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Risa Zoll von der israelischen Menschenrechtsorganisation B'tselem. Foto: Harms

Arn Strohmeyer

Volk ohne Hoffnung

Eine Reise zu den Palästinensern

hinter der Mauer

Teil 4

 

Besuche bei Menschenrechtsorganisationen

Nach den direkt von der Besatzung Betroffenen standen Besuche bei Menschenrechtsorganisationen auf dem Programm – palästinensischen und israelischen. Wie schätzen sie die Situation ein? Zuerst – zufällig ist es der Tag der Nakba, der 15. Mai – eine Visite bei dem „Center for Conflict Resolution und Reconciliation“ („Zentrum für Konfliktlösung und Versöhnung“, CCRR) in Bethlehem. Das Center ist eine palästinensische Nicht-Regierungsorganisation (NGO) und versteht sich selbst als eine „alternative Annäherung an eine Transformation des Konflikts ... Unsere höchsten Werte sind: Frieden, Versöhnung, Vergebung, Respekt und Hoffnung.“ Die Organisation will durch ihre Projekte einen Beitrag zu einem prosperierenden gewaltlosen Palästina dadurch leisten, dass sie immer mehr Gruppen der palästinensischen Gesellschaft befähigt, am politischen Entscheidungsprozess, der ihr Leben ja stark beeinflusst, zu beteiligen.

Der Chef der Organisation, der 56jährige Palästinenser Dr. Noah Salameh ist an diesem Tag – dem Gedenktag an die Nakba – so aufgewühlt, dass er es, wie er sagt, fast nicht aushalten könne. Er hat, obwohl er versichert, nie gewalttätig gewesen zu sein, 15 Jahre in israelischen Gefängnissen verbringen müssen. Am liebsten würde er heute den ganzen Tag in seinem Garten arbeiten, um sich abzulenken von der tristen Gegenwart dieses Tages, der so furchtbare Erinnerungen wecke, gesteht Noah.

Sieht er dennoch Perspektiven für die Zukunft? „Mein höchster Wunsch ist es, irgendwann in einem Palästina ohne Konflikte zu leben. Ob ich das noch erleben werde, ich weiß es nicht. In der letzten Nacht haben die Israelis einen meiner Projektleiter verhaftet, der zusammen mit einer israelischen Gruppe an einem Friedensprojekt arbeitete. Absurd? Natürlich, aber es gibt keine Alternative, als die Widersprüche auszuhalten. Wenn ich zweifle, weiß ich, dass ich bin“, sagt er philosophisch, schwankt aber, ob bei ihm die Depression oder die Hoffnung überwiege. Die Hoffnung muss doch ein bisschen den Vorrang haben, denn er bekennt: „Einige kämpfen mit Gewehren, wir kämpfen mit Erziehung.“ Aber bitter fügt er hinzu: „Ich kann nicht an einen Gott glauben, der das Land den Israelis gab. Warum hat er mich dann in diesem Teil des Landes zur Welt kommen lassen?“

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New Profile“

Nur einen kurzen Tag mit leider zu wenig Eindrücken in Tel Aviv. Die Stadt wirkt weltläufig, elegant, ganz westlich, diese jüdische Gründung hat nichts Orientalisches mehr. Eine imponierende Skyline am Meer, breite Alleen und elegante Einkaufsstraßen, schicke Wohnviertel und prächtige Villen, modebewusste Menschen, die sich unbeschwert und lässig geben – und gut besuchte Cafés und Bistros, die so schön sind wie die in Paris. Eine Stadt des business und des hightech, aber auch der Lebensfreude und des Genießens offenbar, eine Stadt, die pulst und atmet. Und die Mauer und was dahinter geschieht und auch die Widersprüche in der israelischen Gesellschaft selbst – es scheint, als ob das hier niemanden interessiere. Das Bild von dem „Tanz auf dem Vulkan“ will mir nicht aus dem Kopf.

In den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung informieren zwei mutige israelische Frauen über das, worüber man in dieser Gesellschaft nur hinter vorgehaltener Hand spricht: den Militärstaat Israel. Ruth Hiller und Tal Haran vertreten die Organisation „New Profile“, die sich zwei Ziele gesetzt hat: 1. in dem hoch militarisierten Staat Israel das universale Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen durchzusetzen, das es bisher nicht gibt. Pazifismus ist sozusagen Landesverrat. Männer müssen drei, Frauen zwei Jahre dienen; 2. das ganz auf Militär und Krieg ausgerichtete Bewusstsein der meisten Israelis so zu verändern, dass das Land sich in Richtung einer westlichen Zivilgesellschaft entwickelt.

Ruth Hiller sagt: „Normalerweise haben Staaten Armeen, bei uns ist es umgekehrt: Hier hält sich die Armee einen Staat.“ Aus dieser Feststellung ergibt sich für die Organisation ganz automatisch ein weiteres Ziel: Die israelische Gesellschaft soll sich von einer „diskriminierenden und unterdrückenden zu einer egalitären entwickeln und von einer Besatzungsmacht zu einem respektvollen Nachbarn.“

Denn die israelische Kultur, so Hiller, erzeugt ein Weltbild, in dem Krieg – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – unvermeidbar und ein notwendiger und akzeptierter Weg ist, die eigenen Probleme zu lösen. Das sei aber ein überholtes Weltbild. „Wir brauchen keinen Staat von Kriegern, der ständig mobil macht. Israel ist in der Lage, eine entschlossene Friedenspolitik zu betreiben. Nicht äußere Zwänge und Bedrohungen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, machen uns zum passiven Objekt und Opfer – das sind alles nur Vorgaben und Entscheidungen des politischen und militärischen Establishments. Bei uns verbergen sich hinter dem Begriff ‚nationale Sicherheit’ allzu oft nur wohl kalkulierte Entscheidungen, die eine militärische Aktion zum Erreichen eines politischen Zieles rechtfertigen sollen.“

Genau diese Geisteshaltung sei es aber, die Israel von einem Krieg zum nächsten treibe und die Besetzung der palästinensischen Gebiete rechtfertige. Wenn das so sei, dann müsse man aber auch die Geschichte Israels hinterfragen. Denn der Staat Israel sei auf der Nakba – der palästinensischen Katastrophe 1948 – gegründet. Könne die Armee angesichts einer solchen Geschichte noch eine Quelle des Stolzes sein?

Ruth Hiller ist über die Probleme in der eigenen Familie zu „New Profile“ gestoßen. „Als mein drittältester Sohn mir sagte, dass er nicht zur Armee gehen werde, musste ich mich entscheiden, ob ich für oder gegen ihn bin. Ich habe mich für ihn entschieden.“ Was aber nicht leicht war, denn Ruth Hiller lebt in einem Kibbuz, in dem trotz seiner sozialistischen Ausrichtung der militärische Geist vorherrscht. Wenn sie ihre Argumente gegen die Übermacht des Militärs in Israel vorbringt, bekommt sie sofort die Antwort entgegengehalten: „Nie wieder Auschwitz!“ Denn das sei in Israel die gängige Meinung: Der Holocaust sei der letzte Beweis dafür gewesen, dass sich die Juden, um zu überleben, bewaffnen und eine hoch gerüstete Nation werden müssten. Militarisierung sei also die letzte Rettungsleine.

Die Frauen von „New Profile“ halten dagegen: „Angst verewigt Angst, Gewalt verewigt Gewalt!“ Und deshalb glauben sie an ihre Mission und sind unumstößlich davon überzeugt. „Auch mit den Palästinensern können wir friedlich zusammen leben! Israel trägt 100 Prozent Verantwortung für 50 Prozent des Konflikts.“

Eine Lösung des Problems halten sie auch deshalb für unbedingt nötig, weil die Aggressivität und Verrohung innerhalb der israelischen Gesellschaft ständig zunehme. „New Profile“ führt dieses Phänomen auf das Verhalten der Soldaten zurück, die aus den besetzten Gebieten zurückkämen. Ruth Hiller: „Wir sind besorgt über die Checkpoints und die Besatzung. Aber wir sind auch besorgt darüber, dass die Soldaten nach Hause kommen und ihre Frauen verprügeln. Selbst wenn die Besatzung enden würde, hätten wir immer noch mit ihren Folgen zu tun. Der Fahrstil auf den Straßen zeigt: Jeder Einzelne fühlt sich in seinem Auto wie in einem Panzer.“

In einer Gesellschaft, in der der Nachwuchs vom Kindergarten an militärisch ausgerichtet und erzogen wird, in der Wehrdienstverweigerung ein Tabu ist, in der ehemalige Militärs als Politiker den Ton angeben, in der die Berufschancen sich mit nach der Leistung beim Militär ausrichten und in der selbst die Konsumwerbung ganz offen für das Militär wirbt, haben sich die „New Profile“-vertreter eine denkbar schwierige Aufgabe gesetzt. Tal Haran kommentiert das so: „Wir sind noch ganz am Anfang. Für uns ist das so, als gingen wir in eine Kirche und würden das Kreuz oder etwas Ähnliches beleidigen oder verfluchen. So etwas zu sagen ist so, als griffen wir das Allerheiligste an – eben die Armee, von der doch unsere Existenz abhängt.“

Wie will die Organisation ihre Ziele erreichen? Vor allem, indem sie auf eine Änderung des Erziehungssystems hinarbeitet, das bisher noch ausschließlich unkritischen Gehorsam und die Glorifizierung des Militärs fördere. „New Profile“ setzt dagegen ganz auf ein Erziehungssystem, das gewaltlose Konfliktlösungen anstrebt.

Jaffa

Von Tel Aviv sind es nur wenige Schritte über die Promenade am Meer entlang nach Jaffa, das einst eine blühende arabische Stadt mit 50 000 Einwohnern war. Auf dem Hügel über der Stadt gibt es ein vorzügliches Restaurant mit weitem Blick über das Meer, wo man sehr gut essen kann. Die Atmosphäre ist gediegen und friedlich und wird fast romantisch, als die Sonne im Meer als großer roter Ball versinkt. Es ist genau 60 Jahre her, dass sich hier in unmittelbarer Nähe eine furchtbare Tragödie abspielte: Jüdische Truppen der Irgun und der Hagana griffen die Stadt an, insgesamt 5000 Mann, denen 1500 palästinensische Kämpfer gegenüber standen. Sie hatten keine Chance gegen die Übermacht, zumal auch die Briten, die damals noch die Mandatsmacht über Palästina waren, die Israelis unterstützten. Alle Einwohner Jaffas wurden vertrieben. Bei ihrer Flucht auf die Boote unten im Hafen haben sich nach Augenzeugenberichten dramatische Szenen abgespielt.

An der Uferpromenade finde ich einen Schaukasten, der die Geschichte der Stadt darstellt. Dort steht: „Jaffa wird während des Passover-Festes von jüdischen Untergrundtruppen der Hagana und der Irgun Zwai Leumi befreit – am Abend der Unabhängigkeit des Staates Israel.“

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Jerusalem

Jerusalem beeindruckt durch seine einmalige Lage auf den Hügeln – und durch die Allgegenwart seiner Geschichte. Was hat diese Stadt über die Jahrtausende an Historie gesehen und erlebt! Nur wenige andere Städte der Welt können da mithalten. Aber sie besticht auch durch ihre moderne Pracht, ihren heutigen Reichtum und die ganz eigene Architektur der Israelis. Was für ein Gegensatz besteht zwischen dem Leben hier und dem ärmlichen Dritte-Welt-Land Palästina hinter der Mauer! Margit, eine Palästinenserin, die in der Altstadt wohnt, führt durch den arabischen Teil, der noch viel von seinem alten Zauber bewahrt hat. Dann plötzlich ist auch hier die politische Gegenwart sichtbar: Auf dem flachen Dach eines Hauses, das mit einem Drahtgitter umgeben ist, spielen zwei Jugendliche mit Kippa Fußball, eine an sich kaum erwähnenswerte Begebenheit. Aber beide haben Maschinenpistolen umhängen! Was für ein Bild in dieser nach außen so friedlichen Umgebung! Dient das wirklich der Sicherheit, wenn diese Jungen MP’s tragen oder ist es reine Provokation? Trägt ein Palästinenser eine MP, gilt er als militant und muss mit dem Schlimmsten rechnen.

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Margit erzählt eine kleine Geschichte aus ihrem Alltag, die aufzeigt, wie tief die Gräben zwischen den Völkern hier sind. Bei einem Gang durch Jerusalem sieht sie an einer sehr verkehrsreichen Straße ein kleines Mädchen stehen, das vielleicht sechs oder sieben Jahre als ist und ihrer Aufmachung nach unverkennbar jüdisch-orthodoxer Herkunft ist. Die Kleine weint bitterlich. Margit, die gut Hebräisch spricht, fragt sie nach dem Grund ihres Kummers. Die Kleine antwortet: „Hier ist so viel Verkehr, ich traue mich nicht über die Straße. Außerdem habe ich Angst, dass die Palästinenser mich erschießen.“ Margit nimmt das Mädchen bei der Hand und bringt sie über die Straße. Auf der anderen Seite angekommen sagt sie zu der Kleinen: „Du brauchst doch keine Angst zu haben. Ich bin auch eine Palästinenserin.“ Da wird die Kleine zur Furie, tritt und schlägt auf Margit ein, spuckt und schreit sie an, verflucht sie und läuft davon.

B’tselem

Bei der Menschenrechtsorganisation B’tselem in Jerusalem. Die Leiterin Risa Zoll, eine energische Dame in mittleren Jahren, die aus den USA nach Israel gekommen ist, informiert über ihre Organisation, die größte ihrer Art in Israel. Äußerste Professionalität ist das Markenzeichen dieser Gruppe. B’tselem konzentriert sich darauf, Verstöße gegen rechtlich verbindliche innerstaatliche und überstaatliche Rechtsvorschriften zu ermitteln, aufzuzeichnen und zu verifizieren, um die viele Male geprüften und für zweifelsfrei befundenen Ergebnisse politischen Organisationen, Regierungen, Gerichten und der Medien zur Verfügung zu stellen. Die Hauptarbeit machen so genannte Field-Researcher vor Ort – etwa in Gaza oder Hebron. Das Team in Jerusalem nimmt dann die letzten Recherchen und Kontrollen vor. Sehr erfolgreich hat sich bei B’tselem die Methode des „Zurückschießens“ erwiesen – allerdings nicht mit Waffen, sondern mit Filmkameras. Zuverlässige Palästinenser in den besetzten Gebieten erhalten eine Kamera mit eingebauter Tonaufnahmemöglichkeit, dazu ein Stativ. So können Übergriffe der israelischen Armee und Polizei direkt vor Ort gefilmt werden, was sonst kaum möglich wäre, da die Wege lang sind und die Checkpoints und Straßensperren ein Durchkommen schwer machen.

Risa Zoll nennt uns ein paar Zahlen, die den Ernst der Lage verdeutlichen: Seit der zweiten Initifada 2002 sind etwa 4000 Palästinenser getötet worden, es gibt 63 Checkpoints innerhalb des Westjordanlandes und weitere 36 zwischen der Westbank und Israel, außerdem 450 bewegliche sogenannte „Überraschungs“-Checkpoints. 350 Kilometer Straßen sind ausschließlich Israelis vorbehalten, also für Palästinenser verboten. 80 Prozent der Mauer mit ihrer breiten Schutzzone auf beiden Seiten ist auf palästinensischem Boden errichtet, 63 Prozent der Checkpoints. 40 Prozent des Bodens des Westjordanlandes ist fest in israelischer Hand. Auf die Frage, ob das Zurückgehen der Zahl der Selbstmordanschläge auf den Bau der Mauer zurückzuführen ist, schüttelt Risa Zoll den Kopf: „Das ist absurd. Man braucht sich nur die Karte anzusehen, um festzustellen, dass die Mauer nur den einen Sinn hatte, zusätzliches Land in Besitz zu nehmen. Durch den Verlauf der Mauer sind 200 000 Palästinenser zusätzlich gegen ihren Willen auf die israelische Seite gekommen, die stellen doch sogar ein zusätzliches Risiko dar.“

Wie steht es um die Menschenrechte in den besetzten Gebieten? Die Antwort ist nicht schmeichelhaft für die politisch und militärisch Verantwortlichen in Israel. Immer noch fällt es ihnen – so B’tselem – schwer, die Balance zwischen wirklichen Sicherheitsbedürfnissen und den Rechten der Palästinenser einzuhalten. Allzu oft benutzen die israelischen Behörden angebliche Bedrohungen, um illegale politische Interessen „unter dem Vorwand der Sicherheit“ durchzusetzen.

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Im einzelnen moniert B’tselem für das Jahr 2007:

Das Recht auf Leben ist ein universales Menschenrecht, an das jeder Staat zu jeder Zeit gebunden ist. Im angegebenen Zeitraum gab es 133 Fälle, bei denen israelische Sicherheitskräfte Zivilisten töteten, die nachweislich nicht an K ampfhandlungen beteiligt waren. Erschwerend kommt in diesem Fall hinzu, dass die israelische Armee infolge der zweiten Intifada ihre Vorschriften für den Waffengebrauch gelockert hat: Die Soldaten dürfen nun auch auf Palästinenser in Situationen schießen, in denen ihr eigenes Leben nicht in Gefahr ist.

Die Chance, dass die Verantwortlichen bei Tötungen von unschuldigen Zivilisten zur Rechenschaft gezogen werden, ist äußerst gering.

1,5 Millionen Palästinenser leben im Gaza-Streifen durch Israels Belagerung „in einem großen Gefängnis“. Israels Vorgehen dort stürzt die gesamte Bevölkerung in äußerste Bedrängnis. Die Belieferung mit Lebensmitteln, Wasser und Elektrizität ist nicht mehr gesichert, wodurch auch die medizinische Versorgung der Menschen weitgehend ausfällt. Da auch der Zugang zu den Arbeitsplätzen nicht mehr gewährleistet ist, leben 80 Prozent der Menschen in Gaza unterhalb der Armutsgrenze. Das ist ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, das eine Kollektivbestrafung einer Zivilbevölkerung zum Zweck der Erzeugung von politischem und militärischem Druck ausdrücklich verbietet.

Die Restriktionen gegen die Palästinenser durch die Mauer, das System der Checkpoints, die Zersplitterung des Westjordanlandes in Enklaven und die Schaffung von „verbotenen Straßen“ schränken ihre Bewegungsfreiheit so ein, dass sie viele ihrer humanen Grundrechte nicht mehr wahrnehmen können. Dies betrifft die große Mehrheit der Palästinenser, die nicht unter dem Verdacht stehen, Israels Sicherheit zu bedrohen. Die Restriktionen sind deshalb eine Form der kollektiven Bestrafung, die nach dem humanitären Völkerrecht verboten ist.

Die Sicherheitskräfte demütigen und misshandeln nach wie vor Palästinenser – bei Kontrollen, Wohnungsdurchsuchungen oder Demonstrationen. Die große Zahl solcher Fälle, ihre Schwere und Häufigkeit belegen, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein allgemeines und systematisches Vorgehen. Die Täter werden so gut wie nie zur Rechenschaft gezogen.

Mehr als 6000 Palästinenser von der Westbank wurden 2007 von den israelischen Sicherheitskräften in Haft gehalten. Die große Mehrheit von ihnen stand unter dem Verdacht „feindlicher Terroraktivität“. Die Verhöre, die dabei stattfinden sowie die Bedingungen in den Gefängnissen erfüllen dabei oft den Tatbestand der Misshandlung. Da diese Methoden das Ziel haben, den Häftlingen sich steigernde Schmerzen zuzufügen, laufen sie oftmals auf die Anwendung direkter physischer Gewalt, also Folter, hinaus.

Nach wie vor wenden israelische Soldaten das Mittel an, Palästinenser als lebende Schutzschilde zu benutzen. Bei Ausübung dieser Praxis müssen Palästinenser gegen ihren Willen gefährliche militärische Aufgaben übernehmen oder Soldaten vor Gewehrfeuer schützen. Diese Methode ist ein klarer Bruch des Menschenrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

2007 wurden 847 Palästinenser in Administrativhaft gehalten – darunter auch Minderjährige und zwei Frauen. Diese Personen werden einzig und allein aufgrund von Behördenentscheidungen inhaftiert, ohne dass ihnen mitgeteilt wurde, welches Vergehen ihnen vorgeworfen wird. Die Behörden machen offenbar auch keine Anstalten, diesen Vorwürfen nachzugehen.

Seit 1967 hat Israel mehr als 40 Prozent des Westjordanlandes für den Bau von Siedlungen in Besitz genommen. Diese israelischen Siedlungen sind „in sich selbst“ illegal, da ihre Existenz gegen die vierte Genfer Konvention verstößt. Sie verbietet, dass eine Besatzungsmacht eigene Bürger in das okkupierte Gebiet „transferiert“. Die Existenz der Siedlungen ist eines der Haupthindernisse für eine Beendigung der Besetzung und für die Wahrnehmung des Rechtes auf Selbstbestimmung durch die Palästinenser in einem eigenen Staat.

Immer wieder üben Siedler in den besetzten Gebieten Gewalt gegen Palästinenser aus – durch Schießen, Schlagen, Treten und Steine werfen. Sie zerstören palästinensisches Eigentum, entwurzeln Bäume, zerstören Bauten, Ernten und Fahrzeuge oder nehmen palästinensisches Land in Besitz.

Israel blockiert weiterhin die Familienzusammenführung von Ehegatten und Kindern, die im Ausland leben, mit Angehörigen im Gaza-Streifen oder im Westjordanland. Außerdem verhindern die Behörden die Zusammenführung von Bürgern und Einwohnern Israels mit ihren Familien in der Westbank und im Gaza-Streifen. Das Recht von Familien zusammenzuleben, ist ein Menschenrecht und keine Gnadengewährung einer Regierung.

Die Palästinenser leiden weiterhin unter Mangel an Wasser, das ihnen von Israel zugeteilt wird. Pro Kopf eines Haushaltes und für den städtischen Gebrauch erhalten palästinensische Gemeinden 60 Liter pro Tag, israelische Bürger verbrauchen dagegen 280 Liter pro Kopf und Tag. Dadurch werden die Palästinenser in ihrem persönlichen Leben – Körperpflege, Wäschewaschen, Spülen von Toiletten und Putzen ihrer Häuser – erheblich eingeschränkt. Außerdem leiden die Landwirtschaft und die Viehhaltung unter dem Wassermangel.

Die Menschenrechte der in Ost-Jerusalem lebenden Palästinenser werden durch die Politik der Regierung und der Stadtverwaltung massiv eingeschränkt: durch Verweigerung von Wohnrechten und von Baugenehmigungen sowie durch den Verlauf der Mauer, die die Menschen voneinander trennt. Außerdem erhalten die Palästinenser Ost-Jerusalems von der Stadtverwaltung zu wenig Mittel für Infrastrukturmaßnahmen und soziale Dienste zugeteilt.

Phantasien vom Abbrennen der Mauer? Ein Gemälde an der Mauer in Bethlehem. Foto: str

Die Mauer im Jerusalem teilt nicht nur Juden von Palästinensern, sie teilt auch Palästinenser von Palästinensern. Foto: str

Die Stadt Jerusalem ist einer der größten Zankäpfel im Nahostkonflikt. Für Israel ist sie „unteilbar“. Die Palästinenser fordern den Ostteil als ihre Hauptstadt. Foto: str

Eine Tafel an der Straße weist in Jaffa darauf hin, dass diese große arabische Stadt 1948 von den Israelis „befreit“ wurde. Foto: str

Ruth Hiller und Tal Haran – zwei couragierte Frauen von der israelischen Menschenrechtsorganisation „New Profile“. Foto: Harms