Zum Inhaltsverzeichnis

Virtuelles Magazin 2000

 

Die bildende Kunst der Zeit in der Weimarer Republik gibt in Grafik, Malerei, Skulptur und Fotografie einen Blick auf die soziale Krise. Es gibt viele Bilder der Verzweiflung, der Resignation, des Hungers und des Protestes. Die Holzschnitte Franz Masereels in ihrem starken Hell-Dunkel und ihrer politischen Thematik.

item5

Die Zeichnungen Heinrich Zilles in der liebevollen und zornigen Beobachtung des sozialen Milieus.

Die grafische Monumentalität der Arbeitergestalten und der Frauen im Werk der Käthe Kollwitz.

Der fotografisch kühle Blick des Malers Max Liebermann auf die Arbeitswelt und die Hinterhöfe, die Frauen- und Landarbeit.

item10 item11

All dies hat Walter Ballhause studiert. Wie sie mit dem Zeichenstift, dem Pinsel, der Kreide, dem Meißel, wird er ein sozialer Künstler mit der Kamera.

Ich habe gern gezeichnet, aber irgendwie ließ es meine ganze Kindheit und Ausbildung nicht zu, dass ich skizzieren oder malen lernte."

„ Wenn Ostern der letzte Frost vorbei war, lief ich barfuß herum bis zum ersten Frost im Herbst. Neue Schuhe konnte meine Mutter mir nicht kaufen, und so mussten die Schuhe für den Winter reichen. Meinen Konfirmationsanzug konnte meine Mutter mir nicht kaufen. Den bekam ich von Pastor Kolshorn, er wohnte in Waldheim und hatte in Hannover-Dohren am Lindenhofe die Kirche. Dort wurde ich konfirmiert. So erging es mir also als Arbeiterkind, als Kind einer Scheuerfrau.“

Der junge Ballhause als Fotograf war ein von seinem selbst gestellten sozialen und politischen Auftrag besessener Einzelgänger, der weiter fotografiert auch ohne organisatorischen Rückhalt - etwa einer Arbeiterfotografengruppe, die es zu dieser Zeit in Hannover nicht gibt. Ohne finanzielle Grundlage. Mit einer geliehenen Kamera. Der Leica.

Er schafft Bilder, die in ihrer ästhetischen Qualität, ihrem Gefühl, ihrer Sachlichkeit und Härte der sozialen Aussage neben die von ihm geschätzten Werke der bildenden Kunst gehören.

Arbeitslosigkeit im Blick der Kamera.

Viele seiner Bilder zeigen die Arbeitslosigkeit. Durch einzelne Menschen.

item14
item16

Immer wieder ist es das Foto der Arbeitslosenschlange, das im Mittelpunkt steht. Es geht in Schulbücher ein, wird von Bildagenturen vertrieben und in historische Fernsehdokumentationen montiert, wenn die große Krise 1932 ins Bild gerückt werden soll. Auf der Internetseite “Die Weimarer Republik” des Lebendigen Museums Online (Lemo) wird die große Krise 1932 mit dem Foto Ballhauses visualisiert. Die Bundeszentrale für Politische Bildung nutzt es in ihren Publikationen - in der Regel ohne Nennung des Fotografen oder fälschlicherweise dem Jahr 1930 zugeordnet, so zuletzt gleich doppelseitig im Sternvom 14.12.2006 als Titelbild der Serie “Geschichte der Deutschen” oder dem Schulbuch “Das waren Zeiten” Band 4 eines renommierten Schulbuchverlages.

item16a
item17

Auf einer Schuppenwand links oben mit großen, verwaschenen Buchstaben noch zu lesen: WÄHLT HITLER, dann ein Hakenkreuz. Wohl noch erhalten vom letzten Wahlkampf und zugleich die Zukunft dieser Massen auf der Warteschlange in die Diktatur und den Krieg. Dieses Bild mit der diagonal das Bild durchschneidenden, aufsteigenden Arbeitslosenschlange und dieser Wand und Inschrift, auf welche die Menge zu wartet, wirkt wie eine gleichnishafte Zusammenschau der Zeit kurz vor der Machtergreifung. Hilflosigkeit, Aussichtslosigkeit, Anstehen zum Untergang. Gesehen und fotografiert aus größerer Höhe. Ballhause muss ein angrenzendes Gebäude betreten und dieses Bild aus dem Fenster oder vom Dach aufgenommen haben. Verdichtet zu einem Symbol. Komponiert mit ausgewogener Gestaltung des Raums in der Fläche. Eine Grafik und ein Vision. Es wurde so zu einem Schlüsselbild deutscher Geschichte, zuletzt doppelseitig abgedruckt, ohne Namen des Fotografen und dem Jahr 1930 zu geordnet im Stern Nr. 51 vom 14. 12 2006 als Titelbild der Serie „Geschichte der Deutschen“. Es scheint einen Zusammenhang zwischen der aufsteigenden, also Hoffnung ausdrückenden Linie der Arbeitslosenschlange und der Wahl Hitlers herzustellen. Offenbar bringt dieses Bild den scheinbaren Nachweis für eine historische Fehlinterpretation, wonach die Arbeitslosen Hitler mehrheitlich gewählt und damit an die Macht gebracht hätten. Die neuere Wahlforschung von Jürgen F. Falter hat jedoch gezeigt, dass arbeitslose Arbeiter mehrheitlich KPD gewählt haben. Nicht jedoch die arbeitslosen Angestellten. In dieser Warteschlange mischen sich wohl viele soziale Gruppen. Ohne Hoffnung und in Versuchung zur Wahl einer radikalen Partei. Einer verhängnisvollen Lösung. Lösung. Die Republik hat sich in ihren Untergang gewirtschaftet.

In der gegenwärtigen Wirtschaftskrise 2008 wird diese Zeit immer wieder beschworen. Als Warnung an die Politik, die Industrie, die Wirtschaft. die unsichere Welt der Banken. Es geht um Korrektur.

Eine kleine, aber gewichtige Korrektur hat auch das Bild erfahren. Blickt man bei einem der überlieferten Abzüge auf den Schuppen im linken hinteren Bildteil, so lässt sich abgewischt aber noch deutlich zu lesen: Wählt Hitler. Dahinter ein Hakenkreuz.

Zur Rezeption und Nutzungsgeschichte

Nach dem Krieg sind Ballhauses Fotografien aus der Zeit der großen Krise für ein halbes Jahrhundert zunächst vergessen. Ihre Wiederentdeckung und damit die Entdeckung des Fotografen Ballhause ist eine deutsche-deutsche Geschichte. Sie beginnt 1971, als ihn die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Hannover für eine Ausstellung zur Stadtgeschichte um fotografisches Material aus der Zeit von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit bittet. Exakt zehn Jahre später erscheint bei Reclam in Leipzig ein erster Band mit Fotografien von ihm aus der Zeit der großen Krise. Sein Titel: “Überflüssige Menschen”. Die Ballhauses Bilder begleitenden Gedichte stammen von Johannes R. Becher. Unter den ersten Fotografien auch die Aufnahme vom Arbeitsamt in Hannover - allerdings die “Gefängnishof-Variante” sowie eine Serie von 19 Bildern zu einem Tag im Leben des Arbeitslosen Karl Döhler. Wie damals üblich verzichtet der Verlag darauf die Bilder in irgendeiner Weise in einen Kontext zu setzen. Noch im selben Jahr erscheint bei Schirmer & Moser in München eine Lizenzausgabe des Reclam-Bandes unter dem Titel “Zwischen Weimar und Hitler. Sozialdokumentarische Fotografie 1930-1933”; allerdings handelt es sich lediglich um eine gekürzte Auswahl des Reclam-Bandes. Auf dem Umschlag jetzt das Foto von der Arbeitslosenschlange, die diagonal das Bild durchschneidet - der Beginn der Karriere unseres Ausgangbildes. In der Zwischenzeit ist auch die DEFA auf Ballhause aufmerksam geworden. 1982/83 produziert sie den Dokumentarfilm “Walter Ballhause - Einer von Millionen”. 1985 dann das dtv-Taschenbuch “Licht und Schatten der Dreißiger Jahremit einer weiteren Auswahl. Zahlreiche Ausstellungen in Ost und West folgen, zuletzt 1997 die Ausstellung “Faktor Arbeit” der Neuen Gesellschaft für Bildende Künste” in Berlin.

In der Fotoauswahl des Deutschen Historischen Museums “Das XX. Jahrhundert” nehmen Ballhauses Aufnahmen einen herausragenden Platz ein.

Publikationen zur Geschichte der Arbeitslosigkeit nutzen bevorzugt Ballhauses Fotos als Blickfang auf ihren Publikationen wie zuletzt das Quellenheft von Karl A. Otto “Notgedrungen untätig”. Längst ist Ballhause auch im World Wide Web angekommen.

Die zahllosen Rückenfiguren, die Gehenden, schräg von hinten gesehen, belegen das. Nur selten blickt ein Mensch auf seinen Bildern in die Kamera. Sie scheinen auch den Fotografen nicht zu bemerken. Diese Arbeitsweise also, als unsichtbarer Fotograf, hat ihm vielleicht das Leben gerettet, als die Nazis ihre Jagd auf oppositionelle Künstler und Fotografen begannen. Offener Kampf mit der Kamera?

Ich habe mich auf diese Dinge nie groß eingelassen. Warum? Weil es ja nicht meine eigene Kamera war.

Es war eine geliehene, eine teure, und ich wusste genau, dass die Polizei den Auftrag hatte, jedem, der irgendwo fotografiert, die Kamera zu zerschlagen und den Film wegzunehmen".

Eine auch für heutige Fotografen häufige Erfahrung. Als die Gestapo ihn zuletzt 1944 ins Gefängnis sperrt, findet sie bei der Hausdurchsuchung nicht einmal die Negative dieses „unsichtbaren" Fotografen. Seine Frau hatte sie im Keller hinter die Kartoffelkiste genagelt. Beinahe hätte ihn auch die Fotogeschichte vergessen.

Heute sind viele seiner Bilder zu Symbolen einer Zeit geworden. Historische Präge Bilder unseres Bewusstseins.

Kunst der Fotografie als soziales Bild

Seine Fotografie ist so etwas wie ein Gegenstück zum Werk eines Mannes, den die Geschichtsschreibung des Bildjournalismus mit Recht würdigt: Dr. Erich Salomon. Während Salomon, wie Ballhause, aber aus anderen Gründen und Zusammenhängen, als heimlicher Beobachter das Getriebe der Macht, der oberen Klassen, die Nebenschauplätze der Parlamente und Gerichte, des Pressewesens und der herrschenden Kultur beobachtet, fotografiert Ballhause, zuerst selbst arbeitslos ,die Elenden, „die Menschen in ihrer tiefsten Erniedrigung..., Bilder, wo die Menschen in den Marktabfällen herum wühlen".

Arbeitslose in ihrer stumpfen Verzweiflung, ausgebrannte, verheizte, „überflüssige Menschen", so der Titel seines eindrucksvollen Buches, erschienen im Reclam-Verlag Leipzig. Ballhause entwickelt schon in seinen frühen Fotografien eine Bildsprache, welche die aktuellen technischen und ästhetischen Möglichkeiten seiner Zeit mit den von ihm gewählten und zugleich von seiner Zeit und seiner eigenen bitteren Lebenserfahrung ihm aufgedrängten Themen zu gültigen Bildformen zusammenfügt. Eine Einheit von Form und Inhalt, die Merkmal jedes Kunstwerks ist. Mit der Leica verwendet er die schnellste, technisch perfekteste Kamera seiner Zeit. Er fotografiert „mit verdeckter Kamera". Er tragt sie unter der Windjacke und fotografiert heimlich, ohne dass die Dargestellten etwas bemerken und reagieren können. So schafft er Bilder von großer Authentizität.

item23
item22

Zum realistischen Bild des Proletarier Kindes

Walter Ballhause entwirft das Sozialporträt des Kindes seiner Zeit.

Der Berliner Erich Rinka schildert die Situation so:

"Am Kurfürstendamm saß zum Beispiel Jutta Selle und verdiente mit guten Kinderaufnahmen viel Geld... Wenn ich allerdings... die Kindergesichter bei uns in Wedding sah, in ihnen las, dann wusste ich um so deutlicher: Keines von ihnen wird jemals von Jutta Selle fotografiert werden : die Welt des proletarischen Kindes zu fotografieren ist Aufgabe der Arbeiterfotografen.“

Der selbst tätige, unbezahlte Arbeiterfotograf entwirft das Sozialporträt des Kindes seiner Zeit, insbesondere des Proletarier Kindes.

Mit der Hellsicht des politischen Menschen, der den heraufkommenden Faschismus erkennt und ihn auch in politischer Arbeit bekämpft, beobachtet Ballhause auch die voranschreitende Verbildung der Kinder. Eine Kolonne Bürgerkinder, kenntlich an Kleidung. „Pennälermützen“ und uniformierte Wesen, angeführt von einem Jungen mit Stahlhelm, von links nach rechts unten marschieren sie durch eins seiner Fotografien. Die Schrägsicht lässt sie vorbeiziehen und bildhaft abgleiten in ihren Untergang, wie wir heute wissen.

item24 item25
item26

Ich hatte gar nicht das Talent, mir die Menschen irgendwie aufzuschließen, wie August Sander meinetwegen vor der Kamera sich die Menschen aufgeschlossen hat. Das Schamgefühl hat es mir einfach verboten, die Menschen in ihrer tiefsten Erniedrigung zu fotografieren", sagt der Fotograf heute.

Die Rückenfiguren, die Gehenden, schräg von hinten gesehen, belegen das. Nur selten blickt ein Mensch auf seinen Bildern in die Kamera. Sie scheinen auch den Fotografen nicht zu bemerken. Diese Arbeitsweise also, als unsichtbarer Fotograf, hat ihm vielleicht das Leben gerettet, als die Nazis ihre Jagd auf oppositionelle Künstler und Fotografen begannen. Offener Kampf mit der Kamera?

"Ich habe mich auf diese Dinge nie groß eingelassen. Warum? Weil es ja nicht meine eigene Kamera war. Es war eine geliehene, eine teure, und ich wusste genau, dass die Polizei den Auftrag hatte, jedem, der irgendwo fotografiert, die Kamera zu zerschlagen und den Film wegzunehmen".

Eine auch für heutige Fotografen häufige Erfahrung. Als die Gestapo ihn zuletzt 1944 ins Gefängnis sperrt, findet sie bei der Hausdurchsuchung nicht einmal die Negative dieses „unsichtbaren" Fotografen. Seine Frau hatte sie im Keller hinter die Kartoffelkiste genagelt. Beinahe hätte ihn auch die Fotogeschichte vergessen.

Die ungewöhnliche technische Qualität seiner Bilder hat neben der Verwendung einer modernen Kamera auch ihren Grund in seiner Bevorzugung hellen Sonnenlichts, das ihm die Schatten liefert, mit welchen er seine Bilder baut. Dieses helle Licht ermöglicht ihm auch die Tiefen Schärfe und Detailgenauigkeit noch bei den kurzen Belichtungszeiten, die für die Arbeit mit verdeckter Kamera von Menschen in Bewegung notwendig sind. Diese Bilder gelingen ihm bei der damals noch geringen Filmempfindlichkeit von 10 bis 13 DIN. Immer wieder fotografiert er Kinder. Seine unsichtbare Kamera ermöglicht ihm, die „geheime Welt" ihrer Spiele, Gespräche festzuhalten, ihr ernsthaftes Wesen zu gestalten. Auch der Fotograf, nicht nur seine Kamera, scheint auf diesen Bildern unsichtbar zu sein.

Die meisten Kinderbilder anderer Fotografen - insbesondere natürlich die Familienbilder der Amateure und die Studio Bilder der Berufsfotografen - leiden darunter, dass die Kinder ein den Erwachsenen genehmes, freundlich strahlendes, „niedliches" oder den Erwachsenen schmeichelndes Schauspieler Gehabe vorzeigen.

Die Ausstellung in der „Photogalerie Spectrum" in Hannover im Dezember 1981, seine beiden Bücher in der DDR und der BRD und sein eindrucksvoller Vortrag auf dem Kongress der Arbeiterfotografen, sein ausführlich und sorgfältig aufgebautes Interview in der Zeitschrift „Arbeiterfotografie" im September/November 82 sind der Beginn einer späten Würdigung und einer neuen Wirkung seines Schaffens, die er in der ihm eigenen Mischung aus Bescheidenheit und Stolz, Noblesse und Gefühl erlebte. Der bis .... in Plauen/DDR lebende ist einer der bedeutendsten Künstler der beobachtenden, einfühlenden, mitfühlenden und Partei ergreifenden Kamera.

Ziate aus: Arbeiterfotografie, Nummer 32, Dezember 1982 – Februar 1983, S. 30-33I SSN 0173-9530

 

Zur Biografie des Künstlers und des politischen Menschen.

Walter Ballhause wurde 3.4.1911 in Hameln geboren. Sein Vater war Schuhmacher, die Mutter Lederstepperin. Nach der Scheidung der Ehe wohnt er zunächst bei bei der Mutter. 1919 ziehen Mutter und Sohn nach Hannover. Walter Ballhause arbeitet ab 1925 zunächst als Hilfsarbeiter. Er tritt ein in die SPD,wo er sich in der sozialdemokratischen Jugendgruppe "Rote Falken"engagiert. Zugleich ist er Mitglied des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB). 1925-1928 macht er eine Lehre als Laborant. Seit dieser Zeit datiert der Beginn seiner Fotografie. Dann wird er 1931 Gründungsmitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) zusammen mit Otto Brenner, dem späteren IG-Metall Vorsitzenden. Es entstehen in dieser Zeit Fotografien aus der Parteiarbeit und dem Ferienlager der "Roten Falken". Sein Hauptwerk entsteht in den Jahren 1930 - 1933: Fotografien der Weltwirtschaftskrise und des beginnenden Faschismus. Verhaftet wird er 1933 durch die Gestapo. Nach Verhören aber wieder freigelassen.Hannover, seine Stadt für viele Jahre, wird im fotografischen Werk der Ort, in dem sich die Entwicklung der Weimarer Republik zeichenhaft und monumental abbildet. Die "unauffällige" Arbeitsweise des Walter Ballhause hat ihm vielleicht zuletzt das Leben gerettet. Als die Gestapo ihn wieder 1944 ins Gefängnis wirft, findet sie bei der Hausdurchsuchung nicht einmal die Negative dieses "unsichtbaren" Fotografen. Seine Frau hat sie im Keller hinter die Kartoffelkiste genagelt. Beinahe hätte ihn auch die Kunstgeschichte nicht bemerkt. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Künstler der beobachtenden, einfühlenden und visionären sozial dokumentarischen Fotografie, der Arbeiterfotografie in eigenem Auftrag.

1934-1941 folgt seine Ausbildung zum Chemotechniker, damit verbunden !941 der Umzug nach Plauen. Hier arbeitet er 1944 als Laborleiter. Wieder wird er verhaftet wegen antifaschistischer Tätigkeit und 1945 aus dem Zuchthaus Zwickau befreit. Er gründet eine Ortsgruppe der KPD in Straßberg bei Plauen, wird Bürgermeister 1945 – 1947. Es entsteht eine Fotodokumentation über Flüchtlinge in Straßberg. 1947-1971 arbeitet er an Aufbau und Leitung der Plamag-Gießerei in Plauen. Hier schafft er 1947 eine Porträtserie von Gießereiarbeitern seines Betriebes.

item24a item34
item25a item26a

Nachdem Kriege in Plauen, DDR. Die politischen Verhältnisse sind verändert und mit ihnen sein Bildstil. Arbeiter Porträts entstehen in offenem Blickkontakt. Ernste, nachdenkliche Menschen, an welchen der Schrecken des Krieges und der Gefangenschaft noch in Spuren auf den Gesichtern und in der Körperhaltung erkennbar Walter Ballhause formt auch hier gesellschaftliche Entwicklungen zu Bildern. Für den erwarteten Aufbauoptimismus der 50er Jahre in der DDR fehlt ihm der Wille zur Illusion. Er bleibt Realist.

Auch nach dem Krieg wird Walter Ballhause als Fotograf zunächst nicht wahrgenommen. Aber für ihn gibt es wieder politische Arbeit. Als Bürgermeister von Straßberg 1945 - 1947 organisiert er in dem kleinen Ort von 9oo Einwohnern Unterkunft und Lebensgrundlagen für 7oo Flüchtlinge. In dieser Zeit schafft er mit dem ihm eigenen Gespür für die historische Bedeutung des Mediums Fotografie eine Fotodokumentation über die Situation der Flüchtlinge in seinem Ort. 1947 - 1951 arbeitet er an Aufbau und Leitung der Plamag-Gießerei in Sraßberg und fotografiert in diesen schweren Zeiten seine Kollegen.

item30

SeinWerk wird in der BRD wahrgenommen und geachtet. Er wird Ehrenmitglied im Verband Bildender Künstler, Ehrenmitglied der "Arbeiterfotografie e.V."

item28

Der Fotograf Martin Büttner- auf dem Foto aus Hamburg links hinter Walter Ballhause - hat ihn in Plauen besucht. 1986.1988. Da sind einige Bilder entstanden. Vielleicht die letzten. Begleitet hat er ihn auch auf einer Reise in die BRD. Kurz vor der Wende.

item31
item32
item33

Die politischen Verhältnisse in der DDR, wo er bis zu seinem Tod lebt, sind verändert und mit ihnen sein Bildstil. Die neuen Porträts entstehen in offenem Blickkontakt mit den Fotografierten. Es sind ernste, nachdenkliche Arbeiterbilder, in welchen der Schrecken des Krieges und der Gefangenschaft noch in Spuren auf den Gesichtern und in der Körperhaltung erkennbar ist, die durch die Belastung der Arbeit zusätzlich gezeichnet sind. Ohne Schutz und fachgerechte Arbeitskleidung, in persönlichen Jacken und Mützen, teilweise aus abgenutzten Uniform Resten zusammen genäht, geben diese Menschen den Rest ihrer Kraft für den Aufbau einer neuen Produktionsstätte, in der sie auch sich selbst wieder finden. Das mühevolle Aufrichten nach Unterdrückung und Krieg wird jetzt Thema der Fotografie. Walter Ballhause formt auch hier gesellschaftliche Entwicklungen zu Bildern. Für den erwarteten Aufbauoptimismus der 50er Jahre fehlt ihm der Wille zur Illusion. Ballhause bleibt Realist. Den aufrechten Gang, der ihn selbst kennzeichnet, kann er in der Folgezeit nicht fotografieren, die fortschreitende Entmündigung auch nicht. Vielleicht verschlägt es ihm die Bildsprache, vielleicht sind die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht so. Nach später Ehrung durch Publikationen und Ausstellungen seit 1981 stirbt der 80 Jährige am 8.7.1991 in Plauen.

Sein Bildstil und seine sachliche und kritische Einstellung in seinem Denken und in seiner Sicht mit der Kamera entsprachen offenbar nicht der kulturellen Erwartung der politischen Klasse der DDR. Von der DDR wurde die Arbeiterfotografie im Westen zwar gefördert, im eigenen Land selbst aber nicht wieder aufgebaut. Eine kritische Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse war offenbar nicht gewünscht. Ball hauses Werk wird auch von einem prominenten Vertreter der Arbeiterfotografie der Vorkriegszeit eher verdrängt als gefördert, wie es Walter Ballhause in einem persönlichen Brief verbittert und enttäuscht zum Ausdruck bringt. Ein privates, nicht nur privates, besonders aber historisches Dokument:

item36 item37
item39


Zum Inhaltsverzeichnis

Virtuelles Magazin 2000

 

Ballhause sagt:"Ich habe gern gezeichnet, aber irgendwie ließ es meine ganze Kindheit und Ausbildung nicht zu, dass ich skizzieren oder malen lernte. Es mangelte auch an anderen Möglichkeiten im Umfeld und bei der Auseinandersetzung mit der Welt - über die Lektüre - kam ich eines Tages mit einem Büchlein in Berührung: „Empörung und Gestaltung". Dieses Buch, so möchte ich sagen, hat bei mir den Funken ausgelöst, nämlich die Kamera zu nehmen und zu versuchen das festzuhalten, was meinetwegen Frans Masereel oder Heinrich Zille oder Kathe Kollwitz oder Max Liebermann oder George Grosz oder Otto Dix und wie sie alle heißen, festgehalten haben. Denn ich habe ja ihre Bilder auf der Straße gesehen. Und so bin ich dann herangegangen - das muss ich aber sagen, nur ermöglicht durch meine Freundin Bina Lengefels, die eine kleine unscheinbare Kamera sich kaufte und sie mir zur Verfügung stellte - mit der Leica das zu machen, was andere im Kupferstich, im Holzschnitt, im Linolschnitt, mit der Kohle oder mit dem Pinsel machten."

Jörg Boström

Das Auge des Arbeiters

Walter Ballhause. Ein politischer Beobachter und Gestalter. Schatten im Licht.