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Virtuelles Magazin 2000

 


Arn Strohmeyer

 

Spaziergang durch Athen auf den Spuren des deutschen Architekten Ernst Ziller

Athen ist eine Mega-Molochstadt, eine chaotisch-planlos nach allen Seiten wuchernde riesige Betonmasse, die sich grenzen- und konturlos wie die ausströmende Lava eines Vulkans über Ebenen. Hügel und Berge ergießt - ein Ergebnis der Landflucht von Hunderttausenden, gnadenloser Bodenspekulation und illegalem Bauen. Die Bauweise ist einheitlich und monoton, sodass Zeichen und Merkmale zur Orientierung fehlen, der Fremde ist in Athens labyrinthischen Vorstädten, in denen auch noch der ewige Lärm von Autos und Motorrädern dröhnt, fast verloren. Und mitten in diesem steinernen Einheitsmeer und brausendem Tumult steht alles überragend und schon von weit her sichtbar - angeschlagen, aber nicht zerstört - der Parthenon auf dem Burgberg und strahlt eine majestätische Ruhe und Schönheit aus, die allen Wirren der Geschichte getrotzt haben.

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Der griechische Komponist Mikis Theodorakis, der unweit der Akropolis wohnt und den Tempel von seinem Haus aus sehen kann, hat über ihn geschrieben: "Der Parthenon auf der Akropolis ist für mich eingefrorene Musik, und als ihn zum ersten Mal sah, habe ich sofort die Musik dahinter gesehen ... Das Einzige, worüber ich nach meinem Tod traurig sein werde, ist, dass ich die Akropolis nicht mehr sehen kann."

Die Gegensätze und Kontraste in dieser Mega-Molochstadt sind gewaltig und völlig unvereinbar. Athen hat eine hochgradig schizoide Physiognomie. Denn schon wenn man den Burgberg hinaufsteigt, ist man in einer anderen Welt, die nichts mehr mit dem grenzenlosen Beton zu tun hat. Friedlich, beschaulich, fast idyllisch ist es hier. Da sind die Reste des antiken Athens: die Agora, der Platz, auf dem früher das Marktleben pulsierte und unter den Säulen der Stoa Philosophen und Politiker wandelten und die Probleme der Polis debattierten. Hier kann man mitten in dieser Riesenmetropole in fast völliger Stille zwischen herumliegenden Säulenresten - den Hephaistos-Tempel vor Augen (den besterhaltenen der Antike) - auf einer Bank sitzen, Tauben füttern und und den großen Schildkröten zuschauen, die sich auf der Suche nach Fressbarem aus dem Gebüsch hervorwagen. Man kann durch die heimeligen Gassen der Plaka, die östlich am Berg der Akropolis hängen, schlendern und die Schönheit und Anmut der neoklassizistischen Ensembles genießen, die aus Athens "bayrischer" Zeit stammen, als der philhellenische Wittelsbacher Otto I. Griechenland regierte und dem verschlafenen und verfallenen Dorf, das Athen unter der Türkenherrschaft war, wieder Anschluss an die einstige zivilisatorische Höhe geben wollte. Die Abrissbirne und die Spekulation haben dieses Vierte weitgehend verschont.

Athen hatte beim Machtantritt Otto I. 1832 etwa 3000 Einwohner. Der Anblick der Stadt mit dem großen Namen muss jämmerlich gewesen sein. Der österreichische Gesandte Freiherr von Prokesch-Osten beschrieb es als einen "Haufen schmutziger Trümmer." Dass in diese steinerne Unordnung so etwas wie System und Planung einzogen, war ein deutsches Werk - vor allem des bayrischen Königs Ludwig I., des Vaters von Otto I. Er legte den Platz des heutigen Königsschlosses (das "Alte Schloss", das heutige Parlament am Syntagma-Platz) fest und finanzierte auch den Bau, nach dem sich dann alle neuen Straßen und Gebäude ausrichten mussten. Dieser Grundriss prägt die Stadt noch heute. Ludwig I., der München zu einem "Athen an der Isar" gemacht hatte, wollte auch der griechischen Hauptstadt ähnlichen Glanz verleihen.

Aus dem verschlafenen Dorf mit seinen antiken Trümmern und umliegenden Wiesen und Olivenhainen eine repräsentative Stadt zu machen, war eine große Aufgabe. Und sie wurde natürlich ganz im Trend der Zeit neoklassizistisch gelöst. Der klassische Stil, der hier vor 2500 Jahren geboren wurde, kehrte über Europa wieder an seinen Ursprungsort zurück. Viele deutsche Architekten und Baumeister waren daran beteiligt. Aber es war nicht zuletzt das Verdienst eines Mannes, dass Athen wirklich eine geschäftige und glanzvolle Metropole wurde - mit breiten Boulevards und prächtigen Häusern: Es war der deutsche Architekt Ernst Ziller (1837 - 1923).

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Ernst Ziller und seine Frau Sofia Dodou, Quelle: Wikipedia

Dieser geniale Sachse aus dem kleinen Städtchen Radebeul, aus dem auch der Schriftsteller Karl May stammte, hatte schon in Deutschland bei Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper den Stil des "romantischen Neoklassizismus" studiert, ließ sich in Griechenland vor Ort von den klassischen Originalen inspirieren - vor allem von dem Parthenon und dem Erechtheion auf der Akropolis - und reiste nach Rom, Pompeji und Venedig, um von der dortigen Klassik und der Neo-Renaissance zu lernen. Und er ließ für seine künstlerische Imagination Griechenlands einmaliges, alles verzauberndes Licht auf sich wirken, dasselbe Licht, das schon die antiken Baumeister berauscht hatte.

Ausgestattet mit diesem Rüstzeug machte er sich an die Arbeit und schuf ein gewaltiges Werk. Er baute hunderte von Häusern und entwarf noch einmal ebenso viele, die nicht realisiert wurden. Seine Vertrautheit mit vielen Stilen führte ihn - das Ideal der Antike immer vor Augen - zu einer eindrucksvollen stilistischen Vielfalt, zu einem eklektizistischen Historizismus, der so weit ging, dass er für seine Häuser je nach Bedürfnis den passenden Stil aussuchen konnte. Die Kunsthistorikerin Marina-Lambraki-Plaka hat seine Eigenart so beschrieben: "Zillers Architektur richtet sich nach dem Licht; sie wandelt sich mit dem griechischen Licht. Vom Licht durchflutete Säulen aller Stile, Stoas, ausdrucksvolle dekorative Muster verwandeln seine Gebäude in musikalische Instrumente, in welchen Licht und Schatten eine nie gehörte Melodie von großem harmonischen Reichtum formen - immer mit dem Lauf der Sonne. Das griechische Maß setzte in Übereinstimmung mit den antiken Vorbildern die Rangfolge seiner Architektur. Ziller bestimmte das herrschaftliche Profil der späten griechischen bürgerlichen Gesellschaft am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei er aber auch maßgeblich die kleinbürgerliche und populäre neoklassische Architektur beeinflusste."

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Ziller war auch ein genialer Zeichner, der seine Entwürfe bis ins Detail und ins letzte Dekor als Aquarelle ausmalte. Er verstand aber auch viel von der antiken Polychromie, denn Griechenlands Tempel und Statuen waren nicht von weißer marmorner Blässe wie wir sie heute kennen, sondern von bunter Vielfarbigkeit. Ziller zeichnete die alten noch erhaltenen Ornamente und Statuen mit großem Einfühlungsvermögen ab und konnte so vieles der Nachwelt überliefern. 400 solcher Zeichnungen sind erhalten. Er arbeitete auch als Archäologe. So legte er in Athen das antike Stadion frei und erforschte das System der antiken Wasserleitungen.

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In der griechischen Hauptstadt baute er viele repräsentative Gebäude im Stil der italienischen Renaissance, so das "Ilion Melathon", das Wohnhaus Heinrich Schliemanns, das Kronprinzenpalais (das spätere Königsschloss), das Melas-Gebäude, in dem lange die Hauptpost untergebracht war, das Mausoleum Schliemanns auf dem Zentralfriedhof, die Kadettenschule, das Deutsche Archäologische Institut und das Nationaltheater. Auch das Städtische Theater war von ihm konzipiert, es ist aber inzwischen der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Bauten von ihm gibt es auch in Patras und Pyrgos und auf den Inseln Syros und Zakynthos.

Ziller hat dem modernen Athen maßgeblich sein Gepräge gegeben. Seine Häuser sind heute in der Mega-Molochstadt Athen einzigartige ästhetische Kleinode. Sie sind gerade in dieser Einförmigkeit aus Beton Gegenpositionen zum Verlust der Authentizität des Individuums.

(Die Athener Nationalgalerie informiert zur Zeit in einer sehr sehenswerten Ausstellung über Person und Werk Ernst Zillers. Sie ist noch bis zum 29. August zu sehen.)