Sanftes Fliegenmittel

Mouches volantes in der alternativen Augenheilkunde


Von Floco Tausin


Mouches volantes“ oder „Mückensehen“ ist die Bezeichnung für unterschiedliche Arten von Glaskörpertrübungen. Im folgenden bezeichne ich damit ausschliesslich die transparenten vereinzelten und deutlich kontrastierten Punkte und Fäden, die sich bei hellen Lichtverhältnissen in unserem Blickfeld bewegen. In mehreren Artikeln und einer spirituellen Erzählung habe ich sowohl die medizinische Sicht dieser Erscheinung aufgearbeitet, als auch die ekstatisch-spirituell bedeutsamen Erkenntnisse der Seher um den im Schweizer Emmental lebenden Lehrer Nestor bezüglich dieses Phänomens beschrieben: Mouches volantes sind harmlose und unbedeutende Glaskörpertrübungen, sagen die Augenärzte. Mouches volantes sind erste Erscheinungen einer alles ausfüllenden leuchtenden Bewusstseinsstruktur, sagen die Seher. Was sagt eigentlich die moderne alternative Augenheilkunde zu den Mouches volantes? Kann sie eine ganzheitliche Erklärung liefern, die Verstand und Gefühl gleichermassen befriedigt? Und wie ist diese Sicht aus der spirituellen Perspektive zu bewerten?


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Die verbreiteste, harmlose Art der Mouches volantes: Klar kontrastiert, transparent, mit dem Blick mitbewegend. Quelle: FT



Alternative Augenheilkunde


Als „alternative Augenheilkunde“ (im Englischen „natural eyesight improvement“ oder „natural vision correction“) bezeichne ich alle Ansätze, die davon ausgehen, dass die Sehkraft ein Teil der geistigen (seelischen) und körperlichen Gesundheit des Menschen ist und daher durch ganzheitliche (bzw. „natürliche“) Übungen und Therapien erhalten oder verbessert werden kann. In diesem Grenzbereich der Heilkunde finden sich akademisch ausgebildete Augenärzte und Optometristen, häufiger aber ganzheitliche Therapeutinnen und Therapeuten aus den unterschiedlichsten Gesundheitsbereichen, die sich auf die Augen und das Sehen spezialisiert haben. Die alternative Augenheilkunde umfasst somit Gebiete wie Farb- und Lichttherapie, Ergotherapie, Kinesiologie, autogenes Training, Psychologie, Naturheilverfahren, Ernährungspraktiken, (Augen)akupunktur, Entspannungstherapie, Ergonomie, Systemische Augentherapie bzw. Aufgenaufstellungen u.v.m. Das Feld der alternativen Augenheilkunde ist seit ihrem hundertjährigen Bestehen zunehmend strukturiert und organisiert worden, wenn auch der Titel „Augentrainer“ oder „Sehtrainer“ noch kein rechtlich geschützter Begriff und kein staatlich anerkannter Ausbildungsweg ist. Angehende Sehtrainerinnen und Sehtrainer werden von bereits praktizierenden Lehrern ausgebildet, häufig auf der Grundlage einer oder mehrerer bekannten Sehtherapien, etwa von William H. Bates, Janet Goodrich, Roberto Kaplan, John Boel u.a. Sie sind in Vereinen und Netzwerken organisiert und vermitteln ihr Wissen und ihre Erkenntnisse vorwiegend in Workshops und Konferenzen wie der „International Conference for Holistic Vision“, sowie durch Publikationen von Artikeln in Magazinen. Die Programme der alternativen Sehtrainerinnen und –trainer basieren auf Beobachtungen, nicht auf wissenschaftlicher Forschung. Mit wissenschaftlichen Methoden konnte bisher kein Nachweis erbracht werden, dass alternative Sehtrainings einen objektiv messbaren Nutzen hätten; sie werden deshalb von der Augenärzteschaft nicht anerkannt.


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Eine typische Übung vieler Sehschulen: Palming.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Batespalming.png&filetimestamp=20081010070341 und FT



Mouches volantes aus der Sicht ganzheitlicher Sehlehrerinnen und -lehrer


William Bates

William Horatio Bates (1860-1931) gilt als Vater der meisten Sehschulen, die die Sehfähigkeit ihrer Patienten mit alternativen Methoden zu verbessern suchen. Bates war ein US-amerikanischer Augenarzt, der sich zu Beginn des 20. Jh. mit der Fehlsichtigkeit der Bevölkerung beschäftigte. Nach seiner Beobachtung ist die Brechung des Augenlichts und damit die Sehfähigkeit sowohl bei Normal- wie bei Fehlsichtigen dynamisch. Weiter stellte er fest, dass die psychische Verfassung der Patienten einen Einfluss auf die Sehschärfe hatte: Je entspannter und aufmerksamer ein Mensch, desto besser seine Sicht; gelangweilte oder verspannte Patienten hingegen tendierten eher zu Fehlsichtigkeit. Bates war der Ansicht, dass sich sowohl physiologische wie psychische Zustände auf die Spannung bzw. Verspannung der Augenmuskeln auswirkten; seiner Theorie nach sind aber nicht die Ziliarmuskeln, welche die Linse regulieren, für die Schärfeneinstellung ausschlaggebend, sondern die sechs Muskeln um den Augapfel herum; diese würden die Form des Augapfels bestimmen, also auch seine Länge, was sich auf den Brennpunkt der Lichtstrahlen und damit auf die Sehschärfe auswirkt. Folgerichtig sprach sich Bates gegen das Tragen von Brillen aus, denn diese würden die Augen auf eine bestimmte Distanz fixieren und ihre Flexibilität reduzieren. Stattdessen entwickelte er simple Übungen für die Augen wie das „Schwingen“, „Sonnen“ oder „Palming“, die die Augenmuskulatur stärken und entspannen, und dadurch die Fehlsichtigkeit korrigieren sollen. Mit seinen Ansichten widersprach Bates der etablierten, auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Augenheilkunde, die Fehlsichtigkeit als ein durch Brechungsfehler unwiderrufliches Missverhältnis zwischen Linse und der Länge der Augapfels bezeichnet und mit Brillen (heute auch mit Kontaktlinsen oder Laser) korrigiert. Da die Wirksamkeit seiner Methode bis heute nicht wissenschaftlich bewiesen ist, wird sie von den meisten Augenärzten abgelehnt, obschon viele positive Erfahrungsberichte vorliegen.


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William H. Bates



Bates über Mouches volantes

In seinem Buch “The Cure of Imperfect Sight by Treatment without Glasses” (1919; neu aufgelegt 1981 unter dem Titel: „Better eyesight without glasses“, deutsch: „Besser Sehen ohne Brille“) listet Bates die Mouches volantes als eine von mehreren visuellen Illusionen auf. Visuelle Illusionen kämen sowohl bei Fehl- wie bei Normalsichtigen vor. Bei Normalsichtigen seien sie jedoch ein Zeichen der Entspannung, bei Fehlsichtigen hingegen ein Zeichen der Verspanntheit. Bei Fehlsichtigkeit würde der Verstand bzw. Geist nicht nur die Objekte des Sehens verzerren (etwa hinsichtlich der Farbe, Grösse, Form, Zahl und Örtlichkeit), sondern sich auch Phänomene vorstellen, die gar nicht existieren. Zu diesen nicht real existierenden Objekten zählt Bates auch die Mouches volantes. Im 23. Kapitel mit dem Titel „Floating Specks: Their Cause and Cure“ beschreibt Bates die „Muscae volitantes“, „flying flies“ oder „floating specks“ als dunkle Punkte oder auch weisse Blasen und, in seltenen Fällen, alle Regenbogenfarben aufweisende Punkte, die sich recht schnell in gewundenen Bahnen bewegen würden – bei dieser Beschreibung ist unklar, ob Bates wirklich nur die vereinzelten beweglichen Mouches volantes meint, oder ob er auch das „blue field entoptic phenomenon“ (Sternchen, Kreiselwellen) zu den fliegenden Mücken zählt. Er nennt dann einige zu Beginn des 20. Jh. gängige Erklärungsansätze für Mouches volantes, z.B. Störungen des Kreislaufs, der Verdauung, der Nierenfunktion und sogar des Geistes; gerade aufgrund der Beobachtung, dass viele geistig Kranke Mouches volantes hätten, galten diese Punkte und Fäden zuweilen als Symptome beginnender Geisteskrankheit – eine Ansicht, die sich in milderer Form in der Psychologie z.T. bis heute gehalten hat. Dann nennt Bates einige Fallstudien. Sie alle zeigen, dass Menschen sehr stark unter Mouches volantes leiden können, dass ihre Augen aber stets in Ordnung sind, und dass die Punkte und Fäden mit den Übungen der Bates-Methode zum Verschwinden gebracht werden können.

Obwohl die Mouches volantes für Bates ein Phänomen der „mentalen Anspannung“ sind, gesteht er ein, dass auch Normalsichtige diese Punkte und Fäden sehen können. Er erklärt dies damit, dass auch das normalsichtige Auge nicht immer normalsichtig sei. Gerade in Situationen, in denen sich die Punkte und Fäden sehr deutlich zeigen, z.B. beim Blick auf eine helle Fläche oder gegen die Sonne, würden sich die Augen stark anspannen. Für Bates zeigen sich Mouches volantes somit in Situationen der Anspannung, sowohl der Augenmuskeln, als auch des Geistes.



Mouches volantes in heutigen alternativen Sehschulen

Die Bates-Methode wurde zum Ausgangspunkt vieler Sehtherapien, die in den letzten 80 Jahren entstanden sind. Mitarbeiter und Schüler von Bates (Emily Bates, Margaret Darst Corbett, R. S. Agarwal u.a.) lehrten seine Methode weiter und ergänzten sie um Aspekte wie Ernährung und Atmung. Vielen späteren Sehlehrerinnen und Sehlehrern fehlte in den nüchternen Übungen von Bates die Lebendigkeit. Um ganzheitlichere Bewusstseinsprozesse zu integrieren, kombinierten sie Bates‘ Theorie und Übungen mit weiteren Gesundheitssystemen, etwa mit psychotherapeutischen Ansätzen von Wilhelm Reich und Alexander Lowen, oder auch mit fernöstlichen Praktiken und Heilssystemen wie Yoga, Meditation und der Traditionellen Chinesisches Medizin.


Im Gegensatz zu Bates scheinen sich heutige Sehtherapeuten und –therapeutinnen, die auf solche Systeme zurückgreifen, nur spärlich mit Mouches volantes auseinanderzusetzen. Dies ist jedenfalls mein Eindruck aus einer per Email durchgeführten Umfrage unter 315 ganzheitlichen Sehlehrern aus der ganzen Welt, wovon 13 geantwortet haben. Zunächst fiel auf, dass ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Phänomen wenig ausgeprägt oder gar nicht vorhanden sind. Zudem fehlt ein Bewusstsein für unterschiedliche Arten von Mouches volantes weitgehend; nur in einem Fall wurden „floaters“ (meistens als Überbegriff für alle Mouches volantes verwendet) von „muscae volitantes“ (harmlose Trübungen) unterschieden. Wo die Punkte und Fäden erklärt wurden, griffen die Befragten auf z.T. ältere medizinische Konzepte zurück, es werden Zellresten, Ablagerungen und Rückstände aus embryonalen Entwicklungsprozessen genannt. Die Sicht der ganzheitlichen Sehlehrerinnen und Sehlehrer bezüglich Mouches volantes stimmt aber grundsätzlich mit der medizinischen Sicht überein: MV sind eine Störung, die es wenn möglich loszuwerden gilt. Nun gibt es innerhalb dieser Sicht zwei Tendenzen, die den therapeutischen Ansatz bestimmen: Wenn Mouches volantes eher als physiologisches Phänomen gesehen werden, kommt eine reinigende Ernährungspraxis zur Anwendung. Auf der Webseite des bekannten Optometristen Marc Grossman wird beispielsweise eine Ernährung empfohlen, die pflanzliche Proteine, Vollkornprodukte, viel Gemüse (ausser Nachtschattengewächse wie Tomaten und Auberginen) sowie weniger Salz, Zucker und Fett vorschreibt. Gelten hingegen eher psychische Zustände (Stress u. ä.) als Ursache für die Mouches volantes, wird der Einsatz unterschiedlicher Techniken der Entspannung und das Ordnen von Beziehungsmustern empfohlen. Viele Sehlehrerinnen und Sehlehrer integrieren sowohl den reinigenden wie den bewusstseinstransformativen Ansatz in ihre Therapie für Mouches volantes.


Eine eher reinigende, phytotherapeutische Behandlung verfolgt z.B. der erwähnte Marc Grossman, promovierter Optometrist, Akupunkturist und Mitautor des auf Sehtherapie umfunktionierten Magic-Eye-Buches „Magic Eye, Beyond 3D“. Seine Webseite „Natural Eye Care“ wartet beim Thema „Eye Floaters“ mit einer Phalanx an Tinkturen, Ölen, Kapseln, homöopathischen Kügelchen und Augentropfen zur komplementären Behandlung der lästigen „Proteinhaufen“ oder „Zellresten“ im Glaskörper auf. Der Einfluss kommt v.a. aus der chinesischen Medizin und aus der Homöopathie. Die meisten dieser zahlreichen Formeln aus Kräutern und Wurzeln werden auch bei anderen Augenleiden eingesetzt; spezifisch gegen Mouches volantes sollen etwa die „Floater Homeopathic Pellets“ helfen, ein homöopathisches Mittel, das den Körper bei der Linderung der MV unterstützen soll. Daneben wird auch eine entsprechende Ernährung empfohlen, sowie Yoga, Tai Chi, Meditation, Gebete und Spaziergänge in der freien Natur, um Stress abzubauen.


In Richtung Bewusstseinstransformation arbeiten hingegen Roberto Kaplan und Martin Brofman. Der bekannte ganzheitliche Augenheilkundler und Autor Roberto Kaplan definiert „bewusstes Sehen“ als ein Zusammenwirken des physiologischen Auges mit dem Hirn und dem Geist. Augenkrankheiten lassen sich häufig als Störung dieser Zusammenarbeit verstehen. In diesem Fall haben diese Sehstörungen eine Botschaft – Kaplan greift dabei auf Konzepte traditioneller indigener und schamanischer Gesellschaften zurück: Krankheiten können als „kleiner Tod“ verstanden werden, als Vorgriff auf unseren endgültigen körperlichen Tod. Die Behandlung einer Krankheit ist damit als Auseinandersetzung mit dem Tod zu verstehen. Und zu dieser gehört eine tief greifende Veränderung des Lebensstils, z.B. die Verringerung der Geschwindigkeit (in Körper und Geist), ein gesundheitsförderndes Verhalten, der bewusste Umgang mit den Unvollkommenheiten des Lebens, mehr Aufmerksamkeit und Erfüllung im Alltag u.a. In einem Artikel listet Kaplan eine Reihe von Fragen zu unterschiedlichen Augensymptomen auf, deren Beantworten entscheiden soll, ob die Ursache eher physiologisch oder geistig zu suchen ist. Auch Mouches volantes sind gelistet, hier ist etwa zu fragen: „Gibt es Unvollkommenheiten in deinem Leben, die deine Aufmerksamkeit brauchen? Ist dein Leben zu schnell und zu geschäftig? Gibt es Bereiche in deinem Leben, denen du ablehnend gegenüberstehst? Gehst du adäquat mit Stress um?“ Wenn mehr als die Hälfte der Fragen mit „ja“ beantwortet werden, sei die Krankheit auch durch psychische Faktoren verursacht. Mouches volantes werden bei Kaplan somit als Sehstörung aufgefasst, die oft durch geistige/seelische Bedingungen mitverursacht und durch die Veränderung des Lebensstils zu heilen sind.


Ähnlich, aber spezifischer, argumentiert Martin Brofman, Autor von „Improve your Vision“ und Begründer der in der Schweiz ansässigen Brofman Foundation, die sich dem Fortschritt der ganzheitlichen Heilung widmet. Teil des Programms der Foundation ist ein „Sehkraftseminar“ („A Vision Workshop“) in der Tradition eines auf Psychologie fokussierten Bates: Die Sicht einer Person sei als Metapher für deren Bewusstseinszustand aufzufassen – Mouches volantes als Sehstörung sind damit auch eine Bewusstseinsstörung. Konkret assoziiert Brofman die Punkte und Fäden mit exzessivem Streben nach Kontrolle: Menschen, die ihre Gefühle beispielsweise zu stark kontrollieren wollen, erzeugen eine Anspannung (Bates) im Bewusstsein. Das Mittel gegen Mouches volantes ist daher das (psychische) Loslassen, erreicht durch Entspannungs- und Meditationstechniken. Da dieser Ansatz die Veränderung von Bewusstseinsprozessen und Verhaltensmustern integriert, zielt er letztlich auf die Transformation der ganzen Persönlichkeit.




 

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Meditieren, um Kugel- und Fädengebilde wegzubringen – oder zu erzeugen? „Meditation“ von Art visionnaire narratif

Dieses Bild basiert auf dem Bild Meditation_1.jpg‎ aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Art visionnaire narratif.



Spiritualität und alternative Augenheilkunde


Ganzheitliche Sehtrainings, die den Erfolg ihrer Therapien eher vom Lebensstil der Patienten und von körperlichen und geistigen Übungen abhängig machen als von Produkten, können durchaus eine Bedeutung für die Spiritualität erlangen. Denn hier sind die Grenzen zwischen körperlicher Leistung, mentalen Fähigkeiten und Spiritualität fliessend – manche Sehtherapien integrieren diese Aspekte in unterschiedlichem Ausmass. So verwundert es nicht, dass viele traditionell spirituelle Praktiken Eingang in die alternative Sehschulung und in ganzheitliche Sehtherapien gefunden haben. Sie können sehr offensichtlich sein, etwa im Fall des Buches „Yoga for the Eyes“ von Bates-Schüler Agarwal, oder wo Meditation oder Fasten gegen Fehlsichtigkeit empfohlen wird. Sie können aber auch eher verdeckt sein, wie z.B. in Janet Goodrichs Programm, das neben der besseren Sehschärfe auch die Kreativität und das Selbstvertrauen fördern soll. Es könne sich sogar „zu einem spirituellen Abenteuer ausweiten, wenn Sie Ihr Sehen in andere Dimensionen ausdehnen, vom rein physischen Sehvermögen zu mehr geistigen, vom äusseren Sehen zum inneren Schauen.“ Tatsächlich integriert sie Übungen wie Visualisieren, Konzentration auf einen Punkt, Schielarten u.a., wie sie in unterschiedlichen spirituellen Traditionen zur Steigerung der Aufmerksamkeit und Erweiterung der Wahrnehmung eingesetzt wurden.


Trotz der Nähe zu spirituellen Praktiken und Theorien haben die meisten heutigen ganzheitlichen Sehtrainer und Sehtrainerinnen ein zwiespältiges Verhältnis zum Thema Mouches volantes und Spiritualität. Sie tun sich schwer damit, „Spiritualität“ oder „Ganzheitlichkeit“ in ihr Verständnis der Punkte und Fäden zu integrieren – weder ihre Ausbildung, noch ihre Erfahrung gibt ihnen Hinweise in diese Richtung. Im Rahmen der Behandlung jedoch setzen viele alternative Ansätze einen Kausalzusammenhang von Spiritualität und Mouches volantes voraus. Das lässt sich bereits bei Bates feststellen: Dieser erklärt zwar die Mouches volantes als Illusion aus der Fehlsichtigkeit und damit als Resultat körperlicher und mentaler bzw. geistiger Anspannung (strain); mit etwas Übung könne man alle diese Illusionen denn auch selbst erzeugen. Damit wird aber grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, dass die Punkte und Fäden sich durch die beabsichtigte „Anspannung“ oder Konzentration im Rahmen von spirituellen Übungen herbeiführen lassen. Und genau dies entspricht meiner Erfahrung: Die Konzentration auf Mouches volantes lässt die Punkte und Fäden kleiner und deutlicher erscheinen; ein gesunder Lebensstil mit leichter vegetarischer Kost und sanften Bewegungsübungen sorgt für mehr Energiefluss und aufmerksames Bewusstsein, die wiederum die Mouches volantes deutlicher und leuchtender erscheinen lassen; tiefe ekstatische Entspannung, die als Reaktion auf die grosse Anspannung im Yoga oder beim Tanzen eintritt, sorgt für eine sprungweise Vergrösserung und für das Aufleuchten der Punkten und Fäden.

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Die zwei Arten der Mouches volantes im Übergang vom entspannten in den konzentrierten Zustand. Quelle: FT.


Ironischerweise werden also traditionell spirituelle Praktiken in der alternativen Augenheilkunde zur Abschwächung der Mouches volantes eingesetzt, während dieselben oder ähnliche Praktiken in ekstatischen spirituellen Systemen zur Verstärkung der Punkte und Fäden (und anderer entoptischer Phänomene) zur Anwendung kommen – wie in manchen schamanischen und tantrischen Traditionen. Die Ursache davon sind natürlich die unterschiedlichen Erklärungen der Mouches volantes und letztlich die anders gearteten Weltbilder, die diese Erklärungen speisen. Die interessante Frage aber ist, ob trotz diesem offensichtlichen Widerspruch beide Seiten recht haben können – Erfolgsberichte liegen schliesslich auf beiden Seiten vor.


Ein Erklärungsversuch ist folgender: Der gemeinsame Nenner sowohl der alternativen Augenheilkunde als auch der ekstatisch-seherischen Spiritualität ist die körperliche und geistige „Anspannung“, die zur Erscheinung von Mouches volantes führt. Der Unterschied liegt in der Frage, in welchem Zusammenhang diese Anspannung auftritt und wie sie gewertet wird. Bei Bates und vielen seiner Nachfolgern ist von einer unbewussten, durch falsche Lebensweise verursachten Anspannung die Rede; die dadurch verursachten Phänomene werden entsprechend negativ gewertet, darunter auch die Mouches volantes. Aus der Sicht der ekstatisch-seherischen Spiritualität hängt die Erscheinung der Mouches volantes (und anderer entoptischer Phänomene) mit jeder Art der Anspannung zusammen, die die Intensität im Körper steigert, auch wenn sie unbewusst und fehlgeleitet ist und sich negativ als psychisches oder körperliches Unwohlsein oder Krankheit äussert – entsprechend berichten viele Menschen davon, dass sie Mouches volantes häufig in solchen Lebensphasen wahrnehmen, in denen sie grossem Stress oder Schicksalsschlägen ausgesetzt sind. Doch die an sich folgerichtige Empfehlung vieler Sehtherapeutinnen und Sehtherapeuten, Mouches volantes durch Entspannungsübungen und Meditation abzuschwächen, kann aus spiritueller Sicht deshalb nicht funktionieren, weil die Intensität dadurch auf eine geistige Ebene transformiert, aber nicht verringert wird; die Punkte und Fäden könnten höchstens durch eine dauerhaft konsumistische Lebensführung abgeschwächt werden, die die körperlichen und geistigen Kräfte aufzehrt und die Bewusstheit einschränkt – was kaum erstrebenswert ist. Zudem geht der Rat der Entspannung am Kern der Sache vorbei. Denn was notwendig ist, ist nicht einfach der Abbau von Anspannung, sondern die Transformation von unbewusster Anspannung (Verspannung, Nervosität) und unbewusster Entspannung (sich gehen lassen, oft im Zusammenhang mit Konsum) hin zu bewusster Anspannung und Entspannung. Mouches volantes werden dabei nicht abgeschwächt und verdrängt, sondern aufgehellt und deutlicher wahrgenommen. In dieser Situation nehmen wir unsere Punkte und Fäden als Folge der bewusstseinssteigernden Anspannung und Entspannung wahr und empfinden sie nicht mehr als störend, sondern als positive, bedeutungsvolle, ja sogar spirituelle Phänomene.


In diesem Sinne lässt sich die Schilderung einer Sehtrainerin verstehen, wonach eine Patientin ihren Mouches volantes Namen gegeben habe und bewusst auf sie schaute. Diese bewusste Anspannung bzw. Konzentration auf die Punkte und Fäden und ihre Einordnung in ein sinnvolles System war schliesslich die heilende Entspannung für diese Frau.



Literatur


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Floco Tausin

floco.tausin@mouches-volantes.com



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Der Name Floco Tausin ist ein Pseudonym. Der Autor studierte an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern und befasst sich in Theorie und Praxis mit der Erforschung subjektiver visueller Phänomene im Zusammenhang mit veränderten Bewusstseinszuständen und Bewusstseinsentwicklung. 2004 veröffentlichte er die mystische Geschichte „Mouches Volantes“ über die Lehre des im Schweizer Emmental lebenden Sehers Nestor und die spirituelle Bedeutung der Mouches volantes.



Angaben zum Buch: „Mouches Volantes – Die Leuchtstruktur des Bewusstseins“, Leuchtstruktur Verlag (Bern) 2004, Paperback, 388 Seiten, 27.50 € / 39.80 CHF, Genre: Belletristik/mystische Erzählung.

Bereits den alten Griechen bekannt, von heutigen Augenärzten als harmlose Glaskörpertrübung betrachtet und für viele Betroffene ärgerlich: Mouches volantes, Punkte und Fäden, die in unserem Blickfeld schwimmen und bei hellen Lichtverhältnissen sichtbar werden.

Die Erkenntnis eines im schweizerischen Emmental lebenden Sehers stellt die heutige Ansicht radikal in Frage: Mouches volantes sind erste Teile einer durch unser Bewusstsein gebildeten Leuchtstruktur. Das Eingehen in diese erlaubt dem Seher, über den Tod hinaus bewusst zu bleiben.

Mouches volantes: Glaskörpertrübung oder Bewusstseinsstruktur? Eine mystische Geschichte über die nahe (f)liegendste Sache der Welt.