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Stefan Klink

Stationen - Bahnhofsarchitektur im Harz

 

Einleitung:

Im Zeitalter der Industrialisierung entschied der Anschluss an das Eisenbahnnetz über die weitere Entwicklung von Städten und Gemeinden. Die Bahnhöfe bedeuteten das "Tor zur Welt", entsprechend aufwendig und sorgfältig wurden sie gestaltet. Die Architektur musste sowohl den verkehrstechnischen Anforderungen entsprechen, als auch dem Repräsentationsanspruch der Eisenbahngesellschaften und der Ortschaften Rechnung tragen. So entstanden Empfangsgebäude die Schlösser und Burgen, Stadttore und Kirchtürme, Villen oder Landhäuser zitieren. »Funktionale Zweckarchitektur steht neben reich gegliederten und ornamentierten, vom Historismus beeinflußten Prachtbauten, nüchterne Sand- oder Backsteingebäude neben malerischen Fachwerkkonstruktionen, bescheidene Bretterhütten [...] neben repräsentativen, nach einer einheitlichen Konzeption durchgestalteten Gesamtanlagen.«[1]
Die Deutsche Bahn AG investierte in den letzten Jahren große Summen in die Sanierung ihres architektonischen Erbes. Dies war nicht immer so. Verunstaltungen durch Um- und Anbauten sowie nicht fachgerechte Renovierungen zeugten lange Jahre vom verantwortungslosen Umgang mit der historischen Bausubstanz. Noch bis in die 1980er Jahre wurden zahlreiche Stationen trotz öffentlichen Protests abgerissen und durch "Waschbetonplattenarchitektur" ersetzt. Erst mit der Erkenntnis, dass die zentrale Lage der Bahnhöfe und ihr besonderes Flair ein eigenes Qualitätsmerkmal darstellen, ersann die Bahn Konzepte zur wirtschaftlichen Nutzung dieser Gebäude. Die Revitalisierung der Großstadtbahnhöfe begann. Die Mehrzahl der Bahnhöfe liegt jedoch abseits der Ballungsräume in der Provinz. Gerade diese kleineren Stationen sind inzwischen für den Bahnbetrieb überflüssig geworden, die Fahrkartenschalter durch Automaten ersetzt. Ungenutzt und ihrer Funktion beraubt, verfallen viele Gebäude.
Das Projekt
Stationen beschreibt erstmals die Architekturgeschichte dieser kleineren Bahnhöfe. Der Autor vermittelt die außergewöhnliche Vielfalt des Bautyps "Empfangsgebäude" und dessen Funktions- und Bedeutungswandel von 1840 bis heute am Beispiel der Stationen im Harz.
Insbesondere im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um die Privatisierung der Deutschen Bahn AG und den Umgang mit den bahneigenen Immobilienwerten ist diese Arbeit von besonderem öffentlichen Interesse, da sie Aufmerksamkeit für das bisher wenig beachtete Kulturgut "Bahnhof" weckt und Konzepte zur Nachnutzung dieser technischen Denkmäler anregt.

Gunsleben

Bad Suderode

Drohndorf-Mehringen

Aktueller Forschungsstand und innovative Bedeutung

Der Bautypus "Bahnhof"[2] stellt im Bestand der technischen Denkmale der Bundesrepublik Deutschland die größte und bedeutendste Einzelgruppe dar, wird bisher aber weder in der Architektur- und Technikgeschichte noch in der Fotografie angemessen gewürdigt. Während für den angloamerikanischen Bereich bereits 1956 das Standardwerk The Railroad Station von Carroll L. V. Meeks[3] erschien, fehlt für den deutschsprachigen Raum ein ähnlich umfassender Überblick. Dem am nächsten kommt Manfred Bergers[4] vierbändiges Werk Historische Bahnhofsbauten.
Des Weiteren existieren unzählige Publikationen unterschiedlicher Qualität zu einzelnen Epochen[5], Eisenbahngesellschaften, Architekten[6] oder Regionen.[7] Aus der angebotenen Fülle wird hier ein Frühwerk erwähnt, das sich besonders mit der Architektur kleinerer Bahnhöfe befasst: Bereits 1915 beschrieb A. Holtmeyer[8] kleinere Empfangsgebäude aus dem Bezirk der Eisenbahndirektion Kassel. Holtmeyer versuchte anhand vieler Beispiele seine Auffassung zu belegen, wonach die Architektur der Bahnhöfe im ländlichen Raum hinsichtlich Bauform, Stil und Material rücksichtsvoll und vorbildlich auf ihre Umgebung einwirken sollte. Für das Untersuchungsgebiet Harz liegen diverse Publikationen zu einzelnen Strecken[9] und den Harzer Schmalspurbahnen[10] vor. Sehr wichtige Forschungsarbeit leisten auch die Landesdenkmalämter in Hessen,[11] Niedersachsen und Thüringen, die seit einigen Jahren an einer systematischen Erfassung aller Eisenbahnbauten auf ihren Gebieten arbeiten.
Die durchaus beachtliche Anzahl von Fotobüchern zum Thema "Eisenbahn"[12] widmet sich in erster Linie einzelner Strecken oder Landschaften, wobei die romantisierende Darstellung des rollenden Materials[13] eindeutige Präferenz gegenüber der Eisenbahnarchitektur genießt. Bahnhöfe geraten hier eher zufällig als schmückendes Beiwerk neben den Zügen ins Bild.
Eine umfangreiche Studie zur soziokulturellen Bedeutung kleinerer Bahnhöfe, die die architektonische Vielfalt der Bahnhöfe einer Epoche oder Region im Sinne der Arbeiten von Bernd und Hilla Becher[14] dokumentiert, fehlt bislang, obwohl es hierfür einige bemerkenswerte historische Vorbilder gibt.[15] Das Projekt
Stationen schließt diese Lücke und weckt Aufmerksamkeit für ein bisher nicht beachtetes historisches Forschungsgebiet.

Ditfurt

Rieder

Schwanebeck

Eisenbahnen im Harz

Schon fünf Monate vor der Eröffnung der ersten deutschen Fernstrecke von Leipzig nach Dresden[16] fuhren im Dezember 1838 Züge im Harzvorland von Braunschweig nach Wolfenbüttel.[17] Die 1840 an dieser Strecke erbauten Bahnhöfe Vienenburg und Schladen verfügen somit über die beiden ältesten erhaltenen Empfangsgebäude Deutschlands.[18] Die Strecke zeichnet noch eine weitere Besonderheit aus: Zu einem Zeitpunkt, als andernorts Eisenbahnstrecken noch auf Initiative privater Aktiengesellschaften entstanden, errichtete das Herzogtum Braunschweig zum Bau der Linie die erste staatliche Eisenbahngesellschaft. Protektionismus und politische Kleinstaaterei drückten sich im Verhalten der benachbarten Staaten Preußen und Hannover aus, die sich gegenüber einer Vernetzung mit ihrer Verkehrsinfrastruktur sperrten.
Aufgrund der schwierigen topografischen Verhältnisse berührten die ersten Strecken zunächst nur die Ausläufer des Harzes. Die Erschließung der Bodenschätze des Hochharzes scheiterte lange Zeit an der Frage, wie die großen Höhenunterschiede zu überwinden wären. Fachleute stritten fast 30 Jahre über die wirtschaftlichste Ausführung, die Antriebsart und die Spurweite einer solchen Gebirgsbahn. Schließlich entschied man sich für schmalspurige Nebenbahnen, die größere Steigungen und engere Kurvenradien bewältigen konnten und wesentlich günstiger in Bau und Betrieb ausfielen. So durchzog bis in die 1920er Jahre ein engmaschiges Netz aus Normal- und Schmalspurbahnen, staatlichen und privaten Linien den Harz.
Die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg zerschnitt dieses Netz. Allein im Untersuchungsgebiet wurden zehn Linien durchtrennt. Der Harz verlor seine Position im Zentrum Deutschlands und geriet an den Rand der beiden neu entstandenen Staaten. Während die meisten der unterbrochenen Strecken in Niedersachsen bis in die 1970er Jahre hinein stillgelegt und abgebaut wurden, betrieb auf dem Territorium der DDR die Deutsche Reichsbahn viele der Teilstrecken weiter.
Nach dem Fall der Berliner Mauer kam es im Herbst 1989 auch zur Öffnung der innerdeutschen Grenzbahnhöfe: Die Menschen drängten zu Fuß in den Westen. Zwei der neun unterbrochenen Strecken wurden zügig reaktiviert, so dass bald darauf wieder durchgehende Züge verkehrten. Die restlichen Teilstrecken wurden zunächst von der Deutschen Reichsbahn und später der Deutschen Bahn AG noch weiter betrieben, aufgrund des schlechten Zustands aber sukzessive stillgelegt.
Heute sind die Eisenbahnen im Harz vor allem durch die
Harzer Schmalspurbahnen bekannt, die täglich mit Dampfzügen zwischen Wernigerode, Nordhausen und seit neuestem auch Quedlinburg verkehren. Auf den weiteren noch verbliebenen Strecken verkehren Regionalbahnen der Deutschen Bahn sowie mehrerer Privatbahnen.

Bühne-Rimbeck

Hordorf

Elbingerode

Zur Fotografie

Prof. Roman Bezjak, FH Bielefeld:
»Die Arbeit von Stefan Klink zum Thema "Stationen-Bahnhofsarchitektur im Harz" verfolgt eine konzeptionell wie gestalterisch überzeugende Strategie, die sich durch ihre Komplexität auszeichnet. Klinks Bilder von Bahnhofsgebäuden im Harz entziehen sich der eindeutigen Zuordnung in ein bestimmtes Genre. Sie sind weder reine Architekturfotografie, noch bloße Dokumentation zum Zwecke der Archivierung. Und Kunstwerke, die sich von der Bedeutung des betrachteten Gegenstandes loslösen können, sind sie auch nicht. In der Grenzüberschreitung liegt die Stärke der Arbeit, da sich die Eigenschaften der genannten Bildformen summieren und zu einer Eigenständigkeit führen. Klinks Bildserien haben zahlreiche Referenzen in der Fotogeschichte. Die typologisierenden Werkgruppen der Bechers sind zuerst zu nennen, ferner die älteren Positionen der Neuen Sachlichkeit (Renger-Patzsch) und natürlich die Serien des Universalgenies der dokumentarischen Fotografie Walker Evans. Ein weiterer Bezugspunkt ist die amerikanische Farb-Fotografie der New Topographics (Shore, Balz), die das Bestreben hatte eine autorenlose Fotografie zu etablieren. Klink weiß um seine Referenzpunkte und geht kombinatorisch und sinnstiftend mit ihnen um. Er wählt zwei gegensätzliche Bildformen, um seine Arbeit spannungsreich ins Werk zu setzen. In der Überzahl sind die seriellen und frontalen Darstellungen der Gebäudeansichten. Eine standardisierte Bildform, deren Parameter strikt eingehalten werden (Licht, Frontalität, Betrachtungsabstand, Maßstäblichkeit) und die im Resultat eine "ähnliche Unähnlichkeit" oder eine "unähnliche Ähnlichkeit" der Gebäude herausarbeitet. Klink durchbricht die Nüchternheit dieser Arbeitsmethode, indem er Farbe dezidiert einsetzt und eine zweite Bildform einführt. Sie ist an die Vedutenmalerei angelehnt und beschreibt die Bahnhöfe im Kontext der umgebenden Landschaft. Diese atmosphärischen Bilder, im Großformat präsentiert, ergänzen und kontrastieren die typologisierenden Bildserien gleichermaßen. Damit schafft es Stefan Klink, sich von den Referenzarbeiten zu lösen, ohne sie zu verleugnen, da er sie als bewusstes Zitat aufscheinen lässt.«

Vienenburg II

Wipperdorf

Osterwieck West

[1] Markus Krause: Abseits der Magistralen. Köln 1987, S. 47.

[2] Der Begriff "Bahnhof" bezeichnet in der bahnamtlichen Definition «eine Betriebsstelle mit mindestens einer Weiche, wo Züge [...] kreuzen [...] dürfen.« Vgl: Axel Föhl: Der Kern gigantischer Sterne mit Strahlen aus Eisen. In: Bund Deutscher Architekten BDA, Deutsche Bahn AG, Förderverein Deutsches Architekturzentrum DAZ in Zusammenarbeit mit Meinhard von Gerkan (Hg.): Renaissance der Bahnhöfe. Berlin 1997. Fehlt die Weiche, so wird von einem Haltepunkt gesprochen. Zur Gesamtanlage Bahnhof zählen das Empfangsgebäude, die Nebengebäude, die Bahnsteige, der Bahnhofsvorplatz und das Gleisfeld. Die korrekte Bezeichnung lautet daher: Das Empfangsgebäude auf Bahnhof Vienenburg.

[3] Caroll L. V. Meeks: The Railroad Station. An Architectural History. New Haven/London 1975. Das Werk bietet eine Ge-samtdarstellung englischer und US-amerikanischer Bahnhofsarchitektur von den Anfängen bis zur Gegenwart.

[4] Manfred Berger: Historische Bahnhofsbauten I. Berlin 1980. Historische Bahnhofsbauten II. Berlin 1987. Historische Bahnhofsbauten III. Berlin 1988. Historische Bahnhofsbauten IV. Stuttgart 1996.

[5] Für den Bereich der Großstadtbahnhöfe liegt das gleichnamige Standardwerk von Krings vor. Ulrich Krings: Bahnhofsarchitektur: Deutsche Großstadtbahnhöfe des Historismus. München 1985. Die in der Architekturgeschichte bislang wenig beachteten und zu Unrecht gering geschätzten Bahnhofsbauten der 1950er und 1960er Jahre illustriert Schack anhand vieler eindrucksvoller Fotografien. Martin Schack: Neue Bahnhöfe. Empfangsgebäude der deutschen Bundesbahn 1948-1973. Berlin 2004.

[6] Klaus Siegner: Die Bahnhofsarchitektur Hubert Stiers (1838-1907). Ein Beitrag zur Niedersächsischen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. (Dissertation), Göttingen 1986.

[7] Lutz-Henning Meyer: 150 Jahre Eisenbahnen im Rheinland. Entwicklung und Bauten am Beispiel der Aachener Bahnen. Köln 1989. Eine systematische Erfassung und Beschreibung der Bahnhofsarchitektur im Saarland liefert Barbara Neu. Barbara Neu: Bahnhöfe im Saarland. Nur im Internet veröffentlichte Magisterarbeit im Fach Kunstgeschichte an der Universität Saarbrücken, 1993. Vgl. www.members.aol.com/barbaraneu.

[8] A. Holtmeyer: Kleinere Eisenbahn-Empfangsgebäude. Berlin 1915. In diesem Buch werden u. a. auch die im Untersu-chungsgebiet dieser Arbeit liegenden Bahnhöfe der Strecke Bleicherode Ost­Herzberg anhand von Abbildungen be-schrieben.

[9] Dirk Endisch, Uwe Oswald: Klein- und Privatbahnen im nördlichen Harzvorland. Leonberg-Höfingen, 2004. Dirk Endisch: Der »Balkan«. Die Kleinbahn Frose­Gernrode­Quedlinburg. Leonberg-Höfingen, 2005. Dirk Endisch: Die Kleinbahn Nienhagen­Jerxheim. Leonberg-Höfingen, 2005. Dirk Endisch: Die Nebenbahn Oschersleben­Gunsleben. Leonberg-Höfingen, 2005.

[10] Thomas Knop: Auf Schmalspurgleisen durch den Harz. Gifhorn 1991.

[11] Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hg.): Eisenbahn in Hessen. Teil I: Volker Rödel: Eisenbahngeschichte und -baugattungen 1829-1999. Teile II/1, II/2: Heinz Schomann: Eisenbahnbauten und -strecken 1839-1939. Verlagsort, 2005.

[12] Sten Nadolny (u. a.): Zeit zu sehen. Sieben Fotografen erfahren die Bahn. Mainz 1996

Horst Hamann. Panorama Deutsche Bahn. EDITION PANORAMA 2003

[13] Axel Zwingenberger: Vom Zauber der Züge. Hamburg 2000.

[14] Vgl u.a. Bernd und Hilla Becher: Typologien. München 2003.

[15] 1855 erhielt der Maler Karl Herrle durch die Eisenbahnkommission der Bayerischen Staatsbahnen den Auftrag, die neu entstandenen Brücken und Bahnhofsbauten der Ludwig-Süd-Nord-Bahn zu "portraitieren". Die 565 Kilometer lange Strecke von Hof nach Lindau wurde als Meisterleistung moderner Bautechnik gefeiert und dementsprechend in Szene gesetzt. Vgl.: Markus Hehl: Fortschritt im Bild. Die biedermeierlichen Veduten des Karl Herrle. In: Kultur & Technik 01/2003, München, 2003. Die Präzision und Schnelligkeit der Fotografie machte sich 1907 ein weiteres Projekt der Bayerischen Staatsbahnen zu Nutze: Ein Fotograf dokumentierte alle bayerischen Bahnhöfe mitsamt dem jeweiligen Personal aus der gleichen Perspektive. Ein Großteil der Fotografien wird im DB Museum Nürnberg im Ausstellungsbereich »Bahnhöfe« präsentiert.

[16] Leipzig-Dresdner Bahn, Eröffnung 7. April 1839. Siehe dazu Ralf Roman Rossberg: Geschichte der Eisenbahn. Künzelsau (o. J.), S. 39.

[17] Die Strecke wurde sukzessive bis Bad Harzburg verlängert. Streckeneröffnungen: Wolfenbüttel­Schladen (22. August 1840), Schladen­Vienenburg (31. Oktober 1840), Vienenburg­Harzburg (8. November 1840). Siehe dazu Volker Rödel: Kulturdenkmäler in Hessen. Eisenbahn in Hessen. Teil 1. Stuttgart 2005, S. 45.

[18] Siehe dazu Stefan W. Krieg: Bahnhöfe und Denkmalpflege. In: Bund Deutscher Architekten BDA; Deutsche Bahn AG; Förderverein Deutsches Architekturzentrum DAZ in Zusammenarbeit mit Meinhard von Gerkan (Hg.): Renaissance der Bahnhöfe. Berlin 1997, S. 234.