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Helmut Engelhard
 
Ciao Otzenrath. Zwei Tage.
 
Wir haben den Ort seit Herbst 2006 wieder einige Male besucht. Er steht nun kurz vor der finalen Planierung und Bereitstellung für den Braunkohlentagebau Garzweiler II.
Eindrücke, geschrieben Ende März 2007.
 
Otzenrath, den 12.3.2007
Es ist ein kalter sonniger Tag. Wir fahren auf den verbliebenen Rest des ehemaligen Ortes zu. Der Wind bläst über das nun fast eingeebnete Gelände. Von weitem sieht man verwehte Staubwolken. Auf den verbliebenen Straßen pendeln mit Schutt beladene Kipplaster. An einer alten Baustelle stellen wir unseren Wagen ab und gehen ca. 200 m weiter zum Ursprung der Staubwirbel, einstürzende Mauern der beiden schon zur Hälfte zerbröselten Kirchen. Früher bildeten diese Bauten das örtliche Zentrum. Heute werden sie abgerissen.
Zwei Bagger arbeiten geräuschvoll und zügig. Sie erzeugen Berge von Schutt. Eine kleine Menschenmenge mit gezückten Kameras hat sich hier versammelt, um die Abrissarbeiten zu verfolgen. Wir sind dabei. Vor den Überbleibseln der evangelischen Kirche treffen wir Frau I. B., die Jahrzehnte lang in diesem Ort gewohnt hat und die wir vor ca. zwei Jahren auf unseren Ortsbesichtigungen kennen gelernt haben. Sie erzählt uns, wie sie als Kind oft zusammen mit
einer Küsterin im Kirchenturm an dem Glockenseil gezogen und die Kirchenglocken zum Läuten gebracht hat. In wenigen Minuten wird eine der vielen Stätten ihrer Jugenderinnerungen dem Erdboden gleich gemacht werden. Noch steht für einige Augenblicke neben dem Turm die frei gelegte weiß gekalkte Wand des Hauptschiffs des fast völlig zusammengestürzten Gotteshauses. Auf der Wand liest man die Inschrift: "Selig sind, die Gottes Wort hören und
bewahren."
WDR 5 hat eine Mannschaft entsandt, um die Arbeit der Bagger zu verfolgen. Ein junger Mann hält ein mit Stoff umkleidetes Mikrofon in den Wind. Nimmt er die Geräusche der Bagger und der einstürzenden Mauern auf? Weit entfernt, am Rande des aufgetürmten Erdwalls zur angrenzenden Braunkohlengrube, sieht man zwei Männer, die mit einer Stativkamera das mehrere hunderte Meter entfernte Szenario verewigen.
Die Bagger, für jede der beiden Kirchen einer, arbeiten sich in Staubwolken gehüllt mit aufgerichteten Greifarmen an den Kirchengebäuden ab. Die Baggerführer sitzen ruhig in den Kanzeln und peilen die Mauern und Türme an. Der junge Kollege des einen Baggerfahrers versucht mit einem Wasserstrahl den durch die herabfallenden Mauerreste entstehenden Staub niederzuschlagen. Die Fenster der Baggerkanzeln sind mit starken Streben vor dem herabstürzendem Mauerwerk geschützt. Mühelos drücken die gezackten Greifer die Mauern und die Türme der Kirchen ein. Wie lange hat es wohl gedauert, bis diese Wahrzeichen Otzenraths Stein auf Stein errichtet wurden?
Nach wenigen Stunden sind von beiden Kirchen nur noch Schuttberge übrig. Die katholische Kirche St. Simon und Judas Thaddäus war 1870 eingeweiht worden, die evangelische hatte man um 1910 im Jugendstil errichtet.
 
Otzenrath, den 20.3.2007
Es hat stark geregnet. Wieder parken wir den Wagen an der alten Baustelle. Dieses Mal sehen wir keine Passanten. Nur noch drei längst verlassene Gebäudekomplexe des Ortes verlieren sich auf der planierten, mit gefällten Bäumen, Mulchhaufen, Steinen, Erdhügeln, Kabeln, Plastikrohren, Mauerresten, Schrott durchsetzten Fläche und warten auf den Abriss. Ein größeres Gehöft, mehrere nebeneinander stehende Hallen und die zwischen den beiden Schuttbergen der Kirchen lokalisierten ehemaligen Schule, Kindergarten sowie die Hülle des benachbarten ehemaligen Pfarrhauses. Ein mit Tapeten rot gemustertes Mauerstück der Restschule strahlt uns noch an. Die von den Kipplastern ständig befahrenen, von sportlichen Radfahrern und Pkws  sowie Neugierigen gelegentlich frequentierten Straßen schlängeln sich sichtbar durch das Gelände. Mitten im Schuttberg der katholischen Pfarrkirche St. Simon und Judas Thaddäus steht noch eine mit Brettern verschalte Säule. Sie hat die Dachkonstruktion in der Mitte der Kirche getragen und soll zur Erinnerung auf dem Kirchplatz des Ortes Neu-Otzenrath aufgestellt werden. Nur ein Bagger und mehrere Kipplaster sind voll im Einsatz.
Wir wenden uns ab und schliddern über die matschigen Straßen. Zwischen Pfützen hin und her springend, gehen wir Richtung Tagebaugrube den nun glitschigen, mit Schlamm übersäten Feldweg unter den noch verbliebenen Bäumen einer Allee, die wir bereits vor einigen Monaten wählten (vergl. "Der letzte Kohl", Ausgabe 39 ). Damals standen noch rechts und links prächtige Kohlfelder. Das Gemüse ist abgeerntet. Nur noch kleine Strünke stehen in Reih und Glied. Wir gelangen schnell zu dem aufgeschütteten Erdwall, hinter dem die Tagebaugrube beginnt. Mit ihrem tief gelegenem dunkel glänzendem Boden und den hohen, von braunschwarzen Schichten durchzogenen Wänden erstreckt sie sich weit in die Ferne, von wo aus die dampfenden Kraftwerke grüßen. Am südwestlichen Rand der Grube erkennt man einige Windräder. Vorboten eines neuen Denkens?
Noch ein paar Bilder. Dann wird es Zeit zurück zu unserem Wagen zu eilen, denn eine neue tiefe Wolkenfront nähert sich von Westen. Noch immer kreischt der Bagger auf den Schutthügeln des längst verschwundenen Hofes Leufgen und befüllt den wartenden Kipplaster.
 
Zu Hause füge ich meiner umfangreichen Bildersammlung zum Thema Otzenrath einige weitere Digitalfotos hinzu. Es wird Zeit, Ordnung in die Bilderflut zu bringen. Man sollte nun auch an einigen Beispielen zeigen, wie sich Otzenrath mit der Zeit in Brachland verwandelte.

Haus in Otzenrath

Frühjahr 2006

Frühjahr 2006

Standort, Februar 2007

Abriss Evangelische Kirche in Otzenrath

Febr. 2004

12.3.2007

12.3.2007

12.3.2007 Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren

12.3.2007

Schuttberg, 20.3.2007

Pizzeria CIAO in Otzenrath

Februar 2004

Herbst 2005

Standort, März 2007

Schnappschüsse, 20.3.2007

Allee zur Tagebaugrube

Abgeerntetes Kohlfeld

Blick zu Schule, Stütze, Standort Kirchen

Blick in den Tagebau

Windräder