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Renate Buschmann

Nachtfoyer in der Kunsthalle Düsseldorf

Präsentation des Buches "ZEITSPRUNG"

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

als ich Ende der 90er Jahre für meine Dissertation über die Hintergründe der „between“-Ausstellungen – eine Serie von experimentellen Veranstaltungen, die hier in der Kunsthalle Düsseldorf zwischen 1969 und 1973 stattgefunden hatten – recherchierte, führte mich eine Spur zu Jörg Boström, der mir damals völlig unbekannt war. Ich wusste, dass es 1969 in Düsseldorf eine Gruppe PSR (Politisch Soziale Realität) gegeben hatte, die gegen die erst zwei Jahre zuvor eröffnete Städtische Kunsthalle rebellierte, weil sie das inhaltliche Programm und die hierarchische Struktur des Ausstellungsbetriebs ablehnte. Mit einer spektakulären Protestaktion legte die PSR die Vernissage einer großen Minimal Art-Ausstellung hier im Haus im Januar 1969 lahm, was schließlich und im Zusammentreffen mit anderen Ereignissen dazuführte, dass mit der Ausstellungsserie „between“ wenige Wochen später begonnen wurde.

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Um mehr über diese divergierenden Standpunkte zu erfahren, musste ich mit Jörg Boström sprechen, der zusammen mit seinem Freund Manfred Koenig der „Anführer“ der Gruppe PSR war – auf jeden Fall einer der maßgeblichen Initiatoren. Ich machte ausfindig, dass er Jörg Boström seit den 70er Jahre eine Professur für das Fach „Intermedia und Fotografie“ an der Fachhochschule Bielefeld hatte und fuhr ihn besuchen. Er empfing mich in seiner Wohnung mit einer Tasse Tee, war sofort aufgeschlossen meinen Fragen gegenüber und eh ich mich versah, waren wir in einem Gespräch vertieft, das Jörg Boström veranlasste über die schon damals 30 Jahre zurückliegenden Geschehnisse nachzudenken und mich in Protestjahre versetzte, die mir nicht aus der Kunstgeschichte geläufig waren, sondern höchstens aus Fernsehdokumentationen über die 68er-Bewegung.

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Jörg Boström, der von 1956 bis 1963 an der Düsseldorfer Kunstakademie Malerei studiert hatte und danach als Kunsterzieher tätig war, stand der abstrakten Kunst, wie sie in Westdeutschland seit den 1950er Jahren zum Standard erhoben worden war, kritisch gegenüber. Ihn störte die gesellschaftliche Indifferenz der ungegenständlichen Bilder, und er wünschte sich statt dessen ein politisches Sendungsbewusstsein von Künstlern. Ihm erschien die Theorie des Soziologe Arnold Gehlen plausibel. Dieser hatte in seinem Buch Zeit-Bilder (1960) der zeitgenössischen abstrakten Kunst die Funktion der „Entlastung“ zugesprochen. Arnold Gehlens Meinung nach begründete sich die Akzeptanz der abstrakten Kunst auf der Sehnsucht einer Gesellschaft nach „künstlichen Paradiesen“, nach subjektivem Form- und Farbreichtum ohne Inhaltsschwere, nach imaginären Zonen, die jedwede Belastung durch außerkünstlerische Probleme ausschließen. Entgegen der von Gehlen aufgestellten These, dass Kunst die Betrachter „entlasten“ muss, tendierte Boström zu einer Kunst, die den Betrachter „belastet“, indem sie ihn mit gesellschaftlichen Vorgängen konfrontiert. Da eine Umorientierung in den klassischen Kunstgattungen Boströms Ansicht nach nur langsam zu bewerkstelligen war, zog er die Konsequenz: Er kehrte der Staffelei einstweilig den Rücken und griff zum Fotoapparat.

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Anfangs war es die Begeisterung für eine auflebende, Grenzen sprengende Kunst, die Boström bewegte, Fotos in Kunstausstellungen und von Kunstaktionen zu machen. Denn die zuvor von Gehlen als „produktive Einsame“ titulierten Künstler traten nun aus der Abgeschiedenheit ihrer Ateliers hervor und verstanden ihre Werke im Rahmen einer kollektiven Verantwortung. Die Künstler der ZERO-Gruppe machten mit ihren öffentlichen Auftritten nicht nur Momente der Sensation erlebbar, sondern beabsichtigten, den Kunstbetrachtern die verlorengegangene Sensibilität zurückzubringen. Joseph Beuys eröffnete mit seinen bisweilen mystischen Aktionen einen missionarischen Pfad, der nicht selten zur Belastungsprobe für Künstler und Rezipienten wurde.

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Düsseldorf mit seiner Kunstakademie war ein hervorragendes Pflaster, um saturierte Kunstvorstellungen zu verlassen und den Aufbruch zu frischen Kunstwerten mitzuleben. Häufig an der Seite des befreundeten Kunstkritikers John Anthony Thwaites suchte Boström solche Kunstereignissen mit Bedacht auf, um die ihnen innewohnende Faszination zu beobachten.

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Gegen Ende der 60er Jahre ließ sich Boström zunehmend fesseln von der Wirklichkeit politischer Demonstrationen. Sie waren sichtbarer Beweis für Rebellion und Metapher für eine Gesellschaft, die gegen den Stillstand mobilisierte. Boströms Fotos zeigen wie Aufbruch und Tradition, wie Generationen aufeinanderstoßen: einerseits die energischen, erwartungsvollen Demonstranten, andererseits die konsternierten Damen und Herren, die in der Düsseldorfer Innenstadt unfreiwillig vom lärmenden Protestmarsch an den Rand gedrängt werden. Doch der Fotograf Boström gehörte nicht zum Typ Flaneur, der das Zusammentreffen mit Motiven dem Zufall überließ. Seine Mitarbeit in der Gruppe Politisch Soziale Realität (PSR) beförderte seine Fotografie zu einem unverzichtbaren Begleitinstrumentarium der kollektiven Initiativen.

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In der Anfangsphase hatten sich der Düsseldorfer Maler Manfred Koenig und seine Partnerin Rosemarie Stein sowie Jörg Boström und seine damalige Partnerin Eva Wolter zur programmatisch betitelten Gruppe PSR zusammengetan, um gegen die ihrer Meinung nach verkrustete Strukturen der Düsseldorfer Kulturlandschaft zu opponieren. Ihr Hauptanliegen war, eine stärkere Demokratisierung der Institutionen durchzusetzen. Mit dem Go-in bei der Eröffnung der Minimal Art-Ausstellung im Januar 1969 machte die Gruppe auf ihren provokanten Vorschlag, die Kunsthalle in ein autonomes Kommunikationszentrum zu verwandeln, aufmerksam. Die hitzige Debatte und die aufgewühlten Gemüter, die gestörte Ausstellungsatmosphäre, die verstörten oder auch gleichmütigen Vernissagebesucher, die Korrelation der Minimal-Kunstwerke mit Raum und Publikum hielt Boström in Fotos fest. Als Mitglied der Gruppe PSR und als treibende Kraft des Protestes übernahm er die Doppelrolle, als Aktivist die Realität zu manipulieren und als Fotograf die Resultate wahrzunehmen.

Die Gruppe PSR vertrat die Überzeugung, dass bildende Kunst eine effektive soziale Einmischung seien müsse. Während die Literatin Susan Sontag dem Fotografieren attestiert, dass es seinem Wesen nach ein Akt der Nicht-Einmischung sei, brach Jörg Boström die Lanze für ein

Fotografieren, das Legitimation durch Engagement erfährt. Gab es in Düsseldorf Widerstand gegen die Autorität des damals so viel gescholtenen Kultur-Establishment, war die PSR mit Solidaritätsbekundungen dabei: bei der ministerial angeordneten Schließung der Kunstakademie, bei einer Intervention der Lidl-Gruppe im Schauspielhaus, bei Diskussionen um neue Lehrinhalte in der Kunstakademie und um politische Standards der Düsseldorfer Filmgruppe. Jörg Boström und Manfred Koenig wollten zudem die Momente dieser öffentlich subversiven Aktionen in ihrer Authentizität bewahren und erprobten ein Zusammenspiel von Ton- und Bildaufnahme. Koenig zeichnete mit seinem Aufnahmegerät die Stimmen der Demonstrierenden auf, während Boström mit der Kamera die aktionsgeladene Stimmung und den impulsiven Tatendrang in Bildern bannte.

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Fotografie kann „Dokument und Erfindung“ sein, erklärte Boström in den 80er Jahren. Er selbst hatte sich seit den 60er Jahren deutlich einer Fotografie verschrieben, die Realität erfassen wollte und wie ein szenisches Protokoll der ihn vereinnahmenden Ereignisse funktionierte. Durch Boströms fortwährendes Engagement in der Gruppe PSR erweiterte sich sein Anspruch an Fotografie, denn erklärtes Ziel der PSR war es, Projekte zu propagieren „mit der Absicht Realität zu verändern“ und neue Realitäten zu schaffen. Beispielhaft für das von der PSR angestrebte Vorgehen war ihr Projekt Umfeld-Repro – Obdachlosigkeit in Düsseldorf, das im Oktober 1970 im Rahmen der Ausstellung between 5 in der Kunsthalle Düsseldorf gezeigt wurde. Für diese Gruppenarbeit nahmen die PSR-Mitglieder Kontakt zu einem Düsseldorfer Obdachlosenasyl auf, interviewten die Bewohner und untersuchten die dortigen Wohnverhältnisse. Boströms Fotos der Bewohner waren ein tragender Bestandteil der späteren Dokumentation, die in Form einer Wandzeitung in der Ausstellung präsentiert wurde.

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Als Boström 1972 Düsseldorf verließ, kam die Projektarbeit der Gruppe PSR zum Erliegen. Boström unterrichtete fortan das Fach Fotografie an der Bielefelder Fachhochschule und hielt dabei an einer Fotografie fest, mit der die gesellschaftliche Wirklichkeit in der Bundesrepublik, ihre Eigenarten und ihre Schieflagen, unter die Lupe zu nehmen war. Es galt nicht nur zu einer Demaskierung alltäglicher und manches Mal auch stillschweigend akzeptierter Zustände beizutragen, sondern häufig um eine Solidarisierung mit den Fotografierten. „Fotografie als Waffe“ lautete der Slogan, den Roland Günter für die von ihm und Jörg Boström praktizierte „sozialdokumentarische Fotografie“ entwarf. Plakativ wurde die militante Analogie verwendet, um die Bedeutung der Kamera als aufklärerisches Mittel im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und die suggestive Kraft fotografischer Bilder zu betonen. Beispiele von den zahlreichen Projekten, die Boström anregte, sind die Initiative Rettet Eisenheim, (1973) eine umfangreiche Sozialstudie über eine Bergarbeitersiedlung im Ruhrgebiet, und Das Buch der Sinti, (1981) das eine hautnahe Dokumentation über das Selbstverständnis dieser Bevölkerungsgruppe darstellt.

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Die Düsseldorfer Jahre von 1966 bis 1972 sind für Boström der Grundstein seiner fotografischen Laufbahn. Deshalb bin ich froh, dass er den Anstoß gab, daraus ein Buch zu machen. Die größtenteils unbekannten Fotos aus seinem Archiv werden so öffentlich, zeigen die Entwicklung seines Standpunktes als Fotograf und sind zugleich Belege für die Jahre der improvisierten Störungen und für einen gesellschaftlichen Umbruch, der Künstler und Kulturinstitutionen vor neue Herausforderungen stellte.

Jörg Boströms und meine Übereinkunft ein Buch zu machen, wurde auch von der Realität eingeholt, nämlich von der Tatsache, dass wir von vielen Seiten dafür uneigennützige Unterstützung brauchten – die wir letztlich auch erhalten haben. Ich möchte deshalb dem Grafiker des Buches Prof. Gerd Fleischmann herzlichen danken, ebenso seiner Frau Gisela Fleischmann für das Lektorat, zahlreichen Künstlern für die Freistellung von den VG-Bild-Gebühren und dem Kerber Verlag in Bielefeld, der das Buch in sein Programm aufgenommen hat.

Finanziell hat uns der Landschaftsverband Rheinland unterstützt, aber in ganz besonders großzügigem Umfang die Kunststiftung NRW. Vielen Dank!

Und letztlich geht natürlich ein Dank an die Kunsthalle, namentlich Ulrike Gross, die uns heute Abend zur Buchpräsentation eingeladen hat.

Zeitsprung - Rebellisches Düsseldorf 1966 - 1972

Fotografiert von Jörg Boström

hrsg. von Renate Buschmann

Kerber Verlag ISBN 978-3-86678-048-4

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