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Gisela-Ethaner Schelble

"tabula smaragdina versus tabula familia"

 

In der Arbeit *"tabula smaragdina versus tabula familia" *(happy birthday dear family) setze ich mich mit dem Begriff der Familie im Kontext zum Begriff Menschheitsfamilie und deren Beziehungen, kulturellen und religiösen Prägungen, den darin enthaltenen Konflikt- und Harmoniepotenzialen, sowie mit Transformationen, Überleben und Entwicklungen auseinander.

Das Bild zeigt ein Familienporträt meiner Familie. Es ist digital bearbeitet. In den vorderen Bildraum wurde eine Art von Tisch, Tafel oder "Geburtstags"-Torte hinzugefügt. Auf dieser Tafel oder Torte sind im rechten Bildraum, andere Bildgegenstände montiert. Sie erinnern im weitesten Sinn an Geburtstagskerzen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass es sich um eine Frau mit einem blutigen Mund handelt. Sie trägt eine Art von Sarazenenturban und sticht mit dem Messer auf einen Teddybären ein. Links daneben ist eine eine fremdartig anmutende rosafarbene Figur. Hinter der Frau steht ein Reh.

Der Bruch der scheinbaren Familienidylle ist nicht unbedingt auf den ersten Blick sichtbar, sondern erschließt sich dem Betrachter erst bei genauerem Hinsehen. Links oben im Bild ist ein Kreuz. Das Symbol christlich-abendländischer Kultur ragt schief in den rechten Bildraum hinein. Fast daneben, etwas weiter unten links im Bildraum befindet sich eine Frau mit einem Tuch vor dem Gesicht. Das Tuch, welches nicht wie bei einer Moslime den Kopf verschleiert, sondern nur den unteren Teil des Gesichts vermummt, hat dieselbe Farbe bzw. das gleiche Muster wie der Sarazenenturban der unteren rechten Bildgestalt und stellt eine Anspielung auf jegliche Religionen oder Kulturen dar, keine Illustration. Die Blumen im rechten und linken Bildteil korrespondieren mit dem zweiten Bildtitel "happy birthday dear family". Rechts vom Kreuz direkt unter einem grünen Punkt steht eine Frau mit Fotoapparat, die offensichtlich auf Grund ihrer Kleidung nicht ins Familienporträt gehört.


Der Titel des Bildes: "tabula smaragdina versus tabula familia“ Die Tabula Smaragdina (lat. für "smaragdene Tafel“) ist ein traditionell dem Hermes Trismegistos (Priester und Eingeweihter in Ägypten) zugeschriebener Text, der die philosophische Basis der Hermetik bildet. Die erste These wird meist verkürzt mit den Worten: Wie oben, so unten“ beschrieben. Die Tabula Smaragdina stellt ein Zitat aus einem Werk namens Geheimbuch der Schöpfung dar. Der Text wurde zur Grundlage der Alchemisten. Dasjenige, welches Unten ist, ist gleich demjenigen, welches Oben ist: und dasjenige, welches Oben ist, ist gleich demjenigen, welches Unten ist, um zu vollbringen die Wunderwerke eines einzigen Dinges. Mit dieser Idee, können wir Erfahrungen aus zugänglichen Bereichen analog übertragen auf die unzugänglichen Ebenen oder Bereiche. Siehe Analogie: Mikrokosmos / Makrokosmos.

Der Titel der Arbeit ist ein Wortspiel, welches sich auf unterschiedlichen Bedeutungsebenen interpretieren lässt.

versus steht für gegen und steht hier für die unterschiedlichen Denkweisen von unterschiedlichen Kulturen, Menschen.

"das fernöstliche Denken ist - anders als das westliche- bekannt für seine Uneindeutigkeit. Für den westlichen Denker kann nicht gleichzeitig Tag und gleichzeitig Nacht sein. Tod kann nicht zugleich Leben sein. Für den fernöstlichen Denker ist dies sehr wohl möglich. Bis heute klammern wir uns an aristotelische Prinzipien wie den Satz von Identität ( " A ist gleich A“) Laotse sagt: "Wirklich wahre Worte sind paradox.“ Der westliche Denker gewinnt Klarheit, indem er- gemäss der aristotelischen Logik - die Dinge von einander unterscheidet, einander entgegensetzt ( " A" versus "nicht-A" / "tot" versus " lebendig" ...Der fernöstliche Denker sieht die Dinge erst klar, wenn er - gemäss einer paradoxen Logik - Gegensätze nicht als Gegensätze, sondern als Gleichwertiges nebeneinander setzt ("Es ist Leben, und doch ist es Tod" ...(Auszug Rebekka Reinhard, die Sinndiät.)

Durch die Vermengung und Anreicherung von Bildzitaten entsteht eine Überblendung oder ein Crossover von Werten, von Stilen, von Fragen und Chancen einer besonderen Art der Wahrnehmung.

Ein immer wieder auftauchendes Motiv, welches ich in die Arbeiten hineinzeichne, ist das Reh. Gleich einem Totem erscheint es auf den Bildern, schaut zu und wacht unbemerkt im Hinter- oder Vordergrund; sichtbar ist es nur für den Betrachter.

In meinen Arbeiten (Malerei, Photographie, Computergrafiken, Installation, Texte) beschäftige ich mich mit einer komplexen Beziehungsstruktur wechselseitiger Spiegelungen von Traum, Realität, Fantasie, Virtualität, Erfahrung und Utopie.

Ich sammle Eindrücke und darauf bezogen interessiert mich die Gleichzeitigkeit und Interdependenz der Raum-Zeit-Sinneserfahrung. Die gesammelten Impressionen werte ich später aus. Die Fotografien werden am Computer bearbeitet, Projektionen collagiert. Motive werden durch Vervielfältigung, Spiegelung, Negativumwandlung verfremdet und mit Bildelementen unterschiedlicher Herkunft zusammengebracht.

Es entstehen Arbeiten, bei denen unterschiedliche künstlerische Ausgangsformen wie Malerei, Zeichnung, Collage, Typografie usw. zitiert sind. Auf diese Weise geschieht Erforschung, Überprüfung und entsteht Wahrnehmung von diesen verschiedenen Ebenen. Seit meiner Jugendzeit bin ich grundsätzlich östlichen sowie abendländischen Philosophien gegenüber aufgeschlossen, um den Denkansatz: Leben der eigenen Selbstbestimmung plus Einbeziehen der Selbstbestimmung von anderen zu untersuchen.

Mich interessieren Vorgehensweisen, Fragestellungen: zur Identifikation, zu assoziativen Gedankengängen und der Relevanz von Differenzierung. Wie vieldeutig kann wahrgenommen werden und wie äquivalent kann ein Konzept, ein Gedanke, eine Idee oder eine Manifestation betrachtet werden? Wie vielschichtig können die Welt und Wirklichkeiten wahrgenommen werden.

In der Utopie ist der Ort nicht festgelegt. Die Idee einer Möglichkeit oder das Konzept eines neuen Gedankens steht über der Problematik des Ortes und der Zeit, mit der sie (die Utopie) verbunden ist.

In der von mir gewählten Utopie strebe ich nicht die Unerreichbarkeit an, sondern die beste aller Eventualitäten, welche noch nicht Wirklichkeit ist. Das heißt nicht, dass ich formal ausgestalte oder eine Botschaft vermitteln will. Die Botschaft interessiert mich nicht. Ich zeige Möglichkeiten einer individuellen Wahrnehmung auf. Wenn es dadurch zu neuen Fragen und Antworten kommt, interessiert mich dies.

Gisela-Ethaner Schelble "tabula smaragdina versus tabula familia"
5. - 26. April 2009
Artists' Window, dock: aktuelle Kunst aus Basel, Klybeckstrasse 29, 4057 Basel
www.dock-basel.ch