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Virtuelles Magazin 2000

 


Jörg Boström

Grenzsituationen.

Zur Eröffnung der Ausstellung "Von der Magie des Realen" von Jürgen Heinemann

im Instituto Cervantes. Berlin.

Wenn Jürgen Heinemann selbst wiederholt feststellt, für ihn und seine Bilder seien Worte nicht wichtig, wenn er sein bisher umfangreichstes Buch, das mit seinen Bildern aus Lateinamerika, gänzlich ohne Text erscheinen lässt, macht er es dem Referenten nicht gerade leicht, der dennoch gebeten wird, über ihn eine Einführung vorzutragen. Der Vortragende kann sich doch nicht einfach stumm vor Heinemanns Fotografien hinstellen nur mit einer zeigenden Geste, die ja auch auf den Bildern wiederholt anzutreffen ist. Man wird, lieber Jürgen Heinemann, doch noch sagen dürfen, was man sieht - und vielleicht noch ein wenig von dem, was man sich dabei denkt.

BrasilieninSaoSalvadordaBahia1975

Leitmotivisch ziehen sich bestimmte Bildformen durch sein Werk, von dem wir einen Zeitraum von mehr als 3o Jahren überblicken können.

In jedem Kunstwerk steckt ein Stück Selbstdarstellung, auch in einem fotografischen Werk. Die Einfühlung, die Angleichung der Außenwelt an das innere Bild, bestimmt auch die lebenslange Arbeit des Fotografen Jürgen Heinemann, mit dem wir es hier zu tun haben.

Selbst in dem sozialkritischen fotografischen Epos von Heinemann, dem Werk über Lateinamerika, versteckt sich eine liebevolle und zugleich bissige Ironie. Ein Mädchen der Straße aus Salvador Bahia, das sich heiter dem Fotografen anzubieten scheint, in klassischer Haltung und fast griechischen Formen erscheint hier als das einzige vitale Bild aus der Ballade eines immer wieder neu auferstehenden Kontinents, das Jürgen Heinemann in seinem "america" Buch gestaltet.

In aller Düsternis der meisten, expressiv in schwarz-weißen Kontrasten komponierten Bilder tauchen blitzartig solche Details von dialektischer Humorigkeit auf, selbst in religiösen Szenen. Etwa dann, wenn schmale, in weiße, flatternde Tücher gehüllte Priester einen riesigen, muskulösen Holzkörper von Jesus umtänzeln und ihm in pantomimischer Eleganz die Dornenkrone anpassen wie einen Hut der neuesten Saison.

Wenn Bischöfe in Costa Rica in Erwartung des Papstes an einer Absperrschnur aufgereiht, ihre wohlgenährten, zolibatär ausgepolsterten Leiber von Schärpen umspannt wie eine unerschütterliche Wand der Festigkeit im Glauben darbieten, der sich durch Hunger, Suff, Kokain, Ekstase, Rausch in unheiligen Dämpfen und Arbeitstod gezeichneten übrigen Welt des durch Conquista und Christianisierung demoralisierten Kontinents nicht erschüttern läßt.

In Riten des Kults der Macumba und der indianischen Bergfeste setzt dieser Humor aus. Hier ist Identifizierung mit der unerfüllten Sehnsucht nach Selbstauflösung Bildgestalt geworden, wenn geheime Dämpfe die Köpfe zerfressen oder rauschhafte Tanzbewegung die Figuren fast vollständig auflösen.

PeruKultderIndiosamTiticacasee1962

Jürgen Heinemann hat bei Otto Steinert studiert. Subjektiver Ausdruck und die Konzentration auf eine bildhafte, allgemeingültige Form kennzeichnen schon seine frühen Fotografien. Dies gilt für ihre Gestaltung ebenso wie für die Auswahl der Themen.

Er geht an die Grenzen menschlicher Existenz in religiösen Ritualen, wie bei der Studienarbeit über die Prozession in Sevilla oder der Macumbareportage, an Grenzen auch zwischen Kunst und Leben wie bei seinen Museumsbildern.

SpanienSemanaSantainSevilla1960

Jürgen Heinemann zeigt ins Milieu eingeschlossene Menschen ohne Fluchtwege wie in seinen Slum-, Lager-, Gefängnis- und Todesbildern und immer wieder die mühsame, hoffnungslose, verzehrende Arbeit.

Die Menschen auf vielen seiner Bilder sind Opfer sozialer Fehlentwicklungen und Verbrechen, sie büßen für andere. Auch hier steckt eine christliche Substanz . Das Leben wird aufgefasst und dargestellt als Leidensweg und Unterwerfung.

Selbst die Politiker und Kirchenfürsten erscheinen als Instrumente, nicht als die Herren, eher aber als die Nutznießer der Tyrannei.

Indirekt, indem er die Haltlosigkeit der gezeigten Zustände in expressiven Bildern ins Bewusstsein rückt, ist Heinemann ein sozialkritischer, politischer Fotograf, der sinnliche, hochgradig emotional geladene Argumente für eine überfällige Veränderung in den Machtstrukturen am Beispiel von Dörfern und Minen Lateinamerikas bereitstellt.

In Heinemanns Buch "america" wird Fotografie erfahrbar als Kunst des Wirklichen zwischen subjektiver Leidenschaft und Leidensfähigkeit, Einfühlung in die Leiden eines Kontinents. Sie gestaltet hier das Wirkliche als das schwer Erträgliche.

Von einem Europäer und für die kirchlichen Auftraggeber - Adveniat, Misereor - fotografiert, treiben diese Bilder Nägel in selbstgefällige Augen. Sie erfüllen den Auftrag und zerstören ihn zugleich. Sie entstehen aus einem ähnlichen Impuls wie diese andere widerspruchsvolle Bewegung im kirchlichen Bereich: die Theologie der Befreiung.

In tiefen Schwärzen, harten Kontrasten und rauem fotografischen Korn formt sich ein Kontinent aus Gewalt und Resignation, aus Schnaps und Weihrauch, Ausbeutung und Almosen.

Jürgen Heinemanns fotografische Arbeit in Lateinamerika folgt auf die spätkolonialistische Phase des Bildjournalismus, dem sich die Welt als Safaripark voller Beutetiere präsentierte. Sie schließt sich an diese Phase an und macht ihr den Garaus.

Der Europäer mit seiner Kultur und seiner Kirche kann in diesen Bildern betrachten, was er angerichtet hat. Der Geschmack an der Macht wird ihm gründlich verdorben. Auf diesen Buchseiten erscheint in immer neuen Gestaltungen das soziale Karree von Ohnmacht und Verfall, von Menschen schindender Arbeit und aufgeblasener Obszönität des Reichtums.

KolumbienbeiPastoHeimkehrvomMarkt1978

So ist der Indio mit der Schnapsflasche nicht mehr nur er selbst, er ist zugleich namenloses Modell in diesem Bild der Aussichtslosigkeit seiner Rasse.

Dies sind zugleich Darstellungen der Psychologie und Soziologie des Unterdrückten - Rausch, Rauch, Resignation, Regression, ein anscheinend unentrinnbares Szenario des Leidens mit einem Rest von betrunkener Würde - dem Machismo der Armut.

Ein Lohnarbeiter bei einer Diskussion mit dem Pädagogen der Befreiung Paolo Freire spricht es deutlich aus: "Der einzige, der da produktiv und nützlich für sein Land, ist der Kerl, der nach Hause zurückkehrt, nachdem er den ganzen Tag für einen geringen Lohn gearbeitet hat und er sich um seine Familie sorgt, weil er ihre Bedürfnisse nicht befriedigen kann. Er ist der einzige echte Arbeiter und ein Säufer wie wir".

In Anlehnung an die Bildserie Semana Santa könntw man sie auch bezeichnen als Fotografia Santa.

Wer keine Vision hat, sieht überhaupt nichts. sagte Bert Gerresheim, Bildhauer und Kommilitone aus meiner Studienzeit.

Ein Spanien der Vermummung, der Düsternis, der dumpfen Religion überfällt mich. Beim Anblick dieser frühen Werke aus der Studienzeit von Jürgen Heinemann.

Schwarz ist ihre Grundstimmung. Steile Gestalten wanken durch die Fotoflächen wie monströse Dolche. Selten erscheint die christliche Mythologie derart unverblümt als eine Ikonografie des Martyriums, des Mordkomplotts gegen einen Menschen, dessen Ideen zu einer Erneuerung des Denkens führen sollten. André Malreaux´ Wort von der Poesie des Blutes, das er in Bezug auf ein spanisches Element der Kunst Francisco Goyas prägte, auf dessen Bildern die spitzen Ketzer Hüte der Opfer von Feuer und Garotte wie eine Maskierung des Wahnsinns erscheinen, dieser Todeskult spielt auch mit bei dieser eigentümlichen, andalusischen Variante des christlichen Dramas, wie es hier inszeniert wird. Ein gewaltiges Straßentheater, eine totale, die Zuschauer mit einbeziehende Inszenierung mit vorgezeichneten Ritualen bieten diese Prozessionsbilder der Semana Santa, der heiligen Woche in Sevilla.

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Das Zelebrieren des Todes bietet den Hintergrund einer gesteigerten Lebens- und Heilserwartung. In den Straßeninszenierungen wirkt Archetypisches, Blut und Wein, Buße und Bauch. Selten wird in den andalusischen Städten so ausgelassen gegessen, getrunken und getanzt wie in der heiligen Woche des Kreuzes. In großen Skulpturengruppen werden Szenen von der Ankunft des Jesus in Jerusalem, über das letzte gemeinsame Essen bis zur Hinrichtung in der Prozession anscheinend zum Leben erweckt, wobei das wechselnde Licht der Fackeln die Plastiken fast wie in einem Film bewegt erscheinen lässt.

Auf Heinemanns Bildern und in meinem Kopf laufen die Schatten ihres Ursprungs gespenstergleich vor den Menschen her, die versuchen, in ritueller Wiederholung die Vergangenheit zu beschwören und zu überwinden. Foltertod, Prunk und Verhüllung, zelebriert als Bußprozession von Figuren, die durch die Umhüllung in Kutten und grotesken Spitzhaubenmasken wie aufgestiegene Dämonen als feierliche Bande von Henkern vorbei schreiten, die als barfüßige Büßer die Szene bestimmen, sie setzen Signale von Andacht und mit dem Anspruch der Autorität des Geheimnisses. So ist nun nicht mehr möglich, solche Inszenierungen als Volksspektakel touristisch wahrzunehmen, wie sie an der Börse des Tourismus farbig gehandelt werden.

Seit ihrer Gründung im Zuge der Gegenreformation und damit auch der Heiligen Inquisition organisieren Bruderschaften, cofradías, an Einfluss und Besitz mächtige Männerbünde, die spektakulären Umzüge, zugelassen von Vertretern der Kirche, die hinter den Umzügen herlaufen. So ist dieses als Volksfest angelegte Schaustück unter den Kutten auch eine Demonstration gesellschaftlicher Macht. Diese Regisseure verstehen sich auf die Schauer der Psyche und des Körpers. Unter tiefen Trommelschlägen der Buße erstrahlen demonstrativ Prunk und Reichtum. Gold gefasste Skulpturen, Brokate am Körper der Maria als Königin auf einem Podest, das als Thron unter einem Baldachin gestaltet ist, steigern den Appell an die Empfindungen.

Die Namen der Jesusmutter verraten die Gefühle der Verehrenden: "Madonna von den Schmerzen", "von der Hoffnung", "von den Ängsten".

BrasilienDorfimNordOsten1975

Es ist der Fotografie zuzuschreiben, dass die dunkle Körnigkeit der nebelhaften und scharfen Abstufungen die schwarze Stimmung des spanischen Rituals noch weiter hervorhebt. Auf einigen Bildern lastet der weiße Nebel des Weihrauchs. Seine Helligkeiten bieten keine Aufklärung. Die Fotografie wiederum setzt ihre Bilder dazu, dagegen, darauf. Sie steigert die Szene in grafischen Kontrasten, bringt subjektive Verletzlichkeit und Faszination zum Ausdruck von eigener Ergriffenheit und zur Beschwörung der Vergangenheit. Jürgen Heinemann fängt die Szenen ein in einem klassischen Bildstil, der Bildachsen, Diagonalordnung und grafische Ausgewogenheit der Lichtwerte einsetzt, um der sorgfältigen Regie der Umzüge in einer bildhaften Komposition zu entsprechen. Er betont damit das Autoritäre der Szene in kongenialer Einfühlung wie ein guter Theaterfotograf.

Als Jürgen Heinemann fotografiert, regiert der Francismus. Soldatische Figuren, insbesondere aber die der Guardia Civil verbinden sich mit den Kuttenträgern. Aus seinem Bild mit einem Milizionär wird eine Szene von Golgatha. Gegenwart und Geschichte vermischen sich. Der Gardist erscheint gedankenvoll, persönlich betroffen und getroffen, eine Bildform, welche an die Bekehrung des römischen Hauptmanns unter dem Kreuz erinnert. Nicht nur in der Inszenierung auf der Straße, auch in den Fotobildern ist Geschichte und Kunstgeschichte präsent. Heinemann lässt den nackten Toten sich aufrichten, an Fäden gezogen, der Körper leuchtet wie eine Lampe, er breitet die Arme aus zum ersten Flügelschlag. Unterdrückung, Tod und Auferstehung, sind Themen der Karwoche, es sind auch Themen der Fotoserie. Wie Kostbarkeiten blitzen bei ihm die prunkvollen Werkzeuge der Andacht, die glitzernden Fahnen und Kronen.

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Den Teufel setzt er in einer Skulpturdarstellung hoch ins Bild, um ihn unter dem Fuß des Heiligen Michael umso kläglicher zusammenzustauchen. Kapuzenmänner werden in einem Moment ertappt, wo sie ihren Kopf einen Augenblick, Zipfelmütze ab, entlüften. Er hat eine tiefe Sympathie für diese gläubigen Menschen und die Art, wie sie ihren Glauben im Spiel zum Ausdruck bringen. Fotografieren wird zur Anteilnahme, zum Mitvollzug, zur Beteiligung und Einfühlung. Rafael Briones Gomez spricht in einer Untersuchung über die Semana Santa von einem möglichen, volksnahen und subversiven Charakter dieses Festes als einer Feier des Volkes, der durch die autoritäre Inszenierung der Mächte am Boden gehalten wird. Wenn Jürgen Heinemann makabre Aufmärsche zu düsteren Grafiken formt, hat er dabei die Militärmacht in Verbindung mit dem Klerus im Bewusstsein, die spezifisch spanische Variante des Faschismus. Die Fotografie erhält bei Heinemann eine Qualität, die man ihr meist nicht zugesteht, die der Vision.

Ich will diesen Exkurs über Bildmotive und ihre Verknüpfung mit subjektiv erfahrener und gestalteter Wirklichkeit an dieser Stelle vorläufig schließen.

Man soll nach Meinung des Fotografen die Bilder betrachten und sich seine Verse dazu selbst schmieden. Diese Bildsprache ist beredt . Man muss nur mit den Augen hören können.

Fotografien zur Eröffnung Wolfgang Borrs


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