten Siedlungen, durchzogen von schmalen Straßen und Wegen. Dunkelgrün und plastisch modelliert tauchen sie auf, die Wälder als dichte, wild erscheinende Heimat der Tiere und als Erinnerung an die siedelnden und kämpfenden Cherusker, Kimbern und Teutonen.

Wieder sind es die Kirchen in den Dörfern, welche dem Flieger und dem Betrachter der Fotografischen Bilder die Orientierung geben.

Hinzu kommen Gutshöfe und Schlösser in ihrer monumentalen Gliederung und Industrie Anlagen, welche in geometrischer Ordnung und Architektur weithin sichtbar erscheinen.

SNieder09101503721024xsRGB

Fotografie ist immer eine Kunst des Ausschnitts. Ausschnitt aus der Zeit. Ausschnitt aus Raum und Fläche. Beim Fotografieren aus dem Überflug von Stadt und Land kommt noch hinzu der Ausschnitt aus der Landschaft.

Hier eine andere Perspektive als der gewohnt Blick in die Ferne. Es ist der Blick in die Tiefe, welcher weich landet auf der plastischen und von Material und Farbe strukturierten Oberfläche eine ausgewählten Feldes der Erde. Wittekind Kreis. Auch der Flieger kreist. Es entsteht in solchen luftigen Fotografien eine Verbindung von Sichten nach unten und oft dazu in die Ferne. Der Horizont scheint sich zu wölben, als blicke man über die Rundungen der Erde. Erdoberfläche wird sichtbar und spürbar in diesem verbundenen Blickwinkel von Tiefe und Ferne.

Bei senkrechtem Blick der Fotografien werden die materiellen Oberflächen der Landschaften sichtbar. Wald, Feld, Felsen, Wasser. Gepflügtes in parallel schwingenden , gepflügten Strukturen, welche das Relief des Bodens herausarbeiten. Aus plastisch, wolligen, grün getönten Waldoberflächen erhebt sich ein Turm wie von einer Burg. Winzig in der Tiefe. Aus der Tiefen Sicht des fotografierenden Fliegers werden Bilder. Materialbilder. Der Winter mit seinem Schnee verwandelt die farbigen Bilder beinahe in Schwarz Weiß Fotografien. Sie bekommen eine andere grafische Struktur und Wirkung. Linear. Grafisch. Wie Kohle Zeichnungen.

Der Eindruck der Wölbung bei solchen Luftfotografien hat konkrete optische Ursachen. Das Auge – und die Kamera – ziehen im Blick nach Unten den mittleren Teil des Sehfeldes an und lassen die seitlichen, randlichen Anteile der Land- und Stadtflächen weiter entgleiten. Der Boden mag gerade sein. Das Auge krümmt und biegt ihn dem Betrachter entgegen. Die uns aus der Geometrie und der daraus entwickelten und konstruierten geradlinigen Perspektive ist ein Konstrukt mit dem Lineal, das nicht dem realen Bild der Augen - und Kamerasicht entspricht. Bei Luftbildern auf die Flächen der Landschaft aus größerer Höhe wird das deutlich. Zusätzlich zur optisch so noch nicht wahrnehmbaren Kugelform der Erdoberfläche biegt sich das fotografierte Land dem Betrachter entgegen. Deutlich sichtbar wird dies weniger in den baulich verdichteten Stadtansichten als im flächig ausgebreiteten ländlichen Raum des Wittekind Landes.

Man kann immer wieder in diesem Buch blättern. Flattern und schweben wie ein Habicht. Es ist eine filmisch anmutende Bildfolge über Nähe der Heimat und zugleich ihre Ferne.

SNieder09101503591024xsRGB

ÜBER HERFORD LUFTBILDBAND - DER WITTEKINDKREIS IM ÜBERFLUG .

Fotografie: Sven Nieder - Gestaltung: Björn Pollmeyer . Text : Mathias Polster

144 Seiten, 121 Fotos, Format 30 x 28, Hardcover, ISBN 978-3-93659.44-2

34,80 Euro