Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Eva Mahn

Traumschiff, Dezember 2002

 

Seit langem besitze ich ein Plakat der Zwanzigerjahre mit einem schwarzen Ozeanriesen und einem winzigen Segelboot, darunter die Aufschrift "Holland-Amerika Lijn". Wahrscheinlich zeigt es die 1920 gebaute, 1941 torpedierte und gesunkene Maasdam III. Maasdam und Rotterdam wurden 1873 als erste Schiffe einer Rotterdamer Reederei, der späteren Kreuzschifffahrtsgesellschaft Holland-Amerika Lijn gebaut. Seit 1988 ist die Gesellschaft in nordamerikanischer Hand mit Sitz in Seattle.

Ich jedenfalls war auf der Maasdam V gelandet, die in der Karibik, vor Kanada und Neuengland kreuzt. Die New Year Cruise war ausschließlich von Amerikanern und Kanadiern gebucht. Ihr Kapitän Schoonderbeek aber war ein echter Holländer.

Die Reise auf dem Schiff übertraf meine kühnsten Erwartungen: Ich war in einen modernen Sklavenhalterstaat geraten und die Sklaven waren Philippiner und Balinesen. Auf 1.260 Passagiere kamen 560 Crew-Mitglieder. Jeder noch so absurde Wunsch wurde den Gästen erfüllt. 50 Dining Room Stewards und 25 Assistent Stewards arbeiteten in zwei Durchgängen im Speisesaal, drei Stewards für jeden Tisch.

Die Küche verarbeitete rund um die Uhr Tonnen von Lebensmitteln für nahezu 2000 Personen, wöchentlich 13.000 Pfund Fleisch, Fleischprodukte und Geflügel, dazu 4.500 Pfund Fisch und Seafood, 12.000 Pfund frisches Gemüse und 18.000 Eier. Die Wäscherei durchliefen täglich säckeweise Handtücher, Tisch- und Bettwäsche sowie Kellnerjacken, Uniformen und Ausgangskleidung der stets wie aus dem Ei gepellten Crew, ein Wunder der Organisation.

 

In aller Frühe wurde das gedruckte daily program unter den Kabinentüren durchgeschoben - mit Kleiderordnung für den Abend. Gewünscht waren "Casual: Confortable attire, but no shorts, t-shirts or jeans please" oder "Formal: Coctail dresses or gowns for the ladies, Tuxedos or business suits suggested for men", manchmal auch "Informal". Wer nichts Passendes im Koffer hatte, kaufte das Fehlende in einem der 15 Shops an Bord. Vom Abendkleid bis zum Smoking war alles zu haben.

 

Bei jedem Anlass standen Bordfotograf und Video-Kamerafrau für Erinnerungsbilder parat, einmal sogar mit Sektflasche, Sektkelchen, Smoking und roter Nikolausmütze im türkisblauen Meer. Die Fotos konnten am nächsten Morgen in der Photo Gallery besichtigt und gekauft werden, Arbeit rund um die Uhr.

Das Schiff hatte 10 Decks und kam nie zur Ruhe. Crew-Mitglieder standen ab 22 Uhr mit Folklore, Tanz und Gesang auf der Bühne, unklar, wann sie schliefen. Die Bars hatten die ganze Nacht geöffnet. Die Barmusiker aus Ungarn sahen fix und fertig aus. Man konnte nach durchfeierter Nacht in seiner Kabine innerhalb einer Stunde einen neuen Fußbodenbelag bekommen, wenn man ihn vollgekotzt hatte, flüsternde Sexangebote der ausschließlich männlichen Kabinenstewards inklusive, für die Zeit nach Dienstschluss - nach 2 Uhr morgens!

Trotz Landing in Key West, Florida, Progreso und auf Cozumel, Mexiko, blieben durch Ein- und Ausreiseformalitäten für die etwa 1000 Passagiere nur wenige Stunden für den Landgang. Die meisten kamen nur bis zu den Buden der zahlreichen Händler in Nähe der Landungsbrücken mit Basecapes, T-Shirts und Folklore.

Die Reise war für die besser situierte Mittelklasse gedacht. Einige Gäste ließen den Frust ihres ganzen verpfuschten Lebens an der Crew aus, die mit verbitterter Freundlichkeit alles über sich ergehen ließ. Unvergessen die angespannte Atmosphäre zwischen Hass und Unterwürfigkeit am letzten Tag, als es um die Trinkgelder ging und durch ihre Bemessung oder Verweigerung ein letzter Machtakt der zahlenden Gäste möglich war, für einen im Osten sozialisierten Menschen wie mich schwer zu ertragen.

Vier Tage erholte ich mich in Miami von dem Schock und da gerade Kunstmesse war, mit dem Künstlervolk aus Italien, Argentinien, Belgien, Litauen, Polen, Russland und ein paar jüdischen Kunsthändlern aus Miami South Beach, die unermüdlich Schach spielten und Kaffee tranken. Meine Wirtin, etwa 60 und eine Schönheit, hieß Erika und stammte aus Sangerhausen, ein Stück Heimat in der Fremde. Um ihr karibisch buntes Hotel und ein Gärtchen mit Papageien schwebte leise, esoterische Musik. Ihre schwulen Empfangs-Herren und Putz-Männer, sorgten für Sauberkeit und eine freundlich familiäre Atmosphäre.

Von den Stränden der Luxushotels an der Uferpromenade des Art Deco Distrikts in Miami South Beach wurde ich vertrieben, aber im Meer durfte ich baden und zusehen, wie ein Typ die Taschen meines zurückgelassenen Bademantels durchsuchte.

Die Hotelbars waren am Abend bevölkert von sehr jungen, sehr schönen Mädchen und Männern, die ungeniert mit ihnen in Kabinen am Pool verschwanden oder an der Bar ihr mit zweifelhaften Geschäften erworbenes Geld vertranken.

Ein Flug nach Miami, entsetzte Gesichter bei den Amerikanern, als ich auf ihr freundliches "where come you from?" "East Germany" antwortete, 1.862 Seemeilen in einem schwimmenden Luxushotel, um nichts zu sehen, war das den Aufwand wert?

Es war!