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Annette Bültmann
 
Wurmlöcher
 
Stephen Hawking beschreibt in "Das Universum in der Nußschale" Wurmlöcher als hypothetische Raumzeitröhren, die verschiedene Regionen von Zeit und Raum verbinden.
Die Einsteinsche Theorie geht davon aus, dass jede Masse den Raum in ihrer Umgebung krümmt, und zwar umso stärker je größer sie ist. Nachgewiesen wurde das bei einer Messung während einer Sonnenfinsternis im Jahre 1919. Einstein ging davon aus, dass durch die Masse der Sonne auch das Licht von Sternen abgelenkt wird. Ein Lichtstrahl eines Sterns, der nah an der Sonne vorbeiliefe, müsse zur Sonne hin abgelenkt werden, um 1.75 Bogensekunden, wie er errechnete. Dies konnte nur während einer totalen Sonnenfinsternis nachgewiesen werden, weil ja sonst am Tage das Licht der Sonne das der Sterne überstrahlt. Während einer Sonnenfinsternis müssten die Sterne in Sonnennähe um den errechneten Wert von ihrer nächtlichen Position abweichen. Durch eine Expedition des Physikers und Astronomen Erwin Freundlich zur Sonnenfinsternis 1914 in Russland sollte dies bewiesen werden, aber der erste Weltkrieg führte dazu, dass die Expedition in Gefangenschaft geriet. 1919 wurde eine britische Expedition zur Sonnenfinsternis auf die Insel Principe vor Westafrika geschickt, eine andere nach Sobral in Brasilien. Als schließlich im November 1919 die Ergebnisse verkündet wurden, die Einsteins Vorhersage bestätigten, wurde er von der Londoner Times als der neue Newton gefeiert, und es begann sein Weltruhm.
Im für menschliche Beobachter meist geraden dreidimensionalen, tatsächlich aber durch Massen an unterschiedlichen Orten unterschiedlich stark gekrümmten Raum kann es, zumindest theoretisch, Abkürzungen geben, auf denen kosmische Reisende scheinbar mit Überlichtgeschwindigkeit von einem Ort zum anderen gelangen, so wie ein Wurm sich auf kürzerem Wege durch ein Loch zur anderen Seite des Apfels bewegen kann, als er sich an der Oberfläche des Apfels bewegen würde. Die Abkürzung des Wurmlochs bewegt sich nicht entlang des gekrümmten Raums, sondern auf direktem und damit kürzerem Wege zu einer entfernten Raumregion.
Albert Einstein und Nathan Rosen veröffentlichten 1935 ein Papier, das ein Wurmloch zwischen einem schwarzen und einem weißen Loch beschreibt, damals wurde es noch nicht Wurmloch genannt, sondern Einstein-Rosen-Brücke.
Während Einstein und Rosen von statischen schwarzen Löchern ausgingen, wurden nach den mathematischen Grundlagen des Physikers Roy Kerr in den 60er Jahren rotierende schwarze Löcher berechnet, und 1997 wurde mit Hilfe eines Röntgensatelliten das erste rotierende schwarze Loch entdeckt. Die in den Sog des schwarzen Loches gezogene rotierende Materie erzeugt Röntgenstrahlung. Die in rotierenden schwarzen Löchern denkbaren Wurmlöcher werden Kerr-Tunnel genannt. Im Inneren eines schwarzen Loches befindet sich eine Singularität, ein Punkt mit unendlicher Dichte und Raumzeitkrümmung. Alle Materie in der Umgebung wird in diesen Punkt hineingezogen, auch das Licht wird hineingezogen und kann nicht wieder herausgelangen, daher stammt der Begriff schwarzes Loch. In einem rotierenden schwarzen Loch ist die Singularität nicht punkt- sondern ringförmig. Ein hypothetischer Raumfahrer, der in ein schwarzes Loch einreisen will, wird bei so einem ringförmig rotierenden schwarzen Loch nicht zwangsläufig in die Singularität hineingezogen, sondern könnte durch das Zentrum des Ringes hinein fliegen in ein Wurmloch, das dort beginnen könnte, den Kerr-Tunnel. Kann der fiktive Raumfahrer nun, falls sich auch am anderen Ende des Wurmlochs ein rotierendes schwarzes Loch befindet, durch dessen nichtsinguläres Zentrum wieder unbeschadet ausreisen? Bisher geht man davon aus, dass Wurmlöcher nicht stabil sind, dass die Reise in ein Wurmloch eine Störung verursachen würde, durch die es vernichtet würde.
Es gibt nun Überlegungen, ob ein Wurmloch stabilisiert werden könnte durch so genannte exotische Materie, die von dem Physiker Kip Thorne postuliert wurde. Sie müsste eine negative Masse haben, so dass von ihr nicht Anziehungs- sondern Abstoßungskräfte ausgehen würden. Stephen Hawking vermutet dass solche Materie in der Umgebung schwarzer Löcher entstehen könnte, aber kann sie zur Stabilisierung von Wurmlöchern verwendet werden?
Bisher wurde die Existenz von Wurmlöchern zwar vielfach berechnet, aber noch nicht durch Messungen nachgewiesen.
Im Bereich der Science-Fiction und Fantasy gehören nichtdestotrotz Wurmlöcher bereits zum Alltag der Reisenden. Diese Geschichten erinnern aber teilweise eher an ein Motiv das sonst eher aus der Mythologie, der Märchen- und Sagenwelt oder dem Schamanismus bekannt ist, Reisen in die "Anderswelt", eine Welt die in Trance oder an bestimmten Orten betreten werden kann, an mythologischen Orten wie heiligen Hainen oder auf sagenumwobenen Inseln, wo die menschliche Welt mit der anderen Welt zusammentrifft. Weitere Möglichkeiten die alltägliche Welt zu verlassen sind Gewässer, Brunnen, und ähnlich spiegelnd die Kristallkugel.
In Science-Fiction-Filmen finden gelegentlich Reisen durch Wurmlöcher statt, die aber dann oft instabil sind, was sich spannungsfördernd für viele Szenen auswirkt, in denen ein Raumschiff noch schnell aus dem kollabierenden oder seinen Ort verändernden Wurmloch entkommen muss. Wurmlöcher führen in weit entfernte, entlegene, fremdartige Bereich des Weltraums.
Der "Deltaquadrant" in der Serie Star Trek ist ein entfernter und bisher unerforschter Teil der Galaxis, der normalerweise nur in Jahrzehnten zu erreichen wäre, aber in einer Folge der Serie kurzzeitig durch ein instabiles Wurmloch besucht werden kann, das Shuttle muss dann aber wegen der Instabilität des Wurmlochs schnellstens zurückkehren.
Dann gibt es noch, ebenfalls im Star Trek-Universum, den Jahrzehnte entfernten "Gammaquadranten", der durch das "bajoranische Wurmloch" erreicht werden kann. Es ist ein wichtiger Bestandteil der Star-Trek-Staffel "Deep Space Nine", diese Raumstation wird in die Nähe das Wurmlochs verlegt, das auf rätselhafte Weise über längere Zeiträume stabil zu sein scheint. In diesem Wurmloch leben die "Bajoranischen Propheten", zeitlose Wesen, die das Wurmloch stabil erhalten. Sie haben den Bewohnern des Planeten Bajor Gegenstände gegeben, die von diesen religiös verehrt werden, die "Drehkörper", auch "Tränen der Propheten" genannt, die aber neben der Bedeutung als Kultgegenstände auch bestimmte Funktionen haben, zum Beispiel der Drehkörper der Zeit, der Drehkörper der Prophezeiung, der Drehkörper des Abgesandten. Das Leben auf dem Planeten Bajor ist stark religiös geprägt, und das Wurmloch wird auch als "Heiliger Tempel" bezeichnet. Die Wurmlochwesen kommunizieren mit Bajoranern und Menschen durch Visionen.
Aber nicht nur die Wurmlochwesen sind außergewöhnliche, übernatürlich wirkende Wesen, sondern auch die Bewohner des Gammaquadranten. Diese sind großenteils Formwandler, im Englischen "Changelings", was auch mit "Wechselbälger" übersetzt wird, sie können die Gestalt von menschlichen Figuren der Serie, aber auch von Gegenständen annehmen. Ein Wechselbalg war in der Mythologie ein Kind von Elfen oder Geistern, das gegen ein Menschenkind ausgetauscht wurde, oft von den Eltern zunächst unbemerkt. Auch wenn diese Vorstellungen von vertauschten Wesen großenteils in Vergessenheit geraten sind, tauchen sie wieder auf in den Weltraum-Stories.
In dem Kinofilm und der darauf folgenden Serie Stargate reisen Personen durch Wurmlöcher, die von einem Stargate zum anderen führen, von Planet zu Planet. Als Symbionten in Menschen lebende Außerirdische haben die Sternentore erschaffen und verkörpern Gottheiten der Ägypter, aber auch verschiedener anderer Kulturen, um in dieser Gestalt die Menschen auf diversen Planeten ausbeuten zu können. So wimmelt auch diese Serie von religiös und mythologisch wirkenden Gestalten, und durch die runden wie ein Wasserspiegel wirkenden Portale gelangen die Stargate-Teams in immer wieder andere mysteriöse Welten. Gottheiten mit Tierköpfen, glühende Augen, hallende Stimmen, unbekannte Schriftzeichen, was will man mehr in einem geheimnisvollen Fantasy-Universum. Ob diese Serien-Wurmlöcher auch nach wissenschaftlichen Kriterien funktionieren, fragt man sich gelegentlich in Internet-Foren, zum Beispiel welche Energie zur Stabilisierung bei welchem Wurmloch-Durchmesser aufgewendet werden müsste, ob die Stargates nicht ziemlich groß und damit energieaufwendig wären, oder ob sich ein Stargate nach 38 Minuten abschalten müsse, weil ein Wurmloch länger nicht stabil sein könne. Die theoretische Existenz der Wurmlöcher beflügelt, ob es sie nun gibt und wenn ja, ob sie jemals bereist werden können, in jedem Fall die Fantasie und bietet viele Möglichkeiten für interessante Vermutungen, soviel ist gewiss... und die Möglichkeit, im Computer durch virtuelle Wurmlöcher zu reisen.