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Jörg Boström

Immendorff in Berlin

Er war immer wieder weithin sichtbar. Ein Künstler der Inszenierung. Einen Stein ans Bein gebunden, schleppte er sich 1966 so lange um das Bonner Bundeshaus, bis die Polizei kam. Farbe auf dem Stein Schwarz Rot Gold. Auch dieser Brocken ist zu sehen in der Ausstellung MALE LAGO - Unsichtbarer Beitrag - in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Ein noch größerer Brocken ist der Katalog. Nun schleppen ihn die Besucher mit sich herum. Man kann diesen Künstler nicht übersehen. Und man kann ihn nicht vergessen. Versucht haben es die Sammler in der Berliner Reichskanzlei. Bei der Sammlung Deutsch-Deutscher Kunst fehlt Immendorff. Sein nicht eingesammeltes Werk "Café Deutschland" ist bekannter geworden als alle Übrigen, Ausnahme vielleicht die Bodengrube "Der Deutschen Bevölkerung" von Hans Haacke, weil sie im Bundestag zur Abstimmung gestellt wurde. Die Düsseldorfer Kunstakademie musste seine Aktion LIDL Akademie im Umfeld von Joseph Beuys solange dulden, bis sie geschlossen wurde und Beuys und Immendorff emittiert wurden, der eine als Professor, der andere als Student. Beuys verweigerte der Pinselmalerei seinen Segen, Immendorff pinselte "keine Malerei" und ließ ein Riesenbaby plärren, "teine Tunst..". Die Olympiade feierte die LIDL Akademie mit LIDL SPORT. "Viel Sand auf das olympische Feuer". Bis das mörderische Attentat aus islamistischem Lager ein erstes Ende der Spaßgesellschft einschoss. Wagte es einer außer Immendorff, Politcommics zu malen für die KPD und das als Kunsterzieher einer Hauptschule? Quer gegen die Polit- und Kunstszene gingen immer wieder seine Aktionen mit Körper und Pinsel. Mit seinem inszenierten Hotelskandal, man fragt sich, ob er nicht Selbstanzeige betrieben hat, so Immendorffmäßig war die Bühne aufbereitet, gelangte er in die bunte Presse als bedeutendster Maler der Bundesrepublik. Wer schäumt denn da vor Eifersucht? Zuletzt hat die schleichende Krankheit ihn gefesselt. Auch das in öffentlicher Hand. Auch diese fortschreitende Lähmung ist bekannt geworden durch ihn. ASL fordert mehr Opfer in Deutschland als AIDS. Wer wusste das vor Immendorffs tragischer Medienkampagne und seiner Stiftung. Auch seine Ausstellung eine Inszenierung als Stadt mit begehbaren Kästen. Rote Bühne. Ganzes Werk. Nichts verschoben oder versteckt. Dazwischen tanzen, huschen, malen und glotzen die Affen. Bronce wie Rodin. Seine Symbol- und Göttertiere. "WO STEHST DU MIT DEINER KUNST KOLLEGE" fragt er frech noch immer. Ja, wo eigentlich?

Ihn kann man sehen und hören, wenn man tief genug in einen Brunnen schaut. Mürrisch. Raue Stimme. Fordernd.

Menschen in Fülle. Sie häufen sich in seinem Leben und in seiner Kunst. Sie mustern den Betrachter, distieren, reiten auf Eseln, Fahrrädern und manchmal Frauen, sitzen im Schlamm, der selbst zu Figuren mutiert und aus Tintenfisch Augen glotzt. Sartre, Beuys, Müller, Heine, Penck und immer wieder der Künstler selbst, hier gehüllt in einen Bienenmantel, LIDL Steine schwarz rot gold am Bein, Gyntiana, 1992/93.

Auf einem anderen Bild sitzen sie, die Schar der Kultursetzenden und Ätzenden, wie im Theater. Am Strick wird die Knieende von Lehmbruck heruntergelassen, die jeder Rheinländer schon als Schüler kennengelernt hat aus dem Duisburger Museum. Ein Latwagen kippt Kulturpampe auf die Bühne. Immendorf selbst serviert als Ober in weißer Jacke die unbedingt notwendigen Erfrischungen. Der Künstler war und ist ein Inszenierer, ein Geschichtenerzähler, der die Comic Kultur ins Monumentale umwuchtet, Lehmbrucksaga 1987

Zum multikulturellen Frühstück lädt die Tafel. Indianisches, Russisches, Afrikanisches, Dalianisches, Fließendes, Festes und Fettes bittet zu Tisch. Auch dies ein Café Deutschland.

Seine Lieblinge und Stellvertreter sind die Affen. Immer wieder tauchen sie auf als Slulpturen und Gestalten zwischen den Kultur- und Kult-Figuren. Bilder und Werke auch für Kinder.

Ein außen roter und innen weißer Salon stapelt an den Wänden Arbeiten des Lehrers, des Kommunisten, des Aktionisten, des Kunstverweigerers gerade durch Flugblatt- und Agitationskunst. Seine LIDL Zeit. LIDL Sport war die offensive Alternative zur Olympiade 1969. Ein Ringen mit Johannes Stüttgen nach dem Rauswurf aus der Kunstakademie Düsseldorf als Student, in die er später als Professor zurückkehrte.