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"Ein Jahr nach der Katastrophe von Tschernobyl, im Sommer 1987, reiste ich nach Schweden und ins Tessin, Gebiete, die vom radioaktiven Niederschlag aus Tschernobyl kontaminiert worden waren. Dort untersuchte ich die erste Generation von Wanzen Heteroptera auf Körperschäden. Der Anblick der geschädigten Wanzen aus Schweden und dem Tessin löste in mir einen Schock aus. Ich erkannte die Notwendigkeit, dieses Drama mit meinen Bildern offen zu legen." Cornelia Hesse-Hongger

Annette Bültmann
 
Mutierte Wanzen
Zum Vortrag "Zeugnisse zwischen Kunst und Wissenschaft, einer schönen und bedrohten Lebenswelt" in Münster am 16.6.2006

Cornelia Hesse-Honegger begann in jungen Jahren zu zeichnen am zoologischen Institut in Zürich, als ihre erste frühe Zeichnung stellte sie bei dem Diavortrag ein Bild der Chromosomen der aus der Vererbungslehre bekannten Fruchtfliege Drosophila vor. Von diesem Insekt zeichnete sie dann auch Kopf, Thorax, Abdomen, Flügel, und auch das ganze Tier, anschließend auch Stubenfliegen, Spinnen, und schließlich Wanzen, die Wanzen blieben dann über Jahre hinweg das bevorzugte Thema.

Brustschilde von Wanzen wurden angeordnet nach Farbe und Form, als zunächst mal eher abstrakte Studien, manchmal Teile weggelassen bei der Beschäftigung mit Symmetrie und Asymmetrie, großenteils als Aquarelle, nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl entwickelte sie aber ein verstärktes Interesse an mutierten Insekten, die z.B. verkürzte Fühler, verkleinerte Beine oder deformierte Flügel haben können. Auch an der Form von Kopf und Thorax gibt es Mutationen.

In der Zeit nach dem Tschernobyl-Unfall suchte sie zuerst nach Wanzen im Tessin in der Schweiz, wo durch es Luftströmungen von Süden zur größten Verstrahlung im Schweizer Raum kam. Diverse Reisen nach Tschernobyl, aber auch Schweden, wo es ebenfalls ein Gebiet mit verstärktem Fallout nach dem Reaktorunglück gibt, in die Umgebung von Schweizer Atomkraftwerken, nach Sellafield, La Hague und Three Mile Island führten zu immer neuen Bildern mit mutierten Wanzen, nicht nur in durch Unfälle kontaminierten Gebieten, sondern auch in der Umgebung von Atomanlagen im normalen Betrieb. Die Zeichnungen und Aquarelle sind sehr genau, feine Linien und Strukturen, originalgetreue Farben, sehr deutlich sind die Mutationen sichtbar.

Es gibt ja eine lange Tradition des Zeichnens von toten Tieren, z.B. bei Expeditionen früherer Jahrhunderte. Leider überleben auch in diesem Fall die gezeichneten Wanzen üblicherweise nicht, sondern werden vorher betäubt und anschließend getötet, weil die lange Zeit und das Licht unter dem Mikroskop sie austrocknen würde, weitere Opfer der Wissenschaft, oder ist es eine Verbindung von Wissenschaft und Kunst? Mir stellt sich da die Frage, ob die Kunst mit der Wissenschaft eine Verbindung suchen sollte, oder ob ein Künstler das eher ablehnen sollte um frei zu sein von den Tötungen und Experimenten in ihrem Namen, von Problemen die die Wissenschaft mit sich bringt und den Repressionen, der sie unterliegt. Repressionen in diesem Falle deutlicherweise, denn seit sie mutierte Insekten in Zusammenhang mit Reaktoren zeichnet, ist Cornelia Hesse-Honegger für die Wissenschaft quasi gestorben, man möchte nichts mehr mit ihr zu tun haben in den Kreisen wo sie früher als naturwissenschaftliche Zeichnerin gearbeitet hatte. Die Einflüsse von Tschernobyl oder Atomreaktoren auf Mutationen in der Natur wird weltweit von Wissenschaftlern geleugnet, man behauptet dass es Grenzwerte gebe unterhalb derer so etwas nicht möglich wäre. Nur einige Wissenschaftler in Weißrussland, die sich nun, da es nicht mehr zu übersehen ist, mit Strahlungsfolgen beschäftigen, schätzen ihre Arbeiten. Andernorts scheint es eine wissenschaftliche Standardmeinung zu geben, die anscheinend die komplette Leugnung solcher Erkenntnisse voraussetzt, jedenfalls wenn man das nach den Erlebnissen von Cornelia Hesse-Honegger beurteilt. Angesichts dessen wundert es kaum noch, dass, wie zum Schluss des Vortrags zu hören, es inzwischen ein spezielles Krankheitsbild ist, unter depressiven Stimmungen, Mutlosigkeit und psychosomatischen Störungen zu leiden aufgrund des vergeblichen Protests gegen die Umweltzerstörung.

Zur Website von Cornelia Hesse-Honegger: www.wissenskunst.ch