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Renate Buschmann
Interview mit Jörg Boström zum Thema PSR bei "between" in der Kunsthalle Düsseldorf
Herr Boström, Sie waren einer der Wortführer der Düsseldorfer Gruppe PSR (Politisch Soziale Realität). Was hatte zur Gründung dieser Gruppe geführt?
Sie sagen Wortführer, den Begriff kannten wir nicht. Wir waren zunächst mal zu zweit. Manfred Koenig hatte sich ein UHER-Tonbandgerät, ich mir einige Zeit vorher eine Leica M3 gekauft, zunächst mal zum Zwecke der Dokumentation von Kunstwerken für meine Schüler, später für die Dokumentation von Dingen, die ich um mich sah, zur Erweiterung meines künstlerischen Konzepts, das sich aus der Malerei heraus entwickelte. Zu dem Zeitpunkt erwachte so langsam das Unbehagen an der formalen, eingeengten Kunstszene, soweit wir sie um uns herum beobachten konnten. Wir entwickelten die Vorstellung – es ist nicht umsonst die 68er Zeit gewesen –, daß man gesellschaftliche Konflikte beobachten, transportieren und auch darauf einwirken sollte. Die drei Buchstaben PSR waren eine Erfindung von Manfred Koenig. Zunächst mal ohne Inhalt, ich habe dann später – ich glaube, daß ich das war – die etwas eingeengte Version „politisch soziale Realität“ geschaffen.
An was hatte Manfred Koenig anfangs bei der Abkürzung PSR gedacht?
Manfred hatte eine ganze Liste von Vorstellungen, was PSR alles bedeuten könnte, mir fällt z.B. noch ein: politische Skandalrampe. Das war auch ein bißchen Verarschung der Drei-Buchstaben-Parteien. Fast alle Parteinamen bestehen aus drei Buchstaben. Und deshalb hatten wir auch drei Buchstaben. Zunächst haben wir das ein bisschen ironisch betrieben. Die Konzentration auf die politisch soziale Realität ergab sich im Laufe der Dynamik unserer Arbeit. Zunächst mal wollten wir ja stören. Und im Gegensatz zu der damals herrschenden Ideologie „Kunst als Entlastungsfunktion“ (Arnold Gehlen) sowie zur Aussage „der Gegenstand ist nicht mehr tragfähig“ (Grohmann und Haftmann) wollten wir genau das Gegenteil machen, also belasten und den Gegenstand, sprich den Menschen und die Gesellschaft, wieder ins Spiel bringen. Wie das übrigens in früheren Künsten ganz selbstverständlich der Fall war. Aber die Rolle der Kunst war in der Bundesrepublik der 50er Jahre weitgehend ausgespielt. Ich hatte damals Bücher über Grafik in Frankreich, in denen ganz selbstverständlich gegenständliche und abstrakte Grafik nebeneinander standen. Das hat mich etwas hinweggetröstet über die Enge in der Bundesrepublik.
Ich hatte also diese Kamera und auch schon Fotografien ausgestellt. Manfred wußte davon. Wir hatten beide an der Akademie studiert, waren beide Kunsterzieher geworden und kannten uns als Kollegen. Der Einstieg in die Aktionen, wenn ich mich recht erinnere, war ein Skandal um das Notstandsschwein von Hans Peter Alvermann in der Winterausstellung. Alvermann hatte ein Sparschwein mit einer schwarzrotgoldenen Bauchbinde versehen, darauf schwarz auf weißem Feld ein Hakenkreuz plaziert und dieses in mehreren Ausführungen in eine Vitrine gepackt, eine schöne bürgerliche Vitrine, in die man von oben hineinschauen konnte. Kurz vor der Eröffnung kam die Staatsanwaltschaft und schleppte das Ding hinaus. Wir nahmen diesen Vorfall zum Anlaß, die Winterausstellung generell und in ihrer verstaubten Konzeption, wie wir damals behaupteten, anzugreifen.
Es ging Ihnen also nicht nur um die Zensur, sondern auch um das antiquierte Ausstellungsmuster?
Es fehlten dort jene Inhalte, die wir schon im Kopf, aber noch nicht realisiert hatten. Wir haben uns dort gelangweilt. Tatsächlich war das Klima relativ ruhig, bürgerlich, jedenfalls so, daß man dort nicht hätte diskutieren können. Und die gesellschaftlichen Probleme, die wir um uns herum sahen, kamen eben nicht vor. Wir haben eigentlich nur die Feststellung formuliert: PSR, politisch soziale Realität, mußt diskutiert werden, und die Kunst leistet das im Moment nicht.
Manfred Koenig und Sie waren Kunsterzieher. Welche Mitglieder gab es noch? Aus welchen Sparten kamen die?
Im Laufe der Zeit hat sich der Kreis einerseits durch unsere jeweiligen Frauen erweitert, Rosemarie Stein, die damalige Frau von Manfred Koenig, und Eva Wolter, meine spätere Frau. Sie waren beide eine ganze entschiedene Bereicherung für uns. Dann kamen Leute aus dem Journalismusbereich hinzu. Dann Bruno Bendig, ein Sozialarbeiter, und Veit Thurske, ein sehr engagierter Typ, der später Galerist geworden ist und der damals in der Kunsthalle die Brüning Retrospektive – er selbst war Schüler bei Peter Brüning – organisiert hatte. Die Gruppe blieb, wie die meisten Künstlergruppen, nicht länger als vier Jahre zusammen.
Wie erklären Sie sich, dass sich Ihnen keine bildenden Künstler angeschlossen haben?
Ich war ja eigentlich selber ein bildender Künstler. Das, was wir machen wollten, schien weder mir noch anderen mit dem klassischen Medium der Malerei umsetzbar. Ich habe das erst Jahre später versucht, die Connection zwischen Malerei und Fotografie wieder aufzubauen. Aber in der Phase schien mir das Medium Fotografie viel frischer, viel direkter, auch viel leidenschaftlicher, um soziale Probleme zu fassen. Die Anknüpfung an die Realisten der 30er Jahre, zum Beispiel Otto Dix und Käthe Kollwitz, ist uns damals nicht gekommen oder ist nicht plausibel gewesen. Der andere Grund war aber auch, daß es in der Malerei niemanden gab, der soziale Themen in Angriff nahm. Die Malerei war in einem gewissen Formalismus erstickt, der sich immer irgendwann um sich selber drehte und sein Futter aus der amerikanischen Szene bezog, Sam Francis, Jackson Pollock, usw. Wir fanden das sehr spannend, aber der Nachvollzug läuft sich dann irgendwann tot. Wir brauchten einen neuen Zugriff auf Realität, den Realismus nicht als eine Doktrin aber als eine Tendenz im Sinne von Kunst als einer Auseinandersetzung mit einer wie immer gearteten äußeren Wirklichkeit – und nicht das Entwickeln von Bildern aus dem vollen Kanon des Quadrats oder des Rechtecks der Leinwand. Ich habe bis heute diese Vorstellung.
Was glauben Sie, woher kam Ihre Haltung? Sie haben eben schon selbst auf die Studentenrevolte angespielt.
Wenn ich das so einfach beantworten könnte. Manfred und ich, wir waren keine Anhänger von Rudi Dutschke, wir waren auch ein bisschen älter, auf jeden Fall waren wir keine Studenten mehr. Die Entwicklung interessierte uns aber trotzdem. Ich weiss noch, daß ich zur großen Kundgebung über die Notstandsgesetze nach Bonn gefahren bin. Ich bin dorthin gefahren aus Neugier, aber nicht unbedingt weil ich politisch enorm engagiert war. Mehr weil es mich fasziniert hat, die Massenbewegung zu fotografieren und im Beethovensaal Wolfgang Abendroth und den Gebrüdern Wolff [Vorstandsmitglieder des SDS, Anmerkung R.B.] zuzuhören. Mich hat auch in Erstaunen versetzt, welche Disziplin und Ruhe bei diesen unglaublichen Menschenansammlungen herrschte, ganz im Gegenteil zu dem, was die Zeitungen darüber schrieben. Die Teach-ins zogen sich manchmal über 24 Stunden hin. Ich als Zuhörer, Fotograf und interessierter Medienmensch hatte überhaupt nicht die Idee dort zu zeichnen, da mir die Kamera viel näher war.
Die Sache hatte eine formal künstlerische Seite. Ich hatte vorher Quallen, Gullys, Trümmer, alles mögliche, was mich formal interessierte, fotografiert. Jetzt war ich interessiert, Menschen, Bewegungen und gesellschaftliche Prozesse, wie wir es damals nannten, zu fotografieren. Die gesellschaftlichen Prozesse darzustellen und zu beeinflussen in einem wie auch immer gearteten fortschrittlichen Sinn, war unser Ziel. Dafür war die Malerei ein viel zu schwerfälliges Medium, meiner Meinung nach. Ich hatte keinen Zugang mehr und die anderen offensichtlich auch nicht. Die Maler guckten uns mehr oder weniger mit Erstaunen an, was wir dort machten. Teilweise gab es in der APO auch eine gewisse Kunstfeindlichkeit, was in Berlin dazu führte, daß die Leute mit den Messern bewaffnet durch Galerien liefen und die Leinwände aufschlitzten. Das habe ich selber nicht mitgekriegt, denn in Düsseldorf war die Stimmung nicht so aggressiv. Die Kunst war als bürgerliches Relikt passé, und etwas Neues mußte her. Das waren eben die neuen Medien. Damals waren für uns Ton und Bild in Kombination eine Möglichkeit, diese Prozesse darzustellen und wenn möglich zu beeinflussen. Als drittes kam das Printmedium der primitivsten Form dazu: das Flugblatt. Mit den drei Elementen Bild, Ton (und später auch Film) sowie Flugblättern haben wir dann operiert.
Kurze Zeit nach dem Protest in der Winter-Ausstellung (Dezember 1968), in der Sie und Manfred Koenig sich zu Wort gemeldet hatten, wurde das sogenannte PSR-Studio ins Leben gerufen, das dann sehr schnell die Kunsthalle ins Visier nahm. Seit Januar 1969 hat die PSR mit Aktionen und Pamphleten das Programm und die Organisationsform der Kunsthalle kritisiert. Was genau haben Sie mißbilligt?
Uns schien die Kunst und auch die Vermittlung der Kunst in irgendeiner Form tot gelaufen, die Kommunikationskraft der Kunst weitgehend erloschen zu sein. Die Kunst fungierte mehr als ein gesellschaftlicher Rahmen der bürgerlichen Oberschicht. Zwar schauten die Kunsthallen verachtungsvoll auf die französischen Salons und glaubten, zur Avantgarde zu gehören, aber vom gesellschaftlichen Klima her, also Jurieren, Auswahl, Galerien, Macht usw., war der Unterschied nicht so groß. Das war ein Grund. Und der zweite Grund war, daß wir im Kunstbereich großgeworden waren. Wären wir Sozialarbeiter gewesen, hätten wir wahrscheinlich ein Sozialamt gestürmt. Die Studentenbewegung hat sich ja auf der Straße abgespielt. Das waren keine Kunststudenten, sondern meistens Politologie- und Journalismusstudenten. Deshalb haben sie sich auch nicht mit der Kunst beschäftigt. Die APO, wenn man so will, schwappte in den Kunstbereich – das hat man uns ja unterstellt, wir seien APO –, weil sich die Künstler bis dorthin noch nicht politisch geäußert hatten. Deshalb haben wir uns dort bemerkbar gemacht, wo wir zu Hause waren, das heißt im Kunstbereich.
Sie behaupteten also, daß es sich beim Kunsthallenpublikum um einen geschlossenen Zirkel handelte und daß man die Kunsthalle für neue, insbesondere für bislang an Kunst uninteressierte Bürger attraktiv machen müßte?
Ja, das war sicherlich eines unserer Konzepte. Und wenn man das will, dann muß man auch andere Inhalte transportieren. Man kann nicht die Kunst, gewissermaßen wie eine biblische Predigt, an die Bevölkerung bringen, man muß auch mit den Medien der Kunst auf die Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung reagieren.
Haben Sie nicht sowohl den Künstlern als auch den Bürgern mit dieser Forderung Ihre Selbstbestimmung abgesprochen? Gerade Künstler pochen auf ihre künstlerische Freiheit und wollen nicht verpflichtet sein, auf die Bedürfnisse potentieller Besucher einzugehen. Und längst nicht jeder Bürger wird sich von Kunst angesprochen fühlen und statt dessen vielleicht andere städtische Angebote bevorzugen, z.B. Theater, Bibliotheken, Konzerte oder Sportveranstaltungen.
Es ist zwar eine schichtenspezifische Argumentation, aber ich würde bis heute sagen: Weil die Kunsthalle vom Steuerzahler finanziert wird, darf es kein Privileg der gebildeten Oberschicht sein. Das war aber nicht unser Hauptantrieb. Entscheidender war, daß es in der gesellschaftlichen Isolation, im Bereich der Atelierprobleme wie wir es nannten, eine Art Selbstbespiegelung gab. Kunst reagiert auf Kunst, reagiert auf Kunstkritik, reagiert auf Kunstausstellungen, auf Kunstmarkt, und, und, und. Das Karussell dreht sich. Wenn man als junger Mensch dieses Karussell beobachtet, dann hat man das Bedürfnis, das Karussell anzuhalten oder die Karussellfahrt in den freien Verkehr umzuleiten. Die selbstreferentielle Art des Kunstbetriebs spielte eine wesentliche Rolle. Die aufzubrechen, war ein Stück gesellschaftlicher Veränderung, die wir anstrebten.
Zur Eröffnung der Minimal Art-Ausstellung Mitte Januar 1969 trumpfte die PSR mit einem Go-in auf. Das PSR-Studio und eine Schar von Demonstranten stifteten erst mal Verwirrung in der Eröffnungssituation, dann wurde mit Ruhrberg diskutiert. Ging es der Gruppe mit dieser Aktion darum, ihre Vorschläge zur „Demokratisierung der Kunsthalle“ in die Öffentlichkeit zu tragen oder hatte die PSR gezielte Einwände gegen die Minimal Art-Ausstellung vorzubringen?
Die Minimal Art kam uns wie gerufen, weil die Minimal Art uns erschien, wie ich es in einem Flugblatt formuliert habe: Statt der Denkmäler nun die Sockel. Ich will nicht behaupten, dass sie das ist, denn man kann sie auch anders interpretieren. Die Kunst präsentiert ihre Präsentationsform und weiter nichts. Natürlich steckt in diesem Nichts auch eine Provokation. Sie schreit nach Inhalten. Es stehen die Sockel da, es hängen die Rahmen da. Also, Inhalte sind tot, es gibt nur noch das Medium. Man kann es so oder so drehen. Man könnte auch sagen, die Minimal Art erreichte ihr Ziel, indem sie das Vakuum herstellte, das nach Inhalten schrie. Wir haben nicht direkt die Minimal Art angegriffen, sondern den Kunstbetrieb, wie er sich am deutlichsten in der Minimal Art akzentuierte, indem er zuletzt gar nichts bot, außer eben stummen Formen im Raum. Dem haben wir das Geschrei entgegengesetzt. Wir haben in einem Flugblatt zugespitzt gesagt, daß der Kunstbetrieb nun endgültig bei Null angekommen sei. Offensichtlich waren wir nicht die einzigen. Die PSR bestand aus sechs Personen, aber unsere Flugblatt-Aktion hatte auch andere auf den Plan gerufen. Das gefiel uns natürlich, weil wir gesellschaftliche Prozesse initiieren wollten. Das haben wir offensichtlich auch geschafft. Die Eröffnung ist friedlich verlaufen, keine Schlägerei, keine Zerstörungen – wir hatten auch mit nichts anderem gerechnet. Allerdings wollte ich fotografieren. Und zwar relativ unbefangen, auch in die Gesichter hinein, und ich habe diejenigen nicht gefragt. Ich meinte, dieses Medium auch benutzten zu dürfen, weil die Situation nach einer Dokumentation verlangte. Wobei ich den Hintergedanken hatte – ich glaube, das ich ihn damals hatte, und mir das nicht heute einrede –, daß es mir gefiel, gesellschaftliche Prozesse zu initiieren und gleichzeitig zu dokumentieren. Das, was die Performances und Happenings auf rein ästhetischem Niveau machten, das wollte ich im politisch-gesellschaftlichen Raum.
Wie verlief die Diskussion mit Ruhrberg?
Es gibt in den Düsseldorfer Heften dazu einen ausführlichen Bericht. Klaus Ulrich Reinke, der Autor, hat natürlich mit polemischem Unterton referiert. Inhaltlich lief die Diskussion schon darauf hinaus, daß gesellschaftliche Probleme in der Kunsthalle, überhaupt in der Kunst, nicht zur Sprache kamen und wir das forderten. Es gibt in der Kunstgeschichte selbstverständlich reichlich Verbindungen der Kunst zu gesellschaftlichen Problemen, aber in der damaligen Szene der Bundesrepublik wurde das gnadenlos ausgespart. In dieses Vakuum sind wir eingebrochen. Ruhrberg vertrat in der Regel den Standpunkt, daß nur der Bäcker weiß, wie man Brötchen backt und sie bei den anderen nichts werden (ein Beispiel, das er selbst brachte). Demzufolge könne auch der Kunstbetrieb nur von Fachleuten organisiert werden, sonst würde das ein riesiges Durcheinander – womit er in gewisser Hinsicht auch recht hatte. Nur unsere Position war, daß dieser elitäre Kreis – im Sprachjargon der damaligen Zeit war der Begriff elitär negativ besetzt – den Leuten vorschrieb, was sie zu sehen hatten und was nicht. Das, was die Leute interessierte, kam deshalb nicht vor. Der Kunstbetrieb flachte immer weiter ab, bis zum Desinteresse und zur Spezialgalaveranstaltung einiger Experten und Leute, die sich aus Prestigegründen sehen ließen.
Wir waren zwar Pädagogen, aber wir hatten nicht die pädagogische Absicht, der Kunst auf die Beine zu helfen, sondern wir wollten die Kunsthalle benutzen, um unsere Ziele zu artikulieren. Wir waren als Kunsterzieher und Künstler in diesem Bereich zu Hause, deshalb haben wir dort argumentiert. Wir waren keine Fabrikarbeiter, keine Sozialarbeiter usw. Uns war die Kunsthalle als Ort einfach vertrauter für unseren Auftritt.Den ersten Moment dieses Auftritts in der Kunsthalle hat die PSR zwar geplant, aber was dann geschah, hatte seine Eigendynamik und entzog sich ihrem Einfluß.
Als Diskussionsteilnehmer waren wir vielleicht ein Zwanzigstel. Die Diskussion schwappte wirklich über. Das war genau der Punkt, an dem mein Interesse immer größer wurde. Ich hatte nicht so sehr ein Interesse daran, mit Ruhrberg über Kunst und Nicht-Kunst zu diskutieren, sondern war vielmehr daran interessiert, gesellschaftliche Prozesse in Gang zu setzen, was immer dabei herauskam.
Vielleicht kam dabei heraus, daß sechs Wochen später die erste between-Ausstellung organisiert wurde? Die PSR war zu dieser Veranstaltung eingeladen, zum einen als Teilnehmer der Diskussion, die im Anschluß an das zweitägige between stattfand, und zum anderen mit einem sogenannten Schallraum. Haben Sie noch Eindrücke behalten von den Arbeiten der teilnehmenden Künstler?
Ja, ein bißchen vage. Die Landschaft von Bazon Brock und seine Diskussion habe ich natürlich beobachtet. Fotografiert habe ich die Landschaft leider nicht. Er hatte die Landschaft auch nur als Wegwerfprodukt, analog zu seiner Theorie der Wegwerfgesellschaft, konzipiert. Es gehörte auch dazu, nichts für die Ewigkeit zu schaffen, sondern nur etwas für die Reflexion. Graubners Nebelkammer habe ich fotografiert, weil sie mich wahrscheinlich optisch interessierte. Wenn die Leute so im Nebel versanken, hatte es zudem für mich die polemische Seite des Vernebelns: Kunst vernebelt. Vielleicht wollte Graubner das auch? Ich habe das jedenfalls so gelesen. „Nebelkerzen werfen“ ist beispielsweise eine Redewendung, die mir dabei in den Sinn kam. Die Anatol-Szene habe ich beobachtet und fotografiert. Die Farbfotos und Dias habe ich wohl für meine Schüler gemacht und nicht, um damit PSR- mäßig zu argumentieren. Anatol machte auch etwas, was ich aus meiner PSR-Perspektive kritisiert hätte. Der Künstler wickelte sich in einen Kokon ein (rundherum waren Schmetterlinge aufgebaut) und verschwand nach und nach dadrin. Eindeutig das Gegenteil einer Befreiung.
Die Befreiung kam dann aber!
Ach ja, später hat er sich befreit. Dann war da noch Tony Morgan. An seine Aktion kann ich mich seltsamerweise kaum erinnern. Aber ich habe Fotos gemacht.
Im Programmblatt zu between 1 wird die PSR mit einem Schallraum angekündigt. Was darf man sich darunter vorstellen?
Ich erzählte Jürgen Harten die ursprüngliche Idee zu dem Begriff, und daraufhin ist dieser Begriff in die Einladungskarte aufgenommen worden. Im oberen, fast quadratischen Raum der Kunsthalle sollte in jeder Ecke ein Lautsprecher angebracht werden, um das Diskussionsmaterial, das wir von verschiedenen Diskussionen aus dem Kunstbereich mitgeschnitten hatten, von vier Tonbandgeräten gleichzeitig ablaufen zu lassen. In der Mitte sollte ein Stuhl stehen. Man hätte sich draufsetzen und alle Diskussionen gleichzeitig hören können. Die Töne sollten sich zudem zu einer akustischen Collage vermischen. Es blieb dann bei der Idee, sie wurde nicht realisiert. So wie man es heute mit der Text-Schrift-Kunst macht, mit überlagerten, sich immer wiederholenden Druckpartien, so ähnlich habe ich mir das damals mit dem Schall vorgestellt, denn wir hatten das Tonbandgerät als Medium für unsere PSR-Arbeit akzeptiert. Die Idee stieß aber innerhalb der PSR-Gruppe nicht auf Gegenliebe, weil mit einer gewissen Berechtigung gesagt wurde, dass es die Inhalte in Frage stellen würde. Was ich vielleicht auch wollte. Wenn man sich Ruhrberg, Schmalenbach und auch die PSR in der Diskussion „Minimal Art ja oder nein“ anhörte, dann würde das einen Wortsalat ergeben. Ich mochte die Idee, aber ich wollte sie nicht gegen die anderen durchboxen. Außerdem wäre es sehr schwierig gewesen, es technisch zu realisieren. Wir haben dann auf inhaltlich abhörbare Bänder, Inhalte und Sequenzen umgeschaltet. Insofern war es schon ein Schallraum, denn man konnte sich unser akustisches Material anhören. Aber zu einer Ton-Collage wurde es nicht umfunktioniert.
Die Fortsetzung der Diskussion, die mit Ruhrberg während der Minimal Art-Ausstellung spontan begonnen hatte, war für das between angesetzt. Die PSR wiederholte dort ihren Standpunkt, die Kunsthalle in ein Kommunikationszentrum umzuwandeln. Damit verbunden war die Abschaffung der Kunsthallenleitung, an deren Stelle ein in regelmäßigen Abständen gewähltes Gremium treten sollte, das nicht als Auswahlgremium, sondern mehr als Organisationsgremium fungieren sollte. Neben anderen Angeboten und Veranstaltungen waren juryfreie Kunstausstellungen das Ziel, denn Selektion unter den Künstlern empfand die PSR als Widerspruch zur „Freiheit der Kunst“. Wie waren die Reaktionen auf solche provokanten Vorschläge?
Wir wurden natürlich angegriffen mit dem Argument, dass Fachleute nötig wären. Wir hatten unsererseits im Umfeld Erfahrungen gesammelt. Die juryfreie Berliner Ausstellung beispielsweise mit dem ersten Auftritt von Timm Ulrichs, wo er sich selbst als Künstler präsentierte. Das hätte keine Jury zugelassen. Baselitz wurde zum Beispiel mit seinen Bildern ausjuriert. Den Ehrenhof hatten wir schon attackiert. Die Tatsache, daß eine Kunstelite bestimmte, was Kunst war und was nicht, erschien uns als Bremse für die Kunstentwicklung. Wobei ich das heute alternativ sehe. Man braucht auch Widerstände. Wenn die Kunst sich unverbindlich auflöst und jeder tun und lassen kann, was er will, dann weiß man nicht, wogegen man kämpfen soll. Die festen Institutionen haben den Vorteil, daß man dagegen anrennen kann. Ich glaube, man muß genau diese Dynamik mit einberechnen. Wir hatten die Kunsthalle und konnten dagegen anrennen. Hätten wir ein Kommunikationszentrum vorgefunden, hätten wir nichts bewegen können, auf jeden Fall nicht diesen Aufstand. Das war auch ein Rollenspiel zwischen Ruhrberg und mir, so habe ich das damals auch aufgefaßt. Harten hielt sich ein bißchen zurück. Der eine konnte die Rolle der Autorität, des Kunsthallendirektors, spielen und der andere die Rolle des Umstürzlers.
War eine Kompromissbereitschaft von beiden Seiten gegeben?
Ja, und im Grunde kam etwas dabei heraus. Was die Kunsthalle betrifft, auf jeden Fall ein reger Zulauf. Die betweens – wenn Sie das so sehen, würde ich da nicht widersprechen – sind eine Reaktion auf die gesellschaftliche Unruhe ganz allgemein, – wobei die PSR auch eine Rolle gespielt hat – und sie sind sicherlich eine Bereicherung für den Kunstbetrieb gewesen. Es gibt ständig diesen Konflikt zwischen dem Bestehenden und dem Werdenden, und dazu gehörten wir sicherlich auch. Daß wir die Kunsthalle zum Ziel nahmen, lag bestimmt daran, dass sie lebendiger war als die Kunstsammlung im Jägerhof oder der Kunstverein.
Wie alle Veranstaltungen der Kunsthalle wurden auch die betweens von der PSR kritisch kommentiert. Die PSR forderte zum Beispiel freien Eintritt für die betweens. Oder es wurde in einem Flugblatt die Sorge geäußert, daß die „betweens noch exklusiver“ würden als das restliche Ausstellungsprogramm. Könnte man trotzdem sagen, daß die between-Veranstaltungen ansatzweise Ihrer Vorstellung einer alternativen Kunsthalle entgegenkamen?
Ja und nein. Einerseits fanden wir diese Neuentwicklung interessant, andererseits hatten wir das Gefühl, es ginge auch um die Kanalisierung von Protest. Bei between entdeckten wir zwar nicht unbedingt einen Ansatz, gegen den wir handeln mußten, aber dennoch war der Inhalt der betweens sehr avantgardistisch und auf eine spezielle Kunstszene bezogen. Sie funktionierten auch in diesem Bereich und brachten nicht das, was wir haben wollten, eben sozialpolitische Inhalte. Das haben wir bei between 5 versucht und an einem Beispiel präsentiert. Wir wollten eine sozialpolitische Diskussion mit massiven Inhalten und nicht nur eine Präsentation von Spielmöglichkeiten innerhalb der Kunst.
Text auch in:
Chronik einer Nicht-Ausstellung, between 1969-73, erschienen zur Ausstellung
Kunsthalle Düsseldorf 1967-2007, 40 Jahre am Grabbeplatz, 27.Januar - 9. April 2007
Wie kam es zu der Einladung zu between 5?
Harten kam zu uns. Wir haben uns sein Interesse so erklärt: Vielleicht wollte man uns wieder als Anreger haben. Wir haben in der Kunsthalle für Bewegung gesorgt, haben Ärger gemacht, aber wenn es dann wieder einschläft ist, wundert man sich, warum es nicht weiter geht. Wir hatten ziemliche Publikums- und Presseresonanz, die ging ja bis in Die Zeit. Darauf waren wir natürlich sehr stolz, auch weil dort die Minimal Art verrissen worden war. Ein weiterer Grund für Hartens Interesse war eine Ausstellung, die aus Schweden kam und den Titel führte Verändert die Welt! Poesie muß von allen gemacht werden! Von den Organisatoren wurde gewünscht, daß jeweils ein lokaler Teil die Ausstellung auf der Tournee ergänzen sollte. Es gab schlicht und ergreifend niemanden in Düsseldorf, der das im Sinne der Ausstellungsmacher hätte machen können. Wir waren die einzigen, die dafür in Frage kamen. Ruhrberg hat dann seine Antipathien eine Zeit lang verdrängt. Ich glaube, Harten hatte sie gar nicht. In der Zwischenzeit hatten wir, das war bekannt, im Bereich der Obdachlosigkeit gearbeitet und Fotos gemacht. Der äußere Anlaß war, daß es ein Jugendzentrum mit Drogenproblemen gab. Wir wollten soziale Themen mit unseren Techniken Fotografie, Interview und später Film behandeln. Natürlich haben wir uns nicht in der Kunstszene bewegt, sondern genau dort, wo die Kunst eigentlich nicht hinkommt. Dadurch sind wir auch an die Obdachlosenunterkunft am Tichauer Weg gekommen, die übrigens zwei Jahre nach unserer Dokumentation abgerissen worden ist. Wir hatten darüber kistenweise Material, Tonbänder, Fotos usw. Harten wußte wohl, daß wir dieses Thema bearbeitet hatten. Harten hat uns dann eingeladen, in dem oberen Raum der Kunsthalle (Balkon) teilzunehmen. Wir bekamen sogar 2000,– DM für die Materialkosten. Wir haben dann ein Konzept entwickelt, wie wir die Obdachlosigkeit dokumentieren können: Stellungnahmen der Stadtverwaltung, Fotos aus den Siedlungen, Interviews, Paragraphen. Als Medium benutzten wir die Wandzeitung. Das war damals das aktuelle Medium. Es kam mehr oder weniger aus China aus der Kulturrevolution. Wir fanden das gut. Wir haben weniger den regressiven, politischen Teil dabei bedacht, sondern mehr die Form der Wandzeitung, die allen erlaubt, ihre Meinung zu äußern. Wir haben Bitumenpapier, eine Art Packpapier mit Teer und Fäden, benutzt, darauf die Fotos geklebt und mit Schablonenschrift die Texte geschrieben. Im Raum war die Wandzeitung ringsum befestigt. Zusätzlich haben wir ein Raummodell aufgebaut, um zu zeigen, wie ein solches Obdachlosenzimmer aussieht, wie das mit Mobiliar vollgestopft ist, wie wenig Platz die Leute haben. In den Kinoraum haben wir einen Film, den wir gedreht hatten, hineinprojiziert mit zwei Filmprojektoren, einen für Super 8 Format und einen für 16mm Format, außerdem hatten wir zwei Dia-Projektoren mit Dia-Material aufgebaut. Die liefen gleichzeitig. Wir konnten keine filmischen Interviews aufnehmen, da wir noch nicht die Technik besaßen. Deshalb haben wir das, was die Obdachlosen sprachen, als Text mit Dias an die Wand projiziert, also in einer Multivision kombiniert, die im Abstand von zwei oder drei Stunden lief. Unten im Kinosaal befand sich eine aufblasbare Fläche der Gruppe Haus Rucker. Wir waren darüber sehr wütend, denn für uns war es ein Beweis, daß kein ernstzunehmendes Interesse am Inhalt bestand und wir nur einen Akzent setzen sollten. Mich persönlich hat es eigentlich nicht gestört, den Manfred auch nicht, aber einige Stimmen in der Presse warfen uns vor, daß wir zuerst die Kunsthalle angegriffen hätten, dann aber uns selber einkaufen ließen. Ich persönlich habe damit keine Probleme, weil ich denke, daß man mindestens auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen muß, sonst kommt man in der Gesellschaft nicht weiter. Dieser Purismus lag mir damals nicht und liegt mir auch heute nicht. Ein bißchen haben wir uns aus der Affäre gezogen, indem wir eine Initiative Obdachlosigkeit eingeleitet und die Obdachlosen in die Kunsthalle eingeladen haben. Wir können immerhin für uns in Anspruch nehmen, daß wir sicherlich die einzigen bis heute sind, die Obdachlose in die Düsseldorfer Kunsthalle gebracht haben. Wir hatten schon die Überzeugung, dass man die Leute erreichen kann, wenn man die richtigen Inhalte transportiert, nämlich solche, die sie betreffen. Solange die Kunst inhaltslos ist, interessiert sie nur eine intellektuelle ästhetische Oberschicht.