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Jörg Boström

 

Zeitbilder zwischen Leben und Tod.

Eine Führung durch eine Ausstellung von Gabor Wallrabenstein.

 

Diese Ausstellung von Bildern ist ein realistisches Spiel mit der Zeit... - in einzelnen Fällen auch mit dem Tod. Der Gestalter Gábor Wallrabenstein ist direkt betroffen. Er mischt sich ein in seine Bilder und bringt andere Menschen ins Spiel seines Lebens und seiner Bilder. Auch ich muss zugeben, ich bin mit dabei und kann mich schon deshalb seiner Anfrage nicht entziehen, hier zu sprechen. Wenn Kunst Kommunikation ist, wie mein Kollege Andreas Beaugrand wiederholt betont, dann handelt es sich hier um so etwas wie Gedächtniskunst. Zugleich zeigt diese Ausstellung ein Wechselspiel des Gebrauchs der Bilder und Bildtechniken. Der Autor legt sich nicht fest. Wechselt Bildformen und Bildstrecken. Mit einer klaren Definition, also festgelegten Beschreibung seiner Arbeit ist er nicht zu fassen. So beginnt eine Reise durch die Zeit und durch die Möglichkeiten der visuellen Vermittlung.

Lassen wir sie beginnen, in kurzen Abschnitten.

Die Fotos sind auf sehr unterschiedliche Art mit sehr verschiedener Technik entstanden: So fotografierte man damals bis in die 80er Jahre sehr gerne mit für damalige Zeiten hochempfindlichen Film 27 DIN/400ASA wie z. B. TRI-X Pan oder HP 5. Kleinbild und Spiegelreflextechnik wie z. B. Asahi Pentax Spotmatic II. Es fotografierte Wallrabenstein mit einer Kompaktkamera von Nikon, jedoch noch analog. Dann kam die erste Digitalfotografie, die aber schon mit 5,2 Megapixel arbeitete. Für Gábor die nächste war die Cooplpix von Nikon, mit der man schon verkaufbare Fotos machen konnte. 10 Megapixel. Seit einem Jahr fotografiert er mit Nikon D2 X. Die SW-Bilder, die Dias und die Negative sind mit einem Epson- Scanner mit relativ hoher Auflösung gescannt und in Photoshop weiterbearbeitet.

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Mich interessierte schon früher der Ursprung und Hintergrund dieses mir immer wieder besonders und eigenartig erscheinenden Studenten.

Woher kommt dieser Mensch und woher stammt sein Name? Ich fragte ihn und er berichtete mir:

Wallrabenstein ist ein kleiner Ort, eine früher selbstständige kleine Gemeinde im Hochtaunus, im Landkreis Katzenelnbogen. Dort steht auch eine kleine Burg mit dem Namen Wallrabenstein. Diese Burg gibt es seit über 600 Jahren. Wallrabenstein ist eine Ansiedlung die von den Grafen zu Hessen-Nassau-Idstein gegründet wurde. Heute hat der Ortsteil Wallrabenstein etwa 2.000 oder mehr Einwohner.

Gábor Wallrabensteins Vorfahren väterlicherseits stammen aus dieser Gegend und wanderten nach 1683, als die Türken zum zweiten mal vor Wien standen, in die ungarische Tiefebene aus, nachdem Prinz Eugen von Savoyen mit einem Söldnerheer die Türken bis hinter Belgrad zurück geworfen hatte. Seine Mutter stammt aus dem Burgenland in Österreich. Die Siedler, die Maria Theresia anwarb, hatten ein sehr hartes Leben. Sie legten die Sümpfe der Tiefebene trocken und bauten Wehrdörfer als Grenzbefestigung gegen die Türken. Später gab es folgende Aussage über die ersten drei Generationen des später allgemein „Donauschwaben“ genannten Bevölkerungsteils: „Den ersten der Tod, den zweiten die Not, den dritten das Brot.“ Harte bäuerliche Arbeit kennzeichnete das Leben dieser Donauschwaben. Dennoch häuften sie in den folgenden Generationen durchaus Reichtum und Wohlstand an.

Die männlichen Nachkommen: Der älteste bekam den Hof, das Land wurde nicht geteilt und nicht zersplittert. Die anderen Söhne wurden zum studieren geschickt, wie dieser Urgroßvater oder sie gingen zum Militär, später zur Eisenbahn oder wurden Lehrer. Die Töchter wurden, dem Zeitgeist entsprechend verheiratet. Aus dieser recht starren Ordnung auszubrechen, war fast unmöglich, sogar noch bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Seine Mutter wurde mit 19 Jahren verheiratet. Gerne hätte sie etwas Künstlerisches gemacht, jedoch war in ihrer Familie dafür kein Geld vorhanden und ein Bewusstsein für andere Gedanken auch nicht. So bekam sie eben mal vier Söhne… Einem davon ist diese Ausstellung zu verdanken.

1957 „machte die Familie rüber“, wie man das nannte in der zweigeteilten Welt, über ein Schlupfloch in der ungarischen Grenze, nach Jugoslawien. Sie kam dann nach Bielefeld. Ein alter Kontakt nach Bethel.

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An einer Stelle der Bildfolge sehen wir eine Fotografie der Mutter. Eine Sterbende.

 

Eingeklemmt in Vergangenheit und Tod stehen die Bilder des Lebens, biografische, persönliche auch von anderen und besonders von Gábor Wallrabenstein.

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Er fotografiert sich im Spiegel. Die Ausstellung selbst ist so etwas. Eine Folge von Bildern als Spiegel eines Lebens.

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Ein Zimmer mit Klavier und Wohnchaos. Bozi-Straße 7. Kommentar des Fotografen: "Genannt Bozis Traum oder der gekränkte Mülleimer. Im ganzen Haus nur Designer. Oben in zwei Wonungen 6 Frauen. Unten in einer Wohnung 6 Männer. Zwei von den Männern trugen ihren Zwist handgreiflich aus, nachdem der Mülleimer etwa drei Wochen nicht geleert worden war. Ich spielte mit der Geige zum Tanze auf, während sie sich durch die Wohnung prügelten."

WG. Spätestens heute und bei diesem Anblick wird mir klar, warum ich selbst nie gewohnt habe in einer solchen so genannten Wohngemeinschaft. Fotografiert ist ein Trümmerfeld nach einem mit zerwürfelten Objekten zugeschütteten Bühne des Alltags.

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Wie eine kleine Fromme dagegen gestellt ein Bild der 12-jährigen Tochter in einem byzantinischen Kirchenraum. Zentral und fromm. Gold umrahmte Bilder und Szenen von Heiligen im byzantinischen Stil. Haben diese Figuren goldenen Heiligenscheine, so hinterlegt ein schwarzer Blitzschatten des Kopf des Kindes.

Leben und Tod in wechselnder Verbindung.

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Drei gestorbene Freunde und Kollegen werden in Bilder gesetzt, die an eine Fotolinse denken lassen und in ihrer roten Umrandung an Friedhofskränze erinnern.

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Eine Studentengruppe kämpft mit Bielefelder Typografie für eine Partei, die es erst später geben wird. Die Grünen. Ein Stück auch meiner Erinnerung sowohl an diese Menschen, von denen zwei noch heute das Bielefelder Grafik Büro betreiben, Jochen Mariss und Reinhard Becker, daneben Fritz Bicker, die ich in einem gemeinsamen Studienseminar in Schloss Gut Stockhausen erlebt habe. Da hat Gábor auch mich erwischt mit der Kamera und aus der Zeitsenke hervorgeholt.

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Ihn hatte ich fotografisch ertappt beim Geigenspiel, das ihm einen fremde, poetische, fast zigeunerartige Ausstrahlung gab.

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.. oder beim Schach. Auch bei dieser Ausstellung spielt er mit den Flächen und Figuren. Man kann ihn nicht bei einem durchschaubaren, einheitlichen Konzept ertappen. Er spielt Varianten und Möglichkeiten durch aus denen in weiterer Foge aus jedem eine neue Ausstellung entstehen könnte. Er zeigt Möglichkeiten auf, die er hat und die er ausbauen könnte, wenn die Gelegenheit dazu sich ergibt. Wenn Gábor Wallrabenstein diese Ausstellung zusammenfügt, ist er selbst gefangen von der Zeit. Er zeigt was ihm wichtig ist und überlässt dem Betrachter, sich damit abzufinden oder auch sich von dieser autobiografischen Art faszinieren zu lassen.

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Das Werk Kunst Schul Haus auf dem Sparrenberg. Fast ein Schloss. Gelegen neben der Burg. Unwiderstehlich auch für mich, dort meine Lehrtätigkeit aufzunehmen, obwohl ich in Düsseldorf zu Hause war und mich als Landeshauptstädter zuerst überheblich fragte: Bielefeld? Wo liegt das eigentlich? Muss das sein? Ich habe meinen Sprung über den Teutoburger Wald nie bereut.

Nun bin ich aber selbst ins Autobiografische geraten, verlockt durch diese Bilder und kehre zurück zum Aussteller.

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Der aber zeigt mir nun ein Foto von Gerd Fleischmann, Typograf und Kollege und heute wie ich zu Hause in Mecklenburg. Und da rutsche ich wieder selbst ins Private. So geht es weiter mit den biografischen Überschneidungen.

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Eine gemeinsame Projektarbeit von Fritz Bicker, Gábor und mir brachte es zu zahlreichen Fotografien Untertage und eine Serie von Siebdrucken. Dies geschah aufgrund einer Einladung zu dem damals noch legendären Bergkamener Bilderbasar durch den Kulturdezernenten Dieter Treeck. Wir fuhren ein in das Bergwerk Haus Aden.

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Hausmeister Kuhnert. Auch für mich nicht zu vergessen. Seine Hilfe und freundliche Anteilnahme. Zu Hause im Beruf. Ein wunderbares Foto.

Meinen Kollegen Gottfried Jäger ehrt Gábor mit einem imitierten Bildzitat. Eine simulierte Variation einer seriellen Phase seiner Werke.

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Eine weitere Bildfolge von Computersimulationen täuscht Kunststile vor: ein Tropfenbild, aus dem eine Serie für eine weitere Ausstellung entstehen könnte. Ebenso eine Komposition horizontaler Feldformationen. Minimal Art aus dem Rechner.

Hinzu kommen minimalistische Dokumentarfotografien. Der Siegfriedplatz bei Nacht und Regen. Architekturaufnahmen nahe und dicht dran am Auftrag. Gábor Wallrabenstein zeigt was er kann und könnte, wenn man ihn beauftragen und wenn man ihn lassen würde. Er präsentiert sich als visueller Gestalter in einer eigenen Firma und erfindungsreicher Bildkünstler in vielen Variationen.

Ich danke dir, Gábor, für diese auch für andere persönliche Taktung der Lebenszeit und der ästhetischen und technischen Möglichkeiten und Ihnen für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.

 

Berlin, 28.4.2009