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Renate Buschmann Schatten. Hoch und Tief. Fotografien von Jörg Boström in der Synagoge Oerlinghausen |
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Wenn man Fotografien betrachtet, sollte man sich gelegentlich in Erinnerung rufen, dass – technisch gesehen – der fotografische Vorgang aus einer kurzzeitigen Einwirkung von Lichtstrahlen auf einen Streifen lichtempfindlichen Materials besteht. Veraltet spricht man von Lichtbildnerei, einer Bezeichnung, die an die Übersetzung des altgriechischen Wortstammes „Photographie“ (phos = Licht; graphein = zeichnen, malen, schreiben) anlehnt und die Initialbedeutung des Lichts in diesem Vorgang der Bildentstehung deutlich kennzeichnet. Fotografen – besonders jene, die in Schwarzweiß und ohne digitale Fotografie arbeiten – wissen aber nicht nur mit der hochintensiven Strahlung des Lichts zu kooperieren, sondern auch partiellen Lichtmangel und gar die vollständige Abwesenheit des Lichts zu nutzen. Jörg Boström zeigt mit den hier zusammengestellten Fotos, dass in seinen fotografischen Bildfindungen die Korrespondenzen zu den lichtfreien, bisweilen tiefschwarzen Zonen der Dunkelheit elementar sind. |
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Dr. Renate Buschmann Foto Ute Pahmeyer |
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Zechenbilder 1977 fährt Jörg Boström in seiner Rolle als Fotograf unter Tage. Er wird angetrieben von der Überzeugung, dass Kunst im Generellen und Fotografie im Speziellen nur zu rechtfertigen ist, wenn sie sich in den Dienst einer gesellschaftlichen Aufklärung stellt. Für Jörg Boström ist Fotografie ein Medium, um Abseitsstellungen und Missstände von Menschen im sozialen Gefüge erkennbar werden zu lassen und damit die Bereitschaft zu maßgeblichen Veränderungen möglicherweise einleiten zu können. In Anlehnung an den Realismus der Arbeiterfotografie in den 20er und 30er Jahren ist die Fahrt in den Schacht der Zeche „Haus Arden“ in Bergkamen für Jörg Boström ein Schulterschluss mit den Kumpels. Im Stollen ist die Lage für den beobachtenden Fotografen ebenso beschwerlich wie für die täglich einfahrenden Bergmänner. Das künstliche Licht unter Tage reicht kaum für das menschliche Auge, geschweige denn für die Kamera. Die körperliche Anstrengung in immenser Hitze, Staub, Lärm und Dunkelheit macht jenen, die es nicht gewohnt sind, jede Tätigkeit in 1000 Metern Tiefe fast unmöglich. Ein zweiter Anlauf ist nötig, damit Jörg Boström an diesem Ort der Extreme Fotos bewerkstelligen kann. Das gänzliche Fehlen des natürlichen Lichts lässt weitgehend schwarze Bilder entstehen, in denen die Bergmänner konturenlos aus dem sie einschließenden Dunkeln auftauchen, Fragmente ihrer Körper und Gesichter aufblitzen. Ihre verrußten Gesichter lassen sie eins werden mit dem Schwärze des Stollens, nur ihre Kopflampen sind rettende Inseln des Lichts. Diese Fotos nähren sich von Dunkelheit: sie geben die bedrückende Enge und Isoliertheit in die Finsternis des Stollens wieder. |
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Schattenmenschen Ein Jahr später unternimmt Jörg Boström mit seinen Studenten eine Studienreise nach Vilnius, Riga und Leningrad (heute wieder St. Petersburg genannt). Es ist ein Ausflug in ein völlig unbekanntes Terrain, denn eine Annäherung zwischen der damals noch existierenden Sowjetunion und den Ländern des westlichen Bündnisses hatte mit der Ära von Michael Gorbatschow gerade erst begonnen. Die deutschen Fotografen und Fotografinnen suchten in den drei Städten den Austausch mit ihren dortigen Kollegen und Kolleginnen. Es entstand daraus ein beeindruckendes gemeinsames Buch, mit dem abseits der Politik eine kulturelle Verständigung in Gang gesetzt werden konnte. Jörg Boström bringt von dieser Reise Fotos mit, die Menschen in Verbindung zu ihren Schatten zeigen. Er sucht in den Straßenszenen Positionen des starken Gegenlichts (ein sonniger Spätnachmittag), so dass den vorübergehenden Passanten ihr langer Schatten vorauseilt. Diese Schlagschatten bestimmten stärker als die Personen das Bild. Intensive schwarze, lichtfreie Flächen setzen sich ab auf dem hellen, in grelles Sonnenlicht getauchten Boden. Der Lichtstreifen auf dem Gehsteig lässt sich vergleichen mit einem Filmstreifen, auf dem das natürliche Licht die Bilder, nämlich die Schattenrisse, hinterlässt. Die Schatten werden zu Löchern im Licht. Die Fotos von Jörg Boström sind geradezu eine Wiederspiegelung des fotografischen Prozesses: der Lichtbildnerei. |
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Schatten rufen in unserem Sprachgebrauch häufig bedrohliche Assoziationen hervor: das Reich der Schatten meint den Tod, ein Schattendasein führen bedeutet eine kümmerliche Existenz und die Schattenseiten des Lebens sind wegen unglücklicher Umstände nicht erstrebenswert. Möglicherweise vermitteln Jörg Boströms Fotos von den Passanten mit ihren langen Schatten Gefühle von Schwermut und Hoffnungslosigkeit. Für mich tritt aber in dieser ungewöhnlichen fotografischen Perspektive vielmehr die Absicht des ortsfremden Fotografen zutage, in der Geschäftigkeit eines alltäglichen Nachmittags in Vilnius, Riga oder Leningrad in einem einzigen Bild Nähe und Distanz zu den uns allen unbekannten Personen aufzubauen. Für Jörg Boström ist diese Reise ins Baltikum zugleich eine Kontaktaufnahme mit der eigene Familiengeschichte. Er selbst wurde in Duisburg geboren, die baltische Herkunft seiner Eltern war ihm aber stets präsent. In den Reisebegegnungen schwingt für ihn ein Schattenreich familiärer Erinnerung mit. Jörg Boström dazu: „Wenn ich heute, 1988, mit StudentenInnen und meiner Frau Gabriele in Vilnius, Riga und Leningrad herumlaufe, sehe, rede, fotografiere, tuscheln Tanten, Onkel, Vetter, Basen, Vater und Mutter ururururgroßartig um mich herum, ein Déjà-vu der Gene: ich war niemals vorher an diesen Orten. Die Schatten jener vermischen sich mit denen der Sowjetmenschen heute ...“.
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Hochofen 1990 werden Jörg Boström und Jürgen Heinemann vom Westfälischen Industriemuseum eingeladen, den stillgelegten Hochofen der Henrichshütte in Hattingen zu fotografieren. Die früher einmal betriebsame Industrieanlage ist nun menschenleer. Die Arbeiter, die die riesigen Maschinen bedienten und damit auch verlebendigten, sind verschwunden. Vereinzelt trifft man noch auf Arbeiter von Abbruchunternehmen, die demontieren, auflösen, zerstückeln. Die Mehrzahl der Fotos hält keine Bewegung fest, sondern nur noch die Schwere und Unbewegtheit der Maschinenkolosse. Eingefrorene Zeit einer verblassten Industrieära. Mit den Fotos begibt sich Jörg Boström auf die Suche nach den Überresten und Relikten einer Arbeitswelt, die einst innovativ war und das Leben zahlreicher Menschen bestimmte. Ebenso wie die Archäologie anhand von Werkzeugen wie Faustkeilen und Speerspitzen prähistorische Gesellschaften erforscht, betreibt Jörg Boström die fotografische Spurensicherung einer Industriekultur, die fast noch Heute ist, aber schneller, als wir glauben, zum Gestern wird. Dass diese Maschinenanlagen einst pausenlos liefen und Lärm, Schmutz und Hitze verbreiteten, ist der Stille der Bilder nicht anzusehen. Wären da nicht winzige Spuren, bliebe die frühere Anwesenheit von Arbeitern unbemerkt. Die Szenerie erschiene zeitlos. Doch mit einem einzigen Foto, in dem sich ein Schattenporträt des Fotografen in die Ruinenkulisse einfügt, kehrt die Zeitlichkeit zurück. |
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Foto Ute Pahmeyer |
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