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Otto Piene verliest Konzepte auf Papier und verbrennt sie dann - Aktion Black out.

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Straßenproteste in Düsseldorf,1968

Ursula Tjaden, links, im Gesräch mit Ingo Dussa bei der Arbeitstagung in Recklinghausen. Erster Kontakt im PSR Projekt Obdachlosigkeit.

PSR Ausstellung der Projekts Obdachlosigkeit in Düsseldorf, Kunsthalle Düsseldorf, 1970

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Das Abschlussbild entstand beim ihrem Besuch zu meinem 60. Geburtstag. Ein Polaroid, dessen Authentizität durch die Unterschrift bestätigt ist.

Damit will ich nun die Folge von Zeitfetzen und Bildern beenden bis zur nächstenBegegnung.

Dir, liebe Ursula Tjaden, wünsche ich alles Notwendige Beste zu Deinem neuen Leben als Forscherin und Künstlerin.

Jörg Boström

Jörg Boström

Erinnerungsstücke für Ursula Tjaden

zu ihrer Pensionierung als Dozentin für Kunst und ihre Didaktik an der Universität Dortmund

Liebe Kollegen und Kolleginnen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Ursula Tjaden.

Aus einer Laudatio, um die ich gebeten wurde, mache ich nun eine Folge von Zitaten und Zeitsplittern. Es kann vielleicht durch ein Gestrüpp von Erinnerungen etwas sichtbar werden über die Entwicklung unseres Faches, unseres Denkens und Handelns. Also auch ein Stück Fachgeschichte, „gesehen durch ein Temperament“. Oder auch, gesehen durch ein Medium, der Fotografie. Ursula Tjaden und ich sind mit einem leichten Vorsprung von mir Teil und Opfer der gleichen Generation. Der Unzufriedenen mit der 50er Kunst- und Didaktikszene und Beobachter und Teil der so genannten 68 Generation, wenn auch schon damals etwas gereifter. Wir sind, wie Teilnehmer einer Wallpurgisnacht, Gestalten und Gestalter: „Du glaubst zu schieben doch du wirst geschoben“, heißt es bei Goethe.

Ein Satz von Karl Marx, zuvor, ein Mann, den zu lesen in unserer Schulzeit fast verboten, in der Studentenzeit 60,70 kaum zu übersehen – keine Seminararbeit kaum aus ohne mindestens 12 Zitate – kaum eine Seminararbeit heute zeigt noch ein einziges, wieder vergessen ist der Gott mit dem Bart, von Marx also ein Satz, der für uns wichtig war.

„Man muss den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller, indem man sie publiziert [...] Man muss die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!“ Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. MEW Bd. 1, S. 380–381. Berlin

Für uns wurde daraus auch ein Druck auf den Auslöser. Meine Arbeit mit der Kamera begann mit Beobachtung der Kunstszene und der Protestbewegung auf den Straßen Auch sie war geprägt von einem Umbruch. Die Gruppe Zero begann, wie sie im Titel ausdrückete, bei Null. Otto Piene bei seiner Szene BLACK OUT. Auch in der damals aktuellen Kunstszene geriet Vieles in Bewegung. Die Gruppe ZERO versuchte einen Neuanfang mit Nägeln und Licht. Uecker, Mack und Piene testeten ihre Ideen in der Düsseldorfer Galerie Schmela. Konzepte wurden entwickelt und nicht nur symbolisch verbrannt. Beuys fügte Material und Mensch und Mystik in nicht nur symbolisch gemeinten Aktionen zusammen. Es drängte uns nach offnen Ausgängen aus dem bestehenden Kunstbetrieb.

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Heinz Mack in der Galerie Schmela

Joseph Beuys mit Studenten während seiner Aussperrung durch die Akademie Düsseldorf

Die Kamera diente uns als Instrument eines Zugangs der Kunst zur sichtbaren Realität, die in der damals herrschenden Kunstszene durch ideologische Sperren verschlossen schien. Der Gegenstand sei nicht mehr tragfähig, behauptete einer der damaligen Chef-Ideologen, Werner Haftmann. Die Kunst habe eine Entastungsfunktion, meinte Arnold Gehlen. Landschaft, Figur, Porträt, out. Nur noch der Fotografie schien die visuelle Wirklichkeit erreichbar.

Das Fotografieren wurde für uns ein künstlerischer Lebensprozess, unmittelbar angeschlossen an die Funktion der Augen, mit dem damit verbundenen Suchtcharakter jeder künstlerischen Tätigkeit.

Es bildete sich vieles und immer wieder ab auf den Negativen, was nur zum Teil in Bilder, in Positive umgeformt wurde. Erst mit der digitalen Technik und der Rückschau auf Vergangenes tauchte vieles wieder auf.

Zu dem Zeitpunkt erwachte so langsam auch unter Kunsterziehern das Unbehagen an der formalen, eingeengten Kunstszene, soweit wir sie um uns herum beobachten konnten. Wir entwickelten die Vorstellung – es ist nicht umsonst die 68er Zeit gewesen –, dass man gesellschaftliche Konflikte beobachten, transportieren und auch darauf einwirken sollte. Ich hatte mit Kollegen in Düsseldorf die Gruppe PSR gegründet und unter diesem Logo Medienaktionen und Protestauftritte organisiert. Bei dieser Tätigkeit lernten Ursula Tjaden und ich uns kennen

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Mein Partner Manfred Koenig hatte eine ganze Liste von Vorstellungen, was PSR alles bedeuten könnte, mir fällt z. B. noch ein: politische Skandalrampe. Das war auch ein bisschen Verarschung der Drei- Buchstaben-Parteien. Fast alle Parteinamen bestehen aus drei Buchstaben. Und deshalb hatten wir auch drei Buchstaben. Zunächst haben wir das ein bisschen ironisch betrieben. Die Konzentration auf die politisch soziale Realität ergab sich im Laufe der Dynamik unserer Arbeit. Zunächst mal wollten wir ja stören. Und im Gegensatz zu der damals herrschenden Ideologie „Kunst als Entlastungsfunktion“ (Arnold Gehlen) sowie zur Aussage „der Gegenstand ist nicht mehr tragfähig“ (Grohmann und Haftmann) wollten wir genau das Gegenteil machen, also belasten und den Gegenstand, sprich den Menschen und die Gesellschaft, wieder ins Spiel bringen. Wie das übrigens in früheren Künsten ganz selbstverständlich der Fall war. Aber die Rolle der Kunst war in der Bundesrepublik der 50er Jahre weit gehend ausgespielt

Es fehlten dort jene Inhalte, die wir schon im Kopf, aber noch nicht realisiert hatten. Wir haben uns dort gelangweilt. Tatsächlich war das Klima relativ ruhig, bürgerlich, jedenfalls so, dass man dort nicht hätte diskutieren können. Und die gesellschaftlichen Probleme, die wir um uns herum sahen, kamen eben nicht vor. Wir haben eigentlich nur die Feststellung formuliert: PSR, politisch soziale Realität, muss diskutiert werden, und die Kunst leistet das im Moment nicht. Natürlich trugen wir diese Aktivitäten auch in die Szene der Kunsterziehung und das besonders in die Recklinghäuser Tagungen.

Der Kontakt zwischen Ursula Tjaden und unserer Gruppe PSR begann dort.

Wir stellten unsere Arbeit und unser Konzept in einer Arbeitsgruppe vor.

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Ursula Tjaden schreibt dazu:

„ In dieser Gruppe wollte ich mitarbeiten. Zunächst erfuhren wir, was in einem langfristigen Lehrer-Schüler-Projekt in Düsseldorf passierte: In einer bestimmten Obdachlosensiedlung wurden Aufnahmen mit Fotoapparat, Video, Tonband gemacht, dann in Schautafeln mit Bildern und Texten präsentiert, Videovorführungen wurden organisiert.

Das Ziel war, die soziale Situation der Bewohner sichtbar zu machen und so Öffentlichkeit und Entscheidungsträger zu veranlassen, die Situation der dort lebenden Menschen zu verbessern. Das war genau das, was ich suchte: einen Zusammenhang zu finden zwischen meinem Interesse an Gestaltung und der heftigen Realität, die wir nicht mehr übersehen konnten. Und wenn es für manchen auch seltsam klingt: Ich halte das heute für so wichtig wie damals, vielleicht für noch wichtiger, denn die Schrecklichkeiten sind uns über den Kopf gewachsen. Wir wissen gar nicht mehr, wo wir anfangen sollen. Erschöpfung macht sich breit.

Damals waren die Projekttage ein Aha-Erlebnis für mich persönlich und für meine weitere berufliche Arbeit. Wir fotografierten in einer Recklinghäuser Obdachlosensiedlung, vergrößerten, montierten Bilder und Texte, bauten mit Dachlatten und Packpapier das 1:1-Massenmodell eines Raumes in einer Obdachlosenwohnung samt Inventar nach, zeigten am letzten Tag eine eindrucksvolle Ausstellung. Und einige Bewohner der Düsseldorfer Obdachsiedlung waren auch dabei. Die Randale war perfekt. Einerseits gab es große Zustimmung, andererseits lauten Protest gegen

d i e s e Form von Kunsterziehung.

Ich merkte, dass ich hier Impulse bekam, dass mir durch diese Gruppe und ihre Arbeit klar wurde, was ich während meines Studiums in den 60er Jahren immer vermisst hatte: den Zusammenhang zwischen meinem Bedürfnis nach künstlerischer Arbeit und der massiven Wirklichkeit, die mich umgab.

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Zum Projektstudium kamen wir über die Absicht, Realität im gesellschaftlichen bereich zu verbinden mit denmedien der Kunst und Kommunikation.

Auch dies ist besser zu begreifen in Verbindung mit der Studentenbewegung und der Entwicklung der Kunst und ihrer Didaktik. Es sollten von den Professoren nicht mehr nur bereits Bekanntes und Erforschtes vorgetragen und von den Studierenden aufgezeichnet und wiederholt werden. Es ging nun auch im Zuge einer antiautoritären Bewegung um die gemeinsame Arbeit in Augenhöhe und an neuen Themen, von denen zusätzlich etwas erwartet wurde, was man damals Gesellschaftliche Relevanz nannte. Herunter vom Podium und hinein in die Realität, insbesondere auch in die Realität der Medien. Der Bereich der Kunst wurde erweitert in den der Visuellen Kommunikation. Herunterklettern aus dem Elfenbeinturm in die Welt des Alltags und der Arbeit, bis hinein in die Kaufhäuser, Zechen und Schächte, insbesondere im Ruhrgebiet. Selbstreflexion in Projekten wie Schüler und Studenten filmen und dokumentieren ihre eigene Situation. Hinzu kam die nicht immer realisierbare Forderung nach interdisziplinärer Arbeit, dem Zusammenarbeiten der Kollegen und Studierenden in Fächer übergreifenden Projekten. Musik und visuelle Kommunikation, Deutsch, Geografie, Soziologie usw. Und natürlich auch die gelegentliche Verbindung von Hochschulen untereinander, wie Ursula Tjaden und ich es im Einzelfall durch wechselseitige Besuche und in Gruppenprojekten versuchten.

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Ursula Tjaden schreibt dazu:

„Was machten Jörg Boström und ich gemeinsam? Zunächst das, was damals viele taten, nämlich "Papiere verfassen". Wir wollten die Gesellschaft umkrempeln und dazu gehörte es, die Kunstpädagogik zu verändern. Das Schreiben war zunächst ein Klärungsprozess für uns selbst. Wenn ich mir das von uns damals Verfasste heute ansehe, stelle ich mit einer gewissen Zufriedenheit fest, dass wir nie in ein einseitiges Theoretisieren verfallen sind, sondern in unseren Konzepten immer das Analysieren, das Reflektieren, das Darüber Reden mit dem "Machen" verbunden haben. Der heute so pauschale Vorwurf an die Visuelle Kommunikation, ihre Theorie Lastigkeit, traf keineswegs immer auf das zu, was hier und da und dort tatsächlich gemacht wurde.“

Man muss sich erinnern, dass auch in der Bildenden Kunst, der Lehre auf den Akademien in Westdeutschland, das Denken in Konzepten die praktische künstlerische Tätigkeit oft uberwucherte. „Wer einen Pinsel anfasst, hat schon verloren“, meinte z.B. Joseph Beuys. Sein Schüler Jörg Immendorff hat sich danach in zäher Arbeit auch als Kunsterzieher die Malerei zurückerobert, die er heute in großen Ausstellungen eindrucksvoll präsentieren kann. Es ging immer auch um ideologische Gefechte mit zum Teil existentiellen Konsequenzen. Nicht zufällig sind Studierende aus DDR Akademien wie Gerhard Richter mit großem Vorsprung in die heutige Kunstszene eingedrungen bis hi zur aktuellen Leipziger Schule. Der Ausweg aus dem abstrakten luftigen Gefängnis blieb der Umgang mit den technischen Medien. Auch Gerhard Richter hat sich die visuelle Realität wieder aus dem genialen Vorbandespiel mit der Malerei angeeignet.

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„Eins unserer gemeinsamen Projekte untersuchte auch mit fotografischen Mitteln den Alltag in einem Kaufhaus.

Wir arbeiteten mehrere Semester gemeinsam in einem Projekt "Studenten filmen ihre Situation", machten gemeinsam mehrere Fotoprojekte in der Lehrerfortbildung, machten zwei Tagungen, wo Studenten des Fotodesign, der Architektur, der Raumplanung, des künstlerischen Lehramts ihre Projekte vorstellten.

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An einem Tag besuchten wir zusammen mit dem Kollegen Hermann Haas die alte Harkortsche Schmiede, die gerade ihren letzten Arbeitstag hatte. Es sah wirklich aus wie zu Beginn der Industriellen Revolution, verrußt, dunkel. Der Schmied schenkte uns langgriffige Zangen und Reste von Fehlversuchen.

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1977 schlug der Kollege Klaus Lampe schlug vor, ein gemeinsames Projekt über den Spanischen Bürgerkrieg zu machen, wieder Theorie, Praxis, Schulpraktikum. Das Unternehmen dauerte schließlich 3 Semester, zum Schluss kam noch eine Exkursion dazu. Heute im Studienplan undenkbar. Für alle Beteiligten war es das Aha-Erlebnis. Die damaligen Studierenden sagen noch heute, dass das d i e Veranstaltung ihres Studiums gewesen sei, die sie am meisten geprägt habe, wo ihnen erstmals der zwingende Zusammenhang von historischen Ereignis, lieterarischer und bildkünstlerischer Produktion klar geworden sei, wo aber auch bisherige politische Meinungen ins Wanken gerieten und neue Positionen sich formten. Nachlesbares Produkt ist ein Artikel in dem Heft „Spanien“ von K+U, ich denke 1981, das ich gemeinsam mit Diethart Kerbs herausgegeben habe.“

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Für Ursula Tjaden hat sich daraus ihr persönliches Forschungsprojekt zum Lebenswerk von Helios Gomez entwickelt, aus dem ihre Dissertation zwei Buchpublikationen und mehrere Ausstellungen hervorgingen. Es ist ihre Arbeit, welche diesen bedeutenden politisch engagierten Künstler wieder ins öffentliche Bewusstsein rückte.

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1982 hat sie bei der Recherche auch Gerd Arntz in Den Haag kennen gelernt, der Helios .Gomez 1933 in Moskau begegnet war, dann noch wenige Kontakte mit ihm bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs hatte. Er bewahrte er 3 Bildmappen auf und hatte die Idee, diese mit einem Kommentar herauszugeben.

Von Mitte Juli bis Mitte September 1985 recherchierte Ursula Tjaden in Spanien, in öffentlichen Archiven, in Privatsammlungen, und machte vor allem mit Hilfe des Sohnes von Gómez, den sie durch Inserieren in spanischen Zeitungen gefunden hatte, zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen, die alle Gómez noch gekannt hatten, der 1956 gestorben war.

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Über den Stand ihrer Forschungen sprachen wir oft. In Berlin gab es einmal einen gemeinsamen Besuch in einem Archiv. Wir saßen wir zusammen bei der Planung der grafischen Gestaltung des Buches „Die Hülle zerfetzen“.

Viele Projekte gestaltete Ursula Jaden mit ihren Stzudierenden. Eins davon als Ausstellung gestaltet trägt den Titel "Taumel und Tabu", präsentiert in einer ehemaligen Zeche und an der Universität zu ihrer Pensionierung zusammen miteiner Auswahl aus ihrem eigenen fotografischen Werk. Bilder aus Spanien. Kontruktiv, klar und zugleich rästelhaft. Ihr Schatten spielt mit in Ihrer Lehre und in ihren Bildern.

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