| - Aus der Erkundung der Wirklichkeit ist jedoch ein Verfallensein an die eigenen Bilder geworden, ein Prozess, den man mit einem Wort als Selbstbetrug bezeichnen kann. Es ist ein Betrug, bei dem wir als Produzenten und Rezipienten in selbstgenügsamer Kumpanei uns allmählich in einem spannungslosen Zustand, der Entropie vergleichbar, mit immer faderem Geschmack auf den Lippen selbst verdauen. Von Bildern im Bereich des Fotojournalismus war die Rede.
- Wenn in der Frühzeit die Menschen Bilder benutzten, Bildstrategien entwickelten, um sich in der außerbildlichen Wirklichkeit zurechtzufinden, so gilt zur Zeit die angespannte Aufmerksamkeit der übermächtig gewordenen Bilderwelt selbst, die im Begriff zu sein scheint, den Blick auf Wirklichkeit endgültig zu ersetzen. Die Sprache der Bilder zu verstehen, ihre Magie zu durchlöchern, ihren Text zu entziffern und sie in die Schranken ihrer begrenzten Botschaften zu weisen, wäre eine Aufgabe der Medien selbst und eine politische Notwendigkeit, denn unsere Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens setzt Mündigkeit in der Bildung von Urteilen voraus.
- Es ist im Bereich der theoretischen Erörterung der Wirkung von Fotografien deutlicher als zuvor geworden, dass die Verwechslung von Gegenstand, Bild und Abbild, die unbewusste Gleichstellung von Fiktion und Realität in eine Kulturkrise führen muss. Walter Benjamin beschrieb 1931 in diesem Zusammenhang den Typus des "visuellen Analphabeten", des Menschen also, der den Text der Bilder nicht oder nicht mehr entziffern kann und wahnhaft die Schattenspiele der Medien mit der Wirklichkeit verwechselt. Wir müssen die Arbeit des Bildjournalisten und die Gestaltung der Massenmedien in einem Zusammenhang sehen und begreifen, da sie in der ästhetischen Praxis in permanenter wechselseitiger Abhängigkeit stehen, indem jeder Bereich den anderen für seine Zwecke ausbeutet. Für den Betrachter treten sie immer wieder in dieser für ihn in der Regel nicht erkennbaren Verwischung auf. Hier ist eine neue Spannung, ein kämpferisches Wechselspiel zu erkennen und als Strategie der eigenen Erkenntnis weiter zu entwickeln. Ohne den gesamten Umfang der entsprechenden Theorie an dieser Stelle wieder zu beleben möchte ich doch als Arbeitsansatz den Begriff des Zeichens vorschlagen. In diesem Wort, wenn man es umfassender versteht als etwa Satzzeichen, Verkehrszeichen, Handzeichen, Korrekturzeichen etc., treffen sich die Arbeitsweisen des Produzenten, des Fotografen, mit den Verarbeitungsweisen des Rezipienten, des Betrachters, des Benutzers von Medienbotschaften. In seinen Bildern verwendet der Fotograf Zeichen, die ihn bei der Deutung seines Lebens und Erlebens weiter bringen, die ihn auf Umwelt und Bilderwelt produktiv reagieren lassen. Die Lesbarkeit dieser Bilder wiederum hängt ab von der Bereitschaft und Fähigkeit des Betrachters, die Zeichensprache zu entziffern. Um der wahnhaften Verwechslung von Bild und Realität zu begegnen, bietet der Begriff Zeichen ein praktikables Instrument. Erneut aufmerksam gemacht auf diese schwer entwirrbare Vermischung von Welt und Bilderwelt hat uns die Entwicklung technischer Bilder von der Fotografie zum Fernsehen bis zur Computer simulierten Illusion. Da die technische Energie diese Medien im naturalistischen Sinne auf eine Simulation von Erscheinungsbildern, auf ein Augentäuschen mit dem Ziel der möglich "naturgetreuen" Nachahmung vorantreibt, ist die Erkenntnis ihres fiktiven Charakters, ihres Zeichensystems, immer wieder durch die faule Bereitschaft des Betrachters gestört, in diesen trügerischen Spiegelungen Wirklichkeit zu erleben, die ihm sonst verschlossen ist, bis hin zur selbst zerstörerischen Verdrängung des eigenen Lebens durch die technisch perfektere Fiktion. Dies ist kein Plädoyer gegen den Medienkonsum, ich würde damit ja auch meinem Beruf als Ausbilder von Produzenten die Grundlage schmälern, sondern eins für einen anderen Gebrauch, den ich zunächst mit dem Begriff des aktiven Sehens bezeichne.
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