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Jörg Höbald

 

Boströms Bilder könnten auch in Glauchau oder Zwickau entstanden sein.

Berliner Künstler zeigt in der Galerie Art Gluchowe Motive aus Kohlebergbau

und Textilindustrie.

Eigentümliche Schattenbilder als Momentaufnahmen vom

Zustand der Gesellschaft.

 

Glauchau. Seit Samstag überrascht Jörg Boström mit seinen Gemälden und Fotografien in der Galerie Art Gluchowe. Denn der ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammende Maler, Fotograf und Hochschullehrer zeigt Bilder aus dem Schaffen der letzten 20 Jahre, die Motive aus der Textilindustrie und dem Steinkohlenbergbau zeigen. Sie könnten durchaus auch in Glauchau, Zwickau oder Oelsnitz entstanden sein. Sind sie aber nicht, diese älteren Werke entstanden im Ruhrgebiet.

"Ich habe nicht gewusst, dass es hier auch Steinkohlegruben gab. Peter Schönhoff aus Niederschindmaas hat mich darauf gebracht. Das Wissen übereinander hat noch gewaltige Löcher", meinte der Künstler. Schönhoff sprach in seiner Eröffnungsrede vor rund 40 Kunstfreunden am Sonnabend wiederum von den Eingeweihten und den Getreuen, wenn es um die Kenntnis der Werke von Boström geht

Der langjährig in Bielefeld wirkende Ausbilder bekannter Bildjournalisten habe sein virtuoses Spiel mit Farbe, Licht und Stilrichtungen weiterentwickelt. In seinem Atelier in Mecklenburg entdeckte er als Maler die Landschaft für sich. Das war im Jahr 1994. In Berlin, dem gemeinsamen Lebensmittelpunkt mit seiner Frau Gabriele, hält er dagegen die Menschen unserer Tage auf der Leinwand fest. Dabei lässt er in seinen jüngeren Werken nicht nur die Gesichter der Gestalten verschwimmen, die sich auf den Straßen tummeln, sondern versieht sie mit scheinbar endlos langen Schatten. Diese Stadtlandschaften nennt der Künstler selbst "Land-Schatten", die offensichtlich den Zustand der Gesellschaft als Momentaufnahme festhalten. Dabei verweist der Gelb-Schwarz-Kontrast auf Vincent van Gogh, während die Grautöne an Wassily Kandinsky erinnern. Beide waren zu ihrer Zeit Boten künstlerischer Umbrüche und Zeugen gesellschaftlicher Wandlungen. (HÖB)

Publikation Freie Presse. Glauchauer Zeitung

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Peter Schönhoff, Künstler, Autor.

Eröffnungsrede zur Ausstellung Boström, Galerie „art gluchowe“ am 21.07.07

Lieber Herr Professor Jörg Boström

Sehr Geehrter Herr Oberbürgermeister

Meine Damen und Herren

Wie ich zu Jörg Boström gekommen bin? Das kam, wie fast immer bei mir, um mehrere Ecken. 1974 war ich mit Ernst Kreitlow und Dieter Morgenstern Gast der Arbeiterfestspiele in Schwerin. Wir nächtigten bei einer verlassenen Obristenfrau und da lernten wir einen weiteren Gast kennen und das war( nein- nicht Jörg Boström-) sondern ein junger Fotograf mit Namen Helfried Strauß. Von ihm sah ich dann immer wieder Fotos in Zeitschriften, wenn ich recht erinnere hauptsächlich in der NBI. Und dreißig Jahre später, da waren wir schon bei 2004, lernte ich in meiner Kunstgruppe „Makke“ einen jungen Mann kennen und das war immer noch nicht Jörg Boström aber es war immerhin Daniel Boström, der mir von einem entfernten Onkel Jörg berichtete, den er bei einem nächsten Familientreffen kennen zu lernen hoffte. Die Boströms sind eine seltene aber irgendwie familienbewusste Sippe mit Stammbaum. Damit war mein Interesse geweckt und via Internet kam ich endlich zu Jörg Boström. Und was hat das nun mit Helfried Strauß zu tun? Die heutige Ausstellung war schon im Vorstand des Kunstvereins 2005 beschlossen worden und im Frühherbst 2006 besuchten meine Frau und ich die Boströms in dem romantischen aber verlassenen Weiler Lansen bei Graal Müritz. Und da wir Angesicht zu Angesicht zusammen saßen, erzählte Jörg Boström auch von seinen Erfahrungen bei der Neuorientierung der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst nach dem Herbst 89 und dass er bei den Diskussionen in Leipzig auch eine Zeit mit Helfried Strauß zusammen war. Jörg Boström war zu der Zeit Professor für Intermedia und Fotografie an der Fachhochschule in Bielefeld und brachte seine Erfahrungen zu den Leipzigern. Und da gab es bei mir den bewussten Klick und Schwerin und Leipzig und Bielefeld und Lansen und Niederschindmaas hatten sich eingeholt.

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Jörg Boström war 28 Jahre Professor in Bielefeld und gehört gewiß zu den herausragenden omnipotenten Künstlern Deutschlands. Das wissen die Eingeweihten, und da er sehr selten im Fernsehen ist und in der Bildzeitung wohl nie, kann die große Masse ihn nicht kennen. Den Eingeweihten und der großen Schar seiner Schüler und der Menge seiner Getreuen ist Jörg Boström ein stets neugieriger, anregender und unglaublich kreativer Künstler.

Jörg Boström gibt, wenn er von jungen Künstlern gefragt wird, den Ratschlag: Mach was du willst, aber mach es. Denn das ist genau seine Lebensmaxime.

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Und das klingt nach Anarchismus. Ist das nun Anarchismus? Wie sollte sich ein Künstler von solchen ideologisch-philosophischen Schubladen einsargen lassen. Künstler sind doch ohnehin Anarchisten. Rechenschaft haben sie nur vor sich selbst abzulegen, es sei denn sie sind Beamte und haben noch nicht gelernt, dass geistige Unabhängigkeit das höchste Gut ist, das mit Zähnen und Klauen verteidigt werden muß.

Jörg Boström hat an der Düsseldorfer Kunsthochschule studiert und hat hautnah die spannenden Auseinandersetzungen um eine neue ehrliche Politik in der alten Bundesrepublik mit erlebt und mit geführt. Sehr schnell hatten er und einige Freunde erkannt, dass die scheinbar moderne Gegenwartskunst eine Alibifunktion ausübte. Daß sie als Feigenblatt für die schweigenden Väter und Mütter diente, die es nicht gewesen sein wollten. Sie wissen ja, meine Damen und Herren, und wir Ossis hören es auch heute noch: Davon haben wir nichts gewusst. Aber die Jugend stellte Fragen nach der Schuld der Väter am Krieg und der Nazidiktatur und wir Ossis haben 1989 die Schuldfrage zunächst durch Abschaffung der Hauptschuldigen gelöst. Zunächst.

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Düsseldorf war damals, in den sechziger Jahren, das Zentrum aufmüpfiger Kunstjünger, allen voran Joseph Beuys, dessen Demokratieüberzeugung so lauter war, dass er als Professor von der Hochschule verwiesen wurde. In diesem Brodel entstanden viele neue Überzeugungen. Bei Jörg Boström war es die Überzeugung, dass die Kunst sich der sozialen und politischen Wirklichkeit annehmen müsste. Mit Freunden gründete er eine Interessengemeinschaft, die sie PSR nannten: Politisch Soziale Realität. Sein Studium der Malerei und Grafik hatte er bereits abgeschlossen, hatte bei dem greisen Kokoschka in Sommerakademien weiteres Rüstzeug als Maler dazugewonnen, und er fühlte einen gewissen Widerspruch zwischen „Dokument und Erfindung“, wie er übrigens eines seiner zahlreichen Bücher, dieses von 1989, nannte.

Der Titel bezog sich zwar auf die Fotografie in der BRD von 1945 bis 1989, aber er lässt sich ohne weiteres, zumindest was die Erfindung betrifft, auch auf die Malerei anwenden. Wer einmal seine Einmischung in das wirkliche Leben als Dokumentarist betreiben möchte, betreibt das mit ganzem geistigen und körperlichen Einsatz. Für Boström hieß das: Jörg Boström, kauf dir eine Leica und halt fest, was dir begegnet. In den zwanziger Jahren hieß es: Schreib das auf, Kisch. Und Kisch hats aufgeschrieben und Boström hat es dokumentiert.

Er hat dokumentiert was los war in der Kunstscene, von Nachrüstung bis Wackersdorf wissen wir durch ihn und viele seiner Fotografien sind unverwechselbare Dokumente, die in Büchern und Zeitschriften erschienen sind aber auch in großen Staatlichen Sammlungen gehütet werden. Interessant war für mich, dass im Gerhard Richter Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ein Foto von ihm sich befindet, auf dem bei einer Diskussion u. a. Richter, Ücker und Polke zu sehen sind, die ja alle drei aus der DDR stammten. Sie merken schon, meine Damen und Herren, dass in den geistigen Auseinandersetzungen, in den Zeiten der Irrungen und Wirrungen, immer beide Deutschlands verbandelt waren. Die dabei zu Tage getretenen neuen Ideen führten, hauptsächlich von Künstlern und Geistesmenschen hervorgebracht, auch zu Veränderungen in der Politik. In der alten BRD gab es dann ganz schnell nach 68 einen allgemeinen Konsens und der hieß: Macht doch was ihr wollt aber macht nicht so einen Krach dabei, während nach Helsinki in der DDR nach dem Motto Kulturpolitik getrieben wurde,: Macht, was wir wollen aber nehmts nicht so ernst.

Jörg Boström arbeitete immer an ganzen Projekten, darunter waren fotografische und grafische Arbeiten zum Leben und Sterben und Leben des alten Ruhrgebietes, er hat in den achtziger Jahren Menschen im damaligen Leningrad fotografiert, er hat immer wieder seine Fotografien in Tafelbilder umgesetzt. Wenn ich umgesetzt sage, dann meine ich das auch. Nie sind seine Tafelbilder, ob in Öl oder Wasserfarben, abgemalte Fotos. Igitigitt, das wäre ja auch schrecklich. Als Fotograf sieht er in der wirklichen, tatsächlichen Scene auch den malerischen Wert und im Tafelbild erscheint, völlig neu arrangiert, das Dokument wieder. Man glaubt ihm, oder noch besser, er sagt die Wahrheit. Und was ist die Wahrheit? Die Wahrheit und die Frage nach ihr sind ein weites Feld, denn Wahrheit ist immer subjektiv. Brecht sagt irgendwo: Wissenschaft ist Wahrheit im Begriff, Kunst ist Wahrheit im Bilde.

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Damit ist alles und nichts gesagt. Aber es klingt schön. Jörg Boström muß ich das nicht sagen, diese philosophischen Kategorien beschäftigen ihn von Anfang an. Und da der Widerspruch zwischen objektiver Realität und subjektiver Wahrnehmung nicht zu lösen ist und man vor lauter Verzweiflung darüber sich eigentlich den Strick nehmen müsste, entschließt sich der Künstler Boström zu der unerschütterlichen Annahme, dass das Leben eigentlich schön ist. Es ist schön, lange zu leben und schöpferisch arbeiten zu können, denn wer früher stirbt, ist länger tot.

Jörg Boström hat nach seiner Emeritierung in MeckPomm, bei Waren/Müritz, eine heruntergekommene LPG-Hinterlassenschaft gefunden und gemeinsam mit seiner Frau, mit Freunden und Eingeborenen zu einem Atelierhaus ausgebaut. Hinter dem Haus haben beide einen unverbaubaren Seeblick und sie können zusehen, wie sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Da muß ein Maler seine Farben zusammensuchen, das Papier einrichten und muß diese schier überwältigende Schönheit von Tristesse malen. Muß das Blau und das Gelb und das Grün festhalten um sich selber ein Fest zu machen. Und muß dafür sorgen, dass die Lebensursachen, die Ideen vom Leben und Zusammenleben der Menschen erhalten bleiben und verkündet werden.

Ganz in der Nähe von Lansen liegt ein kleines Dorf, das kaum auf einer Karte zu finden ist. Das Dorf heißt Wrodow. In Wrodow gibt es ein Schloß, das von Enthusiasten zu einem Kunstschloß ausgebaut wurde und seit vielen Jahren ein geistiges Zentrum ist. Die Initiatoren waren revolutionäre Wessis, die gemeinsam mit den revolutionären Ossis des Ortes einen Standpunkt setzten. Nach den Überlegungen von Joseph Beuys versuchen sie „die soziale Plastik“ lebendig werden zu lassen. Rosa von Praunheim hat über all das einen preisgekrönten Film gedreht und Jörg Boström hat in einer Ausstellung die Geschichte vom Leben und vom Rausschmiß des Joseph Beuys aus der Akademie Düsseldorf gezeigt.

Um auf den Anfang meiner Laudatio zurück zu kommen: Dieter Morgenstern hat sich Anfang der achtziger Jahre das Leben genommen, Ernst Kreitlow ist heute emeritierter Kreisbibliothekar und Lyriker, Helfried Strauß ist seit vielen Jahren Professor für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und guter Freund von Jörg Boström, Peter Schönhoff darf heute die Laudatio halten und Jörg Boström stellt jetzt in Glauchau aus. So ist das Leben.

Ich danke Ihnen.

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