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'Rote' Kunst in kultivierter Landschaft

von Dr. Stefan Greif

Wer das Sintfeld in der Nähe von Fürstenberg kennt, der weiß auch, dass sich diese Landschaft über viele Quadratkilometer kaum verändert. Acker reiht sich an Acker, und nur selten unterbrechen kleinere Wäldchen oder Weiden diese seit Generationen kultivierte Natur. Raps, Weizen und Gerste prägen ihr Aussehen ebenso wie die agrarischen Interessen der Einheimischen. Auf den ersten Blick scheint das Sintfeld also nicht unbedingt ein Ort für künstlerische Ambitionen - es sei denn, die Landschaft wird selbst zum Raum für Kunst; zu einem erweiterten Atelier, in dem sich ästhetische Gestaltungsabsichten mit dem jahreszeitlichen Rhythmus der Natur zu einem vergänglichen, gleichzeitig aber auch anspielungsreichen Kunstwerk verbinden. Von solchen Überlegungen geleitet, hat sich der Fürstenberger Künstler und Fotograf Ulrich Mertens für sein Mohn-Projekt eine Stilllegungsfläche ausgesucht, die nicht mehr den gewohnten Nutzbarkeitserwägungen untersteht, ab Oktober 2005 jedoch für die Mohnblüte im darauf folgenden Juni wieder beackert und geometrisch gestaltet werden soll. Acht Hektar umspannt die Kreisfläche, auf der Klatschmohn dann ausgesät und kultiviert wird, um im nächsten Jahr hellrot und weithin leuchtend zu erblühen - wie eine Markierung (in) der Landschaft, die Kunst und Agrarkultur teils miteinander zu verbinden scheint, teils aber auch unterschiedliche Sichtweisen auf die Natur aufeinanderprallen lässt. Immerhin handelt es sich um ein temporäres Kunstwerk, das erst im Jahreszeitenwechsel entsteht und dem wechselnden Licht und Wetter des Sintfelds ausgesetzt bleibt. Das rote Mohnfeld verliert aber auch aufgrund seiner Vergänglichkeit an ästhetischem Eigenwert und unterläuft als Teil der Natur unsere meist unbescheideneren Ansprüche an die Kunst.

 

In der vierzigjährigen Geschichte der Landart beschreitet Ulrich Mertens damit einerseits bekannte, andererseits aber auch neue Wege. Dass sich plastische Kunst in der Landschaft verändert, dass ihre Gestaltung nicht allein vom Künstler abhängig ist, gehört wie die Tatsache, dass vergängliche Landart allenfalls in Abbildungen oder Augenzeugenberichten weiterlebt, zu den ursprünglichen Zielsetzungen dieser Kunstrichtung. Solch eine Dynamisierung organischer Prozesse macht einen zentralen Unterschied zwischen ihr und sonstiger Atelier- und Museumskunst aus. Während diese ihre Anerkennung im öffentlichen Raum findet, setzt sich Landart gewissermaßen bewusst dem allgemeinen Vergessen aus. Gleichwohl eröffnen Landart-Projekte wie das von Ulrich Mertens eine Fülle von Assoziationen. So findet der riesige rote Blumenkreis in der quadratrischen Struktur der Äcker keine Entsprechung. Schon optisch markiert das Mohnfeld damit einen Widerspruch zu den rasterartig angelegten Nutzflächen. Diesem offenkundigen Antagonismus läuft ein ästhetisch scheinbar reduzierter Gestaltungsprozess zuwider, denn anders als Landart-Künstler wie Andy Goldsworthy oder Richard Long verzichtet Mertens darauf, vorgefundene Naturmaterialien nach künstlerischen Gesichtspunkten zu arrangieren. Statt also Blätter, Steine, Holz zu sammeln, um diese Zufallsfunde gleichsam spielerisch in die Landschaft zu integrieren, setzt er sich auf 'handgreiflichere' Weise mit dem traditionellen Kulturraum auseinander: Indem er mit ortsansässigen Bauern zunächst ein Feld wieder urbar macht und es anschließend mit schwerem Gerät als künstlerische Fläche anlegt, teilt sich dem Mohn-Projekt insofern etwas von seiner landwirtschaftlichen Umgebung mit. Über den dynamischen Wechsel des Keimens und (Ver-)Blühens hinaus, stellt sich wie beim Anblick bewirtschafteter Felder auch hier die Erinnerung an harte Arbeit und eine enge Verbundenheit mit der Natur ein.

Ob sich solch eine 'Renaturierung' der Kunst tatsächlich der bäuerlichen Alltagswelt anbiedert, diese Frage lässt sich freilich nur auf hintersinnige Weise beantworten: Zwar gehört der Mohn seit altersher zu den Erkennungsattributen der Erdgöttin Demeter; seit altersher symbolisiert der Mohn aber auch einen lang anhaltenden Schlaf. Konnotiert man seine rote Farbe daher politisch, so dürfte sich jede heimatverbundene Betrachtung des runden Feldes möglicherweise ihrer eigenen Befangenheit überführen. Überhaupt eignet dem roten Klatschmohn ja etwas Freches und Widerspenstiges. Als uraltes Symbol der Fruchtbarkeit zwingt ihn Mertens auf dem Sintfeld in eine räumliche und zeitliche Ordnung, die jene langjährigen Mühen zu bestätigen scheint, mit denen Landwirte ihre Feldraine und Äcker von diesem hübschen 'Unkraut' seit langem zu befreien versuchen. Doch der Klatschmohn sät sich mit zügelloser Regelmäßigkeit immer wieder selbst aus und wird daher auch im übernächsten Jahr nicht vor der Besiedlung wertvoller Getreideböden zurückschrecken. Dank dieser Widerständigkeit repräsentiert er etwas in der Natur, das wirtschaftlichem Ertragsdenken verschlossen bleibt - eben die Tatsache, dass sich Natur zwar zur Kulturlandschaft umgestalten, aber niemals dauerhaft organisieren lässt. Und das zumindest haben eine lebendige Kunst und der rote Mohn hoffentlich auch bis auf weiteres gemeinsam.

 

Über den Autor:

Dr. Stefan Greif ist Privatdozent für Neue Deutsche Literatur an der Universität Paderborn.

 

Landart-Projekt: MOHNKREIS

Künstler Ulrich Mertens sät 320 Meter großen Kreis aus rotem Klatschmohn

Auf einer Stilllegungsfläche 25 Kilometer südlich von Paderborn hat der Künstler und Fotograf Ulrich Mertens (DFA/DGPh) kürzlich einen 320 Meter messenden exakten Kreis Klatschmohn ausgesät, der im Juni 2006 als weithin sichtbarer roter Punkt erblühen wird.

Mertens, der durch seine Arbeiten zu Erdstrukturen bekannt geworden ist, greift mit diesem Projekt auf spektakuläre Weise in die Landschaftsgestaltung ein: Die in der Landwirtschaft unübliche runde Form des Feldes und die untypische Pflanzenwahl brechen mit Bekanntem und Vertrautem, irritieren den Betrachter und stellen ihn vor ein Rätsel. Der Kreis aus rot blühendem Mohn, entzieht sich jedem wirtschaftlichen Nutzen und dient ausschließlich einer ästhetischen Absicht. Neun Monate lang kann der Betrachter die Entstehung eines dem natürlichen Wachstumsprozess unterworfenen Kunstwerks vom Beginn der Keimung über den Höhepunkt der Blüte im nächsten Juni verfolgen, bevor es mit dem Herbst auch wieder vergeht.

Das Feld liegt in Ostwestfalen-Lippe im Sintfeld zwischen Haaren und Fürstenberg am Schäferberg. Es wird durch die historischen Wege Via Regia und Alter Heeresweg begrenzt. Mit dem intensiven Rot des Klatschmohns (Papaver Rhoeas) setzt der Künstler eine Landmarke mit Signalwirkung, die aus der Ferne sowohl für Autofahrer, als auch für Spaziergänger und Wanderer erkennbar sein wird.

Gleichzeitig befindet sich das Feld in der Anfluglinie des Flughafen Paderborn/Lippstadt und kann aus der Luft gesehen werden.

Der Boden des zu den Ländereien des Grafen von Westphalen gehörenden Feldes wurde zuvor vom ortsansässigen Landwirt Ulrich Schulte speziell für das Projekt aufbereitet. Der Klatschmohn bildet nach dem Keimen eine rosettenartige Form aus und wird vor dem Winter die nötige Größe erreicht haben, um Schnee und Frost Widerstand leisten zu können.

Das Projekt wird über alle wesentlichen Wachstumsphasen hinweg fotografisch dokumentiert. Bildmaterial und weitere Informationen werden in Kürze über eine eigens eingerichtete Website unter www.visuelle-konzepte.de einsehbar sein und ab Herbst 2006 als zusammenhängende Foto-Ausstellung in unterschiedlichen Einrichtungen in NRW gezeigt werden.

Ulrich Mertens
Atelier für Kunst und Fotografie
Pellenberg 3
33181 Bad Wünnenberg
tel 02953 8889
fax 02953 966551
mobil 0170 3107931
mail u.mertens@visuelle-konzepte.de

Assistenz Mertens
Swaantje Güntzel
Barnerstrasse 35
22765 Hamburg
tel 040 39808419
mobil 0179 768 2473