Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Floco Tausin
 
Das holografische Weltmodell zwischen Wissenschaft und Sehen
 
Das intellektuelle Denken basiert stets auf grundlegenden metaphysischen Annahmen. Momentan befinden wir uns in einem Wandel, der die mechanische Weltsicht durch das holografische Modell ablöst. Wie es zu diesem Paradigmenwechsel gekommen ist, was er bereits ausgelöst hat und weshalb das holografische Modell auch entoptische Erscheinungen wie die Mouches volantes besser beschreiben kann.
 
 
Im Science-Fiction-Film "Krieg der Sterne" verändert sich Luke Skywalkers ödes Leben auf dem Wüstenplaneten Tatooine abrupt, als der eben erst erstandene Roboter R2-D2 plötzlich ein dreidimensionales Abbild von Prinzessin Leia projiziert, die verzweifelt um Hilfe ersucht. Dieses Abbild ist ein Hologramm (von gr. holos = "ganz", und gram = "Mitteilung", "Aufzeichnung"), eine durch Lasertechnik erzeugte Darstellung, die nicht nur bildliche, sondern auch räumliche Eigenschaften eines Objekts wiedergibt. Dieses Verfahren basiert auf den Arbeiten des Physikers Dennis Gabor von 1948, erlebte seinen Durchbruch aber erst mit der Erfindung des Lasers 1963.
 
Hologramme weisen eine faszinierende Eigenschaft auf. In jedem Punkt ist die Information des gesamten Bildes enthalten. Schneidet man ein holografisches Bild in zwei Stücke, so sieht man in jedem Teil wiederum das ganze Bild, so wie man durch ein Fenster mit zwei Fensterläden, von denen einer geschlossen ist, noch immer die gesamte Aussenansicht betrachten kann. Nur der Winkelbereich, unter dem das Objekt zu sehen ist, sowie die Schärfe nehmen dabei ab.
 
 
Der Hologramm-Boom im Westen
 
Das Wesen des Hologramms löste in den 1970er und 80er Jahren geradezu einen Boom in vielen kulturellen Bereichen aus. Regisseure integrierten sie wie bei "Krieg der Sterne" als futuristische Technik in ihre Werke. Mode-Designer wie die Französin Elisabeth de Senneville und der Japaner Sueo Irié begriffen Hologramme als Bestandteil der High-Tech-Fashion und versahen damit ihre Kreationen. Künstler wie Salvador Dali, Bruce Naumann, Stephen A. Benton und andere experimentierten mit holografischen Installationen. Und Schriftsteller begannen zur selben Zeit, lineare Erzählstile hinter sich zu lassen und unkonventionelle Ausdrucksformen zu suchen, wie etwa die kanadische Schriftstellerin Nicole Brossard, die in "Picture Theory" (1982) eine Erzählform wählte, die von Kritikern als "holografische Hyperfiktion" bezeichnet wurde. Zur selben Zeit erhielten holografische Heilmethoden wie die Iris- und Zungendiagnostik, Ohrmuscheltherapie, Fuss- und Handzonenmassage u.a. im Bereich der Alternativmedizin verstärkte Anwendung.
 
Auch Wissenschaftler verschiedener Disziplinen liessen sich durch das Hologramm inspirieren. Der Quantenphysiker David Bohm brauchte die Metapher des Hologramms, um seine These zu illustrieren, dass unsere materielle Welt nur eine Projektion einer ganz anderen Realitätsebene sei. Die räumlich ausgedehnte Materie, die "explizite Ordnung", ist für Bohm eine sekundäre, abgeleitete Realität einer "impliziten Ordnung", eine verhüllte tiefere Seinsordnung, die unsere Welt hervorbringt - so wie eine holografische Platte das Hologramm. Mit der Vorstellung des Universums als ein riesiges Hologram liessen sich verschiedene bisher nicht erklärliche Phänomene erhellen, z.B. die Frage, weshalb ein nicht weiter teilbares Teilchen (Quant) sich entweder als Teilchen oder als Welle manifestiert.

Das Ganze im Teil? Das Modell des kosmischen Netzwerks (l.) im Vergleich mit dem neuralen Netzwerk biologischer Nervensysteme (r.).
Copyright/Quelle: ESA/Springel et al., Virgo Consortium /
grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.com/2008/05/weltraumteleskop-findet-heie-teile.html

Eine Disziplin, die durch das holografische Modell stark beeinflusst wurde, ist die Psychologie. Hier liessen sich damit schwer nachvollziehbare Phänomene des menschlichen Bewusstseins zumindest in Ansätzen erklären. Beispielsweise könnten die aus dem kollektiven Unbewussten stammenden Archetypen, die der Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung beschrieb, als holografische Projektionen des in allen Menschen schlummernden kollektiven Erinnerungsvermögens verstanden werden. Andere Psychologen, Traum- und Bewusstseinsforscher wandten das Modell an um Nahtod-Erfahrungen, "lichten" (luzide) Träumen, paranormalen und mystischen Erlebnissen sowie Psychosen auf die Spur zu kommen.
 
Während solche Ansätze in weiten Teilen der Physik, Neurowissenschaften und Psychologie als spekulativ gelten und von der Mehrheit der Wissenschaftler abgelehnt werden, haben Philosophen etwas freiere Hand. In der Philosophie nährt und erweitert das holografische Modell jahrtausendalte Vorstellungen und Dispute über die Ganzheit bzw. über das Verhältnis von Teil und Ganzem. Wenn Xenophan (ca. 565-470 v. Chr.) in Platons Dialog "Der Sophist" die Einheit des Ganzen bzw. des Universums feststellt und Augustinus (354-430) die Seele in jedem Körper als "sowohl ganz im ganzen wie auch ganz in jedem seiner Teile" beschreibt, so lassen sich diese Aussagen aus heutiger Sicht als Vorläufer eines holografischen Modells verstehen. Sehr deutlich findet sich ein solches Denken in der Monadenlehre von Leibniz (1646-1716), wonach sich in jeder der unzähligen, nicht teilbaren und individuellen Seelensubstanzen, den Monaden, das ganze Universum spiegelt. Zur Veranschaulichung schreibt Leibniz:
 
"Jedes Stück Materie kann gleichsam als ein Garten voller Pflanzen
oder als ein Teich voller Fische aufgefaßt werden. Aber jeder Zweig
der Pflanze, jedes Glied des Tieres, jeder Tropfen seiner Säfte ist
wieder ein solcher Garten und ein solcher Teich."
(zitiert nach: Fritjof Capra: Das Tao der Physik.)
 
 
Holografischer Osten trifft holografischen Westen
 
Moderne Philosophen und Denker wie Ken Wilber sprechen von einem "holografischen Paradigma" und verweisen auf die Gemeinsamkeiten der neuesten wissenschaftlichen Befunde und der ganzheitlichen Weltsicht der Mystiker. Gerade in den östlichen mystischen und religiösen Traditionen lassen sich viele Hinweise auf holografisches Denken finden.
 
So scheint es z.B., als ob die vielfältigen und komplexen Gleichsetzungen im Hinduismus holografischen Charakter haben: Gottheiten werden zuhauf miteinander identifiziert, jedes Bächlein kann zum Ganges werden, jedes Feuer zum Feuergott Agni, das vedische Ritual wird in den Upanishaden mit dem Körper gleichgesetzt, der Körper mit dem Kosmos, und überhaupt führt die Vision, dass der Mikrokosmos dem Makrokosmos entspricht, zur Vorstellung eines holografischen Universums, wo jedes Sandkorn das ganze Universum enthält. Ähnliche Vorstellungen sind auch bei den muslimischen Mystiker, den Sufis, sowie bei den Buddhisten verbreitet.
 
Am deutlichsten wird ein solches holografisches Universum im chinesischen Mah_y_na-Buddhismus beschrieben, etwa in der Metapher von "Indras Netz". Die Vorstellung dahinter besagt, dass ausgehend von Indras Himmelspalast auf dem Berg Sumeru ein großes Netz sich in alle 10 Himmelsrichtungen unendlich weit erstreckt. Die Knoten dieses Netzen enthalten je einen glänzenden und durchsichtigen Edelstein. In den geschliffenen Flächen dieser unendlich vielen Edelsteinen spiegeln sich alle anderen Edelsteine. Diese unzählbaren Bilder spiegeln sich wiederum in allen anderen Edelsteinen des Netzes.
 
Diese Beschreibung von Indras Netz findet im Buddhismus noch heute breite Anwendung. Moderne buddhistische Autoren und Gelehrte wie der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh oder der japanische Zen-Meister T. D. Suzuki greifen bei ihren Darlegungen des Buddhismus auf Indras Netz zurück. Anhänger des engagierten Buddhismus betonen mit Indras Netz die Verbundenheit aller Lebewesen und somit die soziale Verpflichtung gegenüber den anderen.
 
Aber auch im Westen hat die Metapher vom Netz Indras die Menschen inspiriert und wurde von Informatikern, Philosophen, Esoterikern und Sozialdiensten verwendet. Dies ist kein Zufall: Wir im Westen leben in einer technologisch entwickelten Gesellschaft, wo die Wandlungsfähigkeit der Dinge und der interaktive Austausch mehr und mehr das intellektuelle Denken beherrscht. Modelle, die auf der Vorstellung von vernetzter Kommunikation basieren, treffen wir nicht nur im Bereich der Esoterik und der Mystik an. Geisteswissenschaftliche Denkrichtungen erfassen die Sprache und die Kultur ebenfalls als Beziehungsgeflecht, und erst in diesem erhalten sprachliche Begriffe oder kulturelle Äusserungen ihre Bedeutung und ihren Sinn. Und die Computertechnologie mit ihren Internet- und Kommunikationsnetzwerken scheint in dieser Hinsicht geradezu eine Erfüllung des holografischen Paradigmas zu sein. Holografische Modelle können Phänomene wie das Wetter, den Menschen, Bereiche der Gesellschaft etc. treffender beschreiben als die Metaphern von Maschinen und Mechanik, wie sie in Europa seit der Neuzeit vorherrschend waren.

Fraktale Perlen Indras. Die Mathematiker David Mumford, Caroline Series und David Wright untersuchen in ihrem Buch "Indra’s Pearls” eine bestimmte Art von Fraktalen und machen auf die Parallelen zu Indras Netz aufmerksam, wo jeder Teil das ganze Universum enthält.
Quelle:
http://www.math.okstate.edu/~wrightd/INDRA

Mouches volantes im holografischen Modell
 
Dies gilt meines Erachtens auch für die entoptischen Phänomene. Wenn wir das mechanische und das holografische Modell beispielsweise auf die Mouches volantes anwenden, kommen völlig unterschiedliche Erkenntnisse dabei heraus. Die mechanische Sicht der Mouches volantes reduziert das Phänomen auf "Teilchen" oder "Verklumpungen" im Glaskörper, die sich nach den Gesetzen der Schwerkraft, der Thermodynamik und den Drehbewegungsimpulsen des Augapfels in der Glaskörperflüssigkeit bewegen. Diese materielle Mechanik ist die Grundlage der heutigen Augenheilkunde. Sie birgt zwar einige Unklarheiten in sich (warum bewegen sich Mouches volantes in einem dickflüssigen Medium des Glaskörpers so schnell? Warum bewegen sie sich immer wieder an ihre Ausgangsposition zurück, wenn sie frei im Glaskörper herumwirbeln? Weil sie an der Augenwand angemacht sind? Aber warum lässt sich dies im Sehen dann nicht feststellen? etc.), reicht jedoch für das oberflächliche Sehen im Alltagsbewusstsein mehrheitlich aus.
 
Die aufmerksame Konzentration auf Mouches volantes als Übung einer langfristig angelegten Bewusstseinsentwicklung enthüllt jedoch Eigenschaften, die nicht mehr mit dem mechanischen Modell erklärt werden können. Vergrösserung und Verkleinerung der Kugeln und Fäden, Veränderung ihrer Leuchtkraft, abrupte Sprünge zur Seite oder in Richtung des Betrachters - Beobachtungen dieser Art lassen sich mit dem idealistischen holografischen Modell besser beschreiben: Demnach handelt es sich um eine selbstähnliche Struktur, deren einzelne Muster sich in allen Variationen und Grössen wiederholen. Die einzelnen Punkte und Fäden bewegen sich dabei nicht; es ist das Bewusstseinslicht, das sich in dieser Struktur manifestiert und dabei von Faden zu Faden und von Schicht zu Schicht springt - es ist die Bewegung der menschlichen Aufmerksamkeit in ihrer reinen Form.
 
Die Mouches volantes sind in diesem Sinn ein Ausdruck des holografisch arbeitenden menschlichen Bewusstseins. Nicht nur moderne psychologische und neurophysiologische Arbeiten, sondern auch die visuellen Wahrnehmungen von Mystikern und Sehern verschiedener Zeiten und Kulturen unterstützen diese Vermutung. Schauen wir also aufmerksam hin, erblicken wir mehrere Tausend Jahre holografische Faszination direkt vor unserer Nase.
 
 
 
Quellen und Literatur
 
 
Quellen
 
Doi, Torakazu: Das Kegon Sutra (Bd. 1-4), Tokyo 1983
 
 
Literatur
 
Capra, Fritjof: Das Tao der Physik, Bern u.a. 1986
 
Cook, Francis H. Hua-yen Buddhism: The Jewel Net of Indra.
University Park: Pennsylvania State University Press, 1977
 
Jackson, William J.: Heaven’s fractal net. Retrieving lost visions in the Humanities, Indiana University Press 2004
 
Lauxmann, Frieder: Das philosophische ABC. Neue Wege zu alten Einsichten, München 2000.
 
Loy, David: Indra’s Postmodern Net, in: Philosophy East and West 43, Nr. 3 (Juli 1993), S. 481-510
Mumford, David / Series, Caroline / Wright, David: Indra’s Pearls. An Atlas of Kleinian Groups, Cambridge 2001
 
Needham, Joseph: Science and Civilisation in China (Cambridge University Press, London 1956), Bd. 2
 
Ritter, Joachim u.a. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie (13 Bde.), Basel: Schwabe & Co. 1971-2007
 
Suzuki, Daisetz T.: Wesen und Sinn des Buddhismus. Ur-Erfahrung und Ur-Wissen. Freiburg u.a. 1993
 
Talbot, Michael: Das holografische Universum. Die Welt in neuer Dimension, München: Knaur, 1992
 
Tausin, Floco: Mouches Volantes. Die Leuchtstruktur des Bewusstseins, Bern 2004
 
Thich Nhat Hanh: Understanding our Mind 2006
 
Wilber, Ken (Hg.): Das holographische Weltbild. Wissenschaft und Forschung auf
dem Weg zu einem ganzheitlichen Weltverständnis, Bern u.a. 1986.
 
 
 
 
Internet
 
- http://fusionanomaly.net/indrasnet.html (Mai 2008)
- http://www.zenpeacemakers.org/about/models.html (Mai 2008)
- http://home.egge.net/~savory/spinne.html (Mai 2008)
- http://www.liebewahrheit.de/NetzderIndra.html (Mai 2008)
- http://www.mediamatic.net/article-5699-en.html (erik davis)
- http://www.indranet.co.nz/ (Mai 2008)
- http://klein.math.okstate.edu/IndrasPearls/ (Mai 2008)
 
 
 
Über den Autor:
 
 
Der Name Floco Tausin ist ein Pseudonym. Der Autor studierte an der geisteswissenschaftlichen Fakultät Universität Bern und befasst sich in Theorie und Praxis mit der Erforschung visueller Phänomene im Zusammenhang mit veränderten Bewusstseinszuständen und Bewusstseinsentwicklung. 2004 veröffentlichte er die mystische Geschichte "Mouches Volantes" über die Lehre des im Schweizer Emmental lebenden Sehers Nestor und die spirituelle Bedeutung der Mouches volantes.
 
Angaben zum Buch: "Mouches Volantes - Die Leuchtstruktur des Bewusstseins", Leuchtstruktur Verlag (Bern) 2004, Paperback, 388 Seiten, 27.50 ¤ / 39.80 CHF, Genre: Belletristik/mystische Erzählung.
Bereits den alten Griechen bekannt, von heutigen Augenärzten als harmlose Glaskörpertrübung betrachtet und für viele Betroffene ärgerlich: Mouches volantes, Punkte und Fäden, die in unserem Blickfeld schwimmen und bei hellen Lichtverhältnissen sichtbar werden.
Die Erkenntnis eines im schweizerischen Emmental lebenden Sehers stellt die heutige Ansicht radikal in Frage: Mouches volantes sind erste Teile einer durch unser Bewusstsein gebildeten Leuchtstruktur. Das Eingehen in diese erlaubt dem Seher, über den Tod hinaus bewusst zu bleiben.
Mouches volantes: Glaskörpertrübung oder Bewusstseinsstruktur? Eine mystische Geschichte über die nahe (f)liegendste Sache der Welt.
 
 
Website: http://www.mouches-volantes.com