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Foto

Martin Büttner

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Arbeitslose Männer im Schlaf und in der Lethargie. Diskutierende Arbeiter. Die Frühformen des Faschismus im Straßenbild. Es entsteht ein Panorama gesellschaftlicher Not und fortschreitender politischer Unterdrückung. Viele Rückenfiguren, gebückt oder in die Bildfläche verschwindend. Silhouetten, die im Gegenlicht zu monumentalen Gestalten zusammengezogen erscheinen. Immer wieder Gegenlicht, das grelle Kontraste von Hell-Dunkel schafft und in die Hinterhöfe „ein wenig Sonne" wirft.

Man erkennt Balhauses Studium der Holzschnitte Masereels wieder, aber er setzt nicht bestehende Kunst in Fotografie um, sondern schafft neue Bilder sozialer Wirklichkeit, wie es nur die Fotografie kann, wenn sie ein so konzentriertes Auge führt. Ballhause setzt seine Menschen ins Licht. Sie werfen schwere, lange Schatten.

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Die Figur eines sitzenden Arbeitslosen mit gesenktem Kopf im Gegenlicht etwa ist gleichzeitig ein Dokument und ein Symbol. In seiner Konzentration auf die Schattenseite des Lebens schafft der Fotograf Ballhause zugleich Bilder von großer grafischer Schönheit. Dabei übernehmen die Schatten, welche Menschen und Dinge werfen, eine wichtige Rolle in der Bildkomposition. Die hilflose, gezwungen untätige Hand des Arbeitslosen erscheint auf einem seiner Fotografien nur als Schatten. In dieser Silhouette konzentriert sich die Aussage über eine politische Fehlentwicklung, die uns heute wieder trifft. Damals führte sie in den Nationalsozialismus.

Die ungewöhnliche technische Qualität dieser Bilder hat neben der Verwendung einer modernen Kamera auch ihren Grund in seiner Bevorzugung hellen Sonnenlichts, das die Schatten liefert. Mit welchen Ballhause seine Bilder baut. Dieses helle Licht ermöglicht ihm auch die Tiefenschärfe und Detailgenauigkeit noch bei den kurzen Belichtungszeiten, die für die Arbeit mit verdeckter Kamera von Menschen in Bewegung notwendig sind. Diese Bilder gelingen ihm bei der damals noch geringen Filmempfindlichkeit von 10 bis 13 DIN.

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Immer wieder fotografiert er Kinder. Seine unsichtbare Kamera ermöglicht ihm, die „geheime Welt" ihrer Spiele, Gespräche festzuhalten, ihr ernsthaftes Wesen zu gestalten. Auch der Fotograf, nicht nur seine Kamera, scheint auf diesen Bildern unsichtbar zu sein. Die meisten Kinderbilder anderer Fotografen, insbesondere natürlich die Familienbilder der Amateure und die Studio Bilder der Berufsfotografen, zeigen die Kinder mit einem den Erwachsenen genehmes, freundlich strahlendes, „niedliches" oder grimassierendes Schauspielergehabe.Kinder werben damit um Schutz und Zuneigung.

Der selbst tätige, unbezahlte Arbeiterfotograf entwirft so auch das Sozialporträt des Kindes seiner Zeit, insbesondere des Proletarierkindes.

Der Berliner Fotograf Erich Rinka schildert die Situation so:

Am Kurfürstendamm saß zum Beispiel Jutta Selle und verdiente mit guten Kinderaufnahmen viel Geld... Wenn ich allerdings... die Kindergesichter bei uns in Wedding sah, in ihnen las, dann wusste ich um so deutlicher: Keines von ihnen wird jemals von Jutta Selle fotografiert werden : die Welt des proletarischen Kindes zu fotografieren ist Aufgabe der Arbeiterfotografen.“

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Mit der Hellsicht des politischen Menschen, der den heraufkommenden Faschismus erkennt und ihn auch in politischer Arbeit bekämpft, beobachtet Ballhause auch die voranschreitende militärische Verbildung der Kinder. Eine Kolonne Bürgerkinder, kenntlich an der Kleidung. „Pennälermützen“, uniformierte Wesen, angeführt von einem Jungen mit Stahlhelm. Von links nach rechts unten marschieren sie durch eine seiner Fotografien. Die Schrägsicht lässt sie vorbeiziehen und bildhaft abgleiten in ihren Untergang, wie wir heute wissen.

Ich hatte gar nicht das Talent, mir die Menschen irgendwie aufzuschließen, wie August Sander meinetwegen vor der Kamera sich die Menschen erschlossen hat. Das Schamgefühl hat es mir einfach verboten, die Menschen in ihrer tiefsten Erniedrigung zu fotografieren", sagt der Fotograf heute.

Nur selten blickt ein Mensch auf seinen Bildern in die Kamera. Sie scheinen auch den Fotografen nicht zu bemerken. Diese Arbeitsweise also, als unsichtbarer Fotograf, hat ihm vielleicht das Leben gerettet, als die Nazis ihre Jagd auf oppositionelle Künstler und Fotografen begannen. Es ist kein offener Kampf mit der Kamera.

Ich habe mich auf diese Dinge nie groß eingelassen. Warum? Weil es ja nicht meine eigene Kamera war. Es war eine geliehene, eine teure, und ich wusste genau, dass die Polizei den Auftrag hatte, jedem, der irgendwo fotografiert, die Kamera zu zerschlagen und den Film wegzunehmen".

Auch bis heute eine Erfahrung für Fotojournalisten.

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Als die Gestapo ihn zuletzt 1944 ins Gefängnis sperrt, findet sie bei der Hausdurchsuchung auch nicht die Negative dieses „unsichtbaren" Fotografen. Seine Frau hatte sie im Keller hinter die Kartoffelkiste genagelt. Beinahe hätte ihn auch die Fotogeschichte vergessen

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Die Ausstellung in der „Photogalerie Spectrum" in Hannover im Dezember 1981, seine beiden Bücher in der DDR und der BRD und sein eindrucksvoller Vortrag auf dem Kongress der Arbeiterfotografen, sein ausführlich und sorgfältig aufgebautes Interview in der Zeitschrift „Arbeiterfotografie" im September/November 82 sind der Beginn einer späten Würdigung und einer neuen Wirkung seines Schaffens, die er in der ihm eigenen Mischung aus Bescheidenheit und Stolz, Noblesse und Gefühl erlebte. Der am 8.Juli 1991 in seiner letzten Heimatstadt Plauen Verstorbene ist einer der bedeutendsten Künstler der beobachtenden, einfühlenden, mitfühlenden und Partei ergreifenden Kamera.

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Seine Fotografien waren in ihrer Entstehung eng an die Arbeitslosigkeit, die persönliche und politische Exisatenz ihres Autors gebunden. Dazu brachte er immer wieder die politische Bedrohung durch den Nationalsozialismus zum Ausdruck und damit auch die Warnung vor einer Diktatur, welche in den Krieg und den Untergang führte.

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Ballhause visualisierte die Arbeitslosigkeit der Weimarer Zeit auch durch lang gezogene Schlangen Wartender, die Massen, welche zuletzt in die Unmündigkeit und den Krieg geführt wurden.

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Die Schatten auf seinen Fotografien, die Menschen, welche dahinter erscheinen, die Kinder im eigenen Spiel und die Zeit, welche sich mit ihren Menschen und Szenen in Bilder verwandelt, werden nicht zu vergessen sein. Ebenso wie dieser Fotograf,Walter Ballhause, an welchen wir uns auf diesem Kongress in Erfurt erinnern. Im 80 Gründungsjahr der Arbeiterfotografie.

1911-1991

Walter Ballhause

Arbeiterphotograph

1911

3. April: Walter Ballhause wird in Hameln als Sohn des Schuhmachers Karl Ballhause und der Lederstepperin Anna (geb. Helbig) geboren.

1917-1925

Besuch der Volksschule. In acht Jahren wechselt er acht Mal die Schule und zehn Mal den Wohnsitz.

1919

Nach der Scheidung der Eltern lebt er bei der Mutter; sie ziehen nach Hannover um.

1925

Fabrikarbeiter bei der Hannoverschen Maschinenbau-Aktien-Gesellschaft (Hanomag) in Hannover.

Mitarbeit in der sozialdemokratischen Jugendgruppe Rote Falken.

1926-1929

Ballhause macht eine Laborantenlehre bei Hanomag und ist anschließend arbeitslos.

Er beginnt zu photographieren.

1929-1931

Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

1930-1933

Seine Photographien zur Weltwirtschaftskrise entstehen. Ballhause photographiert mit "verdeckter Kamera" in erster Linie Menschen aus dem proletarischen Milieu. Seine Bilder haben den Ausdruck ungestellter Wirklichkeit und eine hohe Authentizität.

1931

Er ist kurzzeitig Laborant bei Hanomag.

Gründungsmitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), die sich im darauffolgenden Jahr selbst wieder auflöst.

Photographien aus dem Ferienlager der Roten Falken, zur Parteiarbeit und von Aktionen der SAP gegen die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP).

ab 1931

Arbeitslosigkeit.

1934

Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) in Hannover wegen "linker Betätigung".

1934-1941

Laborant bei Hanomag.

1938-1941

Ballhause absolviert ein Abendstudium, das er als Chemotechniker abschließt.

1941

Umzug nach Straßberg bei Plauen.

1941-1944

Laborleiter bei der Vomag in Plauen.

1944

30. August: Erneute Verhaftung: Ihm wird der Kontakt zu "antifaschistischen Zellen" in seinem Betrieb vorgeworfen.

Gefängnis Plauen und Zwickau.

1945

17. April: Befreiung aus dem Zuchthaus Zwickau.

Gründung der Ortsgruppe der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in Straßberg.

1945-1947

Bürgermeister der Gemeinde Straßberg.

Photodokumentation über Flüchtlinge in Straßberg.

1947-1965

Als Gießereileiter bei der Plamag in Plauen baut er den Betrieb auf und leitet ihn.

1947

Porträtserie von Gießereiarbeitern seines Betriebes.

Ehrenmitglied im Verband Bildender Künstler.

Ehrenmitglied der Arbeiterfotografie e.V.

1954

Umzug nach Plauen.

1965-1971

Technischer Leiter der Plamag-Gießerei Plauen.

1971

Er geht in den Ruhestand.

1971/72

Er stellt etwa 1.000 Abzüge seiner Photographien für die Ausstellung "Widerstand in Niedersachsen" zur Verfügung.

ab 1977

Beteiligung an Ausstellungen in beiden deutschen Staaten.

ab 1981

Internationale Einzelausstellungen.

ab 1982

Ballhause hält in der DDR, der Bundesrepublik und den USA Dia-Ton-Vorträge.

1991

8. Juli: Walter Ballhause stirbt in Plauen.

(ka)









Fotos mit freundlicher Genehmigung des Walter Ballhause Archivs
www.ballhause-archiv.de



Jörg Boström

 

Ein Nachruf auf den Fotografen Walter Ballhause. Zum 80 Geburtstag des Verbandes der Arbeiterfotografen in Erfurt.

 

Überflüssige Menschen, heißt ein Buch mit seinen Fotografien.

Menschen werfen ihre Schatten – zum fotografischen Werk von Walter Ballhause, habe ich einen Artikel für die Zeitschrift Arbeiterfotografie genannt, welchen ich als eine Grundlage für diesen Vortrag verwende.

Bei zwei Veranstaltungen konnte ich ihn erleben und mit ihm sprechen. Verstanden haben wir uns auch ohne Worte. Im Austausch von Bildern und Texten.

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Die Arbeiterfotografen luden ihn zu ihrem dritten Kongress im Freizeitzentrum „Weiße Rose" in Hannover 1982.

Wer ihn gehört und seine Bilder gesehen hat, wird ihn nicht vergessen. Die Begegnung mit ihm gab den Kongressen eine historische Dimension. Ballhause selbst hat in einem Referat diese Verbindung unterstrichen:

Ihr setzt das fort, was wir damals begonnen haben. Eure erfolgreiche Entwicklung spiegelt sich in eurem Verbandsorgan Arbeiterfotografie wider, die ich seit seinem Erscheinen mit großer Anteilnahme verfolge. Unser Ziel von damals ist gleichzusetzen mit eurem Ziel heute, nämlich, die fotografierten Zustände selbst sollen beseitigt werden. Dazu ist Parteilichkeit notwendig, die den politisch-gewerkschaftlich aktiven Teil der Arbeiterklasse mit seiner geschichtlichen Mission unterstützt. Am Rande dieser zentralen Aufgabe kann der Arbeiterfotograf viele Bilder schaffen, die zu wichtigen Zeitdokumenten späterer Generationen werden können."

Der neunzehn- bis zwanzigjährige Arbeiter Walter Ballhause beginnt mit dieser politisch-fotografischen Aktivität zu Beginn der dreißiger Jahre. Sie wirkt heute weiter. Ihre fotografische Intensität und bildnerische Qualität wird in den letzten Jahren angemessen erkannt. Bis zu seinem Tod war er tätig, als Fotograf, als Referent, als politischer Mensch, als Humanist im Engagement für Frieden und die permanente Vermenschlichung unserer Welt. Ballhauses Werk zeigt, dass die Fotografie der sozialen Konflikte in enger Verbindung zur Kultur ihrer Zeit entwickelt wird.

Ich habe gern gezeichnet, aber irgendwie ließ es meine ganze Kindheit und Ausbildung nicht zu, dass ich skizzieren oder malen lernte"

Die Holzschnitte Franz Masereels in ihrem starken Hell-Dunkel und ihrer politischen Thematik, die Zeichnungen Heinrich Zilles in der liebevollen und zornigen Beobachtung des sozialen Milieus, die grafische Monumentalität der Arbeitergestalten und der Frauen im Werk der Käthe Kollwitz, der harte Biss der Zeichnungen eines George Grosz, der die Bourgeoisie in ihrer Raubtierhaftigkeit demaskiert, indem er ihre Charaktermaske entwirft, der fotografisch kühle Blick des Malers Max Liebermann auf die Arbeitswelt und die Hinterhöfe, die Landarbeit, und die Wucht und Schwere der Plastiken von Ernst Barlach - alles dies hat Ballhause studiert. Wie sie mit dem Zeichenstift, dem Pinsel, der Kreide, dem Meißel, wird er ein sozialer Künstler mit der Kamera.

Zugleich entwickelt Ballhause sein politisches Engagement. Der Eintritt in die Roten Falken als Jugendlicher bringt ihm die ersten Erfahrungen. Mit Otto und Kurt Brenner und ihren Frauen, mit Dr. Kurt Rosenfeld und Max Seydewitz gründet er die „Sozialistische Arbeiterpartei". Damit ist seine kurzfristige Tätigkeit in der SPD nahen Fotogilde beendet - und seine bis dahin noch geringen Ausstellungsmöglichkeiten als Fotograf. Schon damals waren die Parteien und Gruppierungen der Arbeiterbewegung im Streit. Man muss sehen, dass der junge Ballhause als Fotograf ein von seinem selbst gestellten sozialen und politischen Auftrag besessener Einzelgänger ist, der weiter fotografiert auch ohne organisatorischen Rückhalt - etwa einer Arbeiterfotografengruppe, die es zu dieser Zeit in Hannover nicht gibt. Ohne finanzielle Grundlage. Mit einer geliehenen Kamera. Der Leica.

Ich war Arbeiterfotograf, ohne es damals zu wissen,"sagt er später.

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Er schafft Bilder, die in ihrer ästhetischen Qualität, ihrem Gefühl, ihrer Sachlichkeit und Härte der sozialen Aussage neben die von ihm geschätzten Werke der bildenden Kunst gehören. Er schafft das Gegenstück zum fotografischen Werk eines Mannes, den die Geschichtsschreibung des Bildjournalismus mit Recht würdigt: Dr. Erich Salomon.

Während Salomon, wie Ballhause, aber aus anderen Gründen und Zusammenhämngen, mit verdeckter Kamera das Getriebe der Macht, der oberen Klassen, die Nebenschauplätze der Parlamente und Gerichte, des Pressewesens und der herrschenden Kultur beobachtet, fotografiert Ballhause, selbst arbeitslos ,die Elenden, „die Menschen in ihrer tiefsten Erniedrigung..., Bilder, wo die Menschen in den Marktabfällen herumwühlen", Arbeitslose in ihrer stumpfen Verzweiflung, ausgebrannte, verheizte, „Überflüssige Menschen", so der Titel seines eindrucksvollen Buches, erschienen im Reclam-Verlag Leipzig.

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Ballhause entwickelt schon in seinen frühen Fotografien eine Bildsprache, welche die aktuellen technischen und ästhetischen Möglichkeiten seiner Zeit mit den von ihm gewählten und zugleich von seiner Zeit und seiner eigenen bitteren Lebenserfahrung ihm aufgedrängten Themen zu gültigen Bildformen zusammenfügt. Eine Einheit von Form und Inhalt, die Merkmal jedes Kunstwerks ist. Mit der Leica, die ihm eine Freundin leihweise zur Verfügung stellt, verwendet er die schnellste, technisch perfekteste Kamera seiner Zeit. Er fotografiert „mit verdeckter Kamera". Er tragt sie unter der Windjacke und fotografiert heimlich, ohne dass die Dargestellten etwas bemerken und reagieren können. So schafft er Bilder von großer Authentizität. Die sichtbare Kamera verändert immer die fotografierte Szene durch Reaktionen der Betroffenen. Sie legen sich, wie Siegfried Kracauer von der ganzen Welt behauptete, „ein Fotografiergesicht" zu oder drohen und verschwinden. Die Szenen, die Ballhause zeigt, sind unbeeinflusst vom Bewusstsein des Fotografiertwerdens. Kinder im Spiel und im Gespräch. Alte Frauen, die auf den Straßen nach Gemüseresten und Kohlen suchen.