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Von: Arbeiterfotografie
Datum: 19. September 2008 09:48:57 MESZ
Betreff: Die Trojaner-Strategie
 
Schon seit längerem gibt es eine Korrespondenz mit der Redaktion der 'Blätter für deutsche und internationale Politik'. Dabei wurde deutlich, daß eine kritische Sichtweise in bestimmten Feldern der internationalen Politik bei den 'Blättern' unerwünscht ist. Am 30.07.2008 haben wir den 'Blättern' einen Artikel angeboten, der sich mit der Falschzitierung des iranischen Präsidenten auseinandersetzt. Die Reaktion darauf kam am 04.09.2008: "Da wir in der aktuellen Ausgabe einen ähnlich gelagerten Beitrag von Volker Perthes bringen, haben wir für ihn jedoch leider keine Verwendung." Daraufhin ist der folgende offene Brief entstanden...
 
Die Trojaner-Strategie
Offener Brief von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann an Redaktion und Herausgeber der 'Blätter für deutsche und internationale Poltik'
 
Stellt Euch vor, Ihr macht eine Zeitschrift über deutsche und internationale Politik. In einer Ausgabe bringt Ihr einen Artikel zu einem Themenkomplex, der im Fokus des weltpolitischen Interesses steht. Dann darf in dieser Ausgabe und auch in allen weiteren Ausgaben kein weiterer Artikel zu diesem Themenkomplex erscheinen. Das ist eine Logik, die verblüfft. Das ist die Logik, wenn Ihr ein Artikel-Angebot über die Strategie der Verfälschung von Äußerungen des iranischen Präsidenten [1] kontert, indem Ihr schreibt, Ihr hättet dafür generell "keine Verwendung", weil in der aktuellen Ausgabe "ein ähnlich gelagerter Beitrag" enthalten sei [2]. Meint Ihr das wirklich Ernst?
 
Was ist das für ein ähnlich gelagerter Artikel, mit dem für alle Zeiten alles über den Iran gesagt ist? Es ist der Artikel 'Die Ratio des Iran' von Volker Perthes in der September-Ausgabe von 2008. Wer ist Volker Perthes? Ihr umreißt ihn als "Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin". Mehr erfahren Eure Leserinnen und Leser über diesen Autor nicht. Da ist dem Berliner 'Tagesspiegel' schon mehr zu entnehmen: "Volker Perthes ist so etwas wie der Chefberater der deutschen Außenpolitik." [3] Und in der Springer-Zeitung 'Die Welt' erfahren wir: die Stiftung Wissenschaft und Politik mit Volker Perthes an der Spitze ist "der größte außenpolitische Think Tank Europas", bezahlt aus Bundesmitteln (9,7 Mio. Euro im Haushaltsjahr 2005) und der Bundesregierung nahe stehend [4].
 
Die Stiftung konkretisiert in ihrer Selbstdarstellung dieses Verhältnis. Dem Präsidium des Stiftungsrates gehört der Chef des Bundeskanzleramtes an. Mitglieder des Stiftungsrates sind u.a. der Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektoren des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums der Finanzen, Staatssekretäre des Bundesministeriums der Verteidigung und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auch der CDU-Politiker Horst Teltschik, langjähriger Leiter der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik, zeitweise Vizechef des Bundeskanzleramts, Geschäftsführer der Bertelsmann-Stiftung, Vorstandsmitglied von BMW und Vorstandsvorsitzender der Herbert-Quandt-Stiftung, gehört zum Stiftungsrat der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch Personen aus dem Spektrum der Bundeswehr sind hier zu finden. [5]
 
Es ließe sich einwenden: die Zugehörigkeit einer Person zum Establishment muß nicht zwingend bedeuten, daß die Auffassungen dieser Person generell zu verurteilen sind. Der Direktor einer der Bundesregierung nahestehenden Stiftung könnte in einem Artikel in den 'Blättern' über seinen Schatten springen und auf Distanz zu den Interessen derer gehen, für die er ansonsten agiert. Weit gefehlt. Volker Perthes ist kein Jürgen Rose, der Offizier der Bundeswehr ist, aber diese dennoch mit kritischem Blick betrachtet.
 
Desinformation als Basis
 
Perthes schreibt: "Israel muss zudem und vor allem wegen des iranischen Atomprogramms beunruhigt sein. Das gilt besonders seit Mahmud Ahmadinedschad Präsident geworden ist." Damit macht sich Perthes zum Sprachrohr der israelischen Machthaber. Ohne jede Distanz repetiert er - wenn auch mit dezenten Worten - die Gedanken der israelischen Führung. Sogar deren Kriegspropaganda macht er sich zu eigen, wenn er schreibt: "Niemand sollte daher erstaunt sein, dass in Israel alle Optionen - einschließlich die Möglichkeit eines eigenen militärischen Angriffs auf die iranischen Nuklearanlagen - ernsthaft diskutiert werden."
 
Es ist keine Frage: der Krieg wird als diskussionswürdig hingestellt und damit letzten Endes legitimiert. Der Artikel ist alles andere als eine kritische Reflexion der von den Organen der Macht verbreiteten Desinformation. Insbesondere über die Strategie der Verfälschung von Äußerungen des iranischen Präsidenten, die der Kriegsvorbereitung dient, ist hier kein Wort zu lesen. "Ähnlich gelagert" wie die von uns angebotene Analyse [1] ist der Perthes-Artikel also keineswegs. Er macht die verbreitete Desinformation zur Basis seiner Einschätzungen, anstatt sie als Desinformation zu entlarven.
 
Extrem rechts und hetzerisch
 
Dieser Artikel von Volker Perthes ist kein Einzelfall. In den 'Blättern' von April 2007 ist in einem Artikel von deren Mitherausgeber Michael Brumlik zu lesen, der Staat Israel sei "durch die Entwicklung des iranischen Atomprogramms, begleitet von den Eliminationsdrohungen nicht nur Präsident Ahmadinedschads, derzeit der einzige Staat auf der Welt [...], der von einem atomaren Holocaust bedroht ist." Und weiter unter der Überschrift 'Die genozidale Bedrohung': die "gegenwärtige iranische Staatsführung" sei "auf eine Elimination nicht nur des jüdischen Staates, sondern auch der jüdischen Bevölkerung Israels ausgerichtet." Das sind - ganz besonders hinsichtlich der jüdischen Bevölkerung - perfide Unterstellungen. Es ist ausreichend nachgewiesen, daß sie mit der Realität nichts zu tun haben.
 
Brumlik zitiert aus einem in der Springer-Zeitung 'Die Welt' erschienenen Artikel von Benny Morris, der im Rahmen der psychologischen Kriegsführung schreibt: "Aber die Iraner werden von einer höheren Logik getrieben. Und sie werden ihre Raketen zünden. Und wie im ersten Holocaust wird die internationale Gemeinschaft nichts tun. Für Israel wird alles in ein paar Minuten vorbei sein." Damit stellen sich Brumlik und die 'Blätter' auf eine Stufe mit dem extrem rechten, hetzerischen Gedankengut der 'Welt'.
 
Brumlik zieht den perversen Schluß, daß es - wenn das 'Problem' sich nicht anders lösen lasse - "schließlich zur militärischen Zerstörung der iranischen Atomanlagen kommen wird". Während die 'Blätter' in den 80er Jahren vor einem von den USA ausgelösten Atomkrieg warnten, insbesondere mit dem Sonderheft 'Sage niemand, er habe es nicht wissen können' von Karl D. Bredthauer, scheinen sie heute mittels bösartiger Unterstellungen den (Atom-)Krieg Israels und der USA gegen den Iran legitimieren zu wollen. Die Argumentation grenzt an eine Aufstachelung zum Krieg - zum Atomkrieg!
 
Der Leitkommentar der 'Blätter' von April 2007 versetzt sich in die Gedankenwelt der US-Kriegsplaner. Ausgehend von der Feststellung, daß "der Irakkrieg den USA Kosten in Höhe von 3000 Mrd. Dollar verursacht" stelle sich die Frage, "wie das Land unter diesen wirtschaftlichen Bedingungen die Kosten eines weiteren Krieges aufbringen soll". Alles spräche deshalb dafür, dass die Situation auf "unkonventionelle, militärisch aber durchaus realisierbare 'Lösungen' zuläuft." Die USA könnten "die iranischen Atomanlagen mit atomaren 'Mini-Nukes', sogenannten Bunker-Bustern, angreifen." Das heißt im Klartext: ein (herkömmlicher) Krieg ist zu teuer. Die 'unkonventionellen', 'durchaus realisierbaren Lösungen' sind das Aufwiegeln verschiedener Bevölkerungsgruppen - so ein weiterer Vorschlag im Leitkommentar - und ein Atomkrieg. Was ein derartiges Verbrechen für die betroffenen Menschen bedeutet, thematisiert der Leitkommentar in keiner Weise. Das hat Daniel Ellsberg, US-Ökonom und Träger des alternativen Nobelpreises, in aufrüttelnder Weise getan - insbesondere indem er deutlich macht, daß es "über zwei Millionen Zivilisten [sind], die durch den Fall-Out von nur drei bunkerbrechenden Atombomben sterben würden." [6]
 
MI6 als Quelle der Wahrheit
 
Die 'Blätter' haben keine Bedenken, als Quelle für angeblich zutreffende Informationen Material anzupreisen, das vom britischen Geheimdienst MI6 in Umlauf gebracht ist - so geschehen in Oktober-Ausgabe von 2007 in einem Artikel über die angebliche Kooperation von RAF, Roten Brigaden, CIA und KGB. Der Aufforderung, dem eine kritische Sichtweise entgegenzustellen, verweigern sich die 'Blätter'. [7]
 
Es ist, wie es ist
 
Die 'Blätter' vergeben einen 'Demokratiepreis'. 2007 war Hans Leyendecker einer der Laudatoren. Leyendecker ist - neben seiner leitenden Funktion bei der 'Süddeutschen Zeitung' - zweiter Vorsitzender des 'Netzwerk Recherche', eines Netzwerks, das sich einen kritischen Anstrich gibt. Was von diesem Anstrich zu halten ist, hat Leyendecker in einer Fernsehsendung deutlich gemacht, die zum Ziel hatte, kritische Gedanken zu diskreditieren - in Zusammenhang mit dem Verbrechen vom 11. September 2001. 'Geistreich' bemerkte er: "Der 11. September war, wie er war." Und stützt damit das 'offizielle' Propagandagebäude, wie es von FBI, CIA und anderen Organen und ihren Medien in die Welt gesetzt worden ist. [8]
 
Der 'Blätter'-Gefahr begegnen
 
Eine Zeitschrift, die unter dem Deckmantel einer kritischen Publikation Positionen aus dem rechten politischen Spektrum verbreitet, ist gefährlich. Die Strategie ist geschickt. Es ist die Trojaner-Strategie - entsprechend einem Computerprogramm, das als nützliche Anwendung getarnt ist, im Hintergrund aber ohne Wissen des Anwenders eine andere Funktion erfüllt. Über kritische Artikel aus dem Bereich der Innenpolitik werden in der gleichen Zeitschrift im außenpolitischen Bereich Auffassungen verbreitet, die denen von Vertretern der Macht in Ländern wie Deutschland, USA oder Israel erschreckend ähneln. Wären wir Strategen eines Think Tanks im Dunstkreis der Macht, würden wir genau das anregen: Publikationen und Organisationen mit einem 'linken' Image unter Kontrolle bringen, um das kritische Potential der Intelligenz zu neutralisieren - zumindest in dem entscheidenden Teilgebiet der internationalen Politik. Wir kündigen unser Abo zum nächstmöglichen Termin und fragen uns, ob dies auch für andere ein notwendiger Schritt sein sollte. Eine Zeitschrift, die sich als kritische Publikation tarnt, ist gefährlicher als eine Publikation wie 'Die Welt' oder die 'FAZ', von denen bekannt ist, wo sie stehen. Es ist traurig für die wirklich kritischen Autoren, die in den 'Blättern' schreiben. Sie sollten weiterhin ein Forum haben, aber nicht um den Preis der Indoktrination in entscheidenden Fragen der Weltpolitik.
 
Mit freundlichen Grüßen
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
 
 
Fußnoten:
[1] 'Von der Landkarte tilgen': Die Spitze eines Eisbergs - Eine Strategie zur Verfälschung der Äußerungen des iranischen Präsidenten - http://www.arbeiterfotografie.com/iran/index-iran-0036.html
[2] Am 30.07.2008 haben wir uns wie folgt an die Blätter gewendet: "Wir möchten Euch einen Artikel zum Abdruck anbieten, der sich vertiefend und mit erweitertem Horizont mit der Falschzitierung des iranischen Präsidenten auseinandersetzt. Wir denken, eine derartige Darstellung enthält Fakten, die der Öffentlichkeit nicht oder kaum bekannt sind." Darauf haben die Blätter am 04.09.2008 wie folgt reagiert: "Wir haben Euren Beitrag mit Interesse gelesen. Da wir in der aktuellen Ausgabe einen ähnlich gelagerten Beitrag von Volker Perthes bringen, haben wir für ihn jedoch leider keine Verwendung." (Zuvor hatte es bereits mehrfach Korrespondenz gegeben, aus der deutlich wurde, daß eine kritische Sichtweise in bestimmten Feldern der internationalen Politik bei den 'Blättern' unerwünscht ist.)
[3] Tagesspiegel, 26.12.2007 - http://www.tagesspiegel.de/politik/international/Volker-Perthes;art123,2445241
[4] Die Welt, 5.1.2005 - http://appl3.welt.de/media/download/dd88dc1878e59d507d72364d242c1c1d/2005-01-05_archiv_9.pdf
[5] Organe der SWP - http://www.swp-berlin.org/other/struktur.php
[6] Daniel Ellsberg am 12.12.2006 bei einer Veranstaltung der Hamburger Körber-Stiftung - http://www.fr-aktuell.de/_img/_cnt/_online/061212_1649_061213_dok_ellsberg.doc
[7] Rezension des Artikels 'Linksterrorismus fremdgesteuert?' in 'Blätter', Oktober 2007 - http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/kein-krieg/hintergrund/index-rezension-0038.html
[8] Rezension der Fernsehsendung 'Täuschung oder Wahrheit? - Verschwörungstheorien zum 11. September', WDR, 10.9.2003 - http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/kein-krieg/hintergrund/index-rezension-0011.html
 
 
siehe auch: http://www.arbeiterfotografie.com/medien/2008-09-18-trojaner-strategie.html
 
 
 
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