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Annette Bültmann
 
Skulpturprojekte 2007
 
In Münster fanden in diesem Jahr, wie seit 1977 alle 10 Jahre, die Skulpturprojekte statt. Hier einige Eindrücke:

Einige kleine Ponys, Ziegen und Schafe, ein Esel und eine Kuh stehen und laufen in einem kleinen Gehege in der Nähe des Hauptbahnhofs, und darin in einem runden Stall, in dessen Mitte sich eine Salzskulptur befindet, darstellend Frau Lot aus der biblischen Geschichte. Hoch über ihren Köpfen drei Videoprojektionsflächen, auf denen Landschaften mit natürlichen Salzsäulen zu sehen sind. Das ist der "Petting Zoo" (Streichelzoo) von Mike Kelley.
Kunst für Tiere? Man könnte sich angesichts dieser Szene fragen, ob es möglich ist, Kunst für Tiere zu machen, und zwar weckt die Salzskulptur Frau Lots tatsächlich in gewisser Weise das Interesse einer kleinen Ziege, die daran knabbert, aber die Videos bleiben von den Tieren weitgehend unbeachtet, während diese von Besuchern gestreichelt werden, und auf ihr abendliches Heu warten, um das sich dann alle versammeln. In diesem Fall also keine Videos für Tiere, sondern für die menschlichen Ausstellungsbesucher. Wer Videoprojektionen für Tiere machen wollte, müsste wohl auch Einiges beachten, was die visuelle Wahrnehmung der jeweiligen Tierart eventuell von der menschlichen unterscheidet, z.B., sehen Ponys, Schafe oder Ziegen Farben ähnlich wie Menschen, oder nehmen sie Farben ganz anders wahr, sicher haben sie ein anderes Gesichtsfeld mit den weiter seitlich stehenden Augen, wie empfinden sie Kamerabewegungen, können sie mehr oder weniger Bilder pro Minute unterscheiden als Menschen? Bewegte Bilder für tierische Zuschauer könnten eine technische und künstlerische Herausforderung sein... aber immerhin trifft die salzige Frau Lot bereits ihren Geschmack. Es heißt ja, Liebe könne durch den Magen gehen, Kunst auch?

Fahrräder gehören zum Stadtbild von Münster, und so passt eine künstlerische Arbeit mit Fahrädern gut in diese Stadt. Der Künstler Guy Ben-Ner hat für seine Arbeit "I'd give it to you if I could but I borrowed it" (Ich gäbe es dir wenn ich könnte, aber es ist nur geliehen) Fahrradteile in Museen entdeckt und setzt sie neu zusammen. Mit Hilfe seiner Kinder werden aus einem Stierkopf von Picasso ein Fahrradlenker und ein Sattel und aus einem Readymade von Duchamp das Vorderrad neu kombiniert mit dem Rahmen und Hinterrad vom Cyclograveur von Jean Tinguely, einem Gerät das sich bewegt und dabei Zeichnungen anfertigt, und der Luftpumpe aus dem Werk "Zerstörte Batterie" von Joseph Beuys. Nun hat der Künstler ein komplettes Fahrrad und kann sich auf eine Reise durch Münster begeben. Die Ausstellungsbesucher können sich diesen Trip als Film anschauen indem sie selbst in die Pedale treten, auf stehenden Fahrrädern bringen sie nun die Bilder zum Laufen, je nach Geschwindigkeit und Richtung des Tretens läuft der Film schneller, langsamer oder rückwärts. So lässt sich Kunst anschauen und gleichzeitig, wie auf einem Trimmrad, etwas für die Gesundheit tun, eine Installation zur Betätigung von Kopf und Beinen.

Auch zu einer Filmvorführung im Konferenzraum eines Hotels werden die Besucher der Skulpurprojekte eingeladen. Der Film "Sie könnte zu Ihnen gehören" von Eva Meyer und Eran Schaerf wechselt zwischen kurzen Szenen aus alten Filmen und Szenen aus der heutigen Zeit, man erkennt die Räume der städtischen Bühnen Münster, eine weibliche Person im Theaterkostüm, sie steht, geht durch die Gänge, wird reflektiert in Spiegeltüren, es geht um Rollen, und Identitäten, um Zeitabläufe, Personen, Vergangenheit, eine Erzählerin, die von sich in der 3.Person spricht, fragt sich, welche Rolle sie spielt, und welche Zugehörigkeit besteht zu Orten und Gruppen, zur Stadt Münster. Während es in den Szenen der Vergangenheit mal in ein Münster der 30er, 40er, mal der 60er Jahre geht, tauchen schwarzweiße Bilder auf, die teilweise nur durch die Dialoge einen Bezug zur Stadt Münster haben, teilweise sind aber auch Ansichten der Innenstadt zu erkennen. In den in Farbe gedrehten heutigen Filmszenen schweift die Kamera immer wieder durch das Theater, oder auch mal von dort aus zu einem Ausblick über die Stadt, während die Erzählstimme, ins Englische übersetzt durch Untertitel, sich damit beschäftigt, wie es ist, ständig in einem Film zu leben.

An den Aaseetreppen steht ein landwirtschaftliches Fahrzeug, ein Güllewagen, und versprüht Wasser über den See. Die optische Erscheinung der Arbeit "Diffuse Einträge" von Tue Greenfort erinnert an die Fontäne eines Springbrunnens, hat aber ökologische Hintergründe. Der Güllewagen steht für die zu großen Phosphatmengen, die durch Düngemittel und Gülle in den See gelangen, und zur sommerlichen Algenblüte im Aasee beitragen, die regelmäßig zu einem Problem für das Gewässer werden. In diesem Fall wird dem entgegengewirkt, indem der Wagen keine Gülle versprüht, und auch kein reines Wasser, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern eine Eisen (III)-Chlorid-Lösung, die zur Verbesserung der Wasserqualität beitragen soll. Diese wird sonst auch in manchen Kläranlagen verwendet, Eisen und Phosphat verbinden sich zu Eisenphosphat das sich im Schlamm absetzt. Aber ist dieses Verfahren wünschenswert? Bei Wikipedia kann man lesen "Eisen(III)-chlorid ist gesundheitsschädlich beim Verschlucken und reizt die Haut. Es besteht die Gefahr ernster Augenschäden. In Verbindung mit Alkalimetallen besteht Explosionsgefahr", weiterhin kann man auf Websites lesen dass dieser Stoff für Schnecken giftig ist (auch für Wasserschnecken?) und zum Ätzen verwendet wird. Auch wenn er in einer Lösung mit geringer Konzentration zumindest für Säugetiere als unbedenklich angesehen wird, wäre es doch eher wünschenswert, dass stattdessen der Ursprung des Problems betrachtet und die Überdüngung der Gewässer mit Phosphaten verringert wird. Dieses Kunstwerk kann zum Umweltschutz beitragen, indem es darauf aufmerksam macht. Angesichts dessen, dass der Aasee, die Ufer, die angrenzenden Wiesen und Waldgebiete ein Lebensraum sind für viele Tierarten, ist die Verbesserung oder zumindest die Erhaltung der Qualität des Wassers nicht nur eine "kosmetische Maßnahme" zur "Aufrechterhaltung der künstlichen Idylle Aasee", wie es im Ausstellungsführer zu lesen ist, sondern für die tierischen Einwohner überlebenswichtig.
 
 
Zur Website der Skulpturprojekte:
www.skulptur-projekte.de