Interview-Fragen an

hwmueller (richtige schreibweise)

für das E-Journal rum um das Thema Neubeginn

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1. Frage:

Unter dem Motto »Leben ist am Sterben Scheitern« organisieren Sie das Festival des gescheiterten Films (www.der-gescheiterte-film.com)

In den Kulturschaffenden haben Verlierer, Gestrauchelte und Außenseiter schon immer ihre Fürsprecher gefunden. Haben sie uns vielleicht mehr zu sagen, als die aalglatten Erfolgstypen?

 

Wenn man unsere abendländliches Kultur in seinen Wurzeln als die Zwillingskinder der Aufklärung und des Humanismus versteht, dann hat die weitreichende Erkenntnis von Descartes(Ich zweifle also bin ich, oder ich denke, also bin ich= cogito ergo sum) die lang anhaltenden Kraft den Fehler, die Täuschung oder das Scheitern derart auszuhalten, das beide Pole, Erfolg und Misserfolg in größter Spannkraft die Klaviatur menschlichen Daseins ausmacht. Um es einfacher auszudrücken: das Scheitern ist die Voraussetzung des Erfolges. Denn Erfolg kommt von erfolgen... Es erfolgt aus etwas. Im allgemeinen aus der Tat. Wir hantieren mit einer falschen Vorstellung vom Scheitern, meine ich, wenn wir den erfolgreich nennen, der durch geringsten Einsatz den größte Wirkungsgrad erreicht.(Minimax) Diese perfide Täuschung unserer Gesellschaft führt zu dem Irrglauben, wenn jemand von Natur aus schön ist und als Modell viel Anerkennung erhält, das dieser Mensch Erfolg statt Glück hat. Der sogenannte Erfolgstyp ist, so hart es klingt, sehr sehr einsam, denn er ist absolute Minderheit, allein mit seiner vermeintlichen Spezialfähigkeit. Und, das ist mir sehr wichtig, weil Ihre Frage im Ansatz daran scheitert: Scheitern hat nichts mit Verlieren, Straucheln und Außenseitertum zu tun. Wahrlich, man kann sich im Zustand des Scheiten befinden, das ist wirklich grausam und ggf. pathologisch, oder man gesundet sich an dem Gedanken:“eine Haltung zum Scheitern einzunehmen ist die Quelle jeden Strebens“. Und das ist wirklich kraftvoll, kreativ und im wirklichen Sinne kulturschaffend(der Pflege seines Lebens und deren Umstände) In Amerika bekommt der Manager eher einen Job, welcher bereits einmal gescheitert ist.

 

 

2. Frage:

Der Autor Wilhelm Genazino, der das Scheitern zum zentralen Thema seiner Poetik macht, sieht Künstler als »Vorturner des Scheitern«.

hw müller, sind Sie vielleicht auch ein solcher Vorturner des Scheiterns?

 

 

So sehe ich mich nicht gerne. Denn der Turner, selbst der Seiltänzer hat das einzigartige Privileg Grenzerfahrungen machen zu müssen. Die Kunst als inszeniertes oder nachgestelltes Laboratorium mit echten und harten Fakten.(So manch einer ist vom Seil in die tiefste Armut gestürzt!)

Und je härter die vermeintliche Realität oder der Aufprall, desto höher der nächste Sprung in eine neue Welt. Die Inkas kauten Koka um den Schmerz der Alltagslasten zu ertragen und um mit den Göttern zu reden, der Europäer spritzt sich seine Träume, nicht weil er flieht, sondern, weil ihm in dieser fremden neuen Welt das Gehen leichter fällt. Poetisch gesprochen. Also der Künstler erlebt stellvertretend für die anderen die Qualen und Freuden. Dabei erzeugt er das Nektar, das die anderen davon abhält die gleichen Fehler zu begehen. Das ist eine alte griechische Marotte. Ich denke aber, das wir keine Vorturner brauchen, sondern das die Menschen sich besser sich am Reck als an der Fernsehflasche versuchen sollten und fähig werden stilvoll oder nicht zu scheitern.

 

 

 

3. Frage:

Verstehen Sie Ihr Engagement in Sachen gescheiterter Film auch als Beitrag, das Verhältnis zum Tabu Thema Scheitern in Deutschland zu entspannen?

 

Nein, eher mein Verhältnis zu Deutschland zu entspannen. Ich bin umzingelt von Ansprüchen und Erwartungshaltungen. Kaum jemand stellt sich noch die Frage: wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Der Film ist noch eines der zentralen Verbindungsglieder zwischen den Menschen. Wenn wir Macher aber den Gegenüber permanent mit falschen Vorstellungen und Bedürfnissen bombardieren, dann erzeugen wir nur Frustration. Klar, denn derjenige der sich als gescheitert empfindet sucht einen Ort, wo er seine Wunden lecken kann und von einem anderen, besseren schöneren Leben das ihn bejaht träumen kann. Und das ist klassischer weise das Kino. Ich wünsche mir, das die Leute ihre kunterbunte Fernbedienung zur Seite legen und sich auf ein Risiko einlassen. Das Risiko wieder ehrlich Scheitern zu können. Das Ungesehene zu sehen, zu begreifen und zu verstehen, dass unsere Filme vielleicht zu recht oder zu unrecht gescheitert sind. Denn heute liegt Qualität und Scheitern näher als je zuvor. Die Filme, die Filmästhetik auf die wir getrimmt sind, folgen zu recht einem durchtrainierten Common Sense, einem allgemeinen Geschmack. Dieser immerwährenden Wiederholung ist auch der Redakteur oder der Filmverantwortliche zum Opfer gefallen. Interessanterweise wissen diese Menschen dies und beobachten mit zunehmender Sympathie das Festival. Wir haben kein besseres, sondern ein anderes Programm. Filme, die in der Hektik des immer schneller und schneller routierenden Marktes durchs Netz gefallen sind. Manchmal, und das ist wirklich schmerzhaft, völlig zu unrecht.

 

4. Frage:

Wie ist Ihr Festival bisher vom Publikum aufgenommen worden?

 

Da gibt es eine Diskrepanz zwischen dem lauten Medienecho und der Zuschauerzahl. Doch die wenigen Besucher waren durchweg begeistert und wünschen sich eine Wiederholung. Was ja nun auch passiert.

 

 

 

5. Frage:

Kunst machen heißt »Fehlschlägen« nachschauen, sagt Wilhelm Genazino. Inwieweit schauen Sie als Künstler und Filmemacher Fehlschlägen nach?

 

Gar nicht. Ich schaue nur, wo ich demnächst besser Scheitern kann. Nein, im Ernst. Jede kreative und nichtkreative Arbeit ist immer eine besondere Form des Tagebuchschreibens. Ich finde es himmlisch, alte Dinge von mir zu sehen und festzustellen, dass ich einen sehr, sehr langen (Um)Weg zurück gelegt habe. Seit einiger Zeit sind mit sogar meine pubertierenden Auswürfe nicht mehr peinlich. Ich beginne sie zu lieben. Sie sind wie ausgefallenes oder an der Schere gescheitertes Haar, ein wahres Stück von mir.

Ich würde mir wünschen, das einige Kollegen, die ich sehr schätze und die weit mehr erreicht haben, zu ihren alten Sünden ständen und sie offen legten. Zu gestehen, das auch sie auf ihre ganz persönliche Art gescheitert sind. Das wäre ein Lichtblick für alle die sich noch einen Weg durchs Gestrüpp der Unmöglichkeiten schlagen wollen. In diesem Zusammenhang darf ich vor allem die ablehnende Haltung von Herrn Werner Herzog zu unserem Festival bedauern.

 

 

6. Frage:

Als Filmemacher haben Sie mit Ihren eigenen Filmen bisher noch keinen Durchbruch erzielt. Sie behaupten, dass Scheitern gesteigerte Lebensqualität ist. Inwieweit hat Ihr eigenes bisheriges Scheitern zur Verbesserung Ihrer Lebensqualität beigetragen?

 

Filmemachen ist wie Lottospielen. Entweder man hat gleich beim ersten mal Glück, oder man verspielt sein ganzes Vermögen. Man verspielt das Vermögen, nicht das Leben, denn das gewinnt man. Man ist in totaler Kommunikation mit den Menschen, man kommt ihnen ungewöhnlich nahe und darf in größerer Runde seine (ver)brennenden Lebensfragen ausbreiten. Welch ein Luxus! Und wenn hier da doch ein kleiner Erfolg herausspringt, dann steigert das den Eros ungeheim. Preis ist immer hoch, oft zu hoch, doch der Lohn ist: waches Dasein.

 

 

7. Frage:

Ist diese Sicht der Dinge vielleicht auch Teil Ihrer Bewältigungsstrategie, ein eigenes Scheitern zu verarbeiten?

 

 

Ja und nein. Das wäre sicherlich ein interessanter psychologischer Diskurs. Vor allem unter dem Gesichtspunkt, wiederholender Zwangshandlungen, das auch als Redramatisierung der eigenen Lebensunfähigkeiten bezeichnet wird. Nun ist das Drama ja mein Kerngeschäft. Ich wiederhole das Traumata meines persönlichen und relativen Scheiterns und steige gleich einer Spirale in immer höhere Regionen. Netterweise erfreuen sich alte Hinterlassenschaften von mir plötzlich eines Zuspruches. Ich will damit nicht behaupten, ich wäre der Zeit voraus. Denn das wäre postromantisch abgeschmackt. Ich glaube es gibt nur die richtige oder die falsche Zeit und die falsche macht nahezu den ganzen Weltenzeitraum aus. Nur der kleine winzige Punkt, so klein wie ein Atom im Weltall ist der richtige und eigentlich unmögliche Zeitpunkt, den man auch Jetzt nennt und meint: mache es. Im griechischen ist machen und dichten(poeomai =Poetik=Verdichtung der Zeit) Synonyme. Herrje und ich leide doch nicht unter dem Scheitern, es treibt mich voran und fordert mich mit jedem Atemzug auf: bereit zu sein. Dieses leicht pathetische Interview ist der beste Beweis dafür.

 

 

 

 

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Das Festival wird organisiert von
BROKALHAUS München
z.Hd. Herr Müller-Rupprecht
Schluderstr. 13b
80634 München

 

 

 

 

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